Fachmedienkonferenz 2023 Stadler Rail / FLIRT H2

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Am 16. März 2023 folgten knapp zwei Dutzend Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz der Einladung von Stadler Rail AG zur Fachmedienkonferenz 2023. Nach einem ausführlichen Überblick über den Geschäftsgang von Stadler wurde über technische Entwicklungen informiert. Nach den überaus interessanten Präsentationen bot sich Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Werkhallen am Standort Bussnang. Am Nachmittag folgten die Besichtigung und eine Probefahrt mit dem eigens für einen Betreiber in San Bernardino im Süden von Kalifornien produzierten und mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb motorisierten Flirt-Triebwagenzug.

Begrüssung durch Gerda Königsdorfer, Head of Group Communications von Stadler Rail AG

Gerda Königsdorfer, oberste Kommunikationsverantwortliche, begrüsst über 20 Medienfachleute zur Fachmedienkonferenz 2023 und zur Testfahrt mit dem Flirt H2. Sie bedankt sich fürs Kommen und für das Interesse an Stadler Rail. Im Anschluss an drei Referate haben die Teilnehmenden die Möglichkeit zu einem Werkrundgang und – am Nachmittag – zu einer Testfahrt mit dem Flirt H2, dem mit Wasserstoff angetriebenen Flirt für die San Bernardino County Transport Authority (SBCTA), eine Stadt in Südkalifornien bei Los Angeles.

Stadler Rail AG heute – Referat von Markus Bernsteiner, Group CEO

Markus Bernsteiner informiert über wesentliche Ereignisse bei Stadler. Die Firma blickt auf eine eindrückliche Expansionsphase zurück. Auftragseingang und Auftragsbestand haben 2022 neue Rekordstände erreicht. Mit Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer wurde der Verwaltungsrat von Stadler Rail AG weiter gestärkt.

Bestellungen 2022 und Bestellungsvorrat.

Markus Bernsteiner erläutert die von Stadler bearbeiteten Marktsegmente und die entsprechenden Fahrzeuge. Bemerkenswert sind die Erfolge mit der Lokomotive EURO9000, der stärksten sechsachsigen Lokomotive.

Anschliessend erläutert Markus Bernsteiner die globalen Märkte für Triebfahrzeuge. Die Zielmärkte von Stadler haben ohne China ein jährliches Volumen von rund CHF 26 Milliarden. Mit einem Umsatz von CHF 3.2 Milliarden beträgt der aktuelle Marktanteil von Stadler rund 13 Prozent – eine stolze Leistung für das relativ junge Unternehmen.

Strategische Märkte Stadler.

Eindrücklich ist auch das verhältnismässig dichte europaweite Netz von Servicestandorten. Stadler sucht die Nähe zu den Kunden. Dies ist unter anderem ein Beweis für die Servicequalität von Stadler für die eingesetzten Produkte.

Service Standorte von Stadler Rail.

Besonders stolz ist Stadler auf den Erfolg der Sparte Signaltechnik. In nur fünf Jahren wuchs dieser Bereich von fünf auf 600 Mitarbeitende, die an mehreren Standorten beschäftigt sind. Das von Stadler entwickelte «Guardia»-System für die ETCS-Infrastruktur in Fahrzeugen wurden von mehreren europäischen Eisenbahnaufsichtsbehörden homologisiert.

Produkte im Segment Signalling.

Innovation und Wachstum – Referat von Dr. Ansgar Brockmeyer, stv. Group CEO

Dr. Ansgar Brockmeyer erläutert den Nutzen der Eisenbahn als umweltfreundlichstes terrestrisches Transportsystem. Besonderes Augenmerk widmet Stadler der Förderung der Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge – unter dem Begriff der Dekarbonisierung vor allem dem Ersatz des Dieselantriebes durch umweltfreundlichere Antriebe. Anhand einer Folie zeigt Dr. Ansgar Brockmeyer das CO2-Einsparpotential der verschiedenen Antriebsarten. Überraschend tief ist mit 26 Prozent das Einsparpotential von Wasserstoff-Brennstoffantrieben, dies im Gegensatz zu 77 Prozent bei batteriebetriebenen Triebwagenzügen.

Potentiale der Dekarbonisierung.
Gesamteffizienz von Antriebskonzepten.

In Anlehnung an die bewährten GTW-Triebwagenzüge werden neu auch bei Flirt zwischen die Wagen Module mit Bestandteilen der Antriebstechnik, die sogenannten «Power-Pack», eingereiht. Diese bieten Raum für die neuartigen Energiequellen, seien es Batterien oder die Wasserstoff-Brennstoffzellen. Am Nachmittag bietet sich Gelegenheit zu einer Besichtigung und Fahrt mit einem H2-betriebenen Flirt.

Dr. Ansgar Brockmeyer beendet seine Ausführungen mit einem Überblick über die von Stadler angebotenen umweltfreundlichen Antriebssysteme und bereits damit ausgerüstete Fahrtzeuge. Bemerkenswert ist das Faktum, dass 2022 mehr Fahrzeuge für Stadtbahnen und Strassenbahnen bestellt wurden als traditionelle Vollbahn-Triebwagenzüge.

Auftragseingang 2022 nach Produktsegmenten.

Präsentation TINA – Präsentation von Dirk Schillings, CTO LRV

Dirk Schillings, CTO des Bereichs Light Rail Vehicles LRV, erläutert die Entstehungsgeschichte der Strassenbahn TINA (Total Integrierter Niederflur-Antrieb), einem neuen Verkaufserfolg von Stadler. 2017 wurde bei Stadler in Anbetracht der unsystematischen Angebotspalette von Strassenbahnen die Notwendigkeit einer Systematisierung und Vereinheitlichung erkannt. In der Folge wurde in rekordkurzer Zeit mit TINA ein völlig neues und vielfältig einsetzbares Drehgestell entwickelt, das in verschiedenen Ausprägungen und mit modularen Wagenkästen erhältlich ist.

Kennzahlen TINA.

Mit diesem Drehgestell ausgerüstete Strassenbahnfahrzeuge wurden vom Markt sehr gut aufgenommen, wie die bereits eingegangenen festen Bestellungen von 191 Fahrzeugen eindrücklich belegen. Die neuen Fahrzeuge zeichnen sich a) durch Kundenfreundlichkeit – komplett barrierefreier Boden, grosse Panoramafenster, etc. – b) Wartungsfreundlichkeit und c) übersichtliche, grosszügige und sichere Führerkabine aus.

Absatzerfolg 2022 TINA.

Rundgang durch das Werk Bussnang

Nach diesen spannenden Referaten lädt Dr. Ansgar Brockmeyer zu einem Werkrundgang ein. Neu und von den Anwesenden freudig begrüsst wird das Angebot, von ein paar ausgesuchten Standorten Bilder aufzunehmen. Das bisher geltende Verbot auf Fotoaufnahmen ist gemäss Dr. Ansgar Brockmeyer hauptsächlich auf Anforderungen der Besteller der Fahrzeuge zurückzuführen.

Beeindruckend ist die Führung durch die gut ausgerüsteten und hellen Werkshallen. Imposant ist auch die Vielfalt der Fahrzeuge in verschiedenen Fertigungsstufen. Besonders beeindruckt haben den Verfasser die Farbenpracht und die beispielhafte Ordnung und Sauberkeit in den Hallen. Neben den Fahrzeugen selbst scheint auch die Organisation des Fertigungsprozesses eine ingenieurmässige Spitzenleistung zu sein.

Nachstehend ein paar Bilder vom Rundgang.

Präsentation und Testfahrt mit dem Flirt H2 für SBCTA

Nach dem offerierten exzellenten Mittagessen besammeln sich die Anwesenden vor dem Bus zur Fahrt nach Hemishofen. Die Reise führt bei prächtigem Frühlingswetter über eher wenig befahrene Strassen über den Seerücken an den Untersee und von hier weiter über Stein am Rhein nach Hemishofen.

Heimishofen liegt an der stillgelegten Bahnstecke zwischen Etzwilen und Singen, die zurzeit nur noch von Zügen einer Museumsbahn befahren wird. Aber nicht nur – Stadler Rail darf Teile dieser nicht elektrifizierten Strecke für das Testen von Fahrzeugen benutzen.

Bahnhofsgebäude von Hemishofen.

Erwartungsvoll harren die Anwesenden vor dem Bahnhof von Hemishofen der Dinge, die da kommen sollen. Pünktlich um 14.00 Uhr nähert sich der angekündigte Star des Nachmittages, der von einem H2-Brennstoffzellenmotor angetriebene zweiteilige Flirt-Triebwagenzug. Der Zug wurde als Einzelanfertigung von der San Bernardino County-Transport Authority SBCTA für den Einsatz zwischen dem Stadtzentrum von San Bernardino und der Redlands-Universität bestellt. Wie zu vernehmen war, wurden für vier weitere Züge Vorverträge unterzeichnet, und für weitere 20 wurden Optionen vereinbart. Der Zug präsentiert sich dank der «Erlkönig-Schutzfolie» prächtig.

Soeben eingefahrener Flirt.
Führerkabine. Man beachte die Beschriftung.

Im «Power-Pack» sind drei Wasserstoff-Brennstoffzellenantriebe angeordnet. Diese liefern den Strom für den Antrieb und die übrigen Geräte des zweiteiligen Zuges. Bemerkenswert ist, dass bei Aussentemperaturen von 45 Grad fast ein Drittel der Energie für den Betrieb der Klimaanlage benötigt wird. Für die vierteiligen Züge wird das «Power-Pack» mit einem zusätzlichen Brennstoffzellenantrieb ausgerüstet.

Power-Pack.

Der Wasserstoff wird in 40 relativ kleinen Tanks mitgeführt. Der Druck beträgt bei der Füllung 350 bar, wobei die aus Kunststoff hergestellten Tanks aus Sicherheitsgründen nie völlig geleert werden dürfen. Die maximale Reichweite des Zuges liegt mit vollen Tanks bei etwa 700 Kilometern. Der Ladevorgang für alle Tanks beträgt 15 Minuten. Die beim Bremsen erzeugte Energie wird mit Batterien aufgefangen – eine umweltfreundliche Technologie, die Stadler auch bei anderen Antriebsarten einsetzt.

Für die technischen Daten des Flirt H2 wird auf den Prospekt verwiesen. Die Kosten des Zuges sind mit rund CHF 10 Mio. im Vergleich zum Dieselantrieb mit CHF 5 Mio. und mit Batteriebetrieb mit CHF 7 ½ Mio. vergleichsweise hoch. Allerdings handelt es sich beim Flirt H2 um eine Einzelanfertigung.

Kennzahlen des Flirt.

Bemerkenswert ist, dass der Zug als technologische Innovation von den Bestimmungen der «Buy American-Rule» ausgenommen ist. Zum Staunen Anlass bietet auch der Sachverhalt, dass es mit Stadler einem Schweizer Unternehmen gelungen ist, einen einzigen Zug – und erst noch als Einzelanfertigung mit einem völlig neuen Antriebssystem – in die USA zu verkaufen. Also nicht nur eine technische, sondern auch eine marketingmässige Spitzenleistung. Fast unglaublich!

Nach der intensiven Begutachtung des Äusseren und Inneren des Zuges erfolgt die Probefahrt nach dem etwa sechs Kilometer entfernten Bahnhof von Ramsen. Fast geräuschlos gleitet der Zug mit ansprechendem Tempo dorthin, und nach einem weiteren Fotohalt am Zielbahnhof, auch wieder zurück.

Auffallend im Wageninnern sind die zahlreichen Sicherheitshinweise in englischer und spanischer Sprache.

Blick aus dem Führerstand während der Fahrt nach Ramsen.
Route und Angabe der Haltestellen.

Beeindruckt treten die Anwesenden die Rückreise an – nicht ohne vor dem Einsteigen Dr. Ansgar Brockmeyer und seinem Team mit einem kräftigen Applaus für den gehaltvollen und perfekt organisierten Tag zu danken.

Hinweise

Besten Dank an die Group Communication von Stadler Rail AG für das Gegenlesen dieses Beitrages und an meinen Partner für die redaktionelle Überarbeitung.

Die Folien wurden den Präsentationsunterlagen entnommen – die beiden Kennzahlenblätter den Prospekten der entsprechenden Fahrzeuge. Die Fotos wurden vom Verfasser mit einem Smartphone aufgenommen. Leider lässt sich die Zahl „2“ in der Überschrift nicht in einem kleineres Format setzen.

Öffentlicher Verkehr in Nidwalden / Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad

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Lorenz Degen, Mitglied des Vorstandes der Bahnjournalisten Schweiz, organisierte am 8. März 2023 eine interessante Exkursion in die Innerschweiz. Am Vormittag erhielten 14 Mitglieder der Bahnjournalisten im Bergrestaurant Niederbauen mit zwei Referaten einen umfassenden Überblick über die Entwicklung, den Stand und die Anliegen des öffentlichen Verkehrs im Kanton Nidwalden. Am Nachmittag empfing uns Gerhard Züger zu einem spannenden und mit vielen Informationen bereicherten Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad.

Referat von Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer, Baudirektorin

Frau Regierungsrätin Rotzer-Mathyer begann ihr Referat mit einem Überblick über die geografische Lage des Kantons Nidwalden.

Frau Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer bei ihren packenden Ausführungen (Foto: Roland Arnet).

Der Kanton erlebte in den vergangenen sechzig Jahren eine stürmische Entwicklung, was sich in einer Verdoppelung der Einwohnerzahl auf knapp 44’000 Personen niederschlug. Entscheidend dabei waren zwei Verkehrsinfrastrukturen, nämlich die Brücke über die Acheregg und der Bau der Nationalstrasse A2. Dadurch wurde die Standortgunst des Kantons massiv gesteigert. Auch beim Angebot und bei der Qualität des öffentlichen Verkehrs erfolgten substantielle Verbesserungen. Luzern ist von Stans aus mit Regionalexpresszügen heute in einer Viertelstunde erreichbar. Weitere Verbesserungen sind angedacht.

Historisches Bild der Achereggbrücke (Quelle unbekannt).

Frau Rotzer-Mathyer tritt auf zwei Anliegen des Kantons Nidwalden vertieft ein. Mit engagierten Worten spricht sich die Referentin für den Bau des Durchgangsbahnhofs DBL aus und erläutert den Nutzen dieses Projekts für die Zentralschweiz. Die Regierungen der Innerschweizer Kantone stehen geschlossen hinter diesem Projekt und fordern dessen Realisierung bereits im Ausbauschritt 2035.

Lage des Durchgangsbahnhofs Luzern (Quelle: Präsentation von Regierungsrätin Rotzer-Mathyer).

Die knapp ein Kilometer lange einspurige Strecke zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt ist ein Ärgernis und steht einem Ausbau des Verkehrsangebots in der Region entgegen. Der ursprünglich angedachte Bau eines zweiten Gleises scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Heute steht der Bau eines doppelspurigen Tunnels im Fokus. Die Kosten für diese umweltfreundliche Lösung werden auf CHF 80 Millionen geschätzt. Frau Rotzer-Mathyer plädiert für eine baldige Realisierung dieses Tunnels.

Neben diesen beiden Forderungen soll auch die Leistungsfähigkeit der Zulaufstrecken zum DML durch gezielte Massnahmen gesteigert werden.

Ausführungen Markus Meisinger, Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden

Markus Meisinger bemängelt einleitend die abnehmende Planungssicherheit beim Ausbau der nationalen Eisenbahninfrastruktur.

Markus Meisinger, Abteilungsleiter Strategie und Planung, im Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden, bei seinem spannenden Referat. (Foto: Roland Arnet).

Bisher wurde etwa alle acht Jahre ein Bauprogramm mit konkreten Fahrpanzielen erarbeitet. Zurzeit befinden sich gemäss Markus Meisinger zu viele Projekte in der Umsetzung oder in der Planungs- und Abklärungsphase. Zudem enthält das Bauprogramm 2026 nur wenige nationale Teilprojekte, statt grosse Züge aufzuzeigen. Ein «grosser Wurf» soll erst wieder ab 2030 vorgelegt werden.

Übersicht über die Planung (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Bei der Anpassung der Personenanlagen an das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz BehiG im Kanton Nidwalden bestehen zwischen der Eisenbahn und den Bussen grosse Unterschiede. Während die Anforderungen des BhiG bei den Bahnhöfen zu 95 Prozent erfüllt sind und nur noch eine kleine Haltestelle fehlt, ist die Situation bei den Bushaltestellen weniger gut. Aber auch bei den Bushaltestellen wird intensiv an der Elimination der Schwachstellen für behinderte Personen gearbeitet. Ein wesentlicher Teil der Verzögerungen ist darauf zurückzuführen, dass Anpassungen in Dorfkernen oft in übergeordnete Baumassnahmen eingebettet sind, an denen mehrere staatliche Ebenen mitwirken.

Stand der Anpassung der Bushaltestellen im Kanton Nidwalden an das BehiG (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Auch das Angebot im regionalen Busverkehr wurde erheblich ausgebaut. In Anlehnung an die «Tell-Busse» zwischen Luzern und Altdorf mit einer Fahrzeit von 40 Minuten verkehren neu in der Regel alle zwei Stunden direkte «Winkelried-Regionalbusse» zwischen Stans und Altdorf mit einer Fahrzeit von 43 Minuten. Im Gegensatz zu den «Tell-Bussen» bedienen die «Winkelried-Busse» auf ihrer Fahrt unterwegs ein paar grössere Ortschaften des Kantons. Auch für die Seegemeinden ist ein Konzept für die Verbesserung der Buserschliessung in Arbeit.

Markus Meisinger ortet auch bei der Schifffahrt ergänzend zum touristischen Verkehr ein Potential für den «allgemeinen» öffentlichen Personenverkehr. Das Potential könnte mit zwei Möglichkeiten, nämlich Bestellung von Zusatzleistungen bei den Schifffahrtunternehmen a) über das RPV oder b) über die Tourismusförderung, erschlossen werden.

Zusammenfassend zu den beiden Referaten lässt sich feststellen, dass beim öffentlichen Verkehr im Kanton Nidwalden in den vergangenen sechzig Jahren «kein Stein auf dem anderen geblieben ist» und gewaltige Fortschritte erreicht wurden. Erfreulich ist, dass der Elan und die Bereitschaft für weitere Verbesserungen anhalten.

Sichtlich zufriedene Teilnehmende mit Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer und Markus Meisinger, rechts aussen Lorenz Degen, der souveräne Exkursionsleiter (Foto Roland Arnet).

Besuch Werkstätte Zentralbahn mit Gerhard Züger

Am späteren Nachmittag begrüsst Gerhard Züger vor dem Bahnhof Stansstad die Delegation zu einem Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn. Gerhard Züger leitet als Mitglied der Geschäftsleitung den Bereich Produktion und Rollmaterial der Zentralbahn. Daneben präsidiert er IHRUS, ein nicht-kommerzieller Verein, der sich mit der Instandhaltung von Rad und Schiene beschäftigt. Zudem leitet Gerhard Züger im VöV die Arbeitsgruppe ATO Automatic Train-Control für Meter-, Spezialspur- und Trambahnen.

Gerhard Züger zieht bei seinem interessanten Vortrag alle in seinen Bann (Foto: Roland Arnet).

Nach kurzem Spaziergang trifft die Delegation bei der Werkstätte ein. Neben Stansstad betreibt die Zentralbahn in Meiringen eine zweite Werkstätte. Die Zentralbahn ist mit rund zwanzig weiteren Meterspurbahnen Mitglied von RAILPlus, einem Branchenverband, der die Interessen der Meterspurbahnen bündelt und den Informationsaustausch unter den Mitgliedern fördert. Ein besonderes Augenmerk von Gerhard Züger liegt auf der Wechselwirkung von Rad und Schiene – der Verfasser erinnert sich gerne an die spannenden Ausführungen von Gerhard Züger an der IHRUS-Fachtagung im Herbst 2020. Sorgen bereitet die Tatsache, dass die modernen und leistungsstarken Triebwagenzüge die Geleise bedeutend stärker abnutzen als mit Lokomotiven geführte Züge.

Gerhard Züger führt die Delegation durch die gut eingerichteten Werkstätten, die etwa 30 Mitarbeitende zeitgemässe Arbeitsplätze bieten. Beim Rundgang erfahren die Gäste viel Wissenswertes und Aktuelles.

Blick in die Halle 1 mit einem Verschiebefahrzeug (Foto vom Verfasser).

Besondere Aufmerksamkeit erhält der in der Halle abgestellte dreiteilige Spatz-Triebwagenzug. Vandalen des FC Basel hatten auf der fünfminütigen Fahrt vom Bahnhof Luzern zur Haltestelle Luzern Allmend/Messe im Zug massive Beschädigungen angerichtet, deren Reparatur mehrere CHF 10’000.- kostet.

Aussen bereits wieder hergestellter Triebwagenzug (Foto vom Verfasser).

Beeindruckt sind die Anwesenden auch von der Unterflurdrehmaschine, welche das Abdrehen der Lauffläche der Räder ohne Demontage der Achsen oder der Drehgestelle ermöglicht.

Frontalansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).
Seitenansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).

Während des Rundgangs berichtet Gerhard Züger von den Untersuchungen über die Wechselwirkung zwischen Rad und Schiene, bei welchen die Zentralbahn unter dem Lead von RAILPlus die Systemführerschaft einnimmt Die Erkenntnisse werden unter anderem auch der Firma Stadler Rail AG als führendem Anbieter von meterspurigen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. Wie Informationen von laufenden Beschaffungen von Triebfahrzeugen belegen, nimmt Stadler de facto eine Monopolstellung bei Fahrzeugen mit Zahnradantrieb im Meterspurbereich ein.

Auch das Projekt des Grimseltunnels kommt aus aktuellem Anlass zur Sprache. In der Öffentlichkeit kaum beachtet wird der Sachverhalt, dass die Zentralbahn und die Matterhorn-Gotthard-Bahn unterschiedliche Zahnstangen und Stromsysteme haben. Auf Anfrage führt Gerhard Züger aus, dass es für den Einsatz auf unterschiedlichen Zahnstangen keine kombinierten Antriebe gibt. Entgegen dem lange verfolgten Konzept, die Eisenbahn und die Starkstromleitung in einem einzigen Tunnel zu führen, geht die Planung nun von zwei getrennten Tunnelröhren aus.

Besonderes Interesse finden die Versuche der Zentralbahn für den Adhäsionsbetrieb auf Bergstrecken. Die Untersuchungen erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Schienenfahrzeuge IFS der Technischen Hochschule Aachen. Angestrebt wird bis zu 125 Promille steile Strecken mit reinem Adhäsionsbetrieb zu überwinden. Dazu ist auch eine verstärkte zusätzliche Bremswirkung mit Magnetschienenbremsen erforderlich. Neben der Beschleunigung würde der Adhäsionsbetrieb bei einer gemeinsamen Fahrzeugplattform MGB/RhB/Zentralbahn auch die drastische Reduktion der Drehgestelltypen von heute sechs auf noch zwei ermöglichen.

Seitenansicht des Triebfahrzeuges des Versuchszuges (Foto vom Verfasser).
Plakette mit den am Projekt beteiligten Stellen (Foto vom Verfasser).

Der Besuch schliesst mit einem Rundgang durch das umfangreiche und wohlgeordnete Ersatzteillager.

Abschliessende Bemerkungen

Dankbar und bereichert treten die Teilnehmenden die Heimreise an. Ein grosser Dank geht an die Referentin und die beiden Referenten für ihre informativen Vorträge und die spannenden Gespräche. Besonderen Dank gebührt Lorenz Degen für die Organisation und die Moderation des spannenden Tages.

Nachdenklich stimmt jedoch, dass

  • bis auf Weiteres keine Mittel für den überfälligen Doppelspurausbau zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt verfügbar sind, nachdem die Autobahn A2 zwischen Luzern und Hergiswil mit einem enormen Mitteleinsatz auf weiten Strecken überdeckt wurde,
  • die Planung für den als «Bypass» bezeichneten zweiten Autobahntunnel unter der Stadt Luzern fortschreitet und der Tiefbahnhof Luzern als Voraussetzung für die Leistungssteigerung des Knotens Luzern eine tiefe Priorität hat,
  • die Optik meines Erachtens zu stark auf dem Tiefbahnhof Luzern und nicht auf dem Korridor Zürich-Zug-Luzern liegt. So müsste die Einfahrt in den Tunnel zum Tiefbahnhof Luzern aus nordöstlicher Richtung nicht bei Ebikon, sondern bereits vor Gisikon-Root erfolgen. Dadurch und mit dem Zimmerberg II-Tunnel wäre zwischen Luzern und Zürich eine Fahrzeit in der Grössenordnung von einer halben Stunde möglich.

Dank

Der Verfasser bedankt sich bei Markus Meisinger und Gerhard Züger für die Prüfung des Manuskripts und bei Roland Arnet für die zur Verfügung gestellten Fotografien. Nochmals besten Dank auch an Lorenz Degen für die Organisation und die Leitung der Tagung.

Vincent Ducrot im Gespräch

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Am 2. Dezember 2022 empfing Vincent Ducrot, CEO der SBB AG, etwa dreissig Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz in Bern zu einer Präsentation mit anschliessender Diskussions- und Fragerunde.

Gerne widmen wir diesen Bericht dem spannenden und gehaltvollen Anlass am Hauptsitz der SBB AG. Die Unterlagen der Präsentation können über diesen Link heruntergeladen werden: Präsentation Ducrot

Präsentation

Nach der kurzen Einführung durch Jürg Grob, Leiter & Chefredaktor Newsroom der SBB, referiert Vincent Ducrot über aktuelle und künftige Herausforderungen an die SBB. Hier ein paar Highlights des packenden Referats:

  • Die SBB sind das Rückgrat der Mobilität der Schweiz. Tag für Tag bewegen die SBB die Schweiz – Menschen und Güter. Als bedeutender Immobilienbesitzer unterhalten die SBB zudem rund 3’500 Gebäude und vermieten an Dritte hochwertige Flächen an besten Lagen. Von zentraler Bedeutung sind der Betrieb und der Unterhalt eines Schienennetzes von 3’265 km.
Leistungsspektrum der SBB (Diese Grafik sowie die übrigen in diesem Bericht wurden mit dem besten Dank an die SBB AG der Präsentation von Vincent Ducrot entnommen).
  • Die Strategie 2030 der SBB setzt auf Evolution statt Revolution. Der Fokus liegt auf der Bahn als pünktliches, zuverlässiges und sicheres Transportunternehmen. Kundenbedürfnisse müssen viel besser antizipiert werden – vom führenden Anbieter eines erstklassigen Service Public von Menschen für Menschen. Die SBB wollen in ihrem Kerngeschäft weiterwachsen. Mit Effizienz und Wirtschaftlichkeit sollen nachhaltige Mehrwerte realisiert werden.

  • Grosse Herausforderungen stellen sich im personellen Bereich. Bis 2030 treten vierzig Prozent der Mitarbeitenden der SBB in den Ruhestand. Die Rekrutierung und die Ausbildung der neuen Mitarbeitenden geniessen höchste Priorität. Erfreulicherweise konnten die Engpässe beim Lokpersonal eliminiert werden, angespannt ist die Situation derzeit jedoch noch im Raum Genf. Zurzeit absolvieren 380 Personen die Ausbildung zur Lokführerin oder zum Lokführer. Im laufenden Jahr bewarben sich gegen 5’000 Personen für diese anspruchsvolle Ausbildung.
  • Vincent Ducrot berichtet in einem kurzen Überblick über das erste Halbjahr 2022 bei den SBB. Im Personenverkehr wurden wieder mehr als eine Million Reisende pro Tag befördert. Dabei wurde eine Verlagerung zu Fahrten ausserhalb der Hauptverkehrszeiten und mit Einzelbilletten verzeichnet. Daraus ergaben sich höhere Erträge pro Personenkilometer und eine gleichmässigere Verteilung der Transportleistungen im Tagesablauf, was sehr positiv zu würdigen ist. Die Kundenzufriedenheit blieb anhaltend hoch. Auch die Pünktlichkeit wurde geringfügig verbessert, wobei regionale Unterschiede zu beobachten sind. Der nach dem Auslaufen der Corona Epidemie zu verzeichnende Aufschwung beim Güterverkehr hat sich verlangsamt. Trotz diesen erfreulichen Entwicklungen im betrieblichen Bereich musste aufgrund von Corona sowie durch steigende Energiekosten, höhere Zinsen, grössere Lagerbestände und der Inflation ein Halbjahresverlust verzeichnet werden.
  • Bei der Umsetzung der Sparanstrengungen befinden sich die SBB auf Kurs. Sie finanzielle Lage bleibt wegen des wirtschaftlichen Umfelds anspruchsvoll. Unbedingt zu vermeiden ist eine weitere Erhöhung der Verschuldung, unter anderem wegen den steigenden Zinsen, und damit die mit dem Bund vereinbarten strategischen Ziele erreicht werden können. Auch das Cash Management bleibt anspruchsvoll. So traten bei der Liquidität in den letzten Monaten gelegentlich Engpässe auf. Derzeit läuft die Vernehmlassung zum Stabilisierungspaket des Bundes, mit dem die durch die Corona-Pandemie verursachten Defizite der SBB ausgeglichen werden.
  • Ein besonderes Augenmerk gilt der Bahn als robustes Unternehmen, das pünktlich, sicher und zuverlässig unterwegs ist. Die Fülle der Baustellen erfordert mehr Reserven beim Fahrplan. Leider ist die Verfügbarkeit des Rollmaterials nicht in allen Landesteilen zufriedenstellend. Betriebsunfälle selbst bei langjährigen Mitarbeitenden erfordern, dass die Arbeitssicherheit weiterhin im Fokus bleibt.
  • Im zu Ende gehenden Jahr wurden mehrere Grossanlässe wie etwa das MOVA, das Bundeslager mit über 30’000 Pfadfinderinnen und Pfadfinder im Goms, sowie das 175-jährigen Jubiläum der Schweizer Bahnen, dank dem grossen Einsatz des Personals, erfolgreich bewältigt. Der Nutzen der Aktion «OneSBB» zur Förderung der innerbetrieblichen Zusammenarbeit ist unverkennbar.

  • Besondere Herausforderungen stellen sich bei der Stromversorgung. Die SBB ist der grösste Verbraucher von elektrischer Energie in der Schweiz und stellt als fünftgrösster Produzent zwischen 90 und 95 Prozent des Stroms selber her. Als Systemführerin erarbeiten die SBB zusammen mit der Branche und dem Bundesamt für Verkehr Konzepte, um einer möglichen Mangellage beim Strom zu begegnen. Immerhin ist eine gewisse Entspannung bei der Stromversorgung zu erkennen. Dass kürzlich in den Nachstunden Verbraucher für den Konsum von elektrischer Überschussenergie entschädigt wurden, zeigt, wie turbulent der Markt ist.
  • Das Umfeld bleibt auch mittel- und langfristig anspruchsvoll. Bahn 2050, der Güterverkehr, das Tarifsystem, das Kundeninformationssystem, der Fahrplan und der Ausbauschritt 30/35 sind grosse Herausforderungen für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden.
  • Sorgen bereitet der Erneuerungsbedarf. Vom technisch erforderlichen Erneuerungsbedarf von 230 Kilometern Geleisen pro Jahr können zurzeit nur 180 Kilometer erneuert werden. Dieser Sachverhalt führt zu einer Zunahme des aufgestauten Erneuerungsbedarfs von 50 Kilometern pro Jahr. Daraus können sich mittelfristige Beeinträchtigungen der Fahrplanstabilität durch zusätzliche Unterhaltsarbeiten  und mittel- und langfristig  durch Langsamfahrstellen wegen Baustellen, ergeben. Finanzielle Mittel sind dank dem Bahninfrastrukturfonds BIF zwar vorhanden, hingegen fehlen interne Ressourcen und Baufenster. Im zu Ende gehenden Jahr befanden sich 22’000 Bauvorhaben (inkl. Unterhaltsmassnahmen) in Arbeit oder wurden abgeschlossen.
  • Die Ausbauprojekte werden oft durch eine Zunahme der Administration empfindlich gehemmt. Das zu beachtende Regelwerk wird ständig komplexer. Der Aufwand für Studien und Abklärungen hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht. Das bindet in hohem Masse personelle Ressourcen und führt zu weiteren Verzögerungen. Vincent Ducrot ergänzt seine Ausführungen mit einem Überblick über die grossen Ausbauprogramme.
  • Gegenwärtig wird mit dem BAV eine Botschaft 2026 des Bundesrates erarbeitet. Im Vordergrund stehen die Konsolidierung des Ausbauschrittes 30/35, die Konsolidierung des Angebotskonzepts 2035, Massnahmen wegen dem Verzicht auf das bogenschnelle Fahren sowie zukünftige, weitere Ausbauschritte.
  • Auch für die Zukunft des Güterverkehrs werden unter dem Begriff «Suisse Cargo Logistics» Überlegungen angestellt. Der Ausbauschritt 2035 verspricht beim Güterverkehr mehr Tempo und Kapazität. Leistungsfähige Terminals für den kombinierten Verkehr und Cityhub-Umschlaganlagen sollen die zukünftige Nachfrage im Güterverkehr befriedigen. In den Metropolitanräumen sollen die verschieden Güterströme durch die Citylogistik effizient gebündelt werden. Zurzeit wird in der Schweiz intensiv über die Zukunft des Einzelwagenladungsverkehr EWLV debattiert. Die Zukunft dieser nicht kostendeckend zu betreibenden Dienstleistung ist ungewiss. Die SBB setzen sich dezidiert für den EWLV ein, erwarten aber von der öffentlichen Hand inskünftig eine finanzielle Unterstützung.
  • Grosse Erwartungen bestehen an die vom Bund zu formulierenden Ziele und Stossrichtung in der «Perspektive Bahn 2050». Die SBB legen besonderen Wert auf eine konsequente Ausrichtung auf die Kunden- und Nachfragesicht und den Ausbau der Bahn auch auf lange Distanzen im nationalen Verkehr und im Verkehr mit Europa. Auf kurzen Distanzen setzt man unter anderem auf komplementäre Systeme und neue Angebotskonzepte.

Diskussion

Während knapp einer halben Stunde tritt Vincent Ducrot kompetent und faktenkundig auf Fragen und Bemerkungen der Anwesenden ein.

  • Die SBB sind Eigentümerin der Twindexx-Triebwagenzüge. Auf das bogenschnelle Fahren in Kurven auf Basis der Neigetechnik wird verzichtet. Der grösste Teil der bestellten Züge ist im Einsatz. Probleme mit den Fahrmotoren werden behoben. Die Mängelbehebung durch den Hersteller wird wegen der Vielzahl der Unterlieferanten erschwert und verzögert. Grössere Anpassungen an den Drehgestellen werden geprüft. Die SBB glauben weiterhin an den Twindexx. Die Störungsanfälligkeit wurde signifikant gesenkt. Die Messzahl «Mean distance between incidents» (MDBI) – Laufleistung eines Zuges zwischen zwei Störungen – hat den hohen Wert von über 21’000 Kilometern erreicht.
  • Fragen und Kritik am Angebot im grenzüberschreitenden Regionalverkehr wie beispielsweise Delle-Belfort oder Mendrisio-Varese-Malpensa entgegnet Vincent Ducrot mit dem Hinweis, dass Verbesserungen nur von den betroffenen Regionen gefordert und durchgesetzt werden können.
  • Auf Forderungen, im Grossraum Zürich auf Grossprojekte des Ausbauschritts 30/35 zu Gunsten von einfacheren Lösungen zu verzichten, tritt Vincent Ducrot mit dem Hinweis, dass diese längst beschlossenen Projekte nicht Sache der SBB wären, nicht ein.
  • Auf die Frage nach der Meinung der SBB zu den von Prof. Matthias Finger in seinem Buch «SBB – was nun» aufgeworfenen Grundsatzfragen bezüglich der Rolle der SBB hält Vincent Ducrot fest, dass der SBB zunehmend eine ausführende Rolle zugewiesen wird. Der Einfluss der Politik und der Verwaltung ist gewachsen, obschon Prof. Matthias Finger eine in vielen Aspekten zutreffende Analyse vorgelegt hat.
  • Im Vergleich mit dem benachbarten Ausland wendet die Schweiz mit jährlich über CHF 4 Mia. relativ zum gesamten Streckennetz gesehen viel mehr in den Unterhalt und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur auf als in benachbarten Ländern. Deutschland investiert pro Jahr etwa EUR 8 Mia., und Frankreich rund EUR 3 Mia. Lobende Erwähnung finden die Anstrengungen in Italien für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur.
  • Der Freizeitverkehr soll verstärkt gefördert werden. Der bestehende Taktfahrplan soll dafür an freien Tagen mit zusätzlichen Angeboten ergänzt werden. Unter anderem könnten Trassen für Güterzüge an freien Tagen für den Personenverkehr umgenutzt werden.

  • Vincent Ducrot nimmt Bezug auf eine Veranstaltung in Basel im Zusammenhang mit der gewünschten Durchmesserlinie und verlangt, dass vor Ausbauten Angebotskonzepte zu entwickeln sind.

  • Die Kritik an der zu späten Orientierung der SBB in diesen Tagen bezüglich des Streiks bei den ÖBB ist berechtigt. Vincent Ducrot spricht sein Bedauern aus und versichert, dass die Lehren aus der Panne gezogen wurden.

  • Auf kritische Fragen bezüglich dem von den SBB kommunizierten MDBI-Wert von 12’000 Kilometern und einem internen Papier antwortet Vincent Ducrot, dass sehr wohl detaillierte Angaben vorliegen und publiziert werden. Problematisch und Gegenstand von Abklärungen ist die Tatsache, dass der MDBI-Wert nicht nur zwischen den verschiedenen Typen von Fahrzeugen, sondern selbst unter den gleichen Typen unterschiedlich ist.
  • Die langen Wartezeiten von Zügen im Bahnhof Luzern wird moniert. Das führt zu längeren Reisezeiten. Der Votant fordert von den SBB mehr Anstrengungen im Nachtzugverkehr. Vincent Ducrot verweist auf die bestellten Nachtzüge der ÖBB und betont, dass Nachtzüge kaum kostendeckend betrieben werden können. Die ÖBB erhalten für den Nachtzugverkehr vom Staat finanzielle Beihilfen. Auch hält Vincent Ducrot die Qualität des aktuellen Nachtzugsverkehrs aufgrund von persönlichen Reiseerfahrungen für verbesserungsfähig. Ein Durchgangsbahnhof in Luzern wäre sinnvoll – der Entscheid liegt beim Parlament.

  • Im Austausch an die Diskussion wird Vincent Ducrot auf den unterschiedlichen Ausbaustandard bei den SBB und Privatbahnen hingewiesen – dies am Beispiel von Bauvorhaben der RhB und der TPF. Während Privatbahnen tolle Projekte verwirklichen können, dominiert bei den SBB Schmalhans. Vincent Ducrot betont, dass die Zuteilung der Mittel für Investitionsvorhaben Sache des BAV ist. Angesprochen auf die fehlende Verbindung zwischen Châtel-St. Denis und Vevey und deren wünschbare Wiederherstellung führt Vincent Ducrot aus, dass das ehemalige Trasse teilweise überbaut wurde, und bezeichnet die Einstellungsverfügung aus dem Jahr 1969 als einen Fehler.

Abschluss und Dank

Gerne schliessen wir diesen Bericht mit dem besten Dank an unsere Gastgeber, Vincent Ducrot und Jürg Grob, für den tollen Anlass. Die Gastfreundschaft, die reichhaltigen Informationen und die offene Frage- und Diskussionsrunde waren beeindruckend.         

Synonym für den Aufschwung – kunstvolle Wendeltreppe in der Empfangshalle des Hauptsitzes der SBB.

Lüttich und Aachen / wie Tag und Nacht

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Auf einer Städtereise durch Belgien und Luxemburg fuhren wir mit dem Zug auch durch Lüttich und Aachen. Die Eindrücke während den kurzen Aufenthalten waren höchst unterschiedlich. Mein Interesse war geweckt – besonders, nachdem ich schon viel vom Bahnhof Liège-Guillemins gehört hatte.

Am 30. Oktober 2022 bot sich Gelegenheit, die beiden eingangs erwähnten Bahnhöfe eingehend zu besichtigen. Die Eindrücke waren einerseits überwältigend, aber auch bedrückend, wie die Bilder in diesem Bericht zeigen.

Vorab jedoch ein Ausschnitt aus dem Eisenbahnatlas EU von Schweers+Wall mit der Lage von Lüttich und Aachen.

Bahnhof Liège-Guillemins

Der nach Plänen von Santiago Calatrava umgebaute Hauptbahnhof von Lüttich wurde im September 2009 eröffnet. Er liegt im Stadtteil Guillemins am Rande der Altstadt. Daneben verfügt Lüttich mit dem Bahnhof Liège-Saint-Lambert über einen zweiten grossen Stadtbahnhof.

Lüttich ist an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden und wird unter anderem von ICE und Thalys-Zügen bedient. Auch die Nachtzüge der ÖBB zwischen Brüssel und Wien halten hier. Zudem ist Lüttich ein bedeutender Knotenpunkt im Netz der Belgischen Staatsbahnen. Im Bahnhof Liège-Guillemins halten täglich über 500 Züge.

Blick durch die Bahnhofshalle in Richtung Stadtzentrum von Lüttich.
Blick auf die Rolltreppen, welche in die obere Ebene führen. Diese kann auch über Rollbänder und gewöhnliche Treppen erreicht werden.
Blick von der oberen Ebene auf einen der vier Bahnsteige.
Blick auf die Halle von Süden.
Blick auf Halle aus Südwesten.
Blick auf die Halle von Norden.
Blick auf die Halle und den Haupteingang von Osten.
Seitenanblick in Richtung Süden.
Seitenanblick in Richtung Norden mit dem autofreien Vorplatz.
Blick auf einen Bahnsteig mit dem Dach ausserhalb der Halle. Selbst bei überlangen Zügen können Fahrgäste geschützt ein- und aussteigen.
Dachkonstruktion über den Bahnsteigen.
Fahrgäste gelangen mit Rollbändern vom Aussenbereich der Bahnsteige in die obere Ebene.
Rolltreppen aus der Unterführung auf einen Bahnsteig. Daneben führen Lifte und Treppen auf die Bahnsteige. Zudem kann man auch über eine obere Ebene zwischen den Bahnsteigen und der Zufahrtstrasse zirkulieren.
Drei Sektionen von Rolltreppen verbinden die drei Ebenen im bergseitigen Teil der Halle.
Ergänzend zu den Rolltreppen kann man auch auf normalen Treppen zwischen den Ebenen zirkulieren.
Ein Ladengeschäft in der Unterführung. Zwischen den Aufgängen zu den Bahnsteigen befinden sich rund zehn Ladengeschäfte und kleinere Gaststätten.
Unmittelbar neben dem Eingang in die Unterführung befindet sich ein gepflegtes Restaurant.
Nicht nur der Bahnhof, sondern auch das soeben erwähnte Restaurant ist erstklassig.
Detailansicht der Tragkonstruktion der Halle.
Detailansicht der Überdeckung der Bahnsteige.
Detailansicht der Tragkonstruktion des Hallendaches.
Detailansicht der Informationstafeln auf den Bahnsteigen.

Aachen

Die Fahrt nach Aachen führt auf belgischem Gebiet über eine für 250 km/h ausgelegte perfekt trassierte Neubaustrecke. Kurz nach dem Passieren der belgisch-deutschen Grenze folgt der Buschtunnel. Nach dem Verlassen des Tunnels befindet man sich in einem Aussenbezirk der Stadt Aachen. Der auf dem belgischen Teil der Strecke mit 250 km/h fahrende Thalys streifte die Zweige der entlang der Geleise wachsenden Büsche – ob der Buschtunnel deshalb so heisst? Ein dschungelähnliches und ziemlich fremdes Gefühl.

Der Bahnhof von Aachen wurde im zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Als wichtiger Knotenpunkt im deutschen Bahnnetz wurden die Gleisanlagen nach dem Kriegsende rasch repariert. Auch die Gebäude waren nach verhältnismässig kurzer Bauzeit bereits 1950 wieder hergestellt. 

Ansicht des Hallendachs aus Westen.
Hallendach aus der Nähe. Die Schutzscheiben wurden mit Klebebändern behelfsmässig repariert.
Blick vom Hausperron nach Westen.
Blick auf die Stützmauer aus Westen.
Bild vom Bahnsteig, auf dem die Züge des Fernverkehrs anhalten.
Szenenbild vom Bahnsteig für den internationalen Verkehr.
Lift auf dem Bahnsteig. Die Durchgänge für die Fahrgäste sind bei grossem Andrang sehr eng.
Blick in die Haupthalle. Man beachte die roten Netze unter den Oberlichtern.
Ein weiterer Blick auf die roten Netze.
Bei den roten Netzen handelt es sich um Schutznetze. Diese sollen Fahrgäste und Fahrzeuge vor herunter fallenden Trümmern schützen. Wie das Bild zeigt, besteht das Risiko tatsächlich.
Keine Gefängniszelle, sondern Warteraum auf dem Bahnsteig für den internationalen Reiseverkehr.
Abgang vom Hausperron in die Unterführung.
Detail vom erwähnten Abgang.
Bahnhofgebäude von Aachen. Eigentlich ein repräsentatives Bauwerk.
Eingangshalle im Bahnhof Aachen.
Unterführung im Bahnhof Aachen – ein beträchtlicher Gegensatz zu den Eindrücken in der Halle.
Treppenaufgang zu einem Bahnsteig,
Lift und Treppe auf einen Bahnsteig. Erfreulicher Gegensatz zu dem, was die Reisenden in der Halle erwartet.

Kommentar

Die Gegensätze zwischen den beiden Bahnhöfen könnten kaum krasser sein. In Lüttich alles vom Feinsten, und in Aachen an vielen Stellen Verwahrlosung pur. Nur am Rande sei erwähnt, dass auf den Anzeigen in den Bahnhöfen, an denen ich am 30. Oktober 2022 umsteigen musste, kaum ein Fernzug ohne Verspätung verkehrte. Wenn man sich die Zustände in Aachen – und auf dem deutschen Streckenabschnitt bei unserer kürzlichen Bahnfahrt von Luxemburg nach Trier und zurück – vor Augen führt, eigentlich nicht erstaunlich.

Vor vielen Jahren widmete ich mich der Lektüre des ernüchternden Buches „Der Reichsbahn Report“ von Erich Preuss, ehemaliger leitender Angestellter einer Direktion der Reichsbahn. Wäre es nicht an der Zeit, dass ein kompetenter Autor ein analoges und zugleich sachliches Buch über die Zustände bei der Deutsche Bundesbahn schreibt?

Deckblatt des erwähnten Buches.

Und ausserdem

Nicht nur in Lüttich, sondern auch in anderen Städten in Belgien und in Luxemburg haben uns Bahnhöfe beeindruckt. Das gute Bild wurde jedoch durch Eindrücke auf der Fahrt von Luxemburg über Namur nach Brüssel getrübt. In Wallonien hielt der IC an grösseren Bahnhöfen, auf denen die Bahnsteige einen Kiesbelag aufwiesen. Sonderbare Bilder.

Dennoch möchte ich diesen Bericht mit ein paar Bildern von Bahnhöfen in Belgien und von Luxemburg schliessen.

Bahnsteig im vollständig überdachten Bahnhof von Oostende. Man beachte den an einen Hafen angelehnten Bodenbelag des Bahnsteigs mit Holzdielen.
Abgang ins Parkhaus im Bahnhof Oostende.
Blick auf das Bahnhofgebäude von Oostende.
Wandbemalung in der Halle des Bahnhofs von Gent. Da ich keine Personen fotografieren wollte, ist die Aufnahme etwas verzerrt.
Eindruck von einem Bahnsteig in Gent. Man beachte die verwendeten Materialien.
Blick auf das Perrondach im Bahnhof Gent. Der Umbau des Bahnhofs ist noch im Gang.
Bodenbelag und Ausführungsdetail auf dem Bahnsteig in Gent.
Unterführung im Bahnhof Brügge.
Rolltreppe für den Aufgang aus der Unterführung in Brügge auf den Bahnsteig.
Lift und Treppe im Bahnhof Brügge. Die Liftkabine ist grosszügig bemessen.
Überführung im Bahnhof Luxemburg. Auf unserer Website haben wir von ein paar Jahren ausführlich über den Bahnhof berichtet. Gerne verweisen wir auf den entsprechenden Beitrag.
Übergang von der Überführung zum Lift auf den Bahnsteig.
Eindruck aus der Überführung im Bahnhof Luxemburg. Fahrgästen steht auch eine unter anderem mit mechanischen Mitteln erschlossene Unterführung zur Verfügung.

GO-Mobil – ein Modell auch für die Schweiz?

Topics

Auf der Radtour entlang der Drau waren wir mit der Verkehrserschliessung der durchfahrenen Ortschaften konfrontiert. Durch einen Zufall lernten wir GO-Mobil kennen. GO-Mobil ist das grösste und mehrfach ausgezeichnete gemeinnützige Mobilitätsmodell in Österreich für Gemeinden mit unzureichender Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr.

In diesem Beitrag möchten wir GO-Mobil kurz vorstellen. Unseres Erachtens könnte sich das Modell auch für Randregionen in der Schweiz eignen.

Verkehrserschliessung Lavamünd

Auf der Fahrt von Klagenfurt nach Lavamünd bot sich Gelegenheit, anhand der Fahrpläne bei den Haltestellen der Busse die Dichte des Angebots festzustellen. Die Erkenntnisse waren ernüchternd. Das Angebot beschränkt sich weitgehend auf den Berufs- und den Schülerverkehr. An Wochenende wird der Verkehr weiter ausgedünnt oder gar eingestellt.

Fahrplan der Linie 5466 (Auszug aus dem Internet, das Bild kann durch Anklicken vergrössert werden).

Zur Dokumentation dieses Sachverhalts haben wir die Fahrpläne der vier nach Lavamünd verkehrenden Busverbindungen ausgewertet. Lavamünd ist eine Markgemeinde in Südostkärnten und hat rund 3‘300 Einwohner. Es liegt am Zusammenfluss von Drau und Lavant und liegt an der ehemaligen Eisenbahnlinie von Dravograd nach St. Paul im Lavanttal. Der Personenverkehr auf der Schiene wurde 1997, der Güterverkehr 2001 eingestellt.

Auszug aus dem Netzplan der Region Südkärnten (Auszug aus dem Internet).
Anzahl der Verbindungen der vier Lavamünd erschliessenden Buslinien. Auf der untersten Zeile ist ein Beispiel aus der Schweiz angeführt, auf das in diesem Bericht eingetreten wird. (Tabelle vom Verfasser mit Daten aus dem Internet erstellt).

Unsere Erfahrungen mit GO-Mobil

Bei unserem Eintreffen in Lavamünd zu später Stunde bemerkten wir, dass wir den Rucksack beim letzten Halt vergessen hatten. Wir erkundigten uns bei einer Garage nach einem Leihwagen oder einem Taxi – ohne Erfolg. Der Inhaber der Garage wies uns jedoch auf GO-Mobil hin und bestellte für uns ein Fahrzeug. Wenige Minuten später traf ein Personenwagen ein, der uns unserem letzten und etwa 15 Kilometer ausserhalb der Gemeinde liegenden Rastplatz führte.  Dort lag das gesuchte Gepäckstück.

Fahrzeug von GO-Mobil auf dem Dorfplatz von Lavamünd.

Während der Fahrt zurück befragten wir den freundlichen Fahrer zu GO-Mobil. Er wirkt seit über 15 Jahren für GO-Mobil und  erhält für seine lange Verfügbarkeit eine feste Pauschale von EUR 150.- pro Monat. Die Fahrt kostet fix EUR 3.80 pro Fahrgast und Fahrt und beschränkt sich im Prinzip auf das Gemeindegebiet. Davon ausgenommen sind Fahrten zum weiter entfernten ÖBB-Bahnhof St. Paul im Lavanttal.

Der Dienst steht an Werktagen zwischen 08.00 Uhr und 24.00 Uhr zur Verfügung, an Samstagen von 09.00 Uhr bis 24.00 Uhr, und an Sonntagen von 09.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Fahrten können im Voraus bestellt werden und haben gegenüber den auch spontan möglichen Anforderungen Vorrang.

Was ist GO-Mobil

Nach unserer Rückkehr konsultierten wir die Website von GO-Mobil. Maximilian Goritschnig gründete GO-Mobil als PPP „Public-Private-Partnership“ im Jahr 1998. Am 1. Juni 1999 nahm in Moorsburg das erste Fahrzeug von GO-Mobil den Betrieb auf. Zurzeit sind in Kärnten über 60 Gemeinden an GO-Mobil angeschlossen. Durchschnittlich wird der Dienst alle zwei Minuten in Anspruch genommen. 2012 wurde das Angebot in den Landesverkehrsplan integriert und ist damit wie Bahn und Bus ein festes Angebot im öffentlichen Orts- und Regionalverkehr von Kärnten.

Die Fahrerinnen und die Fahrer arbeiten abgesehen von einer geringen Pauschalentschädigung ehrenamtlich. Die Zertifizierung erfolgt durch GMZ, die GO-Mobil Zertifizierung GmbH. Diese Firma gehört Maximilian Goritschnig. Als exklusive Inhaberin der Verwertungsrechte und als Dachorganisation ist GMZ Auftragnehmerin des Bundeslandes Kärnten. Die dezentralen Aufgaben, im Vordergrund natürlich der Betrieb, obliegt in den Gemeinden den lokalen GO-Mobil-Vereinen. 12 der 21 gemeinnützigen GO-Mobil-Vereinen arbeiten gemeindeübergreifend.

Der feste Fahrpreis von EUR 3.80 pro Personen entspricht etwa dem Normalpreis einer Fahrt mit dem öffentlichen Bus. Wir bezahlten bei unserem Aufenthalt in Kärnten beispielsweise für die 20 Kilometer lange Busreise von Annabrücke nach Klagenfurt pro Person EUR 6.-.

Als Partner von GO-Mobil ist die ÖBB Mitglied in den GO-Mobil-Vereinen. Dadurch können Bahnhöfe und Haltestellen der ÖBB vergünstigt für nur einen Euro angefahren werden. Zudem ist GO-Mobil in das „Scotty“-Fahrplanauskunftssystem der ÖBB eingebunden.

GO-Mobil als Modell auch für die Schweiz?

Auch in der Schweiz gibt es verschiedene Rufbus-Systeme. Die Angebote sind oft sehr gut ausgebaut. Viele Angebote sind auf den Tourismus oder auf die Verkehrserschliessung in Randstunden ausgerichtet. Die Leistungen werden von staatlichen Anbietern wie Postauto oder von privaten Anbietern erbracht. Speziell zu erwähnen ist der Alpentaxi-Service, welcher zahlreiche Bergtouren für Benützer der öffentlichen Verkehrsmittel erst ermöglicht. Dazu kommen Rufbus-Systeme für Menschen mit eingeschränkter Mobilität wie etwa Tixi.

Als konkretes Beispiel aus der Schweiz sei die Verbindung von Landquart/Grüsch nach dem am 31. Dezember 2010 139 Einwohner zählenden Bergdorf Valzeina erwähnt. Hier werden mit dem Postauto an Werktagen sieben feste Verbindungen angeboten. An Wochenende und an Feiertagen sind es bis zu vier Verbindungen mit dem Rufbus.

Andererseits bestehen vor allem in Randregionen Überangebote bei der Verkehrserschliessung. Ich denke dabei etwa an das dünn besiedelte Calanca-Tal in Südbünden, wo an Werktagen zehn feste Verbindungen bestehen. Dabei gibt es im Calanca-Tal nur noch ein Lebensmittelgeschäft. Bei zahlreichen Wanderungen in dieser Bergregion war ich häufig der einzige Fahrgast. Zudem wird der Verkehr nach 20 Uhr eingestellt. Hier wäre ein Transportsystem wie GO-Mobil eine ökologisch und ökonomisch ungleich vorteilhafter. Ähnliche Feststellungen liessen sich beispielsweise auch bei der heute stündlichen Verkehrserschliessung des peripheren Weisstannentals (Gemeinde Mels) machen.

Ein Nachsatz

Mit diesen Empfehlungen möchten wir die positive Beurteilung von öffentlichen Transportunternehmen keinesfalls in Frage stellen. Vor allem in Graubünden oder im Wallis ist die Servicequalität von Postauto oft exzellent. Unsere Empfehlungen sind auch keine Kritik an den in der Schweiz geltenden Regeln für die Verkehrserschliessung von Siedlungen. Die Frage stellt sich hingegen nach dem „Wie“ unter Berücksichtigung von ökologischer und ökonomischer Effizienz sowie der zeitlichen Verfügbarkeit der Transportleistungen. Mit anderen Worten: Im Calancatal ist kurz nach 19.00 Uhr Schluss, in Lavamünd erst vier Stunden später.

ABS 38 – ein veritables Trauerspiel

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Der bedeutende Eisenbahnverkehr zwischen München und Salzburg wird gegenwärtig über die Strecke über Rosenheim abgewickelt. Ein Teil dieser Strecke – nämlich zwischen der Spange bei Rosenheim und Salzburg – wird auch für den innerösterreichische Personen- und Güterfernverkehr genutzt. Auch die internationalen Fernverkehrszüge zwischen Zürich und Wien benutzen diese Strecke.

Die österreichischen Züge erreichen Rosenheim ab dem Grenzbahnhof Kufstein. Diese Strecke ist Bestandteil der stark belasteten Nordzufahrt zum Brenner.

Vor allem die Strecke zwischen Rosenheim und Salzburg ist stark belastet und oft verantwortlich für die sich auf das innerösterreichische Netz durchschlagenden Störungen. Die Strecke ist relativ ungünstig trassiert – langsam und schnell zu befahrende Abschnitte wechseln oft in kurzen Abständen.

Neben dieser aus österreichischer Sicht als „Korridor-Strecke“ bezeichneten Verbindung besteht eine weitere und gut trassierte Strecke über Mühldorf am Inn.

ABS 38 mit den Anschlusstrecken nach München und nach Salzburg.
Die Kilometerangaben wurden dem „Eisenbahnatlas Deutschland“ von Schwwers+Wall entnommen.

Zwar ist die Strecke über Mühldorf geringfügig länger als diejenige über Rosenheim, aber bedeutend besser trassiert und wenig belastet. Deutschland hat deshalb vor einigen Jahren beschlossen, diese Strecke als Bestandteil des Transeuropäischen Eisenbahnnetzes zu modernisieren.

Überblick über das Projekt ABS 38. Auszug aus einem Prospekt der DB AG.

Einige kurze Abschnitte wurden bereits ausgebaut, und vor allem der Bahnhof Mühldorf am Inn – er verfügt über fünf Geleise für den Personenverkehr – wurde trotz dem heute bescheidenen Personenverkehr aufwendig erneuert.

Ansicht vom Bahnhof Mühldorf am Inn. Von hier aus verkehren keine Fernverkehrszüge nach Österreich, wie der Zug mit den Personenwagen der ÖBB vermuten liesse. Man beachte die feudale Überführung. Daneben besteht auch eine Personenunterführung zum nicht sichtbaren Bahnhofsgebäude auf der linken Seite. (Das Bild wurde dem Internet entnommen).

Leider wird der bisher schleppende Fortschritt des Projekts gemäss einer Mitteilung der Projektorganisation erneut verzögert. Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung der DB AG vom 21. März 2022:

Auszug aus der Medienmitteilung.
Ein weiterer Auszug aus der erwähnten Medienmitteilung. Denkbar, dass der Austritt von Klaus-Peter Zellner im Zusammenhang mit den weiteren Verzögerungen steht. Welcher Planer will nicht immer nur planen, sondern irgendwann auch einmal realisieren?

Detailangaben zum Projekt ABS 38

Nachstehend ein Überblick über das Projekt ABS 38. Ich habe die Strecke am 22. November 2018 auf der ganzen Länge befahren und festgestellt, dass die Strecke weitgehend über unbebautes und flaches Gebiet verläuft. Vor allem zwischen Ampfing und Freilassing fühlt man sich als Fahrgast in frühere Zeiten zurückversetzt. Andererseits sind die Schallschutzmassnahmen auf dem Doppelspurabschnitt zwischen Ampfing und Tüssling überwältigend.

Hier ein Auszug aus einem Prospekt der Projektorganisation.

Auszug aus einem Prospekt der DB AG.

Und wie wird dieses ambitiöse Postulat umgesetzt? Auch dazu ein Auszug aus einem Prospekt.

Auszug aus einem Prospekt der DB AG.

In der Tat werden mit der einspurigen Zweigstrecke und weitgehend für den Güterverkehr bestimmten Zweigstrecke nach Burghausen rund 145 Kilometer elektrifiziert. Da die Strecke zwischen Tüssling und Freilassing nur mit zweigleisigen Begegnungsabschnitten auf Doppelspur ausgebaut werden soll, beschränkt sich der Doppelspurausbau geschätzt auf 75 Kilometer. Die Schätzung basiert auf der Annahme, dass etwa die Hälfte der Strecke zwischen Tüssling und Freilassing doppelspurig werden soll.

Die einzelnen Abschnitte des Projekts ABS 38 im Überblick.
(Kilometerangaben aus dem „Eisenbahnatlas Deutschland“ von Schweers+Wall).

Gemäss dem Dokument „Drucksache 18/580“ des Deutschen Bundestages erfolgten die ersten Planungen für die ABS 38 noch vor der Jahrtausendwende. Die bescheidenen ersten Massnahmen wurden Ende 2003 in Betrieb genommen – Ampfing-Altmühldorf am 12. Dezember 2010 und Mühldorf-Tüssling am 22. Mai 2017.

Das Projekt wird mit aufwendigen Kommunikationsmassnahmen begleitet. In Mühldorf wird ein aufwendiges Informationszentrum betrieben. Dazu ein dem Internet entnommenes Bild. Zudem werden regelmässig Medienmitteilungen und Newsletter publiziert.

Informationszentrum der ABS 38 vor der Eröffnung beim Bahnhof Mühldorf am Inn.
(Foto aus dem Internet).

Kommentar

Man vergleiche die höchst ambitiös lautenden Zielsetzungen und die umfassenden Begleitmassnahmen mit dem doch überschaubaren Projektumfang und der langen Realisierungsdauer – das Projekt ABS 38 wird mutmasslich erst nach 2030 abgeschlossen. Auffallend ist auch, dass nur ein Teil der Strecke zwischen Tüssling und Freilassing überhaupt ein zweites Gleis erhalten soll. Dabei bietet die ABS 38 ein grosses Potential für die Entlastung der „Korridorstrecke“, indem der internationale Personenfernverkehr zwischen München und Wien auf die ABS 38 umgelegt und beschleunigt werden könnte. Mit dem beschlossenen Ausbau der österreichischen Westbahn zwischen Salzburg und Köstendorf und der ABS 38 erscheint eine Reisezeit zwischen Wien und München von nur wenig mehr als drei Stunden möglich.

Beeindruckt hat mich auf meiner Erkundungsreise die aufwendige Erweiterung des Bahnhofs von Mühldorf am Inn – die Treppen und die Passerelle sind seitlich geschützt und überdacht, und ergänzend zu den Treppen stehen den wenigen Fahrgästen Lifte zur Verfügung.

Und abschliessend eine persönliche Bemerkung: Nachdem die Bundesrepublik Deutschland nach der Wende in knapp zwanzig Jahren mit einem bewundernswerten Kraftakt die Infrastruktur der neuen Bundesländer und mit einem dreistelligen Milliardenbetrag auf Vordermann gebracht hat, kann man den schleppenden Verlauf des Projekts ABS 38 einfach nicht nachvollziehen.

Reservationssystem für Gruppenreisen – das Non Plus Ultra

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Am 24. Februar 2022 unternahmen wir mit einer grösseren Gruppe oberhalb von Andeer eine Skitour. Für die Hin- und Rückreise mit Bahn und Postauto nahmen wir ein paar Tage vorher eine Gruppenreservation vor.  Einmal mehr waren wir von diesem exzellenten und verkehrsträgerübergreifenden Service begeistert.

Mehr darüber in diesem Bericht.

Verlauf

Am 21. Februar 2022 meldete ich unsere Reise telefonisch beim Rail Service der SBB an. Wenige Minuten nach der Bestellung erhielt ich per E-Mail diese schriftliche Bestätigung.

Vom SBB Contact Center per E-Mail versandte Bestätigung der Reservation.

Am 24. Februar 2022 erhielt ich von den SBB und der RhB auf meinem Smart Phone je ein SMS mit der Lage der reservierten Plätze in den beiden Zügen. In Zürich waren die für uns reserverten Plätze im IC 3 der SBB nach Chur frei.

SMS der SBB mit der Lage der reservierten Plätze.
SMS der RhB mit der Lage der reservierten Plätze.

In Chur stand der Anschlusszug der RhB auf dem Nebengleis bereit. Die Lage der reservierten Plätze war auf Hinweisblättern an den Fenstern des für uns bestimmten Wagen angegeben.

Am Wagenfenster angebrachter Hinweis auf die reservierten Plätze.

Ergänzend war bei der Taste für die Türöffnung dieser Zettel aufgeklebt. Aber nicht nur das – der freundliche Zugbegleiter der RhB fragte uns vor dem Einsteigen, ob wir tatsächlich die anmeldete Gruppe wären.

Aufkleber auf der Türe des reservierten Wagens.

In Thusis sahen wir, dass entgegen dem Fahrplan ein Postauto der Linie 551 mit der Anschrift Wergenstein bereit stand. Der Chauffeur bestätigte, dass es sich bei diesem Kurs um einen für uns und eine andere Gruppe bestimmten Sonderkurs handelte. Erfreut stiegen wir ein. Dank der direkten Fahrt ins Zielgebiet entfiel das Umsteigen in Zillis, und wir erreichten Lohn GR entspannt und etwa eine Viertelstunde früher.

Infolge der guten Verhältnisse trafen wir am Ende der Skitour eine Stunde früher wieder in Lohn GR ein. Ich teilte dies dem Rail Service mit der Gratisnummer mit. Infolge der kurzfristigen Meldung konnte die Reservation natürlich nicht mehr geändert werden. Hingegen telefonierte der Chauffeur des Postautos nach der Abfahrt um 14.46 Uhr mit seinen Kollegen. Auf der Fahrt von Lohn GR nach Zillis kreuzten wir ein anderes Postauto und sahen, dass dieser Wagen eigens für unsere später geplante Rückfahrt unterwegs nach Lohn GR war. Die beiden Chauffeure hielten kurz an und informierten sich zu unserer Erleichterung über den Stand der Dinge.

Kommentar

Diese Ausführungen sprechen für sich – eine in jeder Hinsicht vorzügliche Dienstleistung. Und erst noch kostenlos. So reist man gerne.

Wucher im HB Zürich

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Auf einer Bahnreise in die Slowakei legten wir in Wien einen Zwischenhalt ein und mussten dabei Serviceleistungen im neuen Hauptbahnhof von Wien in Anspruch nehmen. Diese Serviceleistungen wie Gepäckaufbewahrung und Toiletten entsprechen absolut denjenigen im Hauptbahnhof Zürich. Krasse und Fragen aufwerfende Unterschiede bestehen hingegen bei den Preisen. Selbst wenn man die unterschiedliche Kaufkraft berücksichtigt, betragen die Preise für die absolut identischen Leistungen in Zürich das Mehrfache derjenigen von Wien.

Dazu zwei Beispiele:

Schliessfächer

In Wien mussten wir unser umfangreiches Gepäck in einem grossen Schliessfach aufbewahren. Der Preis für 24 Stunden betrug EUR 3,50 oder rund CHF 3,80.

Schliessfachanlage in Wien HB unmittelbar neben der Haltestelle der S-Bahn.
Das von uns benutzte grosse Schliessfach.
Talon des von uns benutzten Schliessfach.

In Zürich wären für das gleich grosse Schliessfach für 24 Stunden Benutzungsgebühren von CHF 21.- angefallen – also rund das Sechsfache des Betrages in Wien. Kaufkraftbereinigt immer noch etwa 3 ½  Mal mehr!

Vergleichbares Schliessfach in Zürich.
Schliessfachanlage in Zürich. Mit der Lage der Anlage in Wien vergleichbar. Man beachte, dass der überwiegende Teil der Anlage von Wien mit einer Glaswand geschützt ist, was bei der Benutzung der Schliessfächer eine gewisse Diskretion gewährleistet.
Tarife der Schliessfächer in Zürich.

Toiletten

Auch in Wien Hauptbahnhof ist die Benutzung der fast baugleichen und hygienischen Toilettenanlagen wie in Zürich kostenpflichtig. Der Zugang kostet EUR -.50. Allerdings erhalten die Benutzer beim Bezahlen des Eintritts einen Wertgutschein der ÖBB in der gleichen Höhe. Ergo ist die Benutzung der Toiletten für Fahrgäste der ÖBB gratis.

Gutschein für Benutzer der Tolietten in Wien, entsprechend dem Wert der Benutzungsgebühr.

Dagegen kostet im HB Zürich sogar das kleine Geschäft in der Toilette CHF 2.-. Und selbst die Benutzung der nicht bedienten und oft völlig verwahrlosten Toilette im Bahnhof Zürich Enge kostet noch CHF 1.-.

Übersicht über die Preise in Zürich.

Kommentar

Eigentlich sprechen die Zahlen für sich. Dennoch hinterlassen geben die krassen Unterschiede der Preise für die Serviceleistungen zu Fragen Anlass – unter anderem nach dem Verständnis von Kundenfreundlichkeit bei den SBB.

Zurzeit wird das Umsteigen vom Flugzeug auf die Bahn im internationalen Personenverkehr postuliert. Aber im Gegensatz zu den Gegebenheiten auf den Bahnhöfen stehen auf den meisten Flughäfen auch im Ausland den Fluggästen in kurzen Abständen kostenlos saubere Toiletten zur Verfügung.

Und abschliessend zwei persönliche Erfahrung.

  1. Vor etwa einem halben Jahr half ich einem jungen Inder – er hatte in der Jugendherberge von Zürich-Wollishofen übernachtet – auf der Fahrt zum Hauptbahnhof. Er beabsichtigte, mit dem 6.40 Uhr Railjet nach Innsbruck zu reisen und um 21.20 Uhr wieder in Zürich einzutreffen. Ich führte ihn im Hauptbahnhof Zürich zu den Schliessfächern, wo er sein umfangreiches Reisegepäck in einem grösseren Fach einlagerte. Als ich ihm die mutmasslichen Kosten von CHF 17.- für das Aufbewahren nannte, befiel mich Scham. Er wies mein Angebot, mich an den Kosten zu beteiligen, zurück.

  2. Im Sommer 2020 verbrachten wir ein paar Tage in Brusio. Auf der Rückreise legten wir in Poschiavo einen Zwischenhalt für eine Besichtigung ein. Am Schalter im Bahnhof der RhB erkundigten wir uns nach Schliessfächern. Unsere Anfrage wurde abschlägig beantwortet. Dafür öffnete uns der freundliche Mitarbeiter die Türe zu einem Lagerraum, indem wir ohne jegliche Formalitäten unser Gepäck kostenlos für ein paar Stunden einlagern durften.

Umbruch in Grossbritannien – Williams-Shapps Plan for Rail

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In diesen Tagen wurde eine grundlegende Reorganisation des Eisenbahnverkehrs in Grossbritannien angekündigt. Mit dem „Williams-Shapps Plan for Rail“  sollen die Schwächen der vor rund 25 Jahren erfolgten Privatisierung beseitigt werden. Keineswegs vorgesehen ist die Verstaatlichung des Betriebs der Eisenbahn.

Grundzüge der Reorganisation

Die Privatisierung hat Mitte der neunziger Jahre den seit dem Ende des zweiten Weltkrieges anhaltenden Niedergang des britischen Eisenbahnwesens gebrochen und zu einem eindrücklichen Aufschwung geführt. Trotz einigen Krisen, unter anderem das Debakel von Railtrack, der privaten Infrastrukturgesellschaft, ist die Privatisierung insgesamt eine Erfolgsgeschichte.

Mit der Privatisierung wurden an die privaten Betreibergesellschaften Franchisen vergeben. Das gab den Betreibern das Recht, ihr Angebot weitgehend frei zu gestalten. Sie trugen das volle Ertrags- und Kostenrisiko. Dieses Konzept führte zu einem ungeordneten Zustand, Fahrpläne und Tarife waren oft unzureichend abgestimmt und erschwerten systemübergreifende Reisen. Der Freiraum ermöglichte andererseits einigen EVU, ihre Preise an die Nachfrage anzupassen – Reisen in den Hauptverkehrszeiten verteuerten sich gegenüber den nachfragearmen Tageszeiten.

Bei systemübergreifenden Reisen wichen die Fahrgäste beim Kauf von Fahrausweisen häufig auf Train Line, eine einfach zu bedienende Plattform, aus. Die Aktienkurse dieses privaten Anbieters verzeichneten nach der Ankündigung von GBR einen veritablen Einbruch.

Unter der Führung von Grant Shapp, Transportminister der britischen Regierung wurde die Gründung einer mächtigen staatlichen Dachgesellschaft, der Great British Railways GBR, beschlossen. Unter Beibehaltung der Erfolgsfaktoren der Privatisierung soll GBR das landesweite Angebot definieren, das Tarifsystem vereinheitlichen und die volle Zuständigkeit für die Infrastruktur übernehmen. Damit verbunden ist die Ablösung des Franchisemodells durch die Vergabe von Transportaufträgen an EVU, so genannte „Passenger Service Contracts“– eine Lösung, die sich beispielsweise in zahlreichen europäischen Ländern im Nahverkehr durchgesetzt hat. Die Öffentlichkeit und die Kunden sollen mehr Einfluss erhalten. Ökologische Aspekte sollen verstärkt berücksichtigt werden.

Noch wenig konkret erscheinen die in Aussicht gestellten Massnahmen für die Förderung des Schienengüterverkehrs.

Die beschlossene Restrukturierung auf Landesebene entspricht weitgehend dem in London unter der Führung von TfL – Transport for London – seit 2001 erfolgreich funktionierenden Konzept. So kann GBR auf bestehenden Erfahrungen aufbauen.

Mit der Schaffung von GBR verfolgt die britische Regierung zehn Ziele:

  • Gewährleistung eines zeitgemässen Personenverkehrs auf der Schiene
  • Revolutionierung des Tarifsystems, unter anderem durch landesweite Tarife
  • Neuregelung der Kooperation mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU)
  • Prosperierende und nachhaltig tätige EVU
  • Mehr Einflussmöglichkeiten für Kunden und die Öffentlichkeit
  • Saubere und ökologische EVU
  • Setzen von starken Anreizen für den Schienengüterverkehr, unter anderem durch die landesweite Koordination der Angebote.
  • Verkürzung der Reisezeiten und Erhöhung der Effizienz
  • Gewinnung und Erhaltung von tüchtigen und innovativen Mitarbeitenden
  • Vereinfachung der Struktur des Eisenbahnsektors, unter anderem durch ein transparentes Abrechnungssystem und klare Entscheidungsregeln

Sonderregelungen wurden von den Regionalregierungen von Schottland und Wales beschlossen. In Wales wurde die Betreibergesellschaft Transport for Wales TfW von der Region übernommen und wird praktisch unverändert weiter geführt. Dafür bleibt in Wales die Infrastruktur im Gegensatz zum Rest des Landes weiter in privaten Händen.

Auch die schottische Regionalregierung hat unter anderem wegen den gravierenden finanziellen Konsequenzen von Corona die in Schottland wirkenden Betreibergesellschaften bis auf weiteres übernommen. Dies betrifft aber nur den innerschottischen Personenverkehr und gilt nicht für den Fernverkehr nach England.

Meinung des Autors

Die mit der Schaffung von GBR verbundenen und tiefgreifenden Neuerungen sind überfällig und weisen meines Erachtens in richtige Richtung. Entscheidend für den Erfolg der Massnahmen ist die Qualität der Umsetzung. Immerhin stehen mit dem Konzept von London und mit vielen Beispielen auf dem Kontinent erprobte Systeme im Raum.

Auffallend ist, dass dezidiert von einer (Wieder-) Verstaatlichung der Eisenbahn in Grossbritannien in weiten Teilen des Landes abgesehen wird. Offensichtlich sind die Erinnerungen der Entscheidungsträger an die verheerenden Verhältnisse bei British Rail in den Jahren vor der Privatisierung noch wach. Ich habe im Rahmen von zwei längeren Aufenthalten 1996 und 1997 zahlreiche Bahnfahrten in Mittel- und Nordengland unternommen und erinnere mich noch gut an die desolaten Zustände vor allem im Regionalverkehr.

Das Konzept von GBR sollte im Hinblick auf die Umsetzung in der Schweiz näher geprüft werden. Unter anderem liessen sich die auch von Spitzenvertretern der Schweizer Eisenbahnbranche beanstandeten Mängel im Tarifsystem dadurch vermutlich beseitigen. Anstelle eines Wildwuchses bestehend aus dem nationalen Verkehr, einem einzigen Verkehrsverbund und zahlreichen Tarifverbünden könnte die Schaffung eines einheitlichen nationalen Verkehrsverbundes nach dem Vorbild von GBR erwogen werden.

IC 3/581 – Fragen an die SBB

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Nach einer Wanderung im Jura trafen wir am Abend des 27. Februar 2021 wohlgemut in Basel ein und wollten dort in den um 17.33 Uhr nach Zürich abfahrenden Intercity 3/581 einsteigen. Wir gelangten über die Passerelle zu dem auf Gleis 4 bereit stehenden Zug.

Dort waren wir mit einem sonderbaren Bild konfrontiert. Zwischen zwei Lokomotiven des Typs Re 420 waren drei ältere Wagen und ein Steuerwagen eingereiht. Die Wagen waren einige Minuten vor der Abfahrt des Zuges bereits dicht besetzt. Wir fanden im vordersten Wagen noch ein paar freie Sitze.

Kurz nach der pünktlichen Abfahrt fand die Kontrolle der Fahrausweise statt. Beim Vorweisen der Fahrausweise beanstandete ich in höflichem Ton beim Zugbegleiter das unzumutbare Rollmaterial. Statt dem erwarteten Hinweis auf den Kundendienst gab der freundliche Zugbegleiter seinerseits seinem Unwillen kund und sagte, dass er sich ebenfalls beschweren werde. Beim Aussteigen sah ich, dass der Zugbegleiter mit seinem Smartphone den Zug (auch) fotografierte.

Während der Fahrt zirkulierte ich durch den Zug. Auf beiden Plattformen des ersten Wagens standen oder sassen auf dem schmutzigen Wagenboden mehrere Fahrgäste.

Aufgefallen sind mir zwei Zugbegleiter, die in einem Viererabteil des vordersten Zweitklassewagens von Basel nach Zürich fuhren. Nicht einmal die beiden Herren nahmen im Wagen der ersten Klasse Platz.

Bereits beim Einsteigen in Basel vermutete ich wegen der zweiten Lokomotive, dass der Steuerwagen defekt sein müsse. Diese Vermutung wurde mir auf Anfrage in Zürich von einem Mitarbeiter der SBB bestätigt.

Ich war so frei, meine Eindrücke mit ein paar Bildern mit meinem Smartphone zu dokumentieren und abschliessend ein paar Fragen an die SBB zu richten. Ich bitte um Verständnis für die schlechte Bildqualität.

Bilder aus dem IC3/581

Stimmungsbild aus dem vordersten Zweitklassewagen.
Bild von einer Plattform des ersten Zweitklassewagens (aufgenommen mit Zustimmung der Mitreisenden).
Bild von der anderen Plattform des ersten Zweitklassewagens (aufgenommen mit Bewilligung der Mitreisenden).
Blick in eine Toilette des ersten Zweitklassewagen – das Fallrohr führt direkt in Freie).
Blick in den Wagen der 1. Klasse, etwa fünf Minuten nach der Ankunft in Zürich. Der volle Mehrpreis für die Fahrt in der 1. Klasse gegenüber der Fahrt in der 2. Klasse für die Strecke von Basel nach Zürich beträgt CHF 26.-.
Am Ziel – IC 3/581 in Zürich.
Zusätzliche Lokomotive. Immerhin funktionierte die Beleuchtung im Steuerwagen noch.

Fragen an die SBB

Das Erlebte gibt Anlass zu ein paar Fragen:

  • Kennen Sie in Mitteleuropa ein Eisenbahnunternehmen, das im hochwertigen Fernverkehr Fahrgäste mit derart heruntergewirtschaftetem Wagenmaterial befördert?
  • Weshalb befördern Sie in Anbetracht der Corona-Restriktionen Fahrgäste in derart beengten Verhältnissen?
  • Glauben Sie, dass derartige Fahrten dem Image der SBB zuträglich sind?
  • Infolge der vielen Verbindungen und der erhöhten Qualität erheben Sie auch auf der Relation Basel-Zürich auf den Fahrausweisen einen Zuschlag von rund 15 Prozent durch eine virtuelle Verlängerung der Reisedistanz. Wäre es nicht angebracht, den Fahrgästen in derart misslichen Zügen diesen Mehrpreis beispielsweise in Form eines Gutscheins zurück zu erstatten?
  • Stört Sie der Umstand nicht, dass durch einen nicht funktionstüchtigen Steuerwagen zusätzlich 80 Tonnen in Form einer Lokomotive zwischen Zürich und Basel und zurück bewegt werden müssen?
  • Treten die auf mehreren Bahnhöfen im Grossraum Zürich auftretenden Qualitätsmängel nun auch beim Rollmaterial auf?

Nachtrag

167 Stunden später fuhr ich erneut von Basel nach Zürich, und zwar mit dem IC 3/579. Auf der Fahrt wurden die Fahrgäste mit der üblichen Entschuldigung in diesem nach Chur vorgesehenen Zug gebeten, infolge technischer Problemen am Zug in Zürich auszusteigen und in einen auf einem anderen Perron abfahrenden Ersatzzug nach Chur zu wechseln.