Öffentlicher Verkehr in Europa – Quo Vadis?

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Im Zusammenhang mit unserem Beitrag über den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Spanien wurden wir mit der Frage konfrontiert, wie sich der öffentliche Verkehr und der Eisenbahnverkehr in Europa in den letzten Jahren entwickelt haben.

Um dieser Frage nachzugehen, haben wir die Datenbasis ec.europa.eu/euroststat konsultiert und dabei für den Zeitraum von 2008 bis 2017 interessante Feststellungen gemacht, auf die wir in diesem Beitrag eintreten möchten.

Vorbemerkungen

Bei der Interpretation der Daten ist das teilweise tiefe Ausgangsniveau von einzelnen Verkehrsträgern in den jeweiligen Ländern zu beachten. In den Daten nicht enthalten ist der Anteil des Binnenluftverkehrs in den einzelnen Ländern – hier liegen nur die Anzahl der beförderten Personen und keine Angaben zu den Personenkilometern vor.

Zudem enthält die Datenbank der EU zwar Angaben zur Schweiz und zur Türkei, jedoch keine zu einigen europäischen Staaten des ehemaligen Ostblocks.

Obwohl hoch interessant und wünschenswert übersteigt eine differenzierte Ursachenanalyse der Veränderungen den Rahmen dieses Beitrages. Zudem beschränkt sich die Kommentierung auf ein paar ausgesuchten Fakten – die Zahlen sprechen für sich.

Leider sind die im Text eingefügten Grafiken kaum lesbar. Deshalb fügen wir im entsprechenden Abschnitt den Link für das Herunterladen der jeweiligen Grafik an. Die Lesbarkeit der Grafiken kann ausserdem durch das Vergrössern der Anzeige beispielsweise auf 200 Prozent verbessert werden.

Modal Split 2008

Modal Split 2008 (Reihenfolge der Spalten wegen der Vergleichbarkeit wie 2017)

Auffallend ist der hohe Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit in den osteuropäischen Ländern und – vor allem in der Türkei, wo noch 2008 45 Prozent der Personenkilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wovon überwiegend mit Bussen, zurückgelegt wurden. Link zum Herunterladen der Grafik als PDF-Datei: Modal Split 2008

Modal Split 2017

Modal Split 2017 (sortiert nach dem Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit)

Auch 2017 lag der Anteil des öffentlichen Verkehrs in Ungarn und in der Türkei noch bei hohen 30 Prozent. Die Schweiz lag mit 25 Prozent nach Tschechien und der Slowakei an fünfter Stelle – weit vor den mitteleuropäischen Ländern. Link zum Herunterladen der Grafik als PDF-Datei: Modal Split 2017

Veränderungen des Modal Split zwischen 2008 und 2017

Veränderung des Modal Splits zwischen 2008 und 2017 (sortiert nach dem Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit)

Die Grafik dokumentiert die teilweise dramatischen Veränderungen im Verkehrsverhalten innerhalb von Europa. Lediglich in einem Drittel der betrachteten Länder ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit gestiegen – am stärksten in der dicht besiedelten Schweiz, ein erfreulicher Erfolgsausweis für die schweizerische Verkehrspolitik.

Auf der anderen Seite fällt der teilweise dramatische Rückgang des Anteils des öffentlichen Verkehrs in Osteuropa und in der Türkei auf. In zehn Jahren ist beispielsweise der Anteil des öffentlichen Verkehrs in der Türkei von 45 Prozent auf 30 Prozent gefallen. Auch in Spanien und in Belgien hat der Anteil des MIV zugenommen. Link zum Herunterladen der Grafik als PDF-Datei: Delta öffentlicher Verkehr

Entwicklung des Anteils der Eisenbahn am terrestrischen Personenverkehr

Entwicklung des Anteils des Eisenbahnverkehrs zwischen 2008 und 2017

Interessant ist die stark gegenläufige Entwicklung des Eisenbahnverkehrs in Europa. Bemerkenswert ist die Zunahme der Eisenbahn beim Modalsplit vor allem in der Slowakei, dann aber auch in Tschechien, Grossbritannien, Spanien und in der Niederlande. Auffallend ist der Anstieg in den letztgenannten vier Ländern, in denen entweder

  • das Eisenbahnwesen ganz oder teilweise privatisiert wurde,
  • enorme Investitionen wie beispielsweise AVE getätigt wurden,
  • der Zugang zur Eisenbahn mittels revolutionärer neuer Ticketsysteme wie die Chipkarte vereinfacht wurde.

Link zum Herunterladen der Grafik als PDF-Datei: Delta Eisenbahnverkehr

Entwicklung des Binnenluftverkehrs in den einzelnen Ländern

Entwicklung des Binnenluftverkehrs zwischen 2008 und 2017 pro Land (Basis: Fluggäste an Bord)

Hier fällt auf, dass der Binnenluftverkehr nur in Spanien, Grossbritannien und Deutschland abgenommen hat. Selbst in Frankreich mit dem hochentwickelten Hochgeschwindigkeitsnetz haben zwischen 2008 und 2017 mehr Leute das Flugzeug für Flüge innerhalb des Landes genommen. Ganz offensichtlich haben die enormen Investitionen in Spanien für AVE eine Trendumkehr bewirkt. Auch ist in England die Attraktivität der in Mitteleuropa viel geschmähten englischen Eisenbahn gegenüber dem Flugzeug gestiegen. Link zum Herunterladen der Grafik als PDF-Datei: Delta Luftverkehr im Landesinneren

Nachtrag

Die Daten wurden der umfangreichen und leicht zugänglichen Datenbank der Europäischen Union entnommen – die Grafiken wurden durch den Verfasser erstellt. Trotz grosser Sorgfalt können Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden.

Die der Datenbank entnommene und weiter bearbeitete MS Excel-Tabelle steht über den folgenden Link zur Verfügung: Modal Split PV Europa.

Was in Spanien wirklich geschieht

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Unser Bericht vom Oktober 2019 über Bahnreisen in Spanien hat eine breite Beachtung gefunden und zu mehreren Reaktionen geführt. Einige davon waren recht kritisch – so wurden leere Bahnhöfe, überfüllte Züge und unwirtschaftliche Strecken bemängelt.

Diese Feststellungen sind zutreffend, aber sie vermitteln ein völlig falsches Bild von den epochalen Neuerungen in Spanien. Bemerkenswert ist auch die Berichterstattung über das Bahnprojekt «High Speed 2» in Grossbritannien in der Ausgabe der Neuen Zürcher-Zeitung vom 13. Februar 2020. Da wird argumentiert, dass Grossbritannien bezüglich Hochgeschwindigkeitsnetz weit hinter Frankreich und Deutschland zurückliegt. Von Italien und – eben von Spanien – kein Wort.

In diesem Beitrag möchten wir darlegen, um was es in Spanien unserer Meinung nach wirklich geht.

Ausgangslage

Das spanische Fernverkehrsnetz geriet in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zusehends ins Abseits. Die auf Breitspur verkehrenden Fernverkehrszüge boten trotz ihrem teilweise guten Komfort im nationalen Fernverkehr keine Alternative mehr zum Flugzeug oder zum Individualverkehr. Fünf oder mehr Stunden Reisezeit zwischen den Provinzhauptstädten und Madrid und nur wenige Verbindungen waren nicht mehr marktfähig.

Als Folge entwickelte sich der innerspanische Luftverkehr stürmisch. Gemäss dem unten wiedergegebenen Leitartikel aus der Ausgabe 289 von Today’s Railways Europe hat Spanien heute in Europa den weitaus grössten Anteil des Luftverkehrs am nationalen Personenfernverkehr.

Auszug aus Today’s Railways Europe 289
HG-Netz Spanien (Quelle: Wikipedia)

Bemerkenswert ist, dass dieses neue Hochgeschwindigkeitsnetz weitestgehend nach europäischen Normen wie Spurweite, Fahrstrom, Sicherheitssystem, etc. und völlig getrennt vom bestehenden Breitspurnetz konzipiert wurde. Die Feststellung, dass Spanien die Eisenbahn im Fernverkehr neu entdeckt hat, trifft wohl zu. Eine atemberaubende Leistung.

Betrieb

Im Rahmen des vierten Eisenbahnpakets der EU, welches unter anderem die Liberalisierung des gesamten europäischen Personenverkehrs auf der Schiene vorsieht, haben die für die Infrastruktur und den Betrieb des AVE-Netzes zuständigen Unternehmen ADIF von mehreren Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen EVU Offerten erhalten. Damit sollen der Verkehr auf den AVE Strecken weiter gesteigert und Engpässe beseitigt werden.

Von den Offerten von sechs europäischen EVU wurden drei berücksichtigt, nämlich diejenigen von RENFE Viajeros, Intermodalidad de Levante (ILSA) und Rielsfera (SNCF Voyagers Développement). An ILSA ist auch Trenitalia beteiligt. Alle drei EVU verfügen über einschlägige Erfahrungen im HG-Verkehr und über ausgereiftes Rollmaterial. Bereits heute verkehren auf dem spanischen AVE-Netz HG-Züge von Alstom, Siemens und Talgo.

Das neue Betriebskonzept geht mit einem massiv ausgebauten Angebot am 14. Dezember 2020 in Produktion.

Kommentar

Gelegentlich wird in Fachkreisen bemängelt, dass sich einzelne Linien von AVE aus betriebswirtschaftlicher Optik nicht rechtfertigen würden. Dabei wird ausser Acht gelassen, dass ein Verkehrssystem in seiner Gesamtheit zu betrachten ist und AVE immer noch in der Aufbauphase ist. Zudem kann man sich fragen, ob es besser ist, wenn auf einer Relation statt sechs HG-Zügen eine entsprechende Anzahl an Flugzeugen unterwegs ist.

Gemäss den beiden folgenden Schaubildern scheint die Verlagerung zu funktionieren.

Entwicklung Passagierzahlen in Spanien
Entwicklung des Modal-Split in Spanien im Vergleich mit der Schweiz – man beachte speziell den Zeitraum zwischen 2011 und 2017 (Quelle: Eurostat, Graphik durch den Verfasser)

Beeindruckend und visionär ist AVE auch im Vergleich zu den Gegebenheiten in Mitteleuropa. Nur mit der Elektrifikation von einigen Fernverkehrsstrecken und der epischen Diskussion um Treibstoffzuschläge für den Luftverkehr wird der Fernverkehr auf der Schiene nicht prosperieren. Selbst eine Verdreifachung des Preises für Flugpetrol kann den Modalsplit im Fernverkehr nur marginal zugunsten der Schiene verschieben.

Grund genug, die Entwicklungen in Spanien im Fokus zu behalten.

Nachtrag

Wie die beiden Grafiken zeigen, hat auch der nationale Luftverkehr in Spanien jüngst stark zugenommen – wohl als Folge der Erholung der spanischen Wirtschaft, wachsenden Billigangeboten und einer gewissen Sättigung des Angebots von AVE.

Die in diesem Bericht erwähnten Massnahmen der Eisenbahn zur weiteren Erhöhung ihres Marktanteils – weiterer Ausbau des Netzes, Inbetriebnahme neuer Strecken und Verdichtung der Fahrplans – sowie ein verstärktes Umweltschutzbewusstsein sind dringend.

Entwicklung des nationalen Luftverkehrs in Europa (Quelle CAPA)
Entwicklung des Modalsplit der Eisenbahn in Spanien (Quelle Statista.de)

Stadt Linz – Multimodalität dank „tim“

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Die Präsentation des multimodalen Verkehrskonzepts «tim» – „täglich.intelligent.mobil.“ – der Stadt Linz an der Herbsttagung 2019 von Avenir Mobilité durch Albert Waldhör, Geschäftsführer der Linz Linien, war für uns Anlass, die Gegebenheiten Ende November 2019 vor Ort zu besichtigen. Dabei wurden wir im Linz AG-Center entgegenkommenderweise von Oliver Pils, Projektleiter von «tim», zu einer interessanten und ausführlichen Präsentation empfangen.

Mit diesem Beitrag möchten wir «tim» näher vorstellen.

Überblick

«tim» ist ein multimodales Verkehrskonzept, welches den öffentlichen Verkehr um eine weitere Mobilitätsform erweitert. Damit wird es den Kunden ermöglicht, ihre Verkehrsbedürfnisse einfach, effizient und bedarfsgerecht zu befriedigen.

„tim“-Knoten in Linz

An dem «tim»-Knoten haben die Kunden die Möglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel, AST – Anruf-Sammel-Taxi -, Mietwagen und e-Carsharing-Fahrzeuge zu benutzen. Zudem stehen Abstellplätze für Fahrräder und Ladestationen für private e-Fahrzeuge zur Verfügung.

«tim» ist das Ergebnis des vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) geförderten Projekts „KombiMo III – kombinierte Mobilität“. «tim» wurde 2016 erstmals in Graz eingesetzt und hat dort die Feuertaufe bestanden. Das bmvit unterstützt «tim» in den ersten drei Jahren mittels Anschubfinanzierung mit den erforderlichen Investitionen. Anschliessend muss «tim» kostendeckend betrieben werden.

«tim» wurde durch ein breit aufgestelltes Konsortium von staatlichen Stellen, städtischen Verkehrsbetrieben und unter Mitwirkungen der Technischen Universität und der Wirtschaftskammer Steiermark entwickelt.

Zurzeit erfolgen Gespräche mit weiteren Städten in Österreich wie Klagenfurt, Salzburg und Wien für die Ausbreitung von «tim».

Wie funktioniert «tim»?

Interessenten vereinbaren im «tim»-Center eine etwa eine Stunde dauernde Einführung in «tim». Nach der EUR 15.- kostenden Registrierung erhalten sie eine persönliche «tim»-Karte. Die monatliche «tim»-Mitgliedgebühr beträgt EUR 7.-. Damit stehen den Kunden das gesamte kostengünstige Carsharing- und Mietwagenangebot und weitere Vergünstigungen zur Verfügung. Die bezogenen Leistungen werden monatlich abgerechnet und entweder mit Lastschriften belastet oder in Rechnung gestellt.

Für «tim» steht eine moderne App zur Verfügung, die von einem externen Anbieter entwickelt und betrieben wird. Diese App soll grundsätzlich in allen «tim»-Städten eingesetzt werden.

In Linz sollen im Zuge des dreijährigen Förderprojekts neun «tim»-Mobilitätsknoten errichtet werden. Zudem ist ein weiterer Ausbau beispielsweise im Zusammenhang mit Wohnbauprojekten geplant.

Das stationäre Carsharing-System richtet sich hauptsächlich an einen Kundenkreis in unmittelbarer Nähe des Wohnorts oder des Arbeitsplatzes eines «tim»-Mobilitätsknotens. Dabei wurde als Bewertungsgrundlage für die Potentialeinschätzung ein Radius von 400 Metern angenommen. Erste Erfahrungen zeigen jedoch, dass kundenseitig auch eine deutlich längere Anreise zum Mobilitätsknoten in Kauf genommen wird.

„tim“-Knoten am Hauptplatz in Linz

Kosten

Car-Sharing und Mietwagen haben ihrem Nutzungskonzept entsprechend unterschiedliche Tarif- und Preisstrukturen. Für weitere Informationen wird auf die folgende Tabelle verwiesen.

Preise und Tarife von „tim“ (Stand September 2019)

Die Gebühren und die Kosten für ausserordentliche Ereignisse und Massnahmen sind in folgender Tabelle ersichtlich.

Gebühren und sonstige Kosten

Erfahrungen aus Graz

Drei Jahre nach der Einführung im Herbst 2016 nutzten in Graz Ende September 2019 bereits 1‘980 Kunden «tim». Monatlich erfolgten rund 1‘500 Buchungen für 14 Fahrzeuge. 65 Prozent der Kunden haben einen vorhandenen PKW ersetzt oder auf eine Anschaffung verzichtet.

52 Prozent der 1‘980 Kunden haben erklärt, dass sie sich ohne «tim» einen privaten PKW anschaffen würden. Somit kamen 1‘000 PKW weniger in den Verkehr.

Stand der Einführung in Linz

Etwa vier Monate nach der Eröffnung des ersten Mobilitätsknotens im September 2019 umfasst der Kundenkreis in Linz Ende Januar 2020 bereits über 200 Personen, welche das Angebot von «tim» regelmässig nutzen und dadurch zumindest auf ein eigenes Fahrzeug im Familienkreis verzichten.

Kommentar

Neben dem überzeugenden Auftritt und der sehr ansprechenden Gestaltung des Angebots fielen uns folgende Aspekte von «tim» besonders auf.

  • Der positive Ansatz, Menschen mit einem attraktiven Angebot und nicht mit Einschränkungen und Schikanen zu einem Verzicht auf einen eigenen PKW zu bewegen.
  • Die Entwicklung eines mit geringen Anpassungen in allen grösseren Städten anwendbaren und landesweit einheitlichen Konzepts.

DB Arriva unter Dauerbeschuss

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Die Meldungen über den Verkauf von DB Arriva jagen sich. Gemäss einem Beitrag in der Ausgabe 290 von „Today’s Rail Europe“ will die DB AG die Bemühungen für den Verkauf ihrer Tochtergesellschaft in diesem Jahr fortsetzen. Die Internetausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bestätigt diesen Sachverhalt und schreibt, dass die DB einen vollständigen Verkauf von Arriva auf einen Schlag anstrebe. Allfällige Interessenten sollen ihre Angebote bis zum 3. Mai 2020 entweder an die Citigroup oder an die Deutsche Bank abgeben.

Auszug aus Today’s Railways Europe

Damit findet ein seit längerem anhaltendes Trauerspiel um DB Arriva in einer schwierigen Zeit sein Ende. Der Flurschaden ist gewaltig. Die letzten Monate offenbaren auf mehreren Ebenen erschreckende Führungsschwäche und Konzeptlosigkeit. Ein Abbild der deutschen Verkehrspolitik? Die Frage, ob und wieweit die Verwerfungen des Brexits zum Malaise beigetragen haben, ist müssig.

Dazu ein paar Bemerkungen:

DB Arriva

Arriva PLC ist ein 1938 gegründetes britisches Verkehrsunternehmen. Durch verschiedene Übernahmen wuchs Arriva um die Jahrtausendwende zu einem der führenden Busbetreiber in Grossbritannien.

2010 erwarb die DB AG für EUR 1,9 Milliarden Arriva für die angestrebte Expansion in Europa. In den folgenden Jahren expandierte das neu als DB Arriva firmierende Unternehmen in Europa und erwarb zahlreiche Bus- und Eisenbahnunternehmen. Investitionen und Zukäufe erhöhten den Buchwert von DB Arriva auf rund EUR 4,0 Milliarden.

DB Arriva im Vergleich mit DB Regio und DB Fernverkehr (2017)

Heute ist DB Arriva in 14 Ländern tätig. Nachstehend zwei Auszüge aus dem Geschäftsbericht 2018 der DB AG.

Länder und Aktivitäten von DB Arriva
Abschluss 2018 von DB Arriva

Aktuelle Lage

Die Verschlechterung der Ertragslage in den letzten Jahren und die steigende Schuldenlast der DB AG führten zu Abklärungen, ob sich die finanzielle Lage des Konzerns durch den Verkauf von Tochtergesellschaften verbessern liesse. Im Fokus standen DB Schenker und DB Arriva. Die Diskussionen liessen aber auch Rückschlüsse auf eine unklare Unternehmensstrategie zu.

Die Analyse der Meldungen vorab in den deutschen Medien in 2019 führt zu einem erratischen Befund. Widersprüchliche Meldungen folgten in rascher Folge. Dem Vernehmen nach wurde auch ein Börsengang von DB Arriva erwogen.

Die nebulöse Zukunft von DB Arriva führte im Unternehmen offensichtlich zu einer Verunsicherung. Qualitätsmängel häuften sich. Die Zufriedenheit von Auftraggebern und Fahrgästen sank. Sie kulminierten in der Drohung, der DB Arriva den Auftrag an das Eisenbahnunternehmen Northern, welche den Regionalverkehr in Nordengland betreibt, vorzeitig zu entziehen. Auch in Tschechien wächst die Unzufriedenheit.

Kommentar

Ob unter diesen Umständen potentielle Käufer bereit sind, für DB Arriva einen angemessenen Preis zu bezahlen, steht in den Sternen. Nicht bemessen lässt sich der Schaden durch die Bindung von Management Kapazität im Zusammenhang mit DB Arriva – Ressourcen, die man zweckmässiger für die Behebung der Probleme bei der DB AG eingesetzt hätte.

Die Corporate Governance hat auf der strategischen und operativen Ebene versagt. Vor zehn Jahren begann man mit dem Aufbau eines europaweit tätigen Personentransportunternehmen mit über 55‘000 Mitarbeitenden und heute gibt man das Ganze auf. Die zunehmenden Qualitätsprobleme in einigen Unternehmen von DB Arriva stellen in überdies die Kompetenz von Politik und Unternehmen in Frage, ein Eisenbahnunternehmen zu führen.

Fazit ist, dass die Entwicklung nur Verlierer zeitigt, nämlich:

  • die DB AG, welche DB Arriva kaum zum Buchwert verkaufen kann und dadurch dem Vernehmen nach einen milliardenschweren Verlust realisieren muss
  • Verunsicherung auch bei der DB AG selbst, da der Abgang von DB Arriva wohl zu einem Abbau im Overhead führt – über die Hälfte des aktuellen Personalbestandes der Sparte Personenverkehr der DB AG entfällt auf DB Arriva
  • Unstimmigkeiten im Vorstand der DB AG durch den Abgang von Alexander Doll, CFO, und seit 2018 auch verantwortlich für den darbenden Güterverkehr
  • frustrierte und verunsicherte Mitarbeiter bei DB Arriva und ihren Tochtergesellschaften, was zu Abgängen und einem weiteren Qualitätsverlust führt
  • weiterer Rückgang der Kundenzufriedenheit und Imageverlust für den öffentlichem Verkehr
  • Schwächung der Bereitschaft für einen gesunden Wettbewerb im öffentlichen Verkehr
  • Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit gegenüber der Corporate Governance der DB AG und der deutschen Verkehrspolitik, mit negativen Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr

Keine falschen oder voreiligen Schlüsse

Nicht statthaft wäre, die Verwerfungen bei DB Arriva reflexartig und unbedacht auf den Wettbewerb oder auf Privatisierungen zurückzuführen. Das folgende Diagramm zeigt beispielsweise den Niedergang von British Rail zwischen 1948 und 1995 und den eindrücklichen Zuwachs des englischen Personenverkehrs auf der Schiene nach der Privatisierung.

Personenverkehr auf der Schiene in England nach der Verstaatlichung und der Privatisierung

Zudem entwickelt sich Kéolis, ein ähnlich ausgerichtetes französisches Unternehmen und mehrheitlich im Besitz der SCNF prächtig.