„Kamingespräch“ mit Jacques Boschung

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Am 27. November 2019 wurden die Bahnjournalisten Schweiz von Jacques Boschung, seit Anfang 2019 Leiter der Division Infrastruktur, zu einem «Kamingespräch» an den Hauptsitz der SBB in Bern-Wankdorf eingeladen. 15 Mitglieder der Bahnjournalisten nahmen an diesem hoch interessanten und aufschlussreichen Anlass im legendären als Fahrplanwerkstatt bezeichneten Saal teil. An Stelle eines realen Kamins projizierte ein Beamer einen Film von einem brennenden Kaminfeuer, was dem Saal eine freundliche Atmosphäre gab.

In diesem Beitrag fassen wir den Verlauf des Kamingesprächs zusammen und fügen am Schluss ein paar persönliche Anmerkungen bei.

„Kamingespräch“ mit Jacques Boschung

Kurz nach 17.15 Uhr leitete Sylvain Meillasson von den Bahnjournalisten den Abend ein, begrüsste Jacques Boschung, Bereichsleiter Infrastruktur, und Jürg Grob von der Medienstelle der SBB und bedankte sich für die Einladung.

Nachdem Jacques Boschung und Jürg Grob die Anwesenden seitens der SBB begrüsst hatten, begann das Kamingespräch. Im ersten Teil stellte Jürg Grob Jacques Boschung im Rahmen eines Interviews eine Reihe von Fragen zur Person des Gastgebers sowie zu seinen Erfahrungen und Absichten.

Jacques Boschung hat an der ETH Physik studiert und hatte vor seinem Eintritt in die SBB bei Dell eine leitende Stellung inne. Obschon aus einer Eisenbahnerfamilie im Kanton Freiburg stammend – sein Vater war Werkstattchef der in der heutigen TPF aufgegangenen freiburgischen Privatbahn GFM und seine Mutter arbeitete mehrere Jahre im gleichen Bahnunternehmen – hatte Jacques Boschung nie an eine Aufgabe bei der SBB gedacht. Die Anfrage des Personalberaters war denn auch ziemlich überraschend. Er nahm die Herausforderung aber an und war schon kurz nach seinem Eintritt von der Bedeutung der SBB für die schweizerische Volkswirtschaft enorm tief beeindruckt. Die Begeisterung ist seit seinem Eintritt vor knapp einem Jahr weiter gewachsen – er fühlt sich wohl und hat seine Zusage nie bereut.

Die Frage, ob Jacques Boschung bei den SBB angekommen sei, müsse man nach ihm an seine Mitarbeitenden adressieren. Er jedenfalls hat bei seinen rund 10‘000 Mitarbeitenden viel Begeisterung und Leidenschaft für das Unternehmen festgestellt.

Jacques Boschung freut sich auf die demnächst erfolgende Inbetriebnahme von CEVA, der grenzüberschreitenden Eisenbahn im Raum Genf. Man rechne mit 50‘000 Fahrgästen pro Tag, was dem Grossraum Genf einen grossen Schub an Lebensqualität verschaffe. Dadurch soll der Autoverkehr um 12 Prozent abnehmen, was die lästigen und umweltbelastenden Staus auf den Genfer Strassen zum Verschwinden bringen werde.

Auf die Frage angesprochen, ob die SBB am Anschlag seien, antwortet Jacques Boschung, dass die zahlreichen Baustellen und die fehlenden Züge zurzeit tatsächlich einen Engpass zur Folge haben. Allerdings beeinträchtige dieser trotz dem tragischen Unfall eines Zugschefs vor wenigen Monaten die Sicherheit keinesfalls – diese geniesse auch weiterhin absolute Priorität.

Jacques Boschung bezeichnet 2020 als kritisches Jahr für die SBB. Die stattliche Erhöhung des Angebots, der Mangel an Lokomotivführern und zahlreiche Baustellen führen zu einer angespannten Situation. Jacques Boschung sieht Potential bei der Koordination der Massnahmen zwischen den Bereichen. So lassen sich die Herausforderungen meistern.

Die SBB und das BAV befänden sich im gleichen Haus, unter dessen Dach gelegentlich ungleiche Meinungen bestehen. Auch die Einflussnahme der Politik sei oft erstaunlich – so habe der wegen Baustellen vorübergehend ausgesetzte Halt der IR15 Genève-Aéroport–Luzern in Romont zu mehreren Demarchen von namhaften Politikern geführt.

Jacques Boschung ist überzeugt, dass die SBB die Mehrleistungen durch den Ausbauschritt AS 2035 bewältigen können. Die Leistungsvereinbarung mit dem Bund sieht für 2020 CHF 372 Mio. für die ungedeckten Kosten der Instandhaltung und des Betriebs der Infrastruktur und CHF 1‘540 Mio. für Erneuerungsinvestitionen vor. Dazu kommen CHF 850 Mio. für Erweiterungsinvestitionen (ZEB, HGV, FinöV, AS 25 u.a.).

Gegenwärtig wird die Leistungsvereinbarung LV 2021-2024 mit dem BAV ausgehandelt. Man geht von einem Betrag von CHF 6,2 Mia. für Erneuerungen und CHF 1,3 Mia. für den Unterhalt aus.

Mittelfristig sollen die Investitionen bis 2028 zusammen mit dem AS 2035 auf jährlich CHF 3,8 Mia. steigen. Engpässe sind denkbar im Zuge des Ausbauschritts 2045, der über CHF 9 Mia. kosten soll. Eine bessere Synchronisierung der Baumassnahmen kann die Effizienz steigern.

Gemäss Jacques Boschung wurden im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 28 Prozent der Verspätungen durch die Division Infrastruktur verursacht, davon zehn Prozentpunkte durch Anlagen und vier Prozentpunkte durch Baustellen.

Der Netzzustand 2018 wird mit 2,7 beurteilt, also knapp «gut». Immerhin werden jährlich 230 Kilometer Gleis erneuert, bei total rund 6’200 Hauptgleis-Kilometern. Der in Franken bewertete Rückstand beträgt rund CHF 5 Mia. Schwachstellen mit dem Zustand 4 und 5 werden umgehend eliminiert. Der als Rückstand bezeichnete Betrag umfasst den Wiederbeschaffungswert von Anlagen, die entweder als ungenügend (4) oder schlecht (5) bewertet wurden. Sicherheitsmängel werden kompromisslos beseitigt.

Die Umsetzung von Smart Rail 4.0 sollen die Kapazität und die Effizienz des Eisenbahnbetriebs substantiell erhöhen. Unter anderem sind neue Stellwerkkonzepte angedacht. Gegenwärtig sind über 20‘000 Eurobalisen installiert. Diese müssen bei Umstellungen jeweils einzeln vor Ort neu programmiert werden. Mutationen sollen inskünftig aus der Ferne erfolgen. Die Umstellung von festen Blöcken auf „Moving Blocks“ (ETCS Level 3) soll die Kapazität der Strecken steigern, benötigt aber eine dauernde Zugvollständigkeitskontrolle.

Die Vielfalt der heute eingesetzten Planungs- und Steuerungssysteme soll durch Zusammenlegungen von Systemen und eine erhöhte Datendurchlässigkeit reduziert werden. Die entsprechenden Kosten werden über die Leistungsvereinbarung finanziert. Die Signalisierung und Zugbeeinflussung verlagern sich teilweise von der Infrastruktur auf die Fahrzeuge.

Der Bahnfunk GSM-R (2G) muss in den nächsten Jahren abgelöst werden. Die europäischen Bahnen sind an der Entwicklung des Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) auf der Basis von 5G.

Auf die Frage nach selbstfahrenden Zügen weist Jacques Boschung auf die rasante Entwicklung der Informationstechnologie hin. Alle achtzehn Monate verdoppeln sich weltweit Rechner- und Speicherkapazität. Gegenwärtig lässt sich die Frage nach den Aussichten für das autonomen Fahren nicht beantworten, man geht bei den SBB mittelfristig von einem weiteren Bedarf an Lokomotivführern aus.

Die Division Infrastruktur wurde entlang der Geschäftsprozesse tiefgreifend reorganisiert. Mit dem Ziel einer erhöhten Kundenorientierung werden 200 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Die Vertretungen der Mitarbeitenden haben sich gegen einen Teil der Reorganisation gestellt und eine Denkpause bewirkt. Verhandlungen sind im Gang.

In der Leitungsorganisation der Division Infrastruktur besteht Stabilität. Seit dem Eintritt von Jacques Boschung hat nur der Finanzchef gewechselt. Jacques Boschung bezeichnet das gute Team als wichtige Voraussetzung für die Life Balance und lässt die Frage offen, ob er sich als neuen CEO denken könnte.

Plenumsdiskussion

Nach dem Interview entwickelt sich eine intensive Diskussion, bei der Jacques Boschung zahlreiche Fragen beantworten kann. Die angeregten Gespräche werden beim abschliessenden Apéro bis kurz vor 19.30 Uhr weitergeführt.

Das Netznutzungskonzept für den Gotthard- und den Ceneri Basis-Tunnel wird besprochen. Beim Betriebsbeginn der CBT stehen im GBT aufgrund von Auflagen des BAV stündlich 4 ½ Trassen für Güter-, 1 ½ Trassen für Fernverkehrs- und 2 Trassen für S-Bahnzüge zur Verfügung. Ein „Superveloce“ Zürich–Mailand mit Halt nur in Lugano ist vorderhand kein Thema. Hingegen soll die Höchstgeschwindigkeit der Reisezüge zur Sicherstellung der Fahrplanstabilität auf 230 km/h erhöht werden.

ETCS Level 2 wurde primär für den Hochgeschwindigkeitsverkehr geschaffen. Die Einführung verlief holprig, und der finanzielle Rahmen wurde gesprengt. Offene Fragen bestehen bezüglich den Knoten und dem Mischverkehr. Einen grossen Schritt vorwärts soll ETCS Level 3 bringen. Hier kann ein Zug genau auf dem Netz lokalisiert werden und nicht mehr nur, in welchem Streckenabschnitt er sich befindet. Dadurch können die Zugfolgezeit verkürzt und der Fahrplan verdichtet werden. ETCS Level 3 und FRMCS-Bahnfunktechnologie ermöglichen die angestrebte Erhöhung der Kapazität. Die Technologie verbessert auch die Interoperabilität.

Die Einführung von ETCS Level 3 sollte in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Bahnen und Gremien erfolgen. Das Branchenprogramm smartrail 4.0, mit den Schweizer Partnern SBB, BLS, SOB, Rhb, tpf und VöV, erarbeitet deshalb die Grundlagen für einen industrialisierten ETCS-Rollout in enger Abstimmung mit den europäischen Initiativen und Bahnen. Die Schweiz wäre gemäss Jacques Boschung für das Vorantreiben dieses komplexen Programms prädestiniert.

Ein Votant ist unsicher, ob die personellen Kapazitäten im Bereich Infrastruktur für die laufenden Arbeiten und die Projekte des Ausbauschritts 2035 tatsächlich ausreichen. Eine Beschleunigung bei der Erneuerung der Gleise auf mehr als 108 Meter pro Schicht ist nicht in Sicht. Ein Votant spricht sich für «einfachere Lösungen» als der Brüttener- und der Zimmerbergtunnel aus. Auch hier, so Jacques Boschung, liegt der Entscheid bei der Politik.

Kommentar fokus-oev-ch

Vorab ein grosses Dankeschön an Jacques Boschung und seine Kollegen für den freundlichen Empfang und die interessanten und offenen Informationen. Wir waren sehr beeindruckt – erfolgversprechende Konzepte werden entwickelt, und viel wird angepackt. Eine gewisse Skepsis aber bleibt, und wir möchten kurz darauf eintreten.

  • Die Unterschiede der persönlichen Profile innerhalb des Bereichs Infrastruktur und die sich daraus ergebenden kulturellen Konsequenzen erscheinen uns enorm. Wir haben uns gefragt, wie die top ausgebildeten Kaderleute mit den handwerklich tätigen Mitarbeitenden harmonieren, die beispielsweise draussen bei Sturm und Regen Reparaturen an Geleisen ausführen müssen.
  • Für uns stellt sich weiter die Frage, ob und wie erfolgversprechend die verstärkte Ausrichtung des Fokus auf die Elektronik zur Effizienzsteigerung des Bahnsystems funktionieren kann. Mehrere grosse IT-Projekte wie die Einführung von ETCS, das Personaleinsatzsystem Sopre oder jüngst das neue Funksystem Lisa boten enorme Schwierigkeiten. Entweder war die durch eigene Mitarbeiter produzierte Software ungenügend, oder das Projektmanagement und die Überwachung von Drittfirmen haben versagt. Kein gutes Omen für die ehrgeizigen Projekte.
Pressemeldung über Probleme bei der Einführung von Lisa
  • Twindexx, der neue Neigezug, steht mahnend im Raum. Die Erwartung, mit einer revolutionären Technologie auf die traditionelle Neigetechnik einerseits und Netzausbauten andererseits verzichten zu können, hat sich bis dato kaum erfüllt. Wir hoffen nicht, dass smartrail 4.0 einen ähnlichen Verlauf nimmt. Eierlegende Wollmilchschweine gibt es nur auf dem Papier. Die Zeitfenster für die Einführung von ETCS Level 3 werden immer enger – namhafte Experten befürchten, dass die Technologie bei der Einführung von smartrail 4.0 überholt sein wird.
  • Und ein Letztes – neben dem repräsentativen neuen Hauptsitz in Wankdorf sind wir mit den Verwaltungsgebäuden in Zürich-Altstetten oder Zollikofen vertraut. Die Unterschiede zwischen diesen Gebäuden und dem Zustand von bestehenden oder kürzlich erneuerten Bahnhöfen sind riesig. Wir denken etwa an Vorortsbahnhöfe von Winterthur oder Zürich. Auffallend sind auch konstruktive und ausführungsmässige Mängel. Da tauchen unwillkürlich Bilder aus Deutschland auf – ein mondäner Hauptsitz am Potsdamerplatz in Berlin und unzählige heruntergewirtschaftete Bahnhöfe in der Fläche.
  • Dazu ein paar zufällig ausgewählte Bilder. Es bleibt zu hoffen, dass die architektonisch lieblos gestaltete und handwerklich unzureichende Ausführung nicht auf die Funktionstüchtigkeit durchschlagen.
stark frequentierter Seiteneingang zum Bahnhof Zug
Monitore in der repräsentativen Halle des Bahnhofs Zug – ersetzen die trotz zahlreichen Verbesserungen untaugliche grosse Anzeigetafel (im Bild nicht sichtbar)
Detail vom Fundament einer Anzeigetafel – billigste und handwerklich höchst unzureichende Ausführung
Aufhängung der Stromschiene vor dem denkmalgeschützten Bahnhof Zürich-Enge – unverständlich, dass die Denkmalpflege der Stadt Zürich eine solche Lösung überhaupt zugelassen haben.
erneuerte Unterführung im stark frequentierten Bahnhof Zürich-Wollishofen

Studienreise 2019 nach Österreich – die Höhepunkte im Überblick

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Wir führten auch dieses Jahr eine dreitägige Eisenbahnstudienreise nach Österreich durch. Im Mittelpunkt dieser intensiven, informativen und erkenntnisreichen Reise standen ein Besuch bei den Linz Linien zum Studium der dortigen multimodalen Mobilitätslösung t.i.m., ein Besuch beim Institut für Eisenbahntechnik und Verkehrswirtschaft EBW an der Technischen Universität Graz, sowie eine Besichtigung der sich im Ausbau befindenden Eisenbahnstrecke zwischen Wiener Neustadt über Pottendorf nach Wien Meidling, der sogenannten „Pottendorfer Linie“.

Bereichert wurde die Reise auch durch die Besichtigung von Bahnhöfen wie Salzburg, Selztal, Wolfsberg und Wien Aspern sowie eine Bestandaufnahme des Westastes der Koralmbahn und einer Vorstellung des geplanten Ausbaus des U-Bahn Systems von Wien.

In diesem Beitrag berichten wir über den Verlauf der Reise und die Erkenntnisse. Ergänzend folgen in den kommenden Wochen drei vertiefte Reportagen über t.i.m., das EBW sowie die Pottendorfer Linie und ihre Bahnhöfe.

Bahnhof Salzburg

Umbau und Erweiterung des Bahnhofs von Salzburg wurden im Herbst 2014 abgeschlossen. Seit der Eröffnung am 7. November 2014 zeigen sich kaum Abnützungsspuren oder Bauschäden – sowohl das Gebäude und die Gleisanlagen wirken wie neu. Auffallend ist, dass die Ladenflächen im hinteren Teil der Unterführung leer stehen. Da die Schaufenster verblendet sind, beeinträchtigen die Leerstände das Erscheinungsbild kaum.

Eindruck auf dem Bahnsteig unmittelbar nach der Ankunft
Aufgang auf einen der hinteren Fahrsteige
Blick in den hinteren Teil der Unterführung

Multimodales Mobilitätssystem der Stadt Linz – t.i.m.

Die Vorstellung des multimodalen Mobilitätssystems (t.i.m.) der Stadt Linz durch Albert Waldhör, Direktor der Linz Linien, an der Tagung von Avenir Mobilité vom 17. Oktober 2019 in Biel war Anlass, t.i.m. vor Ort zu besichtigen. Infolge Erkrankung von Albert Waldhör präsentierte uns der zuständige Projektleiter, Oliver Pils, das Konzept. Im Anschluss an die Präsentation bei den Linz Linien besichtigten wir am Hauptplatz in Linz einen der ersten Knoten von t.i.m.

Das in Graz seit 2016 im Betrieb stehenden Konzept wurde von den Linz Linien weitgehend unverändert übernommen und ist nach umfangreichen Vorbereitungen seit anfangs September 2019 in Betrieb. Die Einführung von t.i.m. in Wien steht bevor.

Nach dem Abschluss der Einführung in Graz, Linz und Wien soll t.i.m. in weiteren Hauptstädten von österreichischen Bundesländer eingeführt werden. Im Vordergrund stehen Salzburg und Innsbruck.

Das Konzept wird vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT finanziell nachhaltig gefördert.

Für weitere Informationen über das innovative Konzept und unsere Beurteilung verweisen wir auf den in einigen Tagen erscheinenden ausführlicheren Bericht auf unserer Website.

t.i.m.-Knoten auf dem Hauptplatz

Bahnhof Selzthal

Auf der Fahrt nach Klagenfurt machten wir Station in Selzthal. Der früher bedeutendere Knotenpunkt hat heute verhältnismässig wenig Personenverkehr. Auffallend ist, dass die ausgedehnten Publikumsanlagen mit ihrem historischen Kern aufwendig erneuert wurden und sich heute in einem sehr guten Zustand präsentieren. Der Bahnhof verfügt über zwei lange Durchfahrtsgeleise mit über 400 Meter langen Perrondächern und vier innenliegende Kopfgeleise. Die moderne Signaletik und die Serviceanlagen wurden zurückhaltend und ohne den historischen Eindruck zu beeinträchtigen in die bestehenden Gebäude integriert.

Im Bahnhof von Selzthal verkehren an Werktagen rund 50 Züge, an Wochenenden sind es zehn Züge weniger. Je zwei Zugspaare verbinden Selzthal mit Zürich oder mit München bzw. Dortmund.

Blick auf den Bahnhof von Selzthal mit den beiden über 400 Meter langen gedeckten Aussenperrons
gedeckter Zugang zur Unterführung und mit einer Abstellhalle für Fahrräder
Lift in der Zugangshalle
Eindruck von der Unterführung
Eindruck vom Perron
sorgfältig renovierte und beheizte Wartehalle
Detail von einer der über 110 Fachwerksäulen, deren Fundamente vor ein paar Jahren vollständig erneuert wurden
schwere Dampflokomotive vor dem Bahnhof

Koralmbahn – Neubaustrecke von Graz nach Klagenfurt – und der Bahnhof von Wolfsberg

Auf der Fahrt von Klagenfurt nach Wolfsberg in Kärnten fuhren wir auf dem weitgehend fertig gestellten Teilstück zwischen Klagenfurt nach Althofen/Drau auf der Neubaustrecke. Die Fahrt von Althofen/Drau nach Mittlern erfolgte mehr oder weniger entlang der Baustellen der Neubaustrecke. Die Tiefbauarbeiten haben einen sehr hohen Stand erreicht – die Fahrleitungsmasten entlang der im Rohbau fertigen Streckenabschnitte wurden weitgehend versetzt. Auch die Baustellen des letzten zu beobachtende Teilstücks von Mittleren zum Portal der beiden 33 Kilometer langen Einspurtunnel unter der Koralpe wirken weit fortgeschritten. Noch begonnen wurde mit den Arbeiten für die Brücke über den Drau. Die Eröffnung der Koralmbahn ist 2025 vorgesehen.

Der Aufenthalt in Wolfsberg bis zur Weiterreise mit dem Intercity Bus nach Graz bot Gelegenheit zu einer intensiven Besichtigung des aufwendig erneuerten Bahnhofs. Die folgenden Bilder sprechen für sich – neben der Architektur überzeugen Lärm- und Personenschutz.

Blick auf den Mittelperron von Wolfsberg
Blick vom MIttelperron auf das Bahnhofsgebäude von Wolfsberg
Abgang in die Unterführung
Blick in die Unterführung
Bild von Wolfsberg an der Stirnseite der Unterführung
Detail beim Aufgang mit der im unteren Handlauf integrierten indirekten Beleuchtung
Lift vom Aussenbereich in die Unterführung
Aussenansicht des Bahnhofs von Wolfsberg

Besuch beim Eisenbahntechnischen Institut der Technischen Hochschule Graz

Nach dem Aussteigen aus dem IC-Bus beim Hauptbahnhof von Graz begaben wir uns zur tiefgelegten Haltestelle der Strassenbahn. Dazu ein paar Bilder:

Eindruck vom Bahnhof Graz mit den eleganten geschwungenen Perrondächern
Führung der Strassenbahn vor dem Bahnhof Graz auf dem Europaplatz
Eindruck von der von mehreren Tramlinien bedienten Haltestelle

Die Besprechung am Institut für Eisenbahnwesen (EBW) war hoch interessant. Sowohl der Leiter des Instituts, Professor Dr. Peter Veit als auch Assistenzprofessor Dr. Stefan Marschnig haben sich viel Zeit genommen, uns das Institut, die laufenden Arbeiten und die systemischen Gesamtzusammenhänge des Systems Eisenbahn vorzustellen. Daraus ergab sich eine angeregte Diskussion, die sehr viel länger dauerte als geplant.

Es war sehr beeindruckend zu erfahren, welch herausragende Arbeit das relative kleine und hoch motivierte Institut leistet. Auch die SBB gehören zum Kundenkreis. Das EBW zählt zu den führenden Instituten der Eisenbahntechnologie in Europa. Besonders bekannt ist die vom EBW organisierte jährliche Tagung „Moderne Schienenfahrzeuge“ in Graz, die dieses Jahr bereits zum 45. Mal stattfand und von über 650 Fachleuten aus der ganzen Welt besucht wurde.

Ansicht des historischen Gebäudes der Technischen Universität Graz
hinter dieser Türe verbirgt sich Grosses – Eingang zum Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft

Aus- und Neubau der Strecke von Wiener Neustadt über Pottendorf nach Wien

Um den Mehrverkehr auf der Bestandesstrecke von Wien über Baden nach Wiener Neustadt bewältigen zu können und das grosse Containerterminal bei Wien Blumental – Güterzentrum Wien Süd – zu erschliessen, wird die grösstenteils einspurige Regionalbahnstrecke von Wien über Pottendorf nach Wiener Neustadt auf Doppelspur umgebaut.

Der südliche und rund 18 Kilometer lange Abschnitt zwischen Wampersdorf und Wiener Neustadt ist seit längerem in Betrieb. An den neuen Bahnhöfen und Publikumsanlagen wird teilweise noch gearbeitet.

Der nördliche, in diesen Tagen in Betrieb genommene rund 17 km lange Abschnitt von Münchendorf nach Wien Blumental wurde teilweise neu trassiert und weist drei grosszügige Bahnhöfe auf, von denen wir mit Hennersdorf und Achau zwei besichtigten. Wir waren enorm beeindruckt.

Im mittleren Abschnitt zwischen Münchendorf und Pottendorf sind die Planungen abgeschlossen. Obschon die Siedlungsverhältnisse den Einbau eines zweiten Gleis neben der einspurigen Bestandesstrecke durch die Mitte des Dorfes zugelassen hätte, wird als Umfahrung von Ebreichsdorf eine zehn Kilometer lange Umfahrungsstrecke gebaut.

Nach der Inbetriebnahme dieses letzten Abschnittes wird die Streckengeschwindigkeit auf weiten Teilen auf 200 km/h erhöht. Zudem könnte die eisenbahnmässige Erschliessung der Hauptstadt des Bundeslandes Burgenlandes, Eisenstadt, über Ebenfurth mit verhältnismässig geringen Investitionen substantiell verbessert werden.

Aussenansicht vom Bahnhof Achau mit Strassenunterführung und gedeckter Bushaltestelle
Blick vom Perron von Hennersdorf

Ausbau des U-Bahn Systems von Wien

In Wien Meidling stiessen Ernst Hallas und ein junger Bahnenthusiast zu uns und begleiteten uns auf dem letzten Teilstück unserer Studienreise. Nach der Fahrt mit der S-Bahn nach Wien Aspern besichtigten wir den dortigen weitgehend fertig gestellten Umsteigebahnhof zwischen Eisenbahn, U-Bahn und mehreren Buslinien. Die Anlagen beeindruckten durch Grosszügigkeit, Kundenfreundlichkeit, hochwertige Architektur und Kunst am Bau. An einer Perronwand bewunderten wir einen auf Glasplatten abgebildeten historischen Stadtplan von Wien aus dem 18. Jahrhundert, auf dem auch der Verlauf der napoleonischen Schlacht bei Aspern im Jahr 1809 dargestellt wurde.

Von Aspern aus fuhren wir mit der U-Bahn Linie 2 zum Karlsplatz und von hier mit der U1 zum Hauptbahnhof. Wir fanden die Wegstrecke von der U-Bahnhaltestelle bis zu den Perrons des Fernverkehrs vertretbar. Unterwegs erläuterte uns Ernst Hallas die Pläne für den Ausbau des U-Bahnsystems. Neu soll die U2 über eine Neubaustrecke aus dem Stadtzentrum zum Matzleinsdorferplatz geführt werden, wo optimale Anschlüsse an das S-Bahnnetz bestehen. Zusätzlich wird mit der U5 eine neue U-Bahnlinie eingeführt, die zwischen dem Karlsplatz und dem Rathaus die dort verkehrende U2 ablöst und ab der Haltestelle Rathaus im Stadtzentrum nördlich auf einer Neubaustrecke Richtung Norden weitergeführt wird. Die dazwischen liegende Haltstelle Michelbeuern/AKH soll zu einem Knotenbahnhof mit der U6 erweitert werden.

Beim abschliessenden Gespräch erfuhren wir, dass die an und für sich wünschbare Weiterführung der Fernreisezüge der ÖBB zu den S-Bahnstationen im Stadtzentrum an den zu kurzen Perrons scheitert. Im Gegensatz dazu bestehen diese Einschränkungen für die Westbahn mit ihren vier- und sechsteiligen Doppelstockzügen der Firma Stadler nicht. Da die Westbahn einen Teil ihrer Züge an die DB verkauft hat und der Ersatz erst ab 2021 verfügbar ist, wird der Fernverkehr ab dem Praterstern demnächst eingestellt.

Die Studienreise fand ihren Abschluss mit einem kurzen Rundgang durch den Hauptbahnhof von Wien, der am Freitagnachmittag ausserordentlich stark frequentiert war.

U-Bahn Netz der Stadt Wien
geplante Erweiterung des U-Bahn Netz mit einem weiteren leistungsfähigen Anschluss an die S-Bahn

Eindrücke aus Varese RFI et al.

Am 30. November 2019 bot sich endlich wieder einmal Gelegenheit zu einer Bahnreise nach Varese. Im Bahnhof der RFI in Varese – daneben hat es einen zweiten Bahnhof der „alten“ Ferrovia Nord Milano – musste ich umsteigen und gelangte durch die renovierte Unterführung zum Aufnahmegebäude. Dabei fertigte ich die folgenden für sich selbst sprechenden Bilder an – wirklich keine Fotomontagen.

Blick zurück in die Unterführung
Blick vorwärts in die Unterführung mit dem Personenlift
Aufgang aus der Unterführung
Blick hinunter in die Unterführung
Blick auf den Perron
Schalterhalle des Bahnhofs

Reiseerfahrungen

Am morgen früh standen im Zürcher Hauptbahnhof zwei Triebwagenzüge des Typs ETR 610 zur Abfahrt bereit. Man war froh, nicht allzu eng sitzen zu müssen. Doch weit gefehlt – die Kupplungen schlossen nicht, und der vordere Zugteil wurde weggestellt. Die zahlreichen Fahrgäste drängten sich in den verbliebenen Zug, und bereits bei der Abfahrt um 07.10 Uhr herrschte ein arges Gedränge. Die Sache hatte für ein paar Bekannte von mir aber auch eine gute Seite – sie konnten die Fahrt nach Lugano in der ersten Klasse mit einem Billett der zweiten Klasse geniessen.

Der Eindruck täuscht – die Verbindung funktionierte nicht.

In Mendrisio wechselte ich von der S-Bahn nach Chiasso in die S40 25415 nach Varese. Bis zur Grenze konnte ich die Mitreisenden im vierteiligen Flirt an einer Hand abzählen – ein bitteres Bild. Zu meiner Erleichterung stiegen in allen Bahnhöfen ab Cantello/Gaggiolo jeweils zahlreiche Fahrgäste ein, so dass der Zug Varese zu guter Letzt mit rund achtzig Personen erreichte.

Weshalb die Schweizer Behörden und die SBB es bis dato in Zusammenarbeit mit ihren italienischen Partnern nicht geschafft haben, schnelle Reisezüge von Lugano zum Flughafen von Malpensa mit einer attraktiven Fahrzeit von etwa mehr als einer Stunde zu betreiben, weiss ich nicht. Hier liegt ein grosses Potential brach, und niemand setzt sich für Verbesserungen ein.

Der Kanton Tessin könnte doch Trenord bitten, einige der für den viermal pro Stunde von Mailand zum Flughafen verkehrenden „Malpensa-Express“ eingesetzten Triebwagenzüge ETR 425 an die schweizerischen Verhältnisse anzupassen und stündlich von Bellinzona über Lugano und Varese nach Malpensa zu fahren.

Die grosse Ernüchterung nach der Ankunft in Zürich-Wollishofen

Auf der Rückkehr aus dem Süden stieg ich um 14.30 Uhr in Zürich-Wollishofen aus der S-Bahn aus und begab mich durch die kürzlich erneuerte Unterführung zur Bushaltestelle. Dabei wurde ich – noch voll positiver Eindrücke aus Varese – in mit folgenden Bildern konfrontiert. Kein Kommentar.

Abgang vom Bahnsteig
Blick zurück in die Unterführung