Massive Kürzungen in Deutschland

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Die englische Fachzeitschrift «Today’s Railways Europe» äussert sich in ihrer Ausgabe vom März 2024 besorgt und detailliert zu den substantiellen Kürzungen des Budgets für die Erneuerung und den Ausbau der deutschen Eisenbahninfrastruktur.

Ich teile die Besorgnis, nicht zuletzt deshalb, weil die Schweiz von den Schwachstellen im deutschen Bahnnetz stark betroffen ist. Zu Sorgen Anlass gibt aber auch die sich in anderen Bereichen Deutschlands abzeichnende Mittelknappheit.

Fakten zum Zustand des deutschen Bahnnetzes

Der neu unter der Bezeichnung DB InfraGO firmierende Geschäftsbereich Infrastruktur hat im Januar 2024 den Netzzustandsbericht Fahrweg 22 veröffentlicht. Im Dezember 2022 erschien der entsprechende Bericht für das Jahr 2021. Die aufschlussreichen Berichte stehen im Internet zur Verfügung.

Im Jahr 2021 wurde das Anlagenportfolio der DB Netz AG mit 2.93 bewertet. Dieser Wert basiert auf folgender Notenskala: 1 neuwertig, 2 gut, 3 mittelmässig, 4 schlecht, 5 mangelhaft. 2022 fiel dieser Wert auf 3.01.

Neben dieser Verschlechterung lässt aufhorchen, dass der Wiederbeschaffungswert der gesamten Infrastruktur von Ende 2021 (EUR 317.2 Mia.) im Jahr 2022 neu berechnet wurde und um nicht weniger als 75 Prozent auf EUR 555.8 Mia. anstieg. Das zieht bei stabilen Abschreibungssätzen mittelfristig eine entsprechende Zunahme der Abschreibungen nach sich.

Auszug aus dem Netzzustandsbericht Fahrweg 2022 der Deutschen Bahn AG

Bedrohlich ist auch die Zunahme des dringenden Erneuerungsbedarfs innerhalb eines Jahres von EUR 54.3 Mia. auf 90.3 Mia am Jahresende 2022, entsprechend einem Anstieg von 66 Prozent.

Die finanzielle Perspektive

Vor diesem Hintergrund wirken sich die Budgetkürzungen für die Erneuerung noch fataler aus. Mit anderen Worten: Der Bedarf wird grösser und die Mittel schrumpfen.

Besonders ins Gewicht fällt, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht im November 2023 die Umlagerung von EUR 25 Mia. aus dem nicht voll ausgeschöpften Corona-Fördermitteltopf in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) untersagt hat, was zu empfindlichen Budgetkürzungen für die Eisenbahn führt.

Ursprünglich war vorgesehen, das Kapital der DB zwischen 2024 und 2027 um EUR 20 Milliarden zu erhöhen, hauptsächlich zur Förderung von Investitionen in die Infrastruktur. Infolge der erwähnten Kürzungen beim KTF fällt dieser Betrag auf EUR 5.5 Mia., davon EUR 4 Milliarden im laufenden Jahr. Aber selbst dieser reduzierte Betrag ist noch nicht gesichert, sondern soll unter anderem durch den Verkauf von Beteiligungen finanziert werden.

Gemäss den Berechnungen des Verbandes der Bahnindustrie (VDB) beträgt die Finanzierungslücke der DB in den kommenden vier Jahren EUR 17 Mia. So werden die Investitionen für ETCS um EUR 3.2 Milliarden und für die Infrastruktur um EUR 9.5 Milliarden gekürzt.

Aber nicht nur bei den Investitionen wird gekürzt. Auch einige Subventionen für den Betrieb werden reduziert. Zudem ist vorgesehen, ab 2025 die Trassengebühren für den Fern- und den Güterverkehr zwischen zehn und fünfzehn Prozent zu erhöhen. Diese Mehrkosten sollen auf die Kunden abgewälzt werden, was den Modal Split sowohl beim Personenfernverkehr als auch beim Güterverkehr zu Lasten der Schiene verschieben wird.

Ausblick

Offensichtlich haben sich die finanziellen Perspektiven für die deutsche Eisenbahninfrastruktur verschlechtert. Wie soll das bis 2030 geplante ambitiöse Hochleistungsnetz für die DB realisiert werden? Und wie sehen die Aussichten für die für die Schweiz vordringliche Fertigstellung der Rheintalbahn als Zufahrt zur NEAT aus? Fragen über Fragen!

Auch in anderen Bereichen steht Deutschland vor gewaltigen Herausforderungen. Dazu zählt die Sanierung der Bundeswehr, bei der die Wehrbeauftragte der Bundesregierung das dazu geschaffene Sondervermögen von EUR 100 Milliarden als nicht ausreichend erachtet und einen dreimal so hohen Bedarf fordert. Und für die Stabilisierung der Renten, wo der jährliche Beitrag für die staatliche Rentenversicherung in den kommenden Jahren um einen Fünftel von 18.6 Prozent auf 22.3 Prozent steigt, soll bis Mitte der 2030-er Jahre ein Fonds von EUR 200 Milliarden geäufnet werden – aus Darlehen des Bundes und der Übertragung von noch zu bestimmenden Vermögenswerten.

Enorme Beträge. Der guten Ordnung halber sei auf einen Beitrag von MDR.de verwiesen, wonach zwischen der Wende 1989 und 2020 EUR 1’600 Milliarden vom Westen in die neuen Bundesländer geflossen sind. Deutschland kann es schaffen! Allerdings ist die soziale Unrast in der deutschen Gesellschaft gewachsen, und die 1989 vorherrschende Zuversicht in die Zukunft ist verkümmert.

5 Gedanken zu „Massive Kürzungen in Deutschland

  1. Eigentlich ist Deutschland pleite! Nur will es niemand wahrhaben und schon gar nicht zugeben. Deutschland lebt in der Illusion von: Wir sind ein reiches Land.
    Die EU ist noch klammer! Fällt Deutschland als Nettozahler aus, so war es das.
    Die schlechteste Bewertung mit 3.75 bekommen die Stellwerke. Kunststück, gibt es doch in Deutschland noch über 1000 mechanische Stellwerke. Zur Klarheit, da werden Weichen und Signale mit Muskelkraft bewegt. Technik aus dem vorletzten Jahrhundert.
    Die Parole, bis 2030 das „Hochleistungsnetz“ zu sanieren, bleibt garantiert eine Illusion.

  2. Ich darf zitieren, was ich immer sage (unser lieber Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Max P. Ehrbar kennt es schon):

    Die Deutsche Bundesbahn war eine der besten Eisenbahnen der Welt.
    Die Deutsche Bahn AG ist eine der schlechtesten.

    Dazu kommt die allgemeine politische, wirtschaftliche und finanzielle Lage Deutschlands. Alles zusammen kumuliert sich zu dem, was derzeit Realität ist.

    • Sehr geehrter Herr Inntaler, lieber Jürg

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihre Kommentare.

      Bazüglich Ihrer reichlich düsteren Prognose möchte ich auf einen älteren Beitrag von Dr. Gerhard Schwarz in der Neuen Zürcher-Zeitung verweisen. Dr. Schwarz war während vielen Jahren anerkannter Leiter der Wirtschaftsredaktion der NZZ. Gemäss seinen Berechnungen war die implizite Staatsverschuldung Deutschlands (und der Schweiz) 2013 im europäischen Vergleich ausgesprochen tief. Das mag sich mit den seitherigen Verwerfungen sehr wohl verschlechtert haben, aber kaum fundamental. Gerne lege ich Ihnen den zitierten Beitrag von Dr. Schwarz separat vor.

      Ich danke Ihnen nochmals für Ihren Kommentar und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

  3. Als ich am Abend des Ostersonntag mit der DB von Köln via Basel nach Pfäffikon zurückfahren wollte, erfuhr ich von einem Fahrplanwechsel wegen Bauarbeiten. Die letzte Fahrt um ca. 18 Uhr nutzend fuhr ich mit einem recht langsamen Zug bis und mit Freiburg. Dort dauerte die Zwangspause gute 40 min. bis es dann mit einem Bus nach Basel weiterging. Für die letzten 60km dauerte die Fahrt dann über 2 Std. Da ich dadurch erst nach zwei Uhr Morgens in Basel eingetroffen wäre, leistete ich mir ein Taxi und erreichte Basel mit meinem dort reservierten Bett dort runde 1 1/2 Std. früher.
    Ob nun Deutschland pleite ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ganz sicher und sehr offensichtlich hat die Bahn in Deutschland aber ein riesen Problem. Woran ich insgesamt zweifle ist, ob die DB als Organisation überhaupt die Fähigkeit hat, flexibel und die Ressourcen nutzend auf die vielen absehbar noch kommenden Fahrplanprobleme eingehen zu können.
    In meinem Fall hätte nur schon das organisieren eines einzigen Taxis für die Fahrgäste von Freiburg nach Basel die Reisequalität massiv gesteigert. Die Fr. 210.- für drei Fahrgäste hätte so behaupte ich, keinen relevanten Mehraufwand bedeutet. Die Reisequalität würde sich damit jedoch massiv erhöhen und eine Fahrplanstabilität schaffen, als Motivation dafür, auch zukünftig erneut mit der DB zu reisen. Heute hingegen ist es zu oft eine organisierte Verantwortungslosigkeit auf hohen Niveau. Versagen tun aber nicht die Mitarbeiter die meist Ihr bestes geben, sondern das viel zu starre Management dass zu wenig flexibel auf die anstehenden Schwierigkeiten reagieren kann. Wer weiss, vielleicht irre ich mich auch, meine Zeilen sind deshalb auch eine Frage an Sie, an die Deutsche Bahn, an Pro Bahn Deutschland und die Deutsche Politik?

    • Sehr geehrter Herr Bamert

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren betrüblichen Bericht.

      Leider habe ich von Bekannten von ähnlichen Vorfällen erfahren. Man kann nur hoffen, dass die unter anderem ökologischen Postulaten verpflichtete deutsche Bundesregierung den jahrealten Missständen endlich Abhilfe schafft.

      Aber es gibt auch vereinzelte Lichtblicke. So hat mich der Ausbau des Verkehrsknotenpunkts Singen am Hohentwiel beeindruckt. So hebt sich der neue Busbahnhof substantiell von den Verhältnissen in Bülach oder Schaffhausen ab.

      Nochmals besten Dank und weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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