Am 7. Dezember 2023 wurde der Westast der Koralmbahn, die sogenannte „Kärtner Koralmbahn“, eröffnet. Neben der 54 Kilometer langen Aus- und Neubaustrecke von Klagenfurt zum Westportal des Koralmtunnels wurden die 9 Kilometer lange „Bleiburger-Schleife“ und die 16 Kilometer lange Stichstrecke von St. Paul nach Wolfsberg in Kärnten elektrifiziert und sämtliche Bahnhöfe grundlegend erneuert. Vier wenig frequentierte Haltestellen werden neu umfahren und wurden demnach aufgehoben.
Am 12. Januar 2024 befuhr ich die Strecke von Klagenfurt nach Wolfsberg und besichtigte den Verkehrsknotenpunkt St. Paul im Lavanttal. Der neu angelegte Bahnhof befindet sich in der Fertigstellungsphase. Die Eindrücke sind einmal mehr überwältigend, wie dieser Bericht zeigt.
Lage und Verlauf der „Kärtner Koralmbahn“
Bahnhof von St. Paul im Lavanttal
Fahrplanangebot zwischen Klagenfurt und Wolfsberg
Abschliessend ein Bild aus dem Cityjet-Triebwagenzug
Kommentar
Der neue Bahnhof von St. Paul fügt sich nahtlos in die Reihe der grossartigen neuen Bahnhöfe an der „Kärtner Koralmbahn“ ein wie beispielsweise Grafenstein oder Kühnsdorf-Klopeiner See. Gespannt sind wir auf den Bahnhof Weststeiermark auf der Ostseite des Koralmtunnels, den wir im Bau besichtigt haben und von dem zurzeit nur eine Visualisierung vorliegt.
Nachdem der Koralmtunnel – er wurde infolge der Länge von 33 Kilometern in zwei Röhren gebaut – am 12. Juni 2023 zum ersten Mal von einem Personenzug befahren wurde, darf man sich auf die Eröffnung der gesamten Koralmbahn im Dezember 2025 freuen.
Der Bundesrat hat am 10. Januar 2024 die Botschaft zur Revision des Gütertransportgesetzes verabschiedet.
Fabian Schäfer hat auf Seite 10 der Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 11. Januar 2024 unter dem Titel «Millionen für den Güterverkehr» einen Kommentar publiziert, in dem unter anderem die üppige Dotierung des 2014 eingeführten Bahninfrastrukturfonds (BIF) behauptet wird.
Ich teile diese Auffassung in hohem Masse nicht und möchte meine Meinung in diesem Beitrag darlegen.
Ausgangslage
Der BIF wurde im Rahmen der Vorlage FABI beschlossen. FABI steht für «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur».
Der Bundesrat schlägt vor, die Mittel für die Subventionen des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) aus dem BIF zu finanzieren. In den ersten vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses sollen CHF 260 Millionen investiert werden. Weitere CHF 180 Millionen sind für die Einführung der automatischen Kupplung vorgesehen. Zusätzlich soll der EWLV unbefristet mit CHF 60 Millionen pro Jahr subventioniert werden. Das führt in den nächsten zehn Jahren zu Ausgaben von einer Milliarde Franken.
Und wenn es nach dem Willen des Bundesrates geht, sollen die Einlagen in den BIF 2025 um CHF 300 Mio. und 2026 um weitere CHF 150 Mio. gekürzt werden.
Zum BIF
Martin Stuber hat nach umfangreichen Abklärungen bereits 2017 prognostiziert, dass die Mittel des BIF längerfristig nur noch für die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur ausreichen werden. Das ist keine gute Aussicht.
Zudem bestehen im Schweizer Normalspurnetz weiterhin empfindliche Schwachstellen. Eine Arbeitsgruppe hat vor einigen Jahren eine Liste über die Schwachstellen erarbeitet. Dieser Link führt zur nicht mehr topaktuellen Übersicht: Schwachstellen
Die Finanzierung der von Swiss Railvolution vorgeschlagenen leistungsfähigen Neubaustrecken, im Besonderen das «Verkehrskreuz Schweiz», ist völlig offen und würde gewiss einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Dazu kommt, dass zahlreiche Bahnhöfe der SBB bezüglich Kundenfreundlichkeit zu wünschen offenlassen.
Klare Vorstellungen über den langfristigen Ausbaubedarf liegen nicht mit der notwendigen Verbindlichkeit vor. Zudem verzögert sich die Weiterentwicklung des Normalspurnetzes durch den langwierigen Entscheidungsprozess und die Vielzahl der Mitwirkenden. Das führt dazu, dass die Mittel des BIF oft für fragwürdige Investitionen bei den sogenannten Privatbahnen verwendet werden.
Dazu kommt, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen Infrastrukturausbauten generell zunimmt, und die Baukosten durch die zunehmende Reglementierung ständig steigen.
Kommentar
Der Beitrag von Fabian Schäfer nimmt auf diese Realität nicht nur keinen Bezug, sondern vermittelt ein völlig falsches Bild vom tatsächlichen Finanzbedarf für den Ausbau des schweizerischen Normalspurnetzes. Ich vertrete die Auffassung, dass unser Normalspurnetz im internationalen Vergleich immer weiter zurückfällt.
Die Situation tritt auch in anderen Infrastrukturbereichen auf. Sie ist typisch für alternde Gesellschaften, wo zu viel für den laufenden Betrieb ausgegeben und zu wenig in die Zukunft investiert wird.
In dieses Bild passt auch der folgende Ausschnitt aus dem Interview der NZZ mit Rolf Dörig in der Ausgabe vom 27. Januar 2024.
Die Kreation des BIF erfolgte wohl mit der Absicht, die Finanzierung des Unterhalts und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu gewährleisten. Und nun vergreift sich der Bundesrat beim ersten kühlen Lüftchen an den Mitteln des BIF. Die Frage steht im Raum, ob eine Verfassungsgerichtsbarkeit oder ein (Bundes-) Rechnungshof wie in Deutschland diesen Griff in die Kasse des BIF zugelassen hätten.
Mit der Strecke von Münchendorf nach Wampersdorf wurde im Dezember 2023 das letzte Teilstück des Doppelspurausbaus der «Pottendorfer-Linie» in Betrieb genommen. Das gesamte Projekt wurde in unserem Beitrag vom 9. Januar 2020 eingehend vorgestellt. Hier der Link zu diesem Beitrag: Grossartig – die neue Pottendorfer-Linie und ihre Bahnhöfe | fokus-oev-schweiz
Herzstück der letzten Etappe ist die Umfahrung von Ebreichsdorf und der neue Bahnhof dieser Kleinstadt mit knapp 10’000 Einwohnern. Der neue Bahnhof und die Örtlichkeiten wurden Mitte Januar 2024 eingehend besichtigt. Mehr über die überwältigenden Eindrücke in diesem Bericht.
Ausgangslage
Die ursprüngliche einspurige Strecke führte in einer relativ breiten Schneise durch das Zentrum von Ebreichsdorf. Angeschlossen an den alten Bahnhof war ein grosser Getreidesilo. Die Umgebung von Ebreichsdorf wirkt trotz der Nähe zu Wien verhältnismässig ländlich. Die Regionalzüge von Wien über Ebreichsdorf nach Wiener Neustadt verkehrten stündlich.
Im Rahmen der Modernisierung der «Pottendorfer-Linie» wurde beschlossen, anstelle des Ausbaus der bestehenden Strecke an der ursprünglichen Lage eine etwa zehn Kilometer lange und das Zentrum von Ebreichsdorf umfahrende Neubaustrecke zu bauen. Zudem wurde die Neubaustrecke auf einen etwa fünf Meter hohen Damm gelegt.
Bilder
Nachstehend einige Bilder von der Besichtigung. Für weitere Angaben wird auf die Bildunterschriften verwiesen.
Aufgehobene Strecke durch Ebreichsdorf
Zugang zum neuen Bahnhof von Ebreichsdorf
Zugang zu den Bahnsteigen
Wartebereiche für Fahrgäste und Besucher
Bahnsteige und Gleisanlagen
Ausführungsdetails – vom Allerfeinsten!
Und das berühmte „Tüpfchen“ auf dem „i“
Kommentar
Der etwa 350 Meter vom alten Standort entfernte neue Bahnhof ist mit den über Ebreichsdorf hinaus fahrenden Regionalbussen gut erreichbar. Zudem wurde beim neuen Bahnhof ein grosser Parkplatz gebaut. Auf beiden Seiten des Bahnhofs stehen für Fahrräder geschützte Abstellplätze zur Verfügung.
Die örtlichen Verhältnisse hätten meines Erachtens jedoch auch eine einfachere und günstigere Lösung zugelassen, indem (1) man neben die Bestandesstrecke ein zweites Gleis gelegt hätte und (2) der „alte“ Bahnhof auf vier Geleise ausgebaut und zu einem Verkehrsknotenpunkt erweitert worden wäre. Schallschutzwände hätten die Lärmimmissionen auf ein vertretbares Niveau reduziert.
Mit der Umfahrung und dem neuen Bahnhof von Ebreichsdorf wurde jedoch eine grosszügige und weitsichtige Lösung getroffen, welche in hiesigen Verhältnissen – man denke etwa an den Ausbau des Bahnhofs Liestal oder das Führen der Strecke der SZU durch das neue Stadtquartier „Green City“ in Zürich-Leimbach – undenkbar waren.
Am 16. November 2023 fand im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern die 12. IHRUS-Fachtagung statt. Die vom Verein IHRUS durchgeführte Tagung «Bessere Technik durch neue Rahmenbedingungen» war der Wirkung von verschleissabhängigen Trassenpreisen gewidmet.
An der von rund 180 Teilnehmenden besuchten gehaltvollen Veranstaltung diskutierten Fachleute von Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen mit Vertretern von Industrie und der Fachpresse, wie und mit welchen technischen und organisatorischen Mitteln sich der Verschleiss des Rollmaterials und des Gleisoberbaus reduzieren lässt.
Gerne fassen wir in diesem Bericht nach einer kurzen Vorstellung von IHRUS den Inhalt der spannenden Vorträge und Präsentationen zusammen. Die Darstellungen wurden mit dem besten Dank dem Internet oder den Präsentationen entnommen.
IHRUS
Unter dem Kürzel IHRUS – es steht für «Instandhaltung Rad und Schiene» – besteht seit einigen Jahren ein nicht kommerziell ausgerichteter Verein von Fachleuten aus der Eisenbahnbranche.
IHRUS vereinigt Fachkompetenz, Engagement und Idealismus und verfolgt gemäss der Website des Vereins folgende Ziele:
Sicherstellen eines branchen- und unternehmensübergreifenden Austausches zwischen Fachleuten von Eisenbahnunternehmen, Behörden, Verbänden, Forschung und Industrie.
Offener Austausch zwischen Praktikern und Entscheidungsträgern im Hinblick auf die Erarbeitung von praxistauglichen und innovativen Lösungsansätzen.
Optimierung von Lebenszyklen im Verkehrssystem Eisenbahn.
Ausbau und Verstärkung der Kompetenz bei der Instandhaltung von Fahrzeugen und der Infrastruktur.
Schaffung von Kernkompetenzen im Hinblick auf die Trennung von Infrastruktur und Verkehr.
An den Fachtagungen führt IHRUS Fachvorträge durch und fördert den Austausch unter den Mitgliedern. Seit der Gründung hat sich IHRUS zu einer wirkungsmächtigen und allgemein anerkannten Plattform entwickelt. Durch Kompetenz und Sachlichkeit hat IHRUS wirkungsvoll auf die Wechselwirkung zwischen Schiene und Rad hingewiesen und das Problemverständnis für eine bessere Abstimmung gefördert.
Fachvorträge der IHRUS-Fachtagung 2023
Die Teilnehmenden an der 12. IHRUS-Fachtagung kamen in den Genuss von acht spannenden Fachvorträgen. Längere Pausen zwischen jeweils zwei Vorträgen boten die Möglichkeit zum Austausch mit den Referentinnen und Referenten. Die Unterlagen der Präsentationen, über die wir anschliessend kurz berichten, stehen über die Website von IHRUS zur Verfügung.
In Vertretung von Gilbert Zimmermann von der RhB hält Gerhard Züger (Leiter Produktion und Rollmaterial der Zentralbahn) das einführende Referat. Züger führt aus, dass das Bundesamt für Verkehr (BAV) die Systemführerschaft für die Abklärungen der Interaktion zwischen Fahrzeug und Schiene RAILplus übertragen hat. RAILplus hat als Grundlage ein 400-seitigen Dokument über die bisher gewonnenen Erkenntnisse erstellt. Dieses Dokument wird im nächsten Jahr durch eine VöV-Arbeitsgruppe in eine RTE überführt.
Das BAV unterstützt die von 2022 bis 2026 laufende Untersuchung mit einem Beitrag von rund CHF 20 Millionen. Die Abklärungen erfolgen in acht Teilprojekten. Mitberücksichtigt werden auch die Erkenntnisse der unter der Systemführerschaft der SBB erfolgten Abklärungen im Arbeitskreis «Allianz Fahrweg» für die normalspurigen Bahnen.
Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der stark angestiegene Verschleiss beim Fahrweg und beim Rollmaterial bei Bahnen mit engen Bogenradien unter 250 Metern und bei Fahrzeugen mit erhöhten Achslasten auftritt. Das gilt sowohl bei angetriebenen als auch bei nicht angetriebenen Achsen. Auch die stärkere Motorisierung und die höheren Geschwindigkeiten führen zu einem erhöhten Verschleiss.
Die Reduktion des Verschleisses erfordert ein abgestimmtes Vorgehen, da sich Fahrweg und Fahrzeug während dem gesamten Lebenszyklus gegenseitig stark beeinflussen. Bei dieser fortlaufenden Abstimmung der Massnahmen (Konzeption, Beschaffung, Betrieb, Unterhalt) wird die Methode des Life-Cycle-Managements (LCM) angewendet.
Die heutigen Fahrwerke bei den Meterspurbahnen sind abgesehen von einer einzigen Ausnahme mit einer steifen Radsatzführung ausgestattet. Auch die Werkstoffbeanspruchung der heute verwendeten Stähle von Rad und Schiene hat die Belastungsgrenze erreicht und erfordert neue Legierungen. Angestrebt wäre für Meterspurbahnen eine gemeinsame Fahrwerkplattform mit radial einstellbaren Achsen. Auch die Berührgeometrie zwischen Rad und Schiene sowie die Schmierung der Innenseite der Schienen in Bögen haben ein grosses Potential zur Reduktion des Verschleisses. Die Spurweite von 1’000 Millimetern sollte auf keinen Fall unterschritten werden. Auf geraden und mit höheren Geschwindigkeiten befahrenen Strecken empfiehlt sich eine Spurweite zwischen 1’002 und 1’004 Millimetern.
Gilbert Zimmermann von der RhB postuliert in seinen Unterlagen bei den Meterspurbahnen ein Kompetenzzentrum Rad/Schiene, das die Abklärungen weiterführt und den Informationsaustausch unter den Bahnen sicherstellt.
2. Möglichkeiten optimierter Fahrwerkkonstruktionen im Normal- und Meterspurbereich für eine Reduktion der Rad- und Gleisbelastung
Bruno Meier, Leiter Produktentwicklung Fahrwerke bei Stadler Rail AG, und Roman Assfalg, Teamleiter Fahrwerke für Schmalspur-, Zahnrad- und Spezialfahrzeuge bei Stadler Rail AG, dokumentieren in ihrer Präsentation, dass Stadler auf die Anforderungen der Eisenbahnen reagiert – und zwar sowohl im Meterspurbereich als auch bei der Normalspur.
Die Massnahmen von Stadler werden anhand der Fahrwerke beim Flirt erläutert. So wurde der Drehgestellrahmen seit dem ersten Flirt neu konzipiert. Das Gewicht des heute verwendeten verkürzten und offenen Rahmens wurde um 16 Prozent reduziert. Noch drastischer ist die Gewichtsreduktion des heute teilweise abgefederten Antriebs der Flirt von 4’000 Kilogramm auf 2’670 Kilogramm. Auch die Vergrösserung der Hohlbohrung in der Radsatzwelle auf 90 mm reduziert das Gewicht der Achse um 100 Kilogramm. Verbesserungen wurden auch bei der Schnittstelle zwischen dem Achslager und dem Drehgestell durch neu konzipierte Achslenkerlager erreicht. Bei Strecken mit engen Radien, so Roman Assfalg, lässt sich der Verschleiss durch radial einstellbare Achsen substantiell reduzieren. Die im Vergleich zur Normalspur kleineren Fahrwerke erschweren verschleissmindernde Massnahmen bei Meterspurbahnen. Zudem werden Fahrzeuge für Meterspurbahnen im Vergleich zu denjenigen bei der Normalspur in kleineren Stückzahlen bestellt, was die Kosten für verschleissmindernde Massnahmen pro Fahrzeug verteuert.
Trotz diesen Optimierungen am Fahrwerk braucht eine gute Radialeinstellung immer auch eine geeignete Profilpaarung zwischen Rad und Schiene. Der Verschleiss kann zudem durch gefühlvolles Fahren sowie durch eine gute Adhäsionsregelung spürbar reduziert werden.
Mit der von RAILplus entwickelten «FIMO-Formel» wurde eine in der Branche allgemein akzeptierte Regel zur Ermittlung der Korrelation zwischen dem Verschleisskoeffizienten und dem Produkt aus Radstand und Achslast entwickelt. Generell werden ein möglichst kurzer Radstand und tiefe Achslasten angestrebt. Letztere sind bei gleicher Fahrzeuggrösse nur mit mehr Achsen erreichbar.
Mit einem Überblick über Massnahmen von Stadler zur Reduktion des Verschleisses bei Normal- und Meterspurbahnen schliesst Roman Assfalg seine Ausführungen. Offensichtlich hat Stadler auf die Anliegen der Meterspurbahnen reagiert.
3. Optimierte Fahrzeugkonstruktion bei Siemens
Martin Teichmann, Siemens Mobility, beschäftigt sich seit 35 Jahren mit der Interaktion zwischen Rad und Schiene. Seit vielen Jahren untersucht Teichmann die Wirkung von verschleissabhängigen Trassenpreise auf die Fahrzeugentwicklung. Er stellt fest, dass der Verschleiss im Trassenpreissystem der EU unzureichend berücksichtigt wird. Die Schweiz, so Teichmann, nehme in Europa eine Vorreiterrolle ein. Viele Kurven und hohe Geschwindigkeit haben einen hohen Einfluss auf den Verschleiss.
Minderkosten durch die Reduktion des Verschleisses stehen Mehrkosten bei der Fahrzeugentwicklung und -beschaffung gegenüber. Der Zielkonflikt muss durch das Konzept der Lebenszykluskosten gelöst werden. Wichtig ist auch der interne Zinssatz, mit dem die Einsparungen und die Zusatzaufwendungen auf die Gegenwart diskontiert werden.
Am Beispiel des mit dem Flirt vergleichbaren Mireo-Triebwagenzuges erläutert Teichmann die Massnahmen von Siemens zur Reduktion des Verschleisses. Die Massnahmen zielen in die gleiche Richtung wie bei Stadler, nämlich konsequenter Leichtbau, weiche Fahrwerksrahmen und möglichst kurze Radabstände. Die koordinierten Massnahmen zur Reduktion des Verschleisses haben die Anschaffungskosten pro Fahrzeug zudem um rund EUR 500’000.- gesenkt.
Auch bei den Lokomotiven, so Teichmann, wurden Fortschritte für die Verschleissreduktion erzielt. Bei den weit verbreiteten Vectron-Lokomotiven wurden aktive Drehdämpfer (ADD) eingesetzt. Während der gesamten Lebensdauer der Lokomotive lassen sich dadurch erhebliche Kosteneinsparungen realisieren. Zusammenfassend hält Teichmann fest, dass im Normalspurbereich der Nutzen von verschleissabhängigen Trassenpreisen nicht überbewertet werden darf. Massgebend seien, wie bereits ausgeführt, sei die Geometrie der Strecke (Kurven, Adhäsion, etc.) und die Fahrgeschwindigkeit.
4. Einfluss von Trassenpreis auf die Gleis- und Weichenbelastung bei den SBB
In ihrer Präsentation informieren Claudia Kossmann, Ingo Nerlich und Oliver Schwery über die Auswirkungen des verschleissabhängigen Trassenpreissystems in der Schweiz. Zusammenfassend wird das in der Schweiz applizierte verschleissabhängige Trassenpreissystem als grosser Erfolg bezeichnet. Eine Weiterentwicklung und Verfeinerung des Systems könnten sich lohnen.
Ab 2010 ist die Anzahl der Schienenfehler substantiell gestiegen. Das führte ab 2013 zu einem massiven Anstieg des Aufwandes für die Schienenbearbeitung – seit 2020 wird dreimal mehr gepflegt, um die tiefe Fehlerquote von 2004 zu erreichen.
Eindrücklich, aber auch nachdenklich stimmend, ist die Entwicklung des Substanzerhalts für die Fahrbahn seit 2017. Die Aufwendungen für die Erneuerung und den präventiven Unterhalt haben sich gegenüber dem kurativen Unterhalt relativ zurückgebildet.
5. Berücksichtigung der Trassenpreise bei der Beschaffung von Streckenlokomotiven
Thorsten Teigeler, verantwortlich bei SBB Cargo AG für die Beschaffung von neuen Streckenlokomotiven für den Güterverkehr, erläutert die Kriterien für die Selektion der neuen Lokomotiven. Dabei kommt den Kosten für die Trassen und die Energie eine hohe Bedeutung zu, betragen diese Kosten doch mehr als die Hälfte der Lebenszykluskosten eines Fahrzeuges aus. Der Anteil der Trassenkosten macht rund dreissig Prozent der gesamten Lebenszykluskosten aus. Diesem Sachverhalt wurde bei den bisherigen Beschaffungen kaum Beachtung geschenkt. Unterschiedliche Kosten für den Verschleiss fallen dabei deutlich ins Gewicht, wie die folgende Übersicht zeigt. Bei 120’000 Kilometer Laufleistung pro Jahr und bei 30 Betriebsjahren können unterschiedliche Kosten für den Verschleiss im Trassenpreis sehr wohl CHF 500’000.- ausmachen.
Im Zeitraum von 2027 bis 2035 besteht bei SBB Cargo AG ein Ersatzbedarf von rund 130 Streckenlokomotiven. Dabei fällt die Reduktion der Lebenszykluskosten von CHF 500’000.- pro Lokomotive sehr wohl ins Gewicht.
Problematisch fällt bei der Beschaffung ins Gewicht, dass die Schweiz gemäss Teigeler das einzige Land in Europa ist, bei dem Verschleisskomponenten im Trassenpreis berücksichtigt werden. In Europa wird nur das Gewicht der Lokomotive bei der Festlegung der Trassenpreise berücksichtigt. Die europäischen Hersteller legen deshalb geringes Gewicht auf verschleissarme Lokomotiven, sondern konzentrieren sich auf den Energieverbrauch und – wie erwähnt – auf das Gewicht der Lokomotiven.
Angesprochen auf die Möglichkeit, dass verschleissarme Lokomotiven möglicherweise nicht erhältlich sind und auf Standardprodukte ausgewichen werden muss, reagiert Teigeler mit einem resignierten Achselzucken.
6. Berücksichtigung der Trassenpreise bei der Beschaffung von Triebfahrzeugen
Reto Wagner und Stephan Maurer, bei der BLS AG verantwortlich für die Beschaffung von Triebfahrzeugen, informieren, wie die BLS die Verschleisskomponente im Trassenpreis für Triebfahrzeuge berücksichtigen. Dieser Aspekt wurde nicht nur bei der Neubeschaffung von Triebfahrzeugen berücksichtigt, sondern auch durch die erwogene Anpassungen bei der bestehenden Fahrzeugflotte. Bei einer Restlebensdauer von zehn Jahren wurden Anpassungen an den Fahrzeugen geprüft. Bei kürzeren Restlebensdauer wurden Anpassungen ausgeschlossen.
Bei bestehenden Fahrzeugen wurden als einzige Optimierungsmöglichkeiten a) die aktive Ansteuerung der Radsätze und b) hydraulische Achslenklager in Erwägung gezogen. Bei den «Lötschbergern» führten die Abklärungen zu einem negativen Ergebnis. Bei den in den letzten Jahren bei der Firma Stadler Rail AG beschafften Mutz-Triebwagenzüge ergaben die Abklärungen hingegen ein positives Ergebnis, weshalb in den kommenden Jahren hydraulische Achslenklager eingebaut werden, und zwar im Rahmen der laufenden Revisionen. Je nach der befahrenen Strecke ergeben sich beträchtliche Einsparungen, im Durchschnitt CHF 390’000.- pro Jahr und Fahrzeug.
Bei den vor der Beschaffung stehenden Flirt-Triebwagenzügen «MIKA» floss der Verschleiss als Kriterium ein. Die Einhaltung der Zusicherungen durch den Lieferanten wird regelmässig geprüft. Dabei wird ein über den Vereinbarungen liegender Verschleiss mit Pönalen geahndet. Im Gegenzug werden bei geringerem Verschleiss Bonuszahlungen an den Lieferanten fällig. Dieses einvernehmliche Konstrukt hat den Lieferanten dazu bewogen, besonderes Augenmerk auf verschleissarme Fahrzeuge zu legen.
7. Belastung der Strasseninfrastruktur durch den Schwerverkehr
In einem spannenden Referat stellt Cédric Vuilleumier vom Bundesamt für Strassen ASTRA nach einem Überblick über das schweizerische Nationalstrassennetz die Bestimmungen und die Prozesse bei überschweren Strassentransporten vor. Beeindruckt nehmen die Anwesenden von den komplexen und teilweise wenig systematischen Verfahren für die Genehmigung und die Durchführung von überschweren Strassentransporten Kenntnis. Dabei zeigen sich die Grenzen unserer föderalen Strukturen. Nicht nur der Schienenverkehr, sondern auch der Güterverkehr auf der Strasse ist mit komplexen Genehmigungsverfahren konfrontiert.
Anhand von Fallbeispielen erläutert Vuilleumier die geschilderten Probleme. Besonders geregelt sind Sondertransporte durch die grossen Strassentunnels durch die Alpen. Das Bundesamt für Strassen ist bestrebt, die Transparenz des Verfahrens für Antragsteller mit einem Onlineportal zu erhöhen. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass besonders schwere Transporte umfangreicher Vorabklärungen bedürfen und Einhaltung der Fahrroute beispielsweise auf Kunstbauten wie Brücken minutiös festzulegen und einzuhalten ist. Durchschnittlich erfolgen schweizweit pro Werktag zwischen 120 bis 150 Sondertransporte.
8. Rollmaterial Instandhaltung von Übermorgen
Dr. Joël Luc Cachelin, Zukunftsforscher bei wissensfabrik.ch, und Frieder Tallafuss von PROSE, skizzieren Szenarien für die zukünftige Entwicklung der Instandhaltung von Rollmaterial. Mehrere Faktoren wie Standardisierung des Rollmaterials, Fachkräftemangel und komplexere Fahrzeuge könnten den Prozess der Instandhaltung tiefgreifend und wie folgt verändern:
Trennung von Betrieb und Wartung, unter anderem durch die Shared Economy.
Vereinheitlichung und Standardisierung der Fahrzeugflotten.
Nutzung des Potentials für Effizienzsteigerungen bei der Wartung und beim Unterhalt.
Optimierung bzw. Reduktion der Standzeiten von Fahrzeugen.
Dezentralisation von Wartung und Unterhalt.
Sich selbst überwachende und Störungen unmittelbar kommunizierende Fahrzeuge, welche im Anschluss auch den notwendigen Reparaturbedarf automatisch anfordern.
Voraussetzungen für diese Veränderung ist ein verstärkter Einsatz von IT-Instrumenten und die Entstehung von adäquaten Servicefirmen. Effiziente Prozesse bei der Wartung und beim Unterhalt sind zudem auch kostengünstiger und ökologisch nachhaltiger.
Zusammenfassung und Abschluss
Gerhard Züger fasst abschliessend den Verlauf und die Ergebnisse der interessanten Fachtagung kurz zusammen. Die diskutierten Probleme sind komplex. Zwischen der Normalspur und der Schmalspur bestehen in verschiedener Hinsicht beträchtliche Unterschiede. Die Erfahrungen lassen sich nicht ohne weiteres übertragen.
Bei der weiteren Entwicklung sind auch die Trends in der EU zu berücksichtigen. Wie auf anderen Gebieten unterliegen Massnahmen für Verbesserungen bei der Wechselwirkung zwischen Schiene und Rad wirtschaftlichen Sachzwängen – angezeigt ist nur, was sich wirtschaftlich lohnt. Und nicht nur die Eisenbahnindustrie, sondern auch der Strassenverkehr ist mit verworrenen Prozessen konfrontiert.
Die nächste Tagung findet am 14. November 2024 wiederum im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern statt.
Der Abschnitt zwischen Fideris und Küblis ist wohl die gravierendste Schwachstelle der Strecke der RhB zwischen Landquart und Klosters.
Erfreulicherweise soll diese Schwachstelle in den kommenden Jahren eliminiert werden. Das grosszügige Ausbauprojekt besteht aus einem etwa 1.4 Kilometer langen Tunnel und einer Reihe von Kunstbauten im Abschnitt zwischen Äuli und Dalvazza.
Ein spannendes und seit vielen Jahren erwartetes Projekt, das wir in diesem Bericht gerne vorstellen.
Ausgangslage
Die Streckengeschwindigkeit im engen und kurvenreichen Tal der Landquart beträgt abschnittsweise nur noch 40 km/h bzw. 45 km/h. Während Hitzetagen im Sommer muss die Geschwindigkeit wegen Gleisverwerfungen manchmal sogar auf 30 km/h reduziert werden. Und das für die bis zu 120 km/h schnellen Capricorn-Triebwagenzüge der Rhätischen Bahn.
Im Zuge des Ausbaus der Strecke der RhB wird zwischen Fideris und Küblis auch die Lücke der Nationalstrasse A28 geschlossen. Im Gegensatz zur Bahn wird die neue zweispurige Strasse oberirdisch durch das wilde Tal geführt. Die heutige Strasse wird als Lokalstrasse ebenfalls neu erstellt und dient als Ersatz für den Radweg.
Die oben erwähnten Kunstbauten umfassen auch die Brücken für diese Strassen. Die bald hundertjährige baugeschichtlich wichtige Brücke unterhalb der Strahlegg wird ins Projekt integriert.
Abschnitt Fideris-Äuli
Zwischen Fideris und Äuli wird die Bahn in einen rund 1.4 Kilometer langen gestreckten Tunnel verlegt. Zu diesem Zweck muss der bestehende Bahnhof von Fideris in südlicher Richtung um einige Meter verschoben werden. Da die Züge auf der Doppelspurinsel bei Pragg-Jenaz und im Bahnhof Küblis gut kreuzen können, bestand kein Bedarf nach einem Ausbau auf Doppelspur.
Wie erwähnt wird die Nationalstrasse A28 in diesem Abschnitt oberirdisch geführt. Wegen der Gefahr durch Hochwasser wird die Strasse etwas höher gelegt. Denkbar – aber bedeutend teurer zu bauen und zu unterhalten – wäre auch für die neue Nationalstrasse wie bei der Bahn eine Tunnellösung gewesen.
Abschnitt Äuli-Dalvazza (-Küblis)
In diesem Abschnitt sind sowohl für die Bahn als auch für die Strassen mehrere Kunstbauten erforderlich. Dazu wurde im ersten Halbjahr 2023 ein «Einstufiger anonymer Projektwettbewerb» durchgeführt. Die Jurierung durch das Preisgericht unter der Leitung von Christian Florin, Leiter des Bereichs Infrastruktur der RhB, erfolgte am 24. August 2023. Zu beurteilen waren «nur» vier Projekte. Die Jury entschied sich nach einer intensiven Diskussion einstimmig für das Projekt «Strahlegg», das von einem Team bestehend aus (a) der Ingenieurgemeinschaft Casutt Wyrsch Zwicky AG, Chur, (b) Chitvanni+Wille GmbH, Chur, (c) Gredig Walser Architekten AG, Chur, und (d) Grand Paysage GmbH, Basel, erarbeitet wurde.
Die Projekte und die Ergebnisse des Wettbewerbs wurden am 31. Oktober 2023 an der Fachhochschule Chur durch Karl Baumann, Leiter Kunstbauten bei der RhB, präsentiert. An dieser spannenden und auch für Laien gut verständlichen Präsentation wurde rasch klar, mit welch hohen Anforderungen die Teilnehmer am Wettbewerb konfrontiert waren. Dies erklärt auch die relativ geringe Zahl der eingereichten Vorschläge. Karl Baumann stellte einleitend fest, dass vier hochwertige Beiträge eingereicht wurden.
Das Preisgericht formulierte seine Anforderungen wie folgt: «Die Kunstbauten sollten im Sinne der Zielsetzung des Wettbewerbs eine umfassend überzeugende Lösung der Aufgabe darstellen, in welche technische, wirtschaftliche, kontextuelle und landschaftsarchitektonische Überlegungen in durchdacht ausgewogener Gewichtung einfliessen.» (Auszug aus dem Bericht des Preisgerichts). Beurteilt wurden diese Erwartungen anhand folgender Kriterien:
Gestaltung, Einbindung in die Landschaft
Baukosten, Wirtschaftlichkeit, Unterhalt
Robustheit, Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Nachhaltigkeit
Realisierbarkeit, Bauverfahren, Bauzeit
Statisch-konstruktive Konzeption.
Das Siegerprojekt überzeugt gemäss der Jury sowohl in technischer als auch in gestalterischer Hinsicht. Es verzichtet im mittleren Bereich auf die Platzierung der Bahnlinie auf eine Stützmauer neben der Nationalstrasse zugunsten einer zusätzlichen und leicht wirkenden, etwas tiefer liegenden und leicht abgesetzten Brückenkonstruktion. Dadurch wird der Eingriff in das enge Flusstal reduziert.
Das Projekt «Slap Shot» erhielt den zweiten Preis, und den dritten Preis teilten sich die Projekte Freier Fluss» und «Überdüür».
Realisierung
Die Leitung des anspruchsvollen Gesamtprojekts «Ausbau Fideris – Küblis» wurde Andri Nicolay, RhB, anvertraut. Projektträger sind neben der RhB das Tiefbauamt des Kantons Graubünden und das Bundesamt für Strassen ASTRA. Nicht nur bei der Planung und der Leitung des Projekts stellen sich grosse Herausforderungen, auch beim Bau und bei der Logistik der Baustellen werden von den mitwirkenden Unternehmen Höchstleistungen abverlangt.
Folgende Meilensteine sind vorgesehen:
Ausarbeitung Bauprojekt 2024/2025
Baubeginn 2027
Inbetriebnahme neue Bahnstrecke 2032 (Brücken, Tunnel, Anschlüsse, etc.)
Inbetriebnahme Strassen 2034.
Die Kosten für das gesamte Projekt – Strasse und Bahn – betragen aus heutiger Sicht CHF 325 Mio. (inkl. MWST). Da sich aber erst um ein Vorprojekt handelt, bewegt sich die Kostengenauigkeit in einer Bandbreite von plus/minus zwanzig Prozent.
Die Erarbeitung des eigentlichen Bauprojekts startet im Frühling 2024. Dabei wird auch der Kostenvoranschlag detailliert. Der definitive Kostenvoranschlag soll bis im Herbst 2025 in einer Bandbreite von plus/minus zehn Prozent vorliegen.
Klimawandel und Naturgewalten in den Alpen – was bedeutet das für die Bahnen und wie gehen sie mit diesen Herausforderungen um? Dies die Thematik einer weiteren interessanten und hoch aktuellen Exkursion der Bahnjournalisten Schweiz.
Reiseleiter Kurt Metz hat es einmal mehr verstanden, ein anspruchsvolles und intensives Programm zusammenstellen. Seine Bemühungen haben neben der grosszügigen Unterstützung durch die involvierten Bahnen und dank kompetenten Referentinnen und Referenten entscheidend zum grossen Erfolg dieser Exkursion beigetragen.
Überblick zu den aktuellen und zukünftigen klimatischen Herausforderungen im Alpenraum
Nach der Begrüssung durch Kurt Metz in einem Sitzungszimmer der BLS im Bahnhof Spiez prognostiziert Dr. Regula Mülchi, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, in ihrem Referat, wie sich das Klima in der Schweiz bis 2100 mutmasslich verändern wird. Dr. Mülchi zeigt anhand einer Grafik die dramatischen Veränderungen des Klimas in unserem Land seit 1981 und die sich daraus ergebenden Auswirkungen.
Ohne einschneidende Klimaschutzmassnahmen wird sich der Klimawandel verstärkt fortsetzen. So könnte sich die mittlere Temperatur bis zur Jahrhundertwende gegenüber heute um bis zu 4.3 Grad erhöhen. Neben einer starken Zunahme der Hitzetage und einem Anstieg der Schneegrenze in höhere Lagen wird die Niederschlagsmenge im Sommer ab- und im Winter zunehmen. Der Wassermangel im Sommerhalbjahr könnte vor allem der Landwirtschaft grosse Probleme bereiten.
Mit griffigen Klimaschutzmassnahmen liesse sich die Erhöhung auf 1.2 Grad beschränken. Allerdings, so führt Dr. Mülchi auf Anfrage aus, handelt es sich bei den Klimaschutzmassnahmen um weltweit erforderliche Massnahmen.
Schutzmassnahmen und Krisenmanagement bei der BLS
Nach den Ausführungen von Dr. Mülchi begrüsst Nicole Viguier, Fachspezialistin Naturgefahren bei der BLS, die Anwesenden und leitet zum Infoblock der BLS über. Sie fasst in wenigen Worten die Wichtigkeit der Schutzmassnahmen für die BLS zusammen und weist auf die Bedeutung des Schutzwaldes für den Schutz der Bahninfrastruktur hin. Schutzmassnahmen durch den Wald sind mit dem Landschaftsbild gut vereinbar und kostengünstiger. Bauliche Massnahmen kosten bei gleicher Schutzwirkung rund zehnmal mehr als die Pflege und der Unterhalt des Schutzwaldes.
Im Anschluss an die Erläuterungen von Nicole Viguier fahren wir mit der Bahn nach Hohtenn, wo uns Ferdinand Pfammatter, Forstwart bei der BLS, zur Besichtigung der Schutzmassnahmen und des Risikomanagements entlang der Lötschberg-Südrampe erwartet. Im Gegensatz zu den Schwesterbahnen im Gebirge, so Pfammatter, stellt die BLS die Schutzmassnahmen weitgehend mit eigenen Mitteln sicher. Auf beiden Seiten des Lötschberg-Scheiteltunnels kümmert sich eine achtköpfige Equipe um die Schutzmassnahmen.
Die schutzbezogenen Massnahmen, so Pfammatter, konzentrieren sich vor allem auf die Pflege und den Unterhalt des Schutzwaldes sowie auf den Schutz des Waldes selbst vor Feuer. Die grösste Waldbrandgefahr stammt von den klassischen Bremsen der Eisenbahnwagen. Dieses Risiko ist dank dem Verkehrsrückgang auf der Bergstrecke, neuen Bremssystemen und Bremskötzen aus Verbundmaterial stark zurückgegangen.
Die Bedeutung des Schutzwaldes wurde bereits beim Bau der BLS oder kurz nach der Betriebsaufnahme erkannt. So hat die BLS viele Waldparzellen entlang der Eisenbahnstrecke mit den dazu gehörenden Wasserrechten gekauft und unzählige Bäume neu gepflanzt. Sorgen bereitet der Rückgang des über die Suonen herangeführten Wassers (Suonen sind künstliche Bewässerungskanäle). Der Rückgang wird sich durch das Abschmelzen der Gletscher verstärken.
Grosse Sorgen bereitet auch der Sachverhalt, dass der Temperaturanstieg und der Wassermangel die traditionell angepflanzten Baumarten absterben lassen. Die BLS hat dies schon früh erkannt und in den schwierigen Bedingungen überlebensfähige Baumarten angepflanzt. Für die Förster der BLS führt dies zu heiklen Entscheidungssituationen, so etwa bei der Bestimmung der neuen Baumarten und deren Einpflanzung. Dabei fällt die Wahl oft auch auf ausländische Baumarten. Pfammatter erwartet einen Anstieg der Klimazonen und der Baumgrenze bis 2100 um bis zu 700 Metern. Das wird den Wandel beschleunigen.
Der Brandschutz geniesst unter den Schutzmassnahmen eine besondere Aufmerksamkeit. Waldbrände unterhalb der Strecke gefährden den Betrieb, und solche oberhalb der Strecke können den Schutzwald vernichten. Löschaktionen, so schildert Pfammatter an einem konkreten Fall, erfordern Sofortmassnahmen und massive Mittel. Bei der Brandverhütung arbeitet die BLS eng mit lokalen Stellen zusammen. Zur Bestimmung der Feuergefahr wird im Kanton Wallis die weltweit verwendete kanadische Software «Incendie» eingesetzt. Anhand von zahlreichen Parametern wird kantonsweit für rund ein Dutzend Zonen die Feuergefahr errechnet.
Am Schluss seiner spannenden Ausführungen erläutert Pfammatter Inhalt und Ziele eines umfassenden und langfristig angelegten Klimaprojekts. Er stellt erleichtert fest, dass die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für die Problematik des Klimawandels in den letzten Jahren zugenommen hat, und bedankt sich für das Interesse.
Schutzmassnahmen und Krisenmanagement bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn MGB
Nach der Weiterfahrt von Hohtenn nach Brig steigen wir auf dem Bahnhofplatz in einen Zug der MGB. Hier begrüssen uns Fernando Lehner, Unternehmensleiter der MGB, und Jan Bärwalde, Vertreter der Unternehmenskommunikation der MGB. Fernando Lehner hat es sich als CEO der MGB nicht nehmen lassen, uns auf der Fahrt von Brig nach Visp zu begleiten.
Nach einer kurzen Vorstellung der komplexen Strukturen der BVZ-Holding, zu welcher drei unter der Bezeichnung MGB firmierende Tochtergesellschaften gehören (Betrieb, Management, Infrastruktur), weist Lehner darauf hin, dass die Infrastrukturbelange der MGB in ein eigens dafür gegründetes Unternehmen ausgegliedert wurden, das vollständig vom BAV finanziert wird. In der MGB sind die Klimaproblematik und der Schutz der Infrastruktur hoch aktuell. Mit Genugtuung betont Lehner, dass die MGB wegen der guten Schutzmassnahmen in den letzten Jahren vor grösseren Schäden verschont geblieben ist. Bemerkenswert – und im Gegensatz zur öffentlichen Meinung – sind die Risiken im Sommer höher als im Winter.
Die Planung für den Bau des direkten Tunnels von Täsch nach Zermatt ist weit fortgeschritten. Die Finanzierung des Projekts über den Bahninfrastruktur-Fonds BIF ist gesichert. Der rund 4.1 Kilometer lange Tunnel wird einspurig gebaut und verfügt in der Tunnelmitte über eine 1.8 Kilometer lange Ausweichstelle. Dank dem Tunnel können die Züge im Adhäsionsbetrieb verkehren, wodurch sich die Fahrzeit zwischen den beiden Orten von zwölf auf sechs Minuten halbiert. Der Bau des Tunnels drängt sich aber auch aus Sicherheitsgründen auf. Auf Anfrage führt Lehner aus, dass neben der Bahn auch die Strasse von Täsch an den Ortsrand von Zermatt als Rückfallebene bei Störungen im Bahnbetrieb wintersicher sein muss. Sie bleibt jedoch für den privaten Verkehr gesperrt.
Am Ende seiner Ausführungen weist Lehner auf weitere bedeutende Projekte in der Region hin, wie etwa die anstehende Modernisierung des Furka-Basistunnels oder das Geothermieprojekt im Bedretto-Stollen.
Gemäss Schätzungen von SRF kostet der Tunnel CHF 327 Mio. Dieser Betrag reduziert sich durch den Wegfall von kapitalisierten Unterhaltskosten für die heutige Strecke etwa um die Hälfte.
Nach dem Eintreffen in St. Niklaus versammeln wir uns in einem Sitzungszimmer der Raiffeisenbank Mischabel-Matterhorn. Jan Bärwalde ist froh über das steigende Interesse an der Klimaproblematik. Das Streckennetz der MGB, so Bärwalde ist gut geschützt, auf besonders gefährdeten Teilstrecken sogar mehrfach.
Nach diesen Vorbemerkungen begrüsst uns Daniel Siegen, Anlagenmanager Kunstbauten und Naturgefahren der MGB. Er wird den weiteren Verlauf der Präsentation mit Claudia Holenstein vom Ingenieurbüro Hottinger, und Aline Fetzer vom Ingenieurbüro Ravina & Partner AG bestreiten.
Nach einer kurzen Vorstellung der Matterhorn-Gotthard Bahn und der ebenfalls der BVZ Holding gehörenden Gornergrat Bahn stellt uns Siegen anhand eines Schemas des BAV das «Integrale Risikomanagement IRM» vor, mit dem Schutzmassnahmen berechnet und priorisiert werden. Bis zur Einführung dieser neuen Methode erfolgten Schutzmassnahmen aufgrund konkreter Naturgefahren. Mit dem IRM werden die Kosten der potenziellen Schäden von Naturereignissen entlang der Strecken umfassend berechnet, wobei neben den Schäden an der Infrastruktur und an Fahrzeugen auch die Ausfälle durch Betriebsunterbrüche, Personenschäden wie Verletzungen oder Todesfälle und Folgeschäden berücksichtigt werden. Den so ermittelten Gesamtkosten werden die Kosten der Schutzmassnahmen gegenüber gestellt. Dabei beschränken sich Massnahmen primär auf Fälle, bei denen die Kosten der Schutzmassnahmen tiefer sind als die Kosten der potenziellen Ereignisse.
Bei der Risikoabwehr arbeitet die MGB mit externen Partnern zusammen und pflegt einen engen Austausch mit anderen Gebirgsbahnen sowie mit dem BAV und dem BAFU. Die Infrastrukturgesellschaft MGB erhält vom Bund für alle Bauvorhaben durchschnittlich etwa CHF 80 Mio. pro Jahr.
Claudia Holenstein erläutert die Methode des IRM als fundamentalen Paradigmenwechsel in der Schweiz – von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement. Die Methode ist in der vom Bund 2018 veröffentlichten Publikation Planat (Plattform Naturgefahren) detailliert beschrieben. Dazu dieses Schaubild aus der Präsentation von Holenstein.
Nach dieser Einführung erläutert Holenstein die Anwendung der IRM bei der MGB. Insgesamt wurden auf den Strecken 328 Gefahrenstellen identifiziert, die mit einer rollenden Planung abgearbeitet werden. Nicht jede Gefahr, so unterstreicht Holenstein ihre Ausführungen, bedeutet auch ein hohes Risiko.
Nach dieser theoretischen Einführung stellt uns Aline Fetzer vom Ingenieurbüro Rovina + Partner AG zwei Fallbeispiele aus der unmittelbaren Umgebung von St. Niklaus vor, nämlich (1) den Abbau eines gewaltigen Felsblocks im Gebiet Chalchofen über St. Niklaus im vergangenen Jahr und die 2023 erstellte Analyse der Sturzgefahren aus dieser Gefahrenzone sowie (2) die Untersuchung des Felssturzes Medji von 2002. Im Anschluss an ihre Präsentation zeigt uns Fetzer auf einer Wanderung ins Gelände oberhalb des Dorfes den zum Schutz des Dorfes errichteten gewaltigen Damm.
Beim Abstieg vom Damm erklärte mir Fetzer auf Anfrage, dass man für das Hochrisikogebiet «Grosser Graben» östlich von St. Niklaus – im Bereich des Mittelbergs und des Breithorns sind alle Bergwege gesperrt – keine Lösung habe.
Am Folgetag begrüsste uns Daniel Siegen in Andermatt und informierte einleitend kurz über den Ausbau der Bahninfrastruktur im Urserental. So sollen der Bahnhof umgebaut und eine ursprünglich in Hospental geplante Werkstatthalle neu im Raum Andermatt errichtet werden. Dabei handelt es sich um langfristige Vorhaben, deren Planung drei bis vier Jahre beansprucht, während die Realisierung zwei bis drei Jahre dauern wird.
Nach der Einführung präsentiert René Hildbrand Massnahmen für den Hochwasserschutz im Urserental. Beim Jahrhunderthochwasser 1987 wurden der Kanton Uri und das Urserental stark verwüstet. Zahlreiche Massnahmen wurden zum Schutz vor ähnlichen Katastrophen getroffen. Sorgen bereitet die relativ tief liegende Brücke der MGB über die Unteralpreuss bei Andermatt. Infolge der Topografie kann die Brücke nicht höher gelegt werden, obschon der Wasserstand bei Hochwasser die Brücke gefährden könnte. Deshalb wurde in den Räumen der ETH in Zürich ein Geländemodell im Massstab 1:10 konstruiert, mit dem die Situation bei Hochwasser simuliert werden konnte. Als Konsequenz wurde neben dem Flussbett der Unteralpreuss ein virtuelles zweites Flussbett konzipiert, in das bei Hochwasser überflutende Wassermenge abgeleitet werden könnte. Dabei wurden neben zahlreichen anderen Massnahmen unter Neubauten grosse Öffnungen für den Durchfluss des Wassers gebaut. Bei vielen Massnahmen müssen auch ökologische Bedingungen, beispielsweise für den Schutz der Fische, eingehalten werden. Auch der Schutz des Grundwassers wurde gemäss einem kürzlich publizierten Entscheid des Bundesgerichts verschärft.
Auf dem Oberalppass erläutert Damian Steffen von der Firma geoformer igp AG anhand der Bahnstrecke entlang dem Oberalpsee, wie diese gegen Lawinen geschützt wird. Aus dem Inventar der Gefahrenstellen wird die Schutzdringlichkeit pro Gefahrenstelle ermittelt. An diese Abklärungen folgt die Massnahmenplanung im Anrissgebiet wie Lawinenverbauungen, Aufforstungen oder Sprengmasten für die künstliche Auslösung von Lawinen. Die Bahnstrecke kann unter anderem durch Galerien, Dämme oder Schutzwände gegen die Schneemassen geschützt werden. Dazu kommen bei grosser Gefahr organisatorisch/technische Massnahmen wie Sperrungen oder Alarmsysteme. Anhand von konkreten Beispielen erläutert Steffen das Vorgehen auf einzelnen Streckenabschnitten. Grössere Projekte stehen auch im Urserental für den Schutz von Strasse und Schiene gegen Lawinen an. Damit soll die Verfügbarkeit der Verkehrsverbindungen zwischen Andermatt und Realp auch bei extremen Schneelagen gewährleistet werden.
Herausforderungen Naturgefahren – Analyse der Gefährdung und Schutzmassnahmen bei den SBB
Zwischen der Präsentation des Hochwasserschutzes in Andermatt und dem Schutz vor Lawinen auf dem Oberalppass präsentieren uns Marc Hauser, Leiter Naturgefahren bei den SBB, und sein Mitarbeiter, Heinz Müller, wie und mit welchen Mitteln die Bundesbahnen ihre Infrastrukturen vor Naturgefahren schützen. Bei der Überwachung der Gefahrenstellen kommen seit einigen Jahren Drohnen zum Einsatz. Als «verlängertes Auge» ermöglichen sie die rasche und sichere Überwachung von Gefahrenzonen. Die auf den mit GPS präzise festgelegten Flugrouten periodisch gemachten Aufnahmen werden mit einer speziellen Software analysiert und ermöglichen solide Aussagen über Geländeveränderungen, ohne dass sich Menschen in die Gefahrenzonen begeben müssen. Bemerkenswert ist gemäss Müller, dass sich 80 Prozent der Umweltschäden in urbanem Gebiet ereignen und auf menschliche Eingriffe zurückzuführen sind.
Hauser stellt in seinem Referat das risikobasierte Risikomanagement im Spannungsfeld des Klimawandels vor. Die Auswirkungen stellen sich weit schneller ein als befürchtet. Seit 1970 hat die mittlere Jahrestemperatur in der Schweiz stark zugenommen.
Die Schweiz ist im europäischen Vergleich wegen der Topografie besonders stark betroffen. Vierzig Prozent der Strecken der SBB sind gefahrenexponiert. Allein auf der Gotthard-Nordrampe der SBB befinden sich 3’000 schützenswerte Objekte.
Die SBB messen dem Schutz vor Naturgefahren grosse Bedeutung zu und wenden pro Jahr über CHF 30 Mio. für Schutzbauten auf. Bei der Analyse der Risiken setzen die SBB stark auf GIS-gesteuerte Risikomodellierung. Die Fortschritte und die Präzision der Satellitenaufnahmen sind enorm. Sie lassen Geländeveränderungen im Millimeterbereich erkennen. Besonders gefährdet im Kanton Uri ist das Massiv der beiden Windgällen. Hier verschieben sich grosse Gesteinsmassen über fünf Millimeter pro Jahr. Ganz wichtig ist, dass Risikosituationen mit Warn- und Alarmsystemen begegnet werden kann. Flankierend kommt die Geosensorik zum Einsatz. Anhand von atemberaubenden konkreten Beispielen aus der Praxis erläutert Hauser die Umsetzung von ein paar Massnahmen im Gelände. Abschliessend stellt Hauser eine gegenläufige gesellschaftliche Entwicklung im Spannungsfeld des Klimawandels fest – einer Zunahme der Risiken und der Kosten der Schutzmassnahmen steht eine abnehmende Risikotoleranz der Bevölkerung entgegen.
Die ausgefeilten technischen Hilfsmittel machen die Lagebeurteilung durch den Menschen der Risikosituationen keineswegs obsolet. Die besonders gefährdeten Stellen werden regelmässig im Gelände und aus der Luft von Experten beurteilt. Ein Helikopterflug von Andermatt zum Oberalpass verschafft die Möglichkeit, sich von der furchterregenden Gefahrenzone bei den Windgällen persönlich ein Bild zu machen.
Herausforderungen Naturgefahren – und wie geht die RhB damit um?
Nach der Fahrt vom Oberalppass nach Ilanz begrüsst uns Simon Rageth, Bereich Kommunikation der RhB, zum Infoblock der RhB. Rageth führt aus, dass die RhB als Gebirgsbahn den Naturgefahren stark ausgesetzt ist. Über dreissig Prozent des Streckennetzes liegen über 1’500 Meter über Meer. In den letzten 130 Jahren hat die RhB eine reiche Erfahrung im Umgang mit Naturgefahren und Schutzmassnahmen erworben. Die Länge der Schutzmassnahmen entlang der Strecken der RhB beträgt 62 Kilometer (Streckennetzlänge ca. 400 km). Manche der Massnahmen sind von Auge kaum erkennbar. Auch die RhB schätzen den Schutzwald als wirksame und kostengünstige Massnahme. Die RhB lassen sich dem Schutz ihrer Infrastruktur viel kosten, nämlich jährlich fast CHF 8 Mio.
Gilbert Zimmermann, Leiter Bahndienst Nord der RhB, führt mit einem kurzen Film in die Problematik ein. Am Beispiel der Brücke über den Carrerabach beschreibt Zimmermann eine besonders kritische Gefahrenstelle. Seit ihrem Bau vor rund zwanzig Jahren wird die Brücke regelmässig überflutet. Vor einigen Jahren fuhr ein Zug auf einen Schuttkegel und entgleiste. Die Räumung der Brücke und die Wiederherstellung der Bahnanlage verursachen jedesmal Kosten von etwa CHF 400’000.-. Ein dauerhafter Schutz gegen die Überflutung der Brücke wäre nur mit unverhältnismässig hohen Kosten möglich. Oft kann die Wassermenge und die Menge des darin mitgeführten Gerölls kurzfristig stark anschwellen. Die Gefahr wird durch Überwachungs- und Alarmsysteme ständig beobachtet. Zusätzlich überwachen bei Unwettern zwei Mitarbeiter der RhB die besonders exponierten Gefahrenstellen. Trotz dem fortgeschrittenen Einsatz von technischen Überwachungssystemen werden alle Strecken der RhB regelmässig von Fachleuten zu Fuss begangen – im Sommer alle zwei und im Winter alle vier Wochen. Zimmermann hält fest, dass sich die Perioden der Grossereignisse, wie beispielsweise die Jahrhundertereignisse, dramatisch verkürzt haben – teilweise um den Faktor 10. Erstaunlich ist, dass die Schäden von plötzlich auftretendem Starkregen bei trockenen Böden höher ausfallen als bei feuchtem Untergrund.
Das Flussbett des Carrerabachs wird regelmässig ausgebaggert. Die enormen Mengen von Kies dürfen aber nur bei gewissen Bedingungen in den Rhein geschüttet werden. Bei Sperrzeiten muss der Kies weggeführt und anderweitig abgelagert werden. Zurzeit kann der Kies für die Hinterfüllung der in der Nähe liegenden «Aulta»-Galerie verwendet werden. Zu diesem Zweck wurde ein provisorischer Bahnanschluss geschaffen.
Am Beispiel der Galerie «Aulta» in der Ruinalta erläutert Markus Kunz, Projektleiter, wie die RhB den integralen Steinschlagschutz zwischen Versam-Safien und Trin umsetzen. Die an dieser Stelle besonders gefährdete Strecke wird auf einer Länge von rund 900 Metern wirksam gegen den Steinschlag geschützt. Etwa 600 Meter werden mit unterschiedlich konfektionierten Schutznetzen geschützt, und in schwierigem Gelände wird eine 295 Meter lange Galerie gebaut. Der nicht gefestigte Untergrund erfordert eine aufwendige und entsprechend teure Verankerung im Untergrund. Ein Meter dieser Galerie kostet rund CHF 60’000.-. Neben den bauphysikalischen Anforderungen wurde der architektonischen Gestaltung und der Farbgebung der Galerie besondere Beachtung gewidmet.
Abschliessende Bemerkungen
Beeindruckend, mit welcher Sorgfalt und Kompetenz sich die besuchten Bahnen vor Naturkatastrophen schützen. Die vergleichsmässig wenigen Unfälle auf den Gebirgsstrecken belegen das erfolgreiche Wirken. Die Bahnen profitieren dabei aber auch von den grosszügigen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Das sind Verhältnisse, von denen die Zuständigen für die Infrastruktur der SBB im Flachland nur träumen können. Besonders wenn man den projektierten Tunnel von Täsch nach Zermatt mit der einspurigen Langsamfahrstrecke zwischen Mühlehorn und Tiefenwinkel am Walensee vergleicht.
Die Deutsche Bahn AG hat im Juni 2023 ein Konzept für den Ausbau des europäischen Schnellverkehrs zwischen den grossen Zentren publiziert. Unter der Bezeichnung «Metropolitan Network – A strong European railway for an ever closer union» wird ein Netzwerk aus heutigen, sich im Bau befindlichen oder möglichen Strecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgeschlagen. In diesem Beitrag treten wir auf das Konzept ein.
Die Ausführungen werden mit ein paar Anmerkungen zum Anschluss bzw. zum Beitrag der Schweiz an das vorgeschlagene Netzwerk ergänzt.
Metropolitan Network
Das Konzept wurde im Auftrag der DB von der Firma «PTV Group GmbH» mit Hauptsitz in Karlsruhe erarbeitet. Neben dem Vorschlag für das Netz wird für die einzelnen Metropolitanräume das Potential von Hochgeschwindigkeitsverbindungen simuliert. Michael Peterson, DB-Vorstand für den Personenfernverkehr, hält eine Verdreifachung des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs für möglich.
Das Konzept geht gemäss der Pressemitteilung der DB von folgenden Fakten oder Annahmen aus:
Angebunden an das Netz werden alle 230 Metropolitanregionen und grossen Städte von Europa mit über 250’000 Einwohner.
In den so definierten Räumen leben sechzig Prozent der europäischen Bevölkerung, die in den Genuss von mindestens stündlichen Verbindungen kommen sollen.
Zentral ist die Infrastruktur. Das heutige HG-Netz von 11.300 Kilometern soll bis 2050 auf rund 32.000 Kilometer erweitert werden.
Das deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz würde bis 2050 auf gut 6.000 Kilometer wachsen.
Explizit erwähnt in der Pressemitteilung wird als europäisches Land einzig Polen (!), dessen Hochgeschwindigkeitsnetz sich von heute 224 Kilometer auf knapp 3.000 Kilometer verfünfzehnfachen würde.
Aufgefallen bei der Studie ist Folgendes:
Bemerkenswert ist, dass die Studie nicht von der EU-Kommission, sondern von einer zwar bedeutenden Staatsbahn geordert und publiziert wurde.
Auffallend ist auch, dass die Studie von einem deutschen Unternehmen stammt – einem Land, das den Personenverkehr in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat. Ein fachkundiger Beobachter schätzt den Nachholbedarf für die Sanierung des deutschen Schienennetzes auf EUR 88 Milliarden. Dazu kommt, dass die Deutsche Bahn AG zurzeit mit EUR 33 Milliarden verschuldet ist.
Gemäss den uns vorliegenden Informationen war das Engagement der im Bericht aufgeführten Partnerbahnen eher mässig.
Eigentlich ist es müssig, über die Motive der Auftraggeber zu spekulieren. Ist man mit dem Wirken der EU-Kommission in dieser wichtigen Sache unzufrieden, oder will man sich in Anbetracht von Spekulationen in der Öffentlichkeit über eine Aufspaltung des DB-Konzerns als tatkräftiges Unternehmen profilieren?
Speziell ist auch, dass in Anbetracht des belasteten Verhältnisses zwischen den beiden Staaten ausgerechnet auf Polen verwiesen wird. Sind den Verfassern der Studie die ehrgeizigen Ziele von Polen für die Schaffung eines leistungsfähigen nationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes nicht geläufig?
Immerhin hat die Studie auf das enorme Potential des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs hingewiesen. Unsicher ist aus unserer Sicht, ob das Konzept aus der Werkstatt eines europäischen Hegemons der Sache wirklich zuträglich ist. Wie dem auch sei – hoffen wir, dass die Studie als einer der berühmten steten Tropfen den Stein tatsächlich höhlt.
Die Schweiz und der europäische Hochgeschwindigkeitsverkehr
Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie war Anlass, die Rolle der Schweiz in diesem Kontext zu überdenken. Beunruhigt hat der weisse Fleck im Zentrum von Europa. Dabei führen wichtige potentielle Korridore durch unser Land. Ich denke dabei etwa an die Relation Frankfurt-Milano oder Stuttgart-Milano. Ist man sich hierzulande dessen bewusst?
Die Schweiz sucht zwar den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und hat für die erste Phase des Anschlusses 2003 einen Verpflichtungskredit von CHF 1,090 Milliarde genehmigt. Der Bundesrat hat diesen Kredit in zwei Schritten auf CHF 1,195 Milliarden erhöht. Interessant – aber wenig verheissungsvoll für die Zukunft – ist, wie diese Mittel verwendet wurden.
Weniger als ein Drittel der Investitionen vermögen eine Wirkung in Bezug auf den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz zu entfalten. Mit dem überwiegenden Teil wurden mehrheitlich überfällige nationale Ausbauten finanziert.
Und wie stellt sich die Schweiz ihren Beitrag an ein leistungsfähiges europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz vor? Auch steht die Frage im Raum, welchen Beitrag die Tunnels der NEAT für den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr leisten können. Machen wir uns nichts vor! Indem bis zu 300 Stundenkilometer schnelle Hochgeschwindigkeitszüge von der Magadinoebene durch den Ceneri Basistunnel mit maximal 230 Stundenkilometern nach Lugano hochdonnern, um anschliessend in einer kurvenreichen und stark belasteten Strecke im Mischverkehr nach Chiasso und Como herunterzufahren? Und unterwegs natürlich in Basel, Luzern oder Zürich sowie in Arth-Goldau und Bellinzona Halt gemacht zu haben!
Bei Fahrten von Lugano nach Mailand mit dem Regionalexpress 80 fällt auf, dass der Zug kurz nach der Abfahrt im Bahnhof Como San Giovanni nach etwa vier Kilometern in einem völlig neuen Bahnhof – Como Camerlata RFI – bereits wieder hält. Auf einer Reise Richtung Lecco musste ich vor ein paar Tagen in diesem Bahnhof in den Bahnersatzbus nach Molteno umsteigen.
Die Eindrücke waren überwältigend – auf grüner Wiese wurde ein moderner und kundenfreundlicher Verkehrsknotenpunkt geschaffen. Mehr über den Bahnhof von Como Camerlata RFI, die strategische Bedeutung dieser Investition und ein paar Hintergrundinformationen in diesem Bericht.
Hintergrundinformationen
Von Como aus führen zwei Bahnlinien nach Mailand. Die von der Staatsbahn RFI betriebene Strecke mit Fern-, Regional- und Güterverkehr führt über Monza entweder nach Milano Centrale oder nach Milano Porta Garribaldi bzw. nach Milano Lambrate. Die zweite Strecke wird von Ferrovienord FNM betrieben und führt von einem unscheinbaren Bahnhof im Stadtzentrum von Como über Saronno nach Milano Cadorna.
Die Regionalzüge werden auf beiden Strecken von TreNord betrieben. Trenitalia und Ferrovia Nord Milano haben 2009 für den Regionalverkehr dieses Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Die Zuständigkeit für die Infrastruktur ist weiterhin getrennt, indem für das Netz von Trenitalia Rete Ferroviaria Italiana RFI und für das Netz von FNM die Infrastrukturgesellschaft von FNM Ferrovienord zuständig sind.
Diese Kooperation und enorme Investitionen in das Rollmaterial und die Infrastruktur – hier vor allem der Bau der Durchmesserlinie «Passante» unter dem Stadtzentrum von Mailand – haben den Nah- und Regionalverkehr im Grossraum Mailand enorm beflügelt. Man darf von einem epochalen Umbruch sprechen.
Vor der Jahrtausendwende bestanden zwischen den beiden Bahnen kaum Synergien. Die Infrastrukturen und das Tarifsystem waren völlig getrennt. An einigen Orten hatte es zwei Bahnhöfe. Diese befanden sich wie in Varese in unmittelbarer Nachbarschaft, etwas weiter voneinander entfernt wie in Laveno-Mobello oder sehr weit auseinander wie beispielsweise in Como. Der 1.2 Kilometer lange Fussweg zwischen Como S.G. und Como Lago Nord beansprucht wegen den zahlreichen Strassenübergängen fast zwanzig Minuten.
Regionalverkehrsangebot zwischen Como und Mailand
Zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi besteht an Werktagen zwischen 05.13 Uhr und 22.49 Uhr Halbstundentakt. Etwa jeder zweite Zug startet bereits in Chiasso, und jeder zweite Zug wird über Milano Porta Garibaldi hinaus nach Rho weitergeführt. Die Fahrzeit zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi beträgt 62 Minuten. Die S11 umfährt Milano Centrale. Reisende nach Milano Centrale müssen in Monza in einen Zug nach Milano Centrale umsteigen. Ergänzend steht Reisenden von Como S.G. der von TILO betriebene Regionalexpress RE80 zur Verfügung. Diese stündlich verkehrenden Züge von Locarno aus sind auch in Italien sehr beliebt und führen mit wenigen Halten nach Milano Centrale.
Auch zwischen Como Nord Lago und Milano Cadorna besteht an Werktagen Halbstundentakt. Die Reisezeit liegt ebenfalls bei 62 Minuten. Daneben verkehren in den Hauptverkehrszeiten zwei schnelle Verbindungen mit einer Reisezeit von 55 Minuten.
Beide Verbindungen erfreuen sich einer starken Nachfrage. Auf zahlreichen Fahrten erhielt ich den Eindruck, dass die Züge über Saronno eher besser frequentiert sind. Quantitative Zahlen liegen mir jedoch nicht vor.
Kommentar
Mit Como Camerlata RFI wurde ein weiterer bemerkenswerter Meilenstein in der Kooperation zwischen RFI und Ferrovienord realisiert, indem eine effiziente Verbindung zwischen den beiden Bahnsystemen geschaffen wurde. Aber nicht nur das – Camerlata Nord RFI ist ideal an das städtische Bussystem angebunden. Zudem steht den Kunden der Bahn eine grosszügig bemessene und gut an das Strassennetz angebundene Park and Ride-Anlage zur Verfügung. Beeindruckend sind aber auch die architektonische Gestaltung und die Kundenfreundlichkeit der Anlagen. Da steigt man gerne ein oder um!
Bildbericht
Die folgenden Bilder entstanden auf dem Weg vom Bahnhof Como Camerlata RFI zum Bahnhof Como Camerlata FNM. Wer das berühmte „Haar in der Suppe“ sucht, findet es bei der ungenügenden Entfernung des Unkrauts und bei einigen Ausführungsmängeln. Diese beinträchtigen den positiven Gesamteindruck kaum.
Bahnhof Como Camerlata RFI
Park and Ride-Anlage
Verbindungsweg zwischen den beiden Bahnhöfen
Bahnhof Como Camerlata FNM
Abschliessende Bemerkungen
Das abschliessende Bild steht stellvertretend für TreNord: „Gleich und doch unterschiedlich“. Die Gestaltung der Bahnhöfe von RFI und Ferrovienord und damit das Corporate Design weichen erheblich voneinander ab. Gelegentlich besteht der Eindruck, dass zwischen den beiden Gesellschaften ein Architekturwettbewerb im Gang ist, wer den schönsten Bahnhof baut. Wie dem auch sei – Nutzniesser dieses unterstellten Wettstreits sind die Benutzer, die von schönen und kundenfreundlichen Bahnhöfen profitieren können. Gegebenheiten, von denen Kunden im Grossraum Zürich nur träumen können.
Steine, Kies und Schotter – spannende Einblicke in wichtige Rohstoffe und effiziente Produktionsverfahren. Dies die wichtigsten Erkenntnisse aus einer Studienreise der Bahnjournalisten Schweiz in den Kanton Uri. Unter der Leitung von Lorenz Degen nutzen am 10. Mai 2023 ein Dutzend Mitglieder die Gelegenheit zum Besuch der Firmen Hartsteinwerk Gasperini AG in Attinghausen und Arnold & Co. AG in Flüelen.
Mehr über diese interessante Studienreise in diesem Bericht.
Firma Hartsteinwerk Gasperini AG
Um 10.15 Uhr begrüssten uns Michela Gasperini, Geschäftsführerin, und Peter Müller, Betriebsleiter, auf dem Betriebsgelände der Firma Hartsteinwerk Gasperini AG in Attinghausen. Für die Führung durch den eindrücklichen Steinbruch Eielen wurden zwei Gruppen gebildet.
Die Firma Gasperini wurde 1926 gegründet und wird heute in vierter Generation von Michela Gasperini geführt. Im Zuge einer Nachfolgeregelung wurde die Mehrheit am Unternehmen 2019 von der schweizweit tätigen Firma KIBAG AG übernommen. Gasperini beschäftigt zurzeit 21 Mitarbeitende und ist in der Region als Arbeitgeberin sehr geschätzt.
Im ersten Teil der Führung erläuterte uns Peter Müller die Organisation des Steinbruchs. Aus erstklassigem Quarzsandstein werden hochwertige Schotter, Splitte und Sande hergestellt. Der Schotter von Gasperini wird schweizweit eingesetzt und zählt wegen seiner Härte und Abreibfestigkeit zur absoluten Spitzenklasse der hiesigen Produkte.
Gasperini produziert in der Regel jährlich zwischen 40’000 und 70’000 Tonnen Bahnschotter – in Spitzenjahren sogar 100’000 Tonnen. Der Schotter wird mit Lastwagen zum benachbarten Bahnhof Altdorf transportiert und dort über die Verladeanlage auf Bahnwagen verladen. Im Gegensatz zu früher, wo mit einem Zug bis zu 800 Tonnen Schotter transportiert wurden, ist heute die Maximallast pro Zug wegen dem Mangel einer geeigneten Rangierlokomotive auf 400 Tonnen beschränkt. Infolge dieser Beschränkung erfolgen Lieferungen ins Tessin aber auch in der Deutschschweiz vermehrt mit Lastwagen.
Neben dem Schotter werden jährlich bis zu 160’000 Tonnen Edelsplitt, Sand und Strassenkoffer produziert. Die Produkte von Gasperini werden wegen ihrer hohen Qualität weit über die Standortregion hinaus eingesetzt.
Nach dieser interessanten Einführung erfolgt eine Besichtigung des eindrücklichen Abbaugebiets. Die Fahrt mit einem geländetauglichen Personenwagen führt über bis zu 35 Prozent steile Rampen zum obersten Abschnitt des Steinbruchs rund 280 Meter über dem Talgrund. Die Felsbrocken werden nach der Sprengung mit gewaltigen Dumpern zu den Steinbrechanlagen hinuntergefahren. Beladen erreichen die Dumper ein Gewicht von bis zu 52 Tonnen. Hoch oben erläutert uns Peter Müller die Felsformationen und den Ablauf der Abbauarbeiten. Die Sprengungen erfordern viel Knowhow und werden von der Firma Gasser Felstechnik AG ausgeführt.
Im zweiten Teil der Führung stellt uns Armando De Col die Fertigungsschritte von den bis zu einer Tonne schweren Felsbrocken zu den Endprodukten her. Armando De Col arbeitet seit über fünfunddreissig Jahren bei der Firma Gasperini und ist mit den Produktionsprozessen und dem Material bestens vertraut. Die grossen Felsbrocken werden in einer ersten Phase mit einem riesigen Steinbrecher (Vorbrecher) in kleinere Brocken zertrümmert. Anschliessend werden diese Brocken je nach der Art des Endproduktes in einer anderen Halle weiter gebrochen und in verschiedene Fraktionen ausgesiebt. Der Bahnschotter wird vor dem Verlad noch gewaschen.
Bei diesen lärmigen und staubigen Verfahren hat der Gesundheitsschutz der Arbeitenden eine sehr hohe Bedeutung – die Anlagen werden wöchentlich vom Staub befreit.
Die eingesetzten Steinbrecher stammen grösstenteils von der Firma Emil Gisler AG im benachbarten Seedorf. Unter dem Markenname Gipo AG konstruiert dieses Unternehmen weltweit eingesetzte Steinbrecher und Aufbereitungsanlagen der Spitzenklasse. Diese Firmengruppe darf die Bezeichnung «Hidden Champion» wohl zu Recht in Anspruch nehmen.
Der feine Imbiss im Anschluss an die eindrückliche Betriebsbesichtigung bot willkommene Gelegenheit zur Vertiefung der erhaltenen Informationen. Kurz vor 13.00 Uhr bedankte sich Lorenz Degen bei Michela Gasperini und Peter Müller für den eindrücklichen Besuch und die grosszügige Gastfreundschaft.
Firma Arnold & Co. AG
Kurz vor 16.00 Uhr begrüsst uns Matthias Steinegger beim Hafen Flüelen zur Besichtigung der Firma Arnold & Co. AG. Matthias Steinegger lässt es sich als Betriebsleiter nicht nehmen, uns sein Unternehmen persönlich vorzustellen. Die Firma Arnold & Co. AG besteht seit etwa 120 Jahren und wird als traditionsbewusstes Familienunternehmen in vierter Generation von Nachkommen der Gründerfamilie geführt. Dank erstklassigen Produkten und einer umsichtigen Geschäftspolitik kann sich Arnold & Co. AG neben Grossunternehmen wie KIBAG oder Holcim AG auf dem Markt behaupten.
Nach einer kurzen Vorstellung des Unternehmens und seiner Geschichte fahren wir mit einem Ledischiff zur Baggeranlage neben dem Reussdelta. Die eindrückliche Anlage wiegt 1’000 Tonnen und verarbeitet den Aushub aus dem an dieser Stelle rund 60 Meter tiefen See zu Sand und Kies in verschiedenen Körnungen. Die maximale Kapazität der eindrücklichen Anlage beträgt 2’500 Tonnen pro Tag. Die Jahresproduktion liegt bei rund 300’000 Tonnen Sand und Kies. Zum Vergleich: Die Reuss lagert gemäss der Ausgabe 2016, Heft 2, der Zeitschrift «Wasser Energie Luft» jährlich durchschnittlich etwa 56’000 m3 Geschiebe im Urnersee ab. Im Katastrophenjahr 1987 waren es sogar weit über eine Million Tonnen.
Nach der Reinigung des Aushubs vom See werden Sand und Kies – dieser in drei Korngrössen – getrennt und auf Ledischiffe verladen und auf dem Seeweg zu den Kunden transportiert. Die Produkte geniessen bei den weiterverarbeitenden Unternehmen dank ihrer Qualität und ihrer Beschaffenheit einen ausgezeichneten Ruf.
Nach der kurzen Einführung werden die Besucher durch das fast 20 Meter hohe Baggerschiff geführt und können vor Ort die verschiedenen Verarbeitungsschritt verfolgen. Die Anlage wird mit Unterwasserleitung mit elektrischem Strom versorgt. Der Strom wird auf dem Festland von einer Spannung von 15’000 Volt auf noch 4’500 Volt transformiert. Die Konzession für den Abbau wird vom Kanton Uri jeweils für 25 Jahre vergeben. Arnold & Co. AG ist seit drei Perioden Inhaberin dieser Konzession.
Nach etwa dreissig Minuten gelangen wir mit dem Schiff zurück an den Ausgangspunkt und zum nächsten Höhepunkt unserer Visite. Beim Frachthafen können wir den Entladevorgang eines Zuges mit Ausbruchmaterial aus der zweiten Röhre des Gotthardstrassentunnels verfolgen. Das mit dem Zug aus Göschenen herangeführte Ausbruchmaterial wiegt rund 1’000 Tonnen und wird mit leistungsfähigen Förderanlagen innert einer Stunde über ein Zwischenlager auf das daneben liegende Ledischiff abgeladen. Täglich können bis zu sieben Züge entladen werden – die 7’000 Tonnen Ausbruch entsprechen der maximalen Tagesleistung der Tunnelbohrmaschine.
Wir fahren mit einem voll beladenen Ledischiff zum eigens für den Ablad des Ausbruchs geschaffenen Dock. Unter dem Wasserspiegel sind am Dock grosse Tücher angebracht, die einen kontrollierten Ablad gewährleisten und eine Ausbreitung der feinen Teile im Wasser minimieren. Beeindruckt verfolgen die Besucher, wie sich eine nach der anderen Kammer entleert. Der behutsame Entladevorgang hinterlässt fast den Eindruck, dass sich das Material aus dem Innern des Gotthards gegen das Versenken im See wehren würde.
Mit dem leeren und nun weit aus dem Wasser ragenden Schiff fahren wir zurück ans Ufer. Auf der Rückfahrt zum Hafen weist Matthias Steinegger auf die künstlichen Inseln mit Aushub aus dem Gotthardbasistunnel hin. Diese bieten willkommenen Schutz für Fauna und Flora. Insgesamt wurden 3.5 Mio. Tonnen Ausbruch aus dem Gotthardbasistunnel im See deponiert. Als umweltbewusstes und nachhaltiges Unternehmen besteht zwischen Arnold & Co. AG mit den Umweltorganisationen ein gutes Einvernehmen.
Bei der Ankunft im Hafen lädt uns Matthias Steinegger noch auf dem Schiff zu einem Apéro ein. Dabei erhalten wir weitere interessante Informationen über das Unternehmen. So produziert Arnold & Co. AG jährlich auch zwischen 50’000 und 80’000 m3 Beton und Mörtel. Hergestellt werden gegen 130 verschiedene Beton- und Mörtelarten. Bemerkenswert ist, dass der Zement in Altdorf von den Silowagen der SBB auf LKW verladen wird und für die kurze Distanz auf der Strasse zum Betonwerk gelangt. Flüelen wird seit einigen Jahren von SBB Cargo nicht mehr bedient.
Kurz vor 17.30 Uhr bedankt sich Lorenz Degen bei Matthias Steinegger für die spannende Präsentation der Firma Arnold & Co. AG, worauf sich die beeindruckte Delegation zum Bahnhof Flüelen begibt, um von dort die Rückreise anzutreten.
Abschliessende Bemerkungen
Auch von meiner Seite ein grosses Dankeschön an Lorenz Degen für die eindrückliche Studienreise sowie an die besuchten Firmen für den freundlichen Empfang und die packenden Betriebsbesichtigungen. Beeindruckend, mit welchem Qualitätsbewusstsein und Fachwissen vermeintlich einfache Materialien wie Schotter, Kies und Sand hergestellt werden.
Sylvain Meillasson veranstaltete für die Bahnjournalisten Schweiz am 12. April 2023 unter der Bezeichnung «Romandie: Mobilitätschampions» eine spannende und reichhaltige Studienreise in die Westschweiz. Die anfängliche Skepsis gegenüber der ambitionierten Bezeichnung der Studienreise löste sich im Verlauf des Tages rasch im Nichts auf.
Von den zahlreichen Höhepunkten der Reise beeindruckte vor allem der umgebaute Bahnhof von Renens. Leider war die Zeit für die Besichtigung dieser grossartigen Infrastruktur am 12. April 2023 zu knapp. Ich holte bei den SBB ergänzende Informationen ein und reiste am 17. Mai 2023 für eine intensive Besichtigung des Bahnhofs erneut nach Renens.
Mehr über das noch nicht vollständig abgeschlossene Projekt und die Erklärung für die sonderbar anmutende Überschrift in diesem Bericht – Staunen ist angesagt!
Überblick über das Projekt
Das Bevölkerungswachstum im Westen von Lausanne und der nachfragegerechte Ausbau des öffentlichen Verkehrs bewirkten eine erfreuliche Zunahme der Auslastung des Bahnhofs von Renens. Die bestehenden Anlagen vermochten den Ansturm kaum mehr zu bewältigen und genügten den Bestimmungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes nicht mehr.
Die 2015 begonnenen Arbeiten sind bezüglich der Anlagen der SBB praktisch abgeschlossen. Noch im Gang sind die Arbeiten für die neue Stadtbahn der «Transports Publics Lausannois» (TL) vom Bahnhof Renens ins Zentrum der Stadt Lausanne. Dies Arbeiten beinhalten im Wesentlichen den Bau einer rund 5 Kilometer langen zweigleisigen Tramlinie T1, substantielle Anpassungen am Strassennetz und den Bau der Endhaltestelle für T1 im Bahnhof von Renens. Das Projekt wird mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn T1 Ende 2024 abgeschlossen.
Gemäss einem Auszug aus einer Beschreibung der SBB erfolgten im Bahnhof von Renens folgende Arbeiten:
Renovation des historischen Bahnhofgebäudes und Neugestaltung des Vorplatzes.
Verbreiterung der bestehenden Unterführung mit besseren Zugängen zu den Perrons mit Rampen und gut zu begehenden Treppen.
Verlängerung der Perrons auf 420 Meter Länge und Verbreiterung der Perrons 2 und 3.
Anhebung aller Perrons auf 55 cm für einen stufenfreien Zugang zu den Zügen
Anpassung des Gleiskopfs.
Bau neuer und längerer Perrondächer sowie Anpassung des Mobiliars und der Beleuchtung.
Sanierung des historischen Daches von Perron 1.
Koordination der Arbeiten mit der Stadt Renens beim Projekt «Rayon Vert» (Bau einer neuen Passerelle zur innerstädtischen Verbindung über den Geleisen), mit Zugängen zu den Perrons und zur Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1.
Die Kosten der baulichen Massnahmen der SBB einschliesslich der Hälfte der Anpassungen an den Geleisen wurden bei Baubeginn mit einer Bandbreite von 20 Prozent auf CHF 172 Mio. geschätzt. Die Finanzierung erfolgt über eine vom Bund finanzierte Leistungsvereinbarung mit den SBB. Die Bauabrechnung mit den genauen Kosten ist zurzeit noch pendent.
Verlauf der bisherigen Arbeiten
Zusammenfassend darf bisher von einem erfolgreichen und termingerechten Verlauf des anspruchsvollen Projekts gesprochen werden. Besonders hervorzuheben ist die konstruktive und proaktive Zusammenarbeit mit den Behörden der Stadt Renens, die sich auch mit den drei anderen betroffenen Gemeinden Chavanne, Crissier und Ecublens abgesprochen hatte. Trotz den intensiven Arbeiten gelang es, den Betrieb auf einer der verkehrsreichsten Eisenbahnlinien der Schweiz ohne nennenswerte Probleme aufrecht zu erhalten.
Besondere Herausforderungen bildeten die Steuerung der Passagierströme während den Arbeiten und die Abstimmung mit den übrigen Akteuren in der Umgebung des Bahnhofs (Bau eines neuen Gebäudes über der Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1, Erweiterung einer Strassenunterführung östlich des Bahnhofs und Einbindung des Trasses für die zukünftige Tramlinie nach Lausanne).
Dank einer effizienten Steuerung des Projekts wurden positive Erkenntnisse für die Baustellenlogistik gewonnen. Auch liessen sich aus der integrierten Planung Schlüsse für die Lenkung der Personenströme bei zukünftigen Grossprojekten ziehen.
Bauteile
Nachstehend einige Bilder, aufgenommen am 17. Mai 2023 mit einem Smartphone.
Bahnhofgebäude und Vorplatz
Unterführung
Passerelle
Kommentar
Aus Sicht eines aufmerksamen Benutzers des öffentlichen Verkehrs im Grossraum Zürich kehrt man tief beeindruckt und mit etwas Neid auf Renens zurück – besonders, wenn man den Vergleich mit kürzlich umgebauten oder bestehenden Publikumsanlagen in der Region Zürich zieht. In Renens eingehauste Übergänge, lange Perrondächer oder grosszügige Übergänge und Unterführungen!
Das gelungene Bauwerk und die wunderbare Überführung sind für mich ein schlagender Beweis für die erwähnte konstruktive Zusammenarbeit der SBB mit der Stadt Renens. Kein Vergleich mit den Überführungen in Bellinzona, über die wir auf unserer Website berichtet haben. Offensichtlich wurde dort eine grosse Chance vertan, gemeinsam mit der Stadt Bellinzona für die Öffentlichkeit und für die Fahrgäste eine funktional und städtebaulich überzeugende Lösung zu verwirklichen. Und nur wenig positiver fällt der Vergleich mit den Verhältnissen in Zürich-Oerlikon aus, wo zwei kaum Gemeinsamkeiten aufweisende unmittelbar nebeneinander liegende grosse Personenunterführungen gebaut wurden – eine durch die SBB, die andere von der Stadt Zürich.