European Metropolitan Network – und die Schweiz?

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Die Deutsche Bahn AG hat im Juni 2023 ein Konzept für den Ausbau des europäischen Schnellverkehrs zwischen den grossen Zentren publiziert. Unter der Bezeichnung «Metropolitan Network – A strong European railway for an ever closer union» wird ein Netzwerk aus heutigen, sich im Bau befindlichen oder möglichen Strecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgeschlagen. In diesem Beitrag treten wir auf das Konzept ein.

Die Ausführungen werden mit ein paar Anmerkungen zum Anschluss bzw. zum Beitrag der Schweiz an das vorgeschlagene Netzwerk ergänzt.

Metropolitan Network

Das Konzept wurde im Auftrag der DB von der Firma «PTV Group GmbH» mit Hauptsitz in Karlsruhe erarbeitet. Neben dem Vorschlag für das Netz wird für die einzelnen Metropolitanräume das Potential von Hochgeschwindigkeitsverbindungen simuliert. Michael Peterson, DB-Vorstand für den Personenfernverkehr, hält eine Verdreifachung des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs für möglich.

Vorgeschlagenes HGV-Netzwerk (Auszug aus der Studie).

Das Konzept geht gemäss der Pressemitteilung der DB von folgenden Fakten oder Annahmen aus:

  • Angebunden an das Netz werden alle 230 Metropolitanregionen und grossen Städte von Europa mit über 250’000 Einwohner.
  • In den so definierten Räumen leben sechzig Prozent der europäischen Bevölkerung, die in den Genuss von mindestens stündlichen Verbindungen kommen sollen.
  • Zentral ist die Infrastruktur. Das heutige HG-Netz von 11.300 Kilometern soll bis 2050 auf rund 32.000 Kilometer erweitert werden.
  • Das deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz würde bis 2050 auf gut 6.000 Kilometer wachsen.
  • Explizit erwähnt in der Pressemitteilung wird als europäisches Land einzig Polen (!), dessen Hochgeschwindigkeitsnetz sich von heute 224 Kilometer auf knapp 3.000 Kilometer verfünfzehnfachen würde.
Nutzen des HGV-Netzwerks (Auszug aus der Studie).
Erschliessung von Prag als bedeutender osteuropäische Metropole. Diese Berechnung erfolgte für alle Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten (Auszug aus der Studie).
Legende zu obigem Schema (Auszug aus der Studie).

Aufgefallen bei der Studie ist Folgendes:

  • Bemerkenswert ist, dass die Studie nicht von der EU-Kommission, sondern von einer zwar bedeutenden Staatsbahn geordert und publiziert wurde.
  • Auffallend ist auch, dass die Studie von einem deutschen Unternehmen stammt – einem Land, das den Personenverkehr in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat. Ein fachkundiger Beobachter schätzt den Nachholbedarf für die Sanierung des deutschen Schienennetzes auf EUR 88 Milliarden. Dazu kommt, dass die Deutsche Bahn AG zurzeit mit EUR 33 Milliarden verschuldet ist.
  • Gemäss den uns vorliegenden Informationen war das Engagement der im Bericht aufgeführten Partnerbahnen eher mässig.
  • Eigentlich ist es müssig, über die Motive der Auftraggeber zu spekulieren. Ist man mit dem Wirken der EU-Kommission in dieser wichtigen Sache unzufrieden, oder will man sich in Anbetracht von Spekulationen in der Öffentlichkeit über eine Aufspaltung des DB-Konzerns als tatkräftiges Unternehmen profilieren?
  • Speziell ist auch, dass in Anbetracht des belasteten Verhältnisses zwischen den beiden Staaten ausgerechnet auf Polen verwiesen wird. Sind den Verfassern der Studie die ehrgeizigen Ziele von Polen für die Schaffung eines leistungsfähigen nationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes nicht geläufig?

Immerhin hat die Studie auf das enorme Potential des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs hingewiesen. Unsicher ist aus unserer Sicht, ob das Konzept aus der Werkstatt eines europäischen Hegemons der Sache wirklich zuträglich ist. Wie dem auch sei – hoffen wir, dass die Studie als einer der berühmten steten Tropfen den Stein tatsächlich höhlt.

Die Schweiz und der europäische Hochgeschwindigkeitsverkehr

Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie war Anlass, die Rolle der Schweiz in diesem Kontext zu überdenken. Beunruhigt hat der weisse Fleck im Zentrum von Europa. Dabei führen wichtige potentielle Korridore durch unser Land. Ich denke dabei etwa an die Relation Frankfurt-Milano oder Stuttgart-Milano. Ist man sich hierzulande dessen bewusst?

Lage der Schweiz (Auszug aus der Studie).

Die Schweiz sucht zwar den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und hat für die erste Phase des Anschlusses 2003 einen Verpflichtungskredit von CHF 1,090 Milliarde genehmigt. Der Bundesrat hat diesen Kredit in zwei Schritten auf CHF 1,195 Milliarden erhöht. Interessant – aber wenig verheissungsvoll für die Zukunft – ist, wie diese Mittel verwendet wurden.

Verwendung der Mittel des „HGV-Kredits“ (Tabelle wurde vom Verfasser mit Daten aus Wikipedia erarbeitet).

Weniger als ein Drittel der Investitionen vermögen eine Wirkung in Bezug auf den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz zu entfalten. Mit dem überwiegenden Teil wurden mehrheitlich überfällige nationale Ausbauten finanziert.

Und wie stellt sich die Schweiz ihren Beitrag an ein leistungsfähiges europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz vor? Auch steht die Frage im Raum, welchen Beitrag die Tunnels der NEAT für den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr leisten können. Machen wir uns nichts vor! Indem bis zu 300 Stundenkilometer schnelle Hochgeschwindigkeitszüge von der Magadinoebene durch den Ceneri Basistunnel mit maximal 230 Stundenkilometern nach Lugano hochdonnern, um anschliessend in einer kurvenreichen und stark belasteten Strecke im Mischverkehr nach Chiasso und Como herunterzufahren? Und unterwegs natürlich in Basel, Luzern oder Zürich sowie in Arth-Goldau und Bellinzona Halt gemacht zu haben!

7 Gedanken zu „European Metropolitan Network – und die Schweiz?

  1. Bei der DB werden jede Menge Studien zu allem Möglichen erstellt. Aber realisiert wird wenig. Es wäre angebrachter, den eigenen Laden zuerst wenigstens so weit auf Vordermann zu bringen, dass wenigstens die Grundbedürfnisse erfüllt werden. Das allein dauert noch mindestens 20 Jahre. Zudem hat in den letzten Jahren die Schiene keinen der Verkehrsminister nur schon in Ansätzen interessiert.
    Mittelfristig, wenn der Güterverkehr zunimmt, werden in dem GBT, CBT und LBT die Züge nur noch mit 120 km/h verkehren! Also gleich schnell wie die Güterzüge. Nur so kann die Leistungsfähigkeit voll genutzt werden.
    Hochgeschwindigkeitsverkehr ist in der provinziellen Schweiz nur angedacht, insbesondere durch https://swissrailvolution.ch/. Der Bund ist zurückhaltend. Ob der Wechsel im Bundesrat etwas bewirkt? Bis anhin war bei der grün / sozialistischen Regierung allein schon die Langsamkeit ein positiver Wert an und für sich.

    • Lieber Jürg

      Vielen Dank für Dein Interesse an unserer Website und für Deinen Kommentar.

      Ich teile Deine Beurteilung der gegenwärtigen Situation in Deutschland absolut. Studien über Studien – und nur wenig bewegt sich. Ein weiteres absolutes Trauerspiel ist beispielsweise auch der Ausbau der Strecke von München über Mühldorf nach Freilassing (und von dort weiter nach Salzburg/Projekt ABS38). Und das österreichische Bahnsystem leidet stark unter den anhaltenden Problemen auf der Korridorstrecke im „Deutschen Eck“. Ein ähnliches Trauerspiel ist auch bei der DAK zu beobachten, wie Du zutreffend moniert hast.

      Aber man erinnere sich, wie (West-) Deutschland kraftvoll und in kurzer Zeit die marode Infrastruktur in den neuen Bundesländern auf Vordermann gebracht hat. Deutschland könnte „es“ sehr wohl, wenn tüchtige Leute am Werk wären und der Staatsapparat funktionieren würde. Bleiben wir auch in unserem eigenen Interesse optimistisch.

      Ich wünsche Dir weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

  2. Die ausgeprägte topopgrafische, demografische und politische Frakmentierung und Kleinräumigkeit der Schweiz fördert die schrittweise Umwandlung unseres historisch gewachsenen nationalen Bahnnetzes in ein Konglomerat von regionalen S-Bahn-Systemen, deren Ausbau, Betrieb und Unterhalt bereits heute bedeutende finanzielle Mittel erfordert. Die meisten bisher getätigten Investitionen in das Schweizer Bahnsystem (GBT, CBT und LBT ausgenommen) dienten der Kapazitätserweiterung im Interregio- und Regionalverkehr. Bestehende transversale „Schleichstrecken“ wie Bern – Lausanne oder Basel – Biel u.a. müssen zweifellos mittels Trasseverbesserungen „beschleunigt“ werden. Darum geht es hier aber nicht.
    Die Errichtung eines parallel dazu betriebenen Hochgeschwindigkeits-Reisezug-Fernverkehrs (in Frankreich spricht man von einem „réseau à deux vitesses“) auf oder neben dem helvetischen Achsenkreuz ist in Anbetracht der bereits bestehenden räumlichen Übernutzung und Zersiedelung unserer Landschaft und der für einen zweckdienlichen HG-Verkehr „unrentablen“ Kürze der nationalen Distanzen nur mittels extrem massiver Eingriffe (wegen Vorgaben bezüglich Lärm und Landschatschutz, Zwang zu unterirdischer Streckenführung in dichtbesiedelten Zonen etc.) und daher auch mit kaum mehr zu finanzierenden Kosten zu haben. Es ist davon auszugehen, dass die Schweiz mehr und mehr auf ausländischen Hochgeschwindigkeitsstrecken „zeitgünstig“ nördlich, östlich und westich umfahren werden kann (Karlsruhe – Stuttgart – München, Brenner, Rhin-Rhône, Lyon-Turin), der Bau von eigenen nationalen HG-Strecken sich folglich als wenig sinnvoll erweisen könnte. Vordringlicher und zielführender wären attraktive internationale Schnellbahn- und Nachtzugverbindungen in die wichtigen europäischen Metropolitanregionen ab ausgewählten Knotenpunkten (Zürich, Basel, Lugano, Genf). Die „nationale S-Bahn“ könnte, wie heute schon, als zuverlässiger Knoten-Zubringer dienen. Die Schweiz leistet schon genug „Dienstleistungen für Europa“, indem sie den Bahngütertransit (NEAT) ausgebaut und finanziert hat..
    Man darf sich, trotz all der schönen HG-Pläne, schon die grundsätzliche Frage stellen, wieviel Mobilität wir eigentlich noch verkaften können. Irgendwann überschreitet unsere generelle Moblilitätswut auf Strasse, Schiene und in der Luft die Grenze zwischen Sinn und Unsinn.

    • Lieber André

      Vielen Dank für Deinen wie immer interessanten Kommentar. In Kürze dazu folgendes:

      1. Niemand will in der Schweiz ein flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetz. Das von Swiss Railvolution vorgeschlagene Kreuz reicht aus.

      2. Fatal ist, dass die Variante 2 der Gesamtverkehrskonzeption vor rund fünfzig Jahren ein überzeugendes Netz von HG-Linien postuliert hat – und nichts geschah!

      3. Das Problem ist, dass sich die an heiklen Stellen fehlende Trennung der Verkehrsarten (Schnellverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr) einer Kapazitätssteigerung entgegen stellen.

      4. Zudem bestehen im schweizerischen Normalspurnetz empfindliche Schwachstellen, auf deren Beseitigung man seit bald zwei Generationen wartet. In Ermangelung von überzeugenden Konzepten und einer hinreichenden Finanzierung werden Undinge wie der Ausbau des Bahnhofs Liestal oder das 4. Gleis in Zürich Stadelhofen realisiert.

      Dies ein paar persönliche Gedanken. Ich wünsche Dir weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

  3. Bevor über das Abseitsstehen der Schweiz zu den HGV-Korridoren gejammert und mehr Ausbauten für >250 km/h schnelle Reisezüge gefordert werden, lohnt sich ein Blick auf die Karte und ein Fokus auf die die Schweiz angrenzenden Strecken.
    Osten: via SMgr o Buchs – Anschluss an langsame Hügel- und Bergstrecken
    Süden: via Chiasso, da tut sich sehr langsam was, Lugano – Camerlata wäre nötig
    Süden: via Varese = S-Bahn reicht, via Luino = Güterlinie
    Süden: via Simplon – eine Gebirgsbahn und bis Busto Arsizio, resp. Novara = Güterlinie
    Westen: via Genf = franz. Provinzlinie in miserablem Zustand, TGV-Linie durch die Carpates für 120 km/h
    Westen: via Vallorbe/Pontarlier = franz. Provinzlinie
    Westen: via Delle = Absturz und LGV Rhin-Rhône Frankreich lässt danken
    N-Westen: via Basel – Ja da lässt sich was machen bis Strasbourg/Karlsruhe
    Norden: via Basel – bekanntes Drama bis ca 2050
    Norden: via Sh/Konstanz: ein schwäbsches Bimmelbähnchen.
    Quintessenz für die CH:
    Sinn macht Ls-Ge als Redundanz, Ls-Be gezielter Ausbau,
    Bs-Raum Olten unbedingt notwendig mit Anschluss Richtung Zh und Be, aber direkt und nicht erst ab Aarau.
    Wth – SG um den Ostschweizern endlich ein Zückerchen zu geben. Weiter östlich lohnt sich nicht.
    Und ganz primär: solange der internationale Schienenverkehr so unsäglich viel schlechter funktioniert als der Flugverkehr sind nicht neue Strecken gefragt, sondern Manager und Massnahmen, welche die Bahn mal dahin bringen, wo sie eigentlich sein sollte und auch das Vertrauen der Kundschaft wieder zurückholt.

    • Lieber Kaspar

      Vielen Dank für Dein Interesse und für Deinen Kommentar.

      Darf ich auf meine Antwort an André Guillaume verweisen? Ich möchte lediglich nochmals auf das Konzept der „NHT“, Variante 2, im Schlussbericht der Gesamtverkehrskonzeption hinweisen.

      Meines Erachtens geht es nicht darum, den Ostschweizern endlich „ein Zückerchen zu geben“, sondern vielmehr um eine visionäre ABS/NBS à la NHT. Der Nutzen für die ökonomische Entwicklung der Ostschweiz wäre enorm (ABS Winterthur-Weinfelden, NBS Weinfelden-Gossau und ABS Gossau-St. Gallen).

      Zudem sollte man abgesehen vom vollständigen Ausbau des LBT auf Doppelspur von weiteren Ausbauten an der Lötschberg/Simplonachse absehen und das Geld in die Gotthard-Achse investieren.

      Ich wünsche Dir weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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