Ein erster Höhepunkt – Eröffnung Westast Koralmbahn

Topics

Am 7. Dezember 2023 wurde der Westast der Koralmbahn, die sogenannte „Kärtner Koralmbahn“, eröffnet. Neben der 54 Kilometer langen Aus- und Neubaustrecke von Klagenfurt zum Westportal des Koralmtunnels wurden die 9 Kilometer lange „Bleiburger-Schleife“ und die 16 Kilometer lange Stichstrecke von St. Paul nach Wolfsberg in Kärnten elektrifiziert und sämtliche Bahnhöfe grundlegend erneuert. Vier wenig frequentierte Haltestellen werden neu umfahren und wurden demnach aufgehoben.

Das Projekt Koralmbahn wurde auf dieser Website im Frühjahr 2022 ausführlich vorgestellt. Hier der Link zu diesem Beitrag: Koralmbahn – grossartig und visionär | fokus-oev-schweiz.

Am 12. Januar 2024 befuhr ich die Strecke von Klagenfurt nach Wolfsberg und besichtigte den Verkehrsknotenpunkt St. Paul im Lavanttal. Der neu angelegte Bahnhof befindet sich in der Fertigstellungsphase. Die Eindrücke sind einmal mehr überwältigend, wie dieser Bericht zeigt.

Lage und Verlauf der „Kärtner Koralmbahn“

Koralmbahn von Graz nach Klagenfurt als Element der „Südstrecke“. (Auszug aus einem Prospekt der ÖBB).
Der Westast der Koralmbahn im Überblick. Die „Bleiburger-Schleife“ ist grün, und die Stichstrecke nach Wolfsberg ist rot eingetragen. (Auszug aus einem Prospekt der ÖBB).

Bahnhof von St. Paul im Lavanttal

Gedeckte Haltestelle für die Lokal- und Regionalbusse.
Eingangsbereich des Bahnhofs.
Wartehalle für Busfahrgäste. Im Hintergrund die Koralpe im Abendlicht. Dieses Massiv wird vom 33 Kilometer langen Koralmtunnel unterfahren.
Treppe und Lift in die grosszügige Unterführung.
Lift auf einen der beiden Bahnsteige.
Blick in die knapp vierzig Meter lange Unterführung.
Ende der Unterführung.
Blick auf einen der beiden Bahnsteige. Links die nicht am Bahnsteig vorbeiführenden Zufahrtsgeleise zum Westportal des Koralmtunnels.
Anzeigetafeln auf dem Bahnsteig.
Ein weiterer Eindruck vom Bahnsteig.
Lift vom Bahnsteig in die Unterführung.
Blick in die Liftkabine.
Ausführungsdetail beim Lift.
Blick in den beheizten Warteraum im Bahnhofgebäude.
Vitrine im Warteraum mit historischen Fundstücken, die beim Bau des Bahnhofs gefunden wurden.
Blick in die Herrentoilette, die vorläufig noch kostenlos benutzt werden kann.
Wartezone vor dem Bahnhof.
Einstellraum für Fahrräder.
Innenansicht des Abstellraums für Fahrräder.
Nach Wolfsberg abfahrender Zug vor dem Massiv der Koralpe.

Fahrplanangebot zwischen Klagenfurt und Wolfsberg

Deckblatt des gedruckten Taschenfahrplans. Vor dem Bau der Koralmbahn dauerte die Fahrt von Klagenfurt nach Wolfsberg knapp 90 Minuten.
Seite 1 des Fahrplans von Klagenfurt nach Wolfsberg.
Seite 2 des Fahrplans von Klagenfurt nach Wolfsberg.

Abschliessend ein Bild aus dem Cityjet-Triebwagenzug

Eine vom Zugpersonal einfach zu bedienende behelfsmässige Rampe für Bahnhöfe mit Niveauunterschied zwischen dem Zug und dem Bahnsteig.

Kommentar

Der neue Bahnhof von St. Paul fügt sich nahtlos in die Reihe der grossartigen neuen Bahnhöfe an der „Kärtner Koralmbahn“ ein wie beispielsweise Grafenstein oder Kühnsdorf-Klopeiner See. Gespannt sind wir auf den Bahnhof Weststeiermark auf der Ostseite des Koralmtunnels, den wir im Bau besichtigt haben und von dem zurzeit nur eine Visualisierung vorliegt.

Nachdem der Koralmtunnel – er wurde infolge der Länge von 33 Kilometern in zwei Röhren gebaut – am 12. Juni 2023 zum ersten Mal von einem Personenzug befahren wurde, darf man sich auf die Eröffnung der gesamten Koralmbahn im Dezember 2025 freuen.

Umfahrung Ebreichsdorf – Staunen ohne Ende

Topics

Mit der Strecke von Münchendorf nach Wampersdorf wurde im Dezember 2023 das letzte Teilstück des Doppelspurausbaus der «Pottendorfer-Linie» in Betrieb genommen. Das gesamte Projekt wurde in unserem Beitrag vom 9. Januar 2020 eingehend vorgestellt. Hier der Link zu diesem Beitrag: Grossartig – die neue Pottendorfer-Linie und ihre Bahnhöfe | fokus-oev-schweiz

Lage der „Pottendorfer-Linie“ (Auszug aus dem Eisenbahnatlas Österreich von Schweers+Wall, mit dem besten Dank an den Verlag). Die „Pottendorfer-Linie“ ist fein eingezeichnet und verläuft rechts neben der fett eingezeichneten Hauptverkehrsstrecke von Wien nach Wiener Neustadt.

Herzstück der letzten Etappe ist die Umfahrung von Ebreichsdorf und der neue Bahnhof dieser Kleinstadt mit knapp 10’000 Einwohnern. Der neue Bahnhof und die Örtlichkeiten wurden Mitte Januar 2024 eingehend besichtigt. Mehr über die überwältigenden Eindrücke in diesem Bericht.

Ausgangslage

Die ursprüngliche einspurige Strecke führte in einer relativ breiten Schneise durch das Zentrum von Ebreichsdorf. Angeschlossen an den alten Bahnhof war ein grosser Getreidesilo. Die Umgebung von Ebreichsdorf wirkt trotz der Nähe zu Wien verhältnismässig ländlich. Die Regionalzüge von Wien über Ebreichsdorf nach Wiener Neustadt verkehrten stündlich.

Im Rahmen der Modernisierung der «Pottendorfer-Linie» wurde beschlossen, anstelle des Ausbaus der bestehenden Strecke an der ursprünglichen Lage eine etwa zehn Kilometer lange und das Zentrum von Ebreichsdorf umfahrende Neubaustrecke zu bauen. Zudem wurde die Neubaustrecke auf einen etwa fünf Meter hohen Damm gelegt.

Umfahrungsstrecke von Ebreichsdorf (blau), neben der aufgehobenen Bestandesstrecke (schwarz). Die Karte wurde mit dem besten Dank einem Prospekt der ÖBB entnommen.

Bilder

Nachstehend einige Bilder von der Besichtigung. Für weitere Angaben wird auf die Bildunterschriften verwiesen.

Aufgehobene Strecke durch Ebreichsdorf

Gelände des ehemaligen Bahnhofs von Ebreichsdorf, aufgenommen vom Dach des Getreidesilos. (Das Bild wurde einer Broschüre der TU Wien entnommen). Man beachte die breite Schneise und die freien Flächen.
Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs von Ebreichsdorf, aufgenommen vom Dach des Getreidesilos. (Das Bild wurde einer Broschüre der TU Wien entnommen).
Blick auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhof von Ebreichsdorf.
Blick auf das Gelände des ehemaligen Bahnhofs von Ebreichsdorf. Man beachte die ausgedehnte freie Fläche.

Zugang zum neuen Bahnhof von Ebreichsdorf

Blick vom Ende der Bushaltestelle auf den neuen Bahnhof. Das Umsteigen zwischen Bahn und Bus erfolgt geschützt. Der Teerbelag ist gelb eingefärbt. Die weissen Flecken stammen vom Salz.
Ein paar Schritte weiter in Richtung des neuen Bahnhofs.
Blick in die „Unterführung“ des neuen Bahnhofs. Man beachte die verwendeten Materialien am Boden und an den Seitenwänden (Natursteine).
Blick auf die Rückseite des neuen Bahnhofs.
Blick von der ausgedehnten Parkanlage auf den neuen Bahnhof.
Blick auf eine der beiden Abstellanlagen für Fahrräder. Rechts davon befinden sich ein paar Bänke.

Zugang zu den Bahnsteigen

Blick in die „Unterführung“ mit dem Anzeigemonitor und einer Informationstafel.
Treppenaufgang zum Bahnsteig.
Lift auf den Bahnsteig. Selbst die Wände des Liftschachts sind mit Natursteinen belegt.

Wartebereiche für Fahrgäste und Besucher

Wartebereich im Freien. In den Sichtflächen hinter den Sitzbänken befinden sich allgemeine Informationen zum Standort und keine Werbeanzeigen.
Beheizter Warteraum unmittelbar neben dem Zugang zum Bahnhof mit künstlerisch gestalteter Rückwand.
Warteraum auf einem der beiden Bahnsteige. Der Raum verfügt zwar über keine Türe, dafür aber über einen beidseitigen Windfang.

Bahnsteige und Gleisanlagen

Blick von Süden auf die Bahnsteige.
Blick auf die sorgfältig gestalteten Dächer über den Bahnsteigen.
Blick auf den Bahnsteig 1.
Glaseinsatz in der Schallschutzwand ermöglicht den Blick auf die Stadt Ebreichsdorf.

Ausführungsdetails – vom Allerfeinsten!

Ausführungsdetail von der Auskleidung der Wände des Liftschachts.
Ausführung des Bahnsteigbelags auf den Schachtdeckeln.
Vor dem Zugang zum Lift wurde eine Chromstahlwanne eingebaut und mit einem Gitterrost abgedeckt. Dies verhindert das Eindringen von Wasser, Schnee oder Schmutz in die Liftkabine. Zusätzlich wurden seitlich zwei Abflussrinnen eingebaut.
Rostfreie seitliche Abflussrinnen neben dem Lift.
Ausführungsdetail von der Treppe zu den Bahnsteigen. Man beachte die Lichtquelle im unteren Handlauf und die schwach erkennbare Chromstahlrinne für Fahrräder.

Und das berühmte „Tüpfchen“ auf dem „i“

Offensichtlich soll die etwa eine halbe Hektare grosse Parkfläche mit einer Solaranlage überdacht werden.

Kommentar

Der etwa 350 Meter vom alten Standort entfernte neue Bahnhof ist mit den über  Ebreichsdorf hinaus fahrenden Regionalbussen gut erreichbar. Zudem wurde beim neuen Bahnhof ein grosser Parkplatz gebaut. Auf beiden Seiten des Bahnhofs stehen für Fahrräder geschützte Abstellplätze zur Verfügung.

Die örtlichen Verhältnisse hätten meines Erachtens jedoch auch eine einfachere und günstigere Lösung zugelassen, indem (1) man neben die Bestandesstrecke ein zweites Gleis gelegt hätte und (2) der „alte“ Bahnhof auf vier Geleise ausgebaut und zu einem Verkehrsknotenpunkt erweitert worden wäre. Schallschutzwände hätten die Lärmimmissionen auf ein vertretbares Niveau reduziert.

Mit der Umfahrung und dem neuen Bahnhof von Ebreichsdorf wurde jedoch eine grosszügige und weitsichtige Lösung getroffen, welche in hiesigen Verhältnissen – man denke etwa an den Ausbau des Bahnhofs Liestal oder das Führen der Strecke der SZU durch das neue Stadtquartier „Green City“ in Zürich-Leimbach – undenkbar waren.

Anmerkungen zum Verkauf von DB Arriva an I Squared Capital

Topics

Die Deutsche Bahn AG hat am 19. Oktober 2023 den Verkauf ihrer Tochtergesellschaft DB Arriva an die nordamerikanische Private Equity-Gesellschaft I Squared Capital kommuniziert.

Mit diesem Verkauf endet eine seit mehreren Jahren anhaltende Unsicherheit über die Zukunft dieses im europäischen Eisenbahn- und Reisebusgeschäft tätigen Unternehmens.

Mehr über dieses Geschäft und ein kurzer Kommentar in diesem Beitrag.

 Rückblick

Arriva wurde 1931 von der Familie Cowie in einer nordenglischen Kleinstadt als Reparaturwerkstatt für Motorräder gegründet. Wenige Jahre später wurde die Geschäftstätigkeit auf Automobile ausgedehnt. 1965 wurde das Unternehmen an der Londoner Börse kotiert. 1980 erfolgte die Expansion in die Personenbeförderung mit Bussen.

Im März 2010 übernahm die Deutsche Bahn AG Arriva für rund EUR 2.8 Milliarden und dekotierte Arriva per 27. August 2010 von der englischen Börse. In der Folge verzeichnete DB Arriva eine stürmische Entwicklung und expandierte in zahlreiche europäische Länder. Dabei übernahm DB Arriva auch Aufträge für den schienengebundenen Personenverkehr.

Da die gesteckten Ertragsziele bei DB Arriva verfehlt wurden und sich die Qualitätsprobleme im innerdeutschen Personenverkehr auf der Schiene verschärften, wuchs der Druck auf die Deutsche Bahn AG, sich von ihrer Tochtergesellschaft zu trennen. Nicht umgesetzt werden konnte die Absicht, DB Arriva als selbstständiges Unternehmen an der Börse zu kotieren. So begann die Deutsche Bahn AG, einzelne Tochterfirmen von DB Arriva zu verkaufen.

Mit dem eingangs erwähnten Verkauf von DB Arriva an I Squared Capital wurden die mehrjährigen Anstrengungen endlich abgeschlossen. Gerüchten zufolge beträgt der Verkaufspreis EUR 1.6 Milliarden, nachdem DB Arriva noch vor wenigen Jahren mit EUR 2.5 Milliarden bilanziert wurde. Der Verkauf unterliegt der Genehmigung durch die Wettbewerbsbehörden und soll 2024 abgeschlossen werden.

Zu DB Arriva

Auf unserer Website haben wir zweimal über DB Arriva berichtet.

Am 30. Juni 1918 haben wir DB Arriva unter dem Titel «DB Arriva – Fakten und Kommentar» vorgestellt. (DB Arriva / Fakten & Kommentar | fokus-oev-schweiz).

Im Beitrag «DB Arriva unter Dauerbeschuss» wurde am 5. Februar 2020 über mutmassliche Verkaufsabsichten der Deutschen Bahn AG berichtet. (DB Arriva unter Dauerbeschuss | fokus-oev-schweiz).

Der Geschäftsgang von DB Arriva hat sich in den vergangenen sechs Jahren erheblich verschlechtert. So mussten bei allen relevanten Kennzahlen Rückgänge verzeichnet werden. Anfangs 2020 verlor DB Arriva wegen Qualitätsmängeln einen bedeutenden Kontrakt für schienengebundenen Nahverkehr in Nordengland. Weniger gross waren die Verluste beim Busverkehr.

Entwicklung von DB Arriva von 2017 bis 2022. (Quelle dieser und aller folgenden Daten: Geschäftsberichte der Deutschen Bahn AG).
Entwicklung wichtiger Kennzahlen von 2017 bis 2022 (Bahn- und Busreisende, Aussenumsatz, Mitarbeitende am Jahresende).

Trotz der anhaltenden Ungewissheit über die Zukunft des Unternehmens blieb die Kundenzufriedenheit bis Ende 2021 vergleichsweise stabil. Erst 2022 war ein grösserer Rückgang zu verzeichnen.

Zu I Squared Capital

Das Unternehmen wurde 2012 gegründet und ist sehr gut vernetzt. Neben dem Hauptsitz in Miami verfügt I Squared Capital über Niederlassungen in Nordamerika, Asien und London. I Squared Capital ist im Infrastrukturbereich tätig, unter anderem in der Energieerzeugung, und betreibt Versorgungsnetze, Entsorgungsanlagen und Telekommunikationseinrichtungen. I Squarded Capital verwaltete Mitte 2023 mit 120 Mitarbeitenden auf eigenes Risiko oder über seine Fonds Vermögenswerte von USD 37 Milliarden.

I Squared Capital geniesst in der Finanzindustrie einen guten Ruf und wurde für sein unternehmerisches Wirken mehrfach ausgezeichnet.

Auswirkungen des Verkaufs von DB Arriva für die Deutsche Bahn AG

Die Auswirkungen des Verkaufs für die Sparte «Personenverkehr» der Deutschen Bahn AG sind erheblich, wie die folgenden Darstellungen zeigen.

Vergleich von DB Arriva mit den anderen beiden Geschäftsbereichen des Personenverkehrs der Deutschen Bahn AG. Immerhin vermochte DB Arriva als einziger Geschäftsbereich 2022 einen positiven EBIT zu erwirtschaften. Das Jahresergebnis war aber negativ.
Reisende pro Geschäftsbereich.
Aussenumsatz pro Geschäftsbereich.
Mitarbeitende pro Geschäftsbereich.

Kommentar

Mit dem Verkauf von DB Arriva endet die Expansion der Deutschen Bahn AG in den europäischen Personenverkehrsmarkt. Mir war die Logik dieser Ausweitung der Geschäftstätigkeit stets unklar. Skaleneffekte lassen sich in einem derart heterogenen Gebilde kaum realisieren, und die Bindung von Managementkapazitäten auf der obersten Führungsebene ist wohl erheblich.

Wie in diesen Tagen verlautete, möchte sich die Deutsche Bahn AG auch von ihrer Logistiktochter DB Schenker AG trennen. Im Gegensatz zu DB Arriva bestehen hier aber für die Deutsche Bahn AG Synergien, indem verkehrsträgerübergreifende Transportleistungen angeboten werden können.

Vorbehalte habe ich aber bezüglich des Verkaufs von DB Arriva an eine Private Equity-Gesellschaft ohne nachgewiesene Expertise im öffentlichen Personenverkehr. In Europa besteht kaum ein Mangel an Kapital oder Erfahrung.  Meines Erachtens hätte DB Arriva gut ins Portefeuille beispielsweise von Kéolis oder Transdev gepasst.

Ist es tatsächlich der Weisheit letzter Schluss, wenn grosse europäische Infrastrukturen oder Infrastrukturbetreiber an nordamerikanische Finanzgesellschaften verkauft werden? Investitionen in den öffentlichen Verkehr sind in Anbetracht der angestrebten Verkehrsverlagerung nicht nur wenig riskant, sondern mittelfristig wohl lukrativ.

Befremdend ist ausserdem, dass ausgerechnet Deutschland als führende Macht der Europäischen Union für DB Arriva keine europäische Lösung gefunden hat. Honi soit qui mal y pense – aber ist Deutschland in letzter Konsequenz das eigene Hemd wichtiger als das weitsichtige Handeln im europäischen Interesse? Die von deutschen Politikern häufig vorgetragene Vision von „der immer enger werdenden Union“ erweist sich vor diesem Hintergrund als leere Worthülse!

Grundsätzlich halte ich eine Konzentration im europäischen Eisenbahnwesen und das Entstehen von grossen und mächtigen grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrsunternehmen in Europa für notwendig. Ich befürchte jedoch, dass der Eintritt von I Squared Capital in den europäischen Personenverkehrsmarkt zu ähnlichen Verwerfungen führen könnte, wie sie sich bei der Go Ahead-Gruppe oder bei Railtrack zu Lasten von Fahrgästen und der öffentlichen Hand einstellten.

Go-Ahead Deutschland goes to ÖBB – Erdbeben im Süden Deutschlands

Topics

Am 12. Oktober 2023 hat die ÖBB Personenverkehr AG (ÖBB PV) die Übernahme der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH (Go-Ahead D) angekündigt. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Die Zustimmung der Wettbewerbsbehörden zur Übernahme steht aus. Einwände sind kaum zu erwarten. Go-Ahead wird gemäss den Verlautbarungen ihre Eigenständigkeit nach Aussen bewahren. Der Vollzug der Übernahme soll bis Ende 2023 erfolgen.

Aus unserer Sicht eine überraschende und weitreichende Transaktion. Mehr dazu und ein kurzer Kommentar in diesem Bericht.

Überblick über die Go-Ahead Gruppe

Die Go-Ahead-Gruppe ist ein bedeutendes Personenbeförderungsunternehmen mit Sitz im englischen Newcastle. Sie betreibt in mehreren Ländern Bus- und Eisenbahnverkehr und ist in weiteren Geschäftsfeldern aktiv. Im Jahr 2021 betrug der Umsatz der Go-Ahead-Gruppe GBP 4’058.5 Mio. Das Betriebsergebnis belief sich auf GBP 115.5 Mio. und der Reingewinn auf GBP 40.7 Mio. Go-Ahead beschäftigte 2021 weltweit 30’573 Mitarbeiter.

Gegründet wurde die Go-Ahead-Gruppe 1987 im Zuge der Privatisierung der englischen National Bus Company. In den folgenden Jahren wuchs die Gruppe dynamisch.  1994 wurde die Go-Ahead-Gruppe an der Londoner Börse kotiert.

Im Jahr 1996 wurde die Go-Ahead-Gruppe im Eisenbahnmarkt aktiv. Auf den Erwerb der Franchise für die Thames Trains folgten weitere Übernahmen.

Ein Joint-Venture in den USA für den Betrieb von Schulbussen in St. Louis, Missouri, wurde 2014 nach nur vier Jahren abgebrochen. Damit fand die kurze Expansion in die USA ihr Ende.

Ab 2015 expandierte die Go-Ahead-Gruppe intensiv ins Ausland, und zwar für die Personenbeförderung sowohl auf der Strasse  als auch auf der Schiene. 2016 erhielt die Go-Ahead-Gruppe den Zuschlag für den Betrieb von zwei Eisenbahnlinien in Deutschland. Damit verbunden war die Gründung der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH.

Die Gründerjahre der Go-Ahead-Gruppe verliefen teilweise erratisch. Käufe und Verkäufe wechselten in kurzer Folge. 2021 kündete das britische Verkehrsministerium der Go-Ahead-Gruppe eine bedeutende Franchise, nachdem bei einer Prüfung finanzielle Unregelmässigkeiten festgestellt wurden. Die Go-Ahead-Gruppe hatte über GBP 25 Millionen unrechtmässig einbehalten. Weitergehende Abklärungen ergaben, dass weitere Unrechtmässigkeiten begangen wurden, wodurch sich der finanzielle Schaden durch Rückzahlungen und Bussen auf gegen GBP 80 Millionen erhöhte.

In der Folge trat der Finanzvorstand zurück und ein australisch-spanisches (!) Konsortium kaufte die Aktien  der Go-Ahead-Gruppe für GBP 669 Mio., worauf die Aktien von der englischen Börse dekotiert wurden.

Überblick über die Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH

Go-Ahead D erbringt Leistungen in mehreren deutschen Verkehrsverbünden, unter anderem in Baden-Württemberg und in Südwest-Bayern. 2022 wurden über 20 Millionen Zugkilometer produziert. Im Raum Stuttgart gehört Go-Ahead D zu den wichtigsten Anbietern im S-Bahn- und im Regionalverkehr. Go-Ahead D betreibt die im Zusammenhang mit Stuttgart_21 neu eingeführten Metropolitan-Expresszüge MEX.

Netzkarte Go-Ahead Baden-Württemberg (Quelle dieses und aller folgenden Bilder: Website von Go-Ahead-Deutschland).
Flirt von Go-Ahead-Baden-Württemberg.
Innenansicht eines Flirt von Go-Ahead-Baden-Württemberg.
Netzkarte von Go Ahead-Bayern.
Flirt von Go-Ahead-Bayern.

Vor allem im Grossraum Stuttgart verlief der Betriebsbeginn von Go-Ahead D holperig und war gekennzeichnet von Unvermögen und Pannen. Wegen Personalmangel fielen zahlreiche Züge aus, oder die DB musste mit ihren Lokführern einspringen. Als Folge der Probleme erwog Baden-Württemberg die Bildung eines eigenen Pools mit Lokführern, um Personalausfällen bei Go-Ahead D und weiteren EVU interimistisch zu begegnen.

Go-Ahead D hatte für den Betrieb in Deutschland 144 Triebwagenzüge bestellt, die grösstenteils bereits abgeliefert wurden. Davon stammen 88 Flirt-3 Züge von Stadler Rail in verschiedenen Ausführungen und 56 Triebwagenzüge von Siemens.

Go-Ahead D beschäftigt rund 1’000 Mitarbeitende. Angaben zu finanziellen Kennzahlen wie Umsatz, Betriebsergebnis und Gewinn liegen nicht vor.

Kommentar

In der mitteleuropäischen Eisenbahnlandschaft wahrlich ein kleines Erdbeben. Mit der Übernahme von Go-Ahead D treten die ÖBB nach dem Nachtzugverkehr kraftvoll in den europäischen Nahverkehrsmarkt ein. Zudem wird eine private Firma von einem staatlichen Unternehmen übernommen. Damit zieht die ÖBB mit anderen europäischen Staatsbahnen gleich, wie etwa mit der SNCF, DB Arriva, Trenitalia oder NS.

Man kann sich fragen, weshalb die DB Regio AG nicht zum Zuge kam. Aus meiner Sicht hätte dies nahe gelegen.

Und es wird spannend sein zu beobachten, ob und wie die ÖBB Personenverkehr AG die latenten Probleme bei der Go-Ahead D lösen wird. Dazu kommt, dass die Signaltechnik nach der Inbetriebnahme von Stuttgart_21 auf ETCS Level 2 umgestellt wird. Wohl ein Kraftakt sondergleichen.

Meterspurbahnen im Jurabogen / Fakten und Gedanken

Topics

Die Bahnjournalisten Schweiz führten in Zusammenarbeit mit RAILplus am 29./30. August 2023 eine ausserordentlich interessante und intensive Studienreise zu den Meterspurbahnen im französischsprachigen Jurabogen durch.

Gerne fasse ich in diesem Bericht mit dem besten Dank an den Reiseleiter, RAILplus und die besuchten Bahnen meine Eindrücke von der Studienreise zusammen.

Überblick

Unter der Leitung von Kurt Metz und mit Unterstützung durch Joachim Greuter, Geschäftsleiter von RAILplus, wurden folgende Bahn- und Transportunternehmen besucht:

  • Nyon – St. Cergue – Morez (NStCM)
  • Morges – Bière-Cossonay (MBC)
  • Lausanne – Echallens – Bercher (LEB)
  • Yverdon – Les Bains – St. Croix (TRAVYS)
  • Transports publics neuchâtelois (transN)
  • Chemins de Fer du Jura (CJ)

Der Empfang und die Gastfreundschaft der Bahnen für die zwölfköpfigen Delegation der Bahnjournalisten waren überwältigend. Die Geschäftsleiter der Bahnen präsentierten ihre Unternehmen persönlich und standen für Fragen zur Verfügung. Daneben bot die Exkursion Gelegenheit, Eindrücke von der schönen Juralandschaft zu gewinnen und sich untereinander auszutauschen.

In diesem historischen Triebwagen der MEB fuhren wir von Morges nach L’Isle. Auf der Fahrt präsentierte uns Pierre-Alain Perren, Direktor der MBC, sein Unternehmen und verwöhnte uns mit einem feinen Imbiss.

Zusammenfassend präsentierten sich die Bahnen in einem sehr guten Zustand. In den letzten Jahren wurden in verschiedener Hinsicht grosse Fortschritte erzielt. Das gilt sowohl in Bezug auf die Infrastruktur, das Rollmaterial als auch den Auftritt der Bahnen. Die präsentierten Projekte zeugen von einem gesunden Selbstvertrauen und von Zuversicht für die Zukunft.

Unterschiedlich ist der Detaillierungsgrad der abgegebenen Unterlagen oder der über das Internet verfügbaren Informationen. Das gilt in besonderem Mass für den Detaillierungsgrad und die Aussagefähigkeit der Geschäftsberichte. Hier besteht vor allem bei der transN, wo nur sehr pauschal über die Entwicklung der Fahrgastzahlen oder der Personenkilometer berichtet wird, Handlungsbedarf. Trotz mehrfachen Anfragen beim Unternehmen, beim statistischen Amt des Kantons Neuenburg oder beim BAV, konnten die Leistungsdaten von transN nicht beigebracht werden.

Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zum Kanton Waadt die Kantone Jura und Neuenburg ihre (kantons-) eigenen Transport- und Bahnunternehmen unter einem Dach zusammengefasst haben. transN und CJ stellen neben SBB und Postauto den überwiegenden Teil des öffentlichen Verkehrs in ihren Kantonen sicher.

Grosse Unterschiede bestehen bei den Kostendeckungsgraden von einzelnen Angeboten. Zudem stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung von Angeboten. Ist es nachhaltig, die Eisenbahnstrecken von Apples nach L’Isle (mit einem Kostendeckungsgrad um 10 Prozent) oder von St. Cergue nach la Cure in Anbetracht der geringen Frequenzen weiter zu betreiben? Zumal beispielsweise eine Busverbindung von Apples über L’Isle nach Cossonay die Erschliessung der Region mit ihrer gestreuten Besiedlung oder weitab von Bahnhöfen gelegenen Dörfern substantiell verbessern würde.

Auch kann man bezüglich der Angemessenheit von Projekten oder Absichten geteilter Meinung sein. So zum Beispiel das Weiterführen der Züge der schmalspurigen Züge CJ von Glovelier nach Delémont auf einem Dreischienengleis auf der Strecke der SBB oder das projektierte monumentale Bahnhofsgebäude von Bière.

Bei der Beantwortung dieser kritischen Fragen darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Bahnen gerade in weniger strukturstarken Regionen einen wesentlichen Teil zur regionalen Wertschöpfung beitragen oder Hoffnungsträger sind. Ein abendlicher Spaziergang durch St. Croix führte dies vor Augen. Etliche Gebäude im einst bedeutenden Industriezentrum und Touristenort wirken verwahrlost – einzig der Bahnhof und die Umgebung heben sich positiv vom Umgelände ab.

Gebäude in St. Croix.
Noch benutzte Wohnung in St. Croix.

Eindrücklich, mit welcher Begeisterung uns in Les Ponts-de-Martel der Leiter der Werkstatt von transN für die meterspurige und knapp 16 Kilometer lange Meterspurbahn nach La Chaux-de-Fonds seinen Betrieb vorstellte. In Anbetracht der Geographie und des Kostendeckungsgrades dieser Eisenbahnstrecke von 20.5 Prozent könnte eine Umstellung auf Busbetrieb oder – mindestens – eine Fusion mit den Chemins Fer du Jura CJ angezeigt sein.

Betriebliche Kennzahlen 2022

Überblick über wichtige Kennzahlen der besuchten Bahnen. Die Tabelle wurde vom Verfasser aufgrund der verfügbaren Informationen erstellt. Ich verweise auf die Ausführungen in der Einleitung. Die Streckenlängen sind in Kilometern angegeben. Die Spannung ist in 1’000 Einheiten angegeben. DC steht für Gleichstrom, AC für Wechselstrom. Die Frequenz liegt in der Regel bei 16 2/3 Hertz.

Die Zahlen belegen, dass mit Ausnahme der NStCM und der CJ die Bahnen in Verkehrsunternehmen eingebunden sind, in denen sie nur einen geringen Teil der Transportleistung erbringen. Teilweise bestehen zwischen der SBB und den Jurabahnen komplexe Verhältnisse – so wie im Vallée de Joux oder im Val de Travers.

Finanzielle Kennzahlen 2022 im Überblick

Überblick über die wichtigsten finanziellen Kennzahlen. Erträge und Aufwendungen sind in CHF 1’000 angegeben, die Kostendeckungsgrade in %. Die Tabelle wurde vom Verfasser mit grosser Sorgfalt erarbeitet. Die Angaben basieren auf den in den Geschäftsberichten präsentierten (Brutto-) Zahlen. Wo keine Spartenergebnisse vorlagen, wurden die Angaben der gesamten Unternehmung verwendet. (Erläuterung der Abkürzungen: PBG Personenbeförderungsgesetz, EBG Eisenbahngesetz). Die YStCM betreibt den Busverkehr in der Region Nyon mit ihrem Tochterunternehmen TPN. Die LEB gehört zur TL-Gruppe (Transports publics Lausannois).

Die Kostendeckungsgrade weichen teilweise von den publizierten Zahlen der Bahnen ab, da der Aufwand auch die Investitionen in Anlagen und Rollmaterial enthält. Das gilt in besonderem Mass für die LEB, welche in der TL-Gruppe (Transport de la Ville de Lausanne) eingebunden ist. Die Zahlen lassen vermuten, dass die Kostendeckungsgrade der Busse über denjenigen der Bahnen liegen.

Bemerkenswert ist, dass die CJ mit drei Tarifverbünden kooperiert, nämlich Onde Verte (Neuenburg und Berner Jura), Vagabond (Jura) und Libero (Bern und Solothurn).

Abschluss

Abschliessend nochmals ein grosses Dankeschön an alle, die zum Erfolg dieser gehaltvollen Studienreise beigetragen haben. Vielen Dank auch an die Bahnen für die Nachlieferung von Informationen.

In diesem historischen Triebwagen der CJ führten uns Frédéric Python und sein Team von Saignelégier nach Le Noirmont und zurück. Unterwegs kamen wir in den Genuss einer interessanten Präsentation und von ausgesuchten Spezialitäten aus der Region.

European Metropolitan Network – und die Schweiz?

Topics

Die Deutsche Bahn AG hat im Juni 2023 ein Konzept für den Ausbau des europäischen Schnellverkehrs zwischen den grossen Zentren publiziert. Unter der Bezeichnung «Metropolitan Network – A strong European railway for an ever closer union» wird ein Netzwerk aus heutigen, sich im Bau befindlichen oder möglichen Strecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgeschlagen. In diesem Beitrag treten wir auf das Konzept ein.

Die Ausführungen werden mit ein paar Anmerkungen zum Anschluss bzw. zum Beitrag der Schweiz an das vorgeschlagene Netzwerk ergänzt.

Metropolitan Network

Das Konzept wurde im Auftrag der DB von der Firma «PTV Group GmbH» mit Hauptsitz in Karlsruhe erarbeitet. Neben dem Vorschlag für das Netz wird für die einzelnen Metropolitanräume das Potential von Hochgeschwindigkeitsverbindungen simuliert. Michael Peterson, DB-Vorstand für den Personenfernverkehr, hält eine Verdreifachung des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs für möglich.

Vorgeschlagenes HGV-Netzwerk (Auszug aus der Studie).

Das Konzept geht gemäss der Pressemitteilung der DB von folgenden Fakten oder Annahmen aus:

  • Angebunden an das Netz werden alle 230 Metropolitanregionen und grossen Städte von Europa mit über 250’000 Einwohner.
  • In den so definierten Räumen leben sechzig Prozent der europäischen Bevölkerung, die in den Genuss von mindestens stündlichen Verbindungen kommen sollen.
  • Zentral ist die Infrastruktur. Das heutige HG-Netz von 11.300 Kilometern soll bis 2050 auf rund 32.000 Kilometer erweitert werden.
  • Das deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz würde bis 2050 auf gut 6.000 Kilometer wachsen.
  • Explizit erwähnt in der Pressemitteilung wird als europäisches Land einzig Polen (!), dessen Hochgeschwindigkeitsnetz sich von heute 224 Kilometer auf knapp 3.000 Kilometer verfünfzehnfachen würde.
Nutzen des HGV-Netzwerks (Auszug aus der Studie).
Erschliessung von Prag als bedeutender osteuropäische Metropole. Diese Berechnung erfolgte für alle Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten (Auszug aus der Studie).
Legende zu obigem Schema (Auszug aus der Studie).

Aufgefallen bei der Studie ist Folgendes:

  • Bemerkenswert ist, dass die Studie nicht von der EU-Kommission, sondern von einer zwar bedeutenden Staatsbahn geordert und publiziert wurde.
  • Auffallend ist auch, dass die Studie von einem deutschen Unternehmen stammt – einem Land, das den Personenverkehr in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat. Ein fachkundiger Beobachter schätzt den Nachholbedarf für die Sanierung des deutschen Schienennetzes auf EUR 88 Milliarden. Dazu kommt, dass die Deutsche Bahn AG zurzeit mit EUR 33 Milliarden verschuldet ist.
  • Gemäss den uns vorliegenden Informationen war das Engagement der im Bericht aufgeführten Partnerbahnen eher mässig.
  • Eigentlich ist es müssig, über die Motive der Auftraggeber zu spekulieren. Ist man mit dem Wirken der EU-Kommission in dieser wichtigen Sache unzufrieden, oder will man sich in Anbetracht von Spekulationen in der Öffentlichkeit über eine Aufspaltung des DB-Konzerns als tatkräftiges Unternehmen profilieren?
  • Speziell ist auch, dass in Anbetracht des belasteten Verhältnisses zwischen den beiden Staaten ausgerechnet auf Polen verwiesen wird. Sind den Verfassern der Studie die ehrgeizigen Ziele von Polen für die Schaffung eines leistungsfähigen nationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes nicht geläufig?

Immerhin hat die Studie auf das enorme Potential des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs hingewiesen. Unsicher ist aus unserer Sicht, ob das Konzept aus der Werkstatt eines europäischen Hegemons der Sache wirklich zuträglich ist. Wie dem auch sei – hoffen wir, dass die Studie als einer der berühmten steten Tropfen den Stein tatsächlich höhlt.

Die Schweiz und der europäische Hochgeschwindigkeitsverkehr

Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie war Anlass, die Rolle der Schweiz in diesem Kontext zu überdenken. Beunruhigt hat der weisse Fleck im Zentrum von Europa. Dabei führen wichtige potentielle Korridore durch unser Land. Ich denke dabei etwa an die Relation Frankfurt-Milano oder Stuttgart-Milano. Ist man sich hierzulande dessen bewusst?

Lage der Schweiz (Auszug aus der Studie).

Die Schweiz sucht zwar den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und hat für die erste Phase des Anschlusses 2003 einen Verpflichtungskredit von CHF 1,090 Milliarde genehmigt. Der Bundesrat hat diesen Kredit in zwei Schritten auf CHF 1,195 Milliarden erhöht. Interessant – aber wenig verheissungsvoll für die Zukunft – ist, wie diese Mittel verwendet wurden.

Verwendung der Mittel des „HGV-Kredits“ (Tabelle wurde vom Verfasser mit Daten aus Wikipedia erarbeitet).

Weniger als ein Drittel der Investitionen vermögen eine Wirkung in Bezug auf den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz zu entfalten. Mit dem überwiegenden Teil wurden mehrheitlich überfällige nationale Ausbauten finanziert.

Und wie stellt sich die Schweiz ihren Beitrag an ein leistungsfähiges europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz vor? Auch steht die Frage im Raum, welchen Beitrag die Tunnels der NEAT für den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr leisten können. Machen wir uns nichts vor! Indem bis zu 300 Stundenkilometer schnelle Hochgeschwindigkeitszüge von der Magadinoebene durch den Ceneri Basistunnel mit maximal 230 Stundenkilometern nach Lugano hochdonnern, um anschliessend in einer kurvenreichen und stark belasteten Strecke im Mischverkehr nach Chiasso und Como herunterzufahren? Und unterwegs natürlich in Basel, Luzern oder Zürich sowie in Arth-Goldau und Bellinzona Halt gemacht zu haben!

Ein grosser Wurf – Como Camerlata RFI

Topics

Bei Fahrten von Lugano nach Mailand mit dem Regionalexpress 80 fällt auf, dass der Zug kurz nach der Abfahrt im Bahnhof Como San Giovanni nach etwa vier Kilometern in einem völlig neuen Bahnhof – Como Camerlata RFI – bereits wieder hält. Auf einer Reise Richtung Lecco musste ich vor ein paar Tagen in diesem Bahnhof in den Bahnersatzbus nach Molteno umsteigen.

Die Eindrücke waren überwältigend – auf grüner Wiese wurde ein moderner und kundenfreundlicher Verkehrsknotenpunkt geschaffen. Mehr über den Bahnhof von Como Camerlata RFI, die strategische Bedeutung dieser Investition und ein paar Hintergrundinformationen in diesem Bericht.

Lage von Como Camerlata. Die Länge der Bahnstrecke zwischen Como San Giovanni und Como Camerlata RFI beträgt ca. vier Kilometer. Der Bahnhof von Como Camerlata RFI ist auf dieser Karte noch nicht eingezeichnet. Er befindet sich bei der Überführung der Strasse über die Bahnlinie von RFI und neben dem Bahnhof von Como Camerlata FNM. (Auszug aus der Landeskarte der Schweiz).

Hintergrundinformationen

Von Como aus führen zwei Bahnlinien nach Mailand. Die von der Staatsbahn RFI betriebene Strecke mit Fern-, Regional- und Güterverkehr führt über Monza entweder nach Milano Centrale oder nach Milano Porta Garribaldi bzw. nach Milano Lambrate. Die zweite Strecke wird von Ferrovienord FNM betrieben und führt von einem unscheinbaren Bahnhof im Stadtzentrum von Como über Saronno nach Milano Cadorna.

Die Regionalzüge werden auf beiden Strecken von TreNord betrieben. Trenitalia und Ferrovia Nord Milano haben 2009 für den Regionalverkehr dieses Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Die Zuständigkeit für die Infrastruktur ist weiterhin getrennt, indem für das Netz von Trenitalia Rete Ferroviaria Italiana RFI und für das Netz von FNM die Infrastrukturgesellschaft von FNM Ferrovienord zuständig sind.

Diese Kooperation und enorme Investitionen in das Rollmaterial und die Infrastruktur – hier vor allem der Bau der Durchmesserlinie «Passante» unter dem Stadtzentrum von Mailand – haben den Nah- und Regionalverkehr im Grossraum Mailand enorm beflügelt. Man darf von einem epochalen Umbruch sprechen.

Vor der Jahrtausendwende bestanden zwischen den beiden Bahnen kaum Synergien. Die Infrastrukturen und das Tarifsystem waren völlig getrennt. An einigen Orten hatte es zwei Bahnhöfe. Diese befanden sich wie in Varese in unmittelbarer Nachbarschaft, etwas weiter voneinander entfernt wie in Laveno-Mobello oder sehr weit auseinander wie beispielsweise in Como. Der 1.2 Kilometer lange Fussweg zwischen Como S.G. und Como Lago Nord beansprucht wegen den zahlreichen Strassenübergängen fast zwanzig Minuten.

Regionalverkehrsangebot zwischen Como und Mailand

Zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi besteht an Werktagen zwischen 05.13 Uhr und 22.49 Uhr Halbstundentakt. Etwa jeder zweite Zug startet bereits in Chiasso, und jeder zweite Zug wird über Milano Porta Garibaldi hinaus nach Rho weitergeführt. Die Fahrzeit zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi beträgt 62 Minuten. Die S11 umfährt Milano Centrale. Reisende nach Milano Centrale müssen in Monza in einen Zug nach Milano Centrale umsteigen. Ergänzend steht Reisenden von Como S.G. der von TILO betriebene Regionalexpress RE80 zur Verfügung. Diese stündlich verkehrenden Züge von Locarno aus sind auch in Italien sehr beliebt und führen mit wenigen Halten nach Milano Centrale.

Auch zwischen Como Nord Lago und Milano Cadorna besteht an Werktagen Halbstundentakt. Die Reisezeit liegt ebenfalls bei 62 Minuten. Daneben verkehren in den Hauptverkehrszeiten zwei schnelle Verbindungen mit einer Reisezeit von 55 Minuten.

Beide Verbindungen erfreuen sich einer starken Nachfrage. Auf zahlreichen Fahrten erhielt ich den Eindruck, dass die Züge über Saronno eher besser frequentiert sind. Quantitative Zahlen liegen mir jedoch nicht vor.

Kommentar

Mit Como Camerlata RFI wurde ein weiterer bemerkenswerter Meilenstein in der Kooperation zwischen RFI und Ferrovienord realisiert, indem eine effiziente Verbindung zwischen den beiden Bahnsystemen geschaffen wurde. Aber nicht nur das – Camerlata Nord RFI ist ideal an das städtische Bussystem angebunden. Zudem steht den Kunden der Bahn eine grosszügig bemessene und gut an das Strassennetz angebundene Park and Ride-Anlage zur Verfügung. Beeindruckend sind aber auch die architektonische Gestaltung und die Kundenfreundlichkeit der Anlagen. Da steigt man gerne ein oder um!

Plan der Lage der beiden Bahnhöfe und ihrer Umgebung. Der rot eingezeichnete Verbindungsweg misst etwa 140 Meter. (Quelle: Google Maps).

Bildbericht

Die folgenden Bilder entstanden auf dem Weg vom Bahnhof Como Camerlata RFI zum Bahnhof Como Camerlata FNM. Wer das berühmte „Haar in der Suppe“ sucht, findet es bei der ungenügenden Entfernung des Unkrauts und bei einigen Ausführungsmängeln. Diese beinträchtigen den positiven Gesamteindruck kaum.

Bahnhof Como Camerlata RFI

Blick von der Mitte des Bahnsteigs nach Norden.
Blick von der Mitte des Bahnsteigs auf den Aufgang.
Blick von der Unterführung unter der Hauptstrasse auf die geschützte Passerelle. Das rosa Gebäude hinter der Passerelle gehört nicht zum Bahnhof. Man beachte die überdachten Zugänge.
Detailansicht von der Passerelle.
Blick auf den Lift zur Passerelle. Im Hintergrund sind die Bushaltestelle und die Besucherparkplätze erkennbar.
Ein weiterer Blick auf die Bushaltestelle und die dahinter liegenden Abstellplätze für Fahrräder.
Detailansicht vom Zugang zum Lift auf die Passerelle.
Ausführungsdetail vom Zwischenpodest der Treppe zur Passerelle.
Ein weiteres Detail – das untere Ende der Treppe und die Entsorgungsstation.
Blick vom Verbindungsweg zurück auf die Passerelle.

Park and Ride-Anlage

Blick auf einen Teil der schätzungsweise 150 Parkplätze der Park and Ride-Anlage.
Unterführung mit abgetrenntem Fussweg von der Park and Ride-Anlage zum Bahnhof.

Verbindungsweg zwischen den beiden Bahnhöfen

Blick vom Bahnhof Como Camerlata RFI auf den etwa 140 Meter langen Verbindungsweg zum Bahnhof Como Camerlata FNM.
Hinweistafeln etwa in der Mitte des Verbindungsweges.
Blick aus der Unterführung unter der Bahnlinie der FNM auf den Verbindungsweg,

Bahnhof Como Camerlata FNM

Blick in die Unterführung unter dem Bahnhof Como Camerlata FNM. Man beachte die verwendeten Baumaterialien für den Boden (Natursteinplatten) und die Wände (Keramikplatten).
Zugang aus der Unterführung zum Lift auf den Mittelperron.
Blick auf das gepflegte Bahnhofgebäude von Como Camerlata FNM.
Blick vom Ende des Hausperrons auf die beiden Bahnsteige. Auf der rechten Seite befinden sich weitere rund hundert Parkplätze für Bahnkunden.
Detailansicht auf das Bahnhofgebäude. Man beachte die Ausführungsdetails und die Sauberkeit.

Abschliessende Bemerkungen

Das abschliessende Bild steht stellvertretend für TreNord: „Gleich und doch unterschiedlich“. Die Gestaltung der Bahnhöfe von RFI und Ferrovienord und damit das Corporate Design weichen erheblich voneinander ab. Gelegentlich besteht der Eindruck, dass zwischen den beiden Gesellschaften ein Architekturwettbewerb im Gang ist, wer den schönsten Bahnhof baut. Wie dem auch sei – Nutzniesser dieses unterstellten Wettstreits sind die Benutzer, die von schönen und kundenfreundlichen Bahnhöfen profitieren können. Gegebenheiten, von denen Kunden im Grossraum Zürich nur träumen können.

Bildschirme auf dem Verbindungsweg zwischen den beiden Bahnhöfen.

Renens liegt in der Schweiz. Wirklich!

Topics

Sylvain Meillasson veranstaltete für die Bahnjournalisten Schweiz am 12. April 2023 unter der Bezeichnung «Romandie: Mobilitätschampions» eine spannende und reichhaltige Studienreise in die Westschweiz. Die anfängliche Skepsis gegenüber der ambitionierten Bezeichnung der Studienreise löste sich im Verlauf des Tages rasch im Nichts auf.

Von den zahlreichen Höhepunkten der Reise beeindruckte vor allem der umgebaute Bahnhof von Renens. Leider war die Zeit für die Besichtigung dieser grossartigen Infrastruktur am 12. April 2023 zu knapp. Ich holte bei den SBB ergänzende Informationen ein und reiste am 17. Mai 2023 für eine intensive Besichtigung des Bahnhofs erneut nach Renens.

Mehr über das noch nicht vollständig abgeschlossene Projekt und die Erklärung für die sonderbar anmutende Überschrift in diesem Bericht – Staunen ist angesagt!

Überblick über das Projekt

Das Bevölkerungswachstum im Westen von Lausanne und der nachfragegerechte Ausbau des öffentlichen Verkehrs bewirkten eine erfreuliche Zunahme der Auslastung des Bahnhofs von Renens. Die bestehenden Anlagen vermochten den Ansturm kaum mehr zu bewältigen und genügten den Bestimmungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes nicht mehr.

Die 2015 begonnenen Arbeiten sind bezüglich der Anlagen der SBB praktisch abgeschlossen. Noch im Gang sind die Arbeiten für die neue Stadtbahn der «Transports Publics Lausannois» (TL) vom Bahnhof Renens ins Zentrum der Stadt Lausanne. Dies Arbeiten beinhalten im Wesentlichen den Bau einer rund 5 Kilometer langen zweigleisigen Tramlinie T1, substantielle Anpassungen am Strassennetz und den Bau der Endhaltestelle für T1 im Bahnhof von Renens. Das Projekt wird mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn T1 Ende 2024 abgeschlossen.

Gemäss einem Auszug aus einer Beschreibung der SBB erfolgten im Bahnhof von Renens folgende Arbeiten:

  • Renovation des historischen Bahnhofgebäudes und Neugestaltung des Vorplatzes.
  • Verbreiterung der bestehenden Unterführung mit besseren Zugängen zu den Perrons mit Rampen und gut zu begehenden Treppen.
  • Verlängerung der Perrons auf 420 Meter Länge und Verbreiterung der Perrons 2 und 3.
  • Anhebung aller Perrons auf 55 cm für einen stufenfreien Zugang zu den Zügen
  • Anpassung des Gleiskopfs.
  • Bau neuer und längerer Perrondächer sowie Anpassung des Mobiliars und der Beleuchtung.
  • Sanierung des historischen Daches von Perron 1.
  • Koordination der Arbeiten mit der Stadt Renens beim Projekt «Rayon Vert» (Bau einer neuen Passerelle zur innerstädtischen Verbindung über den Geleisen), mit Zugängen zu den Perrons und zur Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1.

Die Kosten der baulichen Massnahmen der SBB einschliesslich der Hälfte der Anpassungen an den Geleisen wurden bei Baubeginn mit einer Bandbreite von 20 Prozent auf CHF 172 Mio. geschätzt. Die Finanzierung erfolgt über eine vom Bund finanzierte Leistungsvereinbarung mit den SBB. Die Bauabrechnung mit den genauen Kosten ist zurzeit noch pendent.

Verlauf der bisherigen Arbeiten

Zusammenfassend darf bisher von einem erfolgreichen und termingerechten Verlauf des anspruchsvollen Projekts gesprochen werden. Besonders hervorzuheben ist die konstruktive und proaktive Zusammenarbeit mit den Behörden der Stadt Renens, die sich auch mit den drei anderen betroffenen Gemeinden Chavanne, Crissier und Ecublens abgesprochen hatte. Trotz den intensiven Arbeiten gelang es, den Betrieb auf einer der verkehrsreichsten Eisenbahnlinien der Schweiz ohne nennenswerte Probleme aufrecht zu erhalten.

Besondere Herausforderungen bildeten die Steuerung der Passagierströme während den Arbeiten und die Abstimmung mit den übrigen Akteuren in der Umgebung des Bahnhofs (Bau eines neuen Gebäudes über der Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1, Erweiterung einer Strassenunterführung östlich des Bahnhofs und Einbindung des Trasses für die zukünftige Tramlinie nach Lausanne).

Dank einer effizienten Steuerung des Projekts wurden positive Erkenntnisse für die Baustellenlogistik gewonnen. Auch liessen sich aus der integrierten Planung Schlüsse für die Lenkung der Personenströme bei zukünftigen Grossprojekten ziehen.

Bauteile

Nachstehend einige Bilder, aufgenommen am 17. Mai 2023 mit einem Smartphone.

Bahnhofgebäude und Vorplatz

Bahnhofgebäude mit verkehrsfreiem Vorplatz.
Sitzbänke und Schutzdächer auf dem Bahnhofvorplatz.

Unterführung

Eindruck von der grosszügigen Unterführung.
Rampe aus der Unterführung auf einen Bahnsteig. Man beachte die zurückhaltende Werbeflächen und das Fehlen von Ladengeschäften.
Blick in eine verhältnismässig flache und helle Rampe.
Aus weissen Gestein gefertigte Stufen vor den Podesten oder dem Treppenabgang. Auch die Steigung der Treppe ist viel geringer und weniger gefährlich als beispielsweise in Winterthur oder Zürich-Oerlikon.
Blick von oben auf eine Rampe. Das begehbare Dach oberhalb der Lampe ist aus blauem Glas. Man beachte die Holzkonstruktion am Geländer, an die sich wartende Fahrgäste anlehnen können.

Passerelle

Zugang auf die Passerelle vom Bahnhofvorplatz her – mit Treppe und Rolltreppe.
Seitlicher Aufgang mit Treppe und Rolltreppe auf das Zwischenpodest der Passerelle.
Oberes Ende des Aufgangs vom Bahnhofplatz her auf die Passerelle. Zusätzlich zur Treppe und zur Rolltreppe steht den Fahrgästen ein grosszügiger Lift zur Verfügung.
Blick in die Passerelle. Man beachte die Sitzbänke und den Pflanzenschmuck. Hier sitzt man gerne.
Blick auf den Zugang zu einem der Lifte von der Passerelle zu den Bahnsteigen.
Von der Passerelle aus führen auch Treppen und Rolltreppen zu den Bahnsteigen.
Blick von der Stadtseite auf den Zugang zur Passerelle.
Blick von der Stadtseite auf die Passerelle.
Blick auf die Passerelle aus südöstlicher Richtung. Im Vordergrund die Planie für die Geleise der Strassenbahn T1 nach Lausanne.
Eindruck von einem Bahnsteig mit grosszügig gestaltetem Dach mit einer Dachhaut aus blauem Glas.
Eindruck eines wartenden Fahrgastes auf einem Bahnsteig. Im Hintergrund die Passerelle.
Aufgang vom Bahnsteig auf die Passerelle. Die Passerelle ist vollständig überdacht und seitlich mit Glaswänden geschützt.
Blick auf den Bahnsteig 1 mit dem in die neue Dachkonstruktion integrierten historischem Perrondach.
Blick auf die Haltestelle der Stadtbahn nach Lausanne Flon. Eine Fahrt mit dieser Bahn und ein Rundgang durch das Hochschulgelände, das durch die Stadtbahn erschlossen ist, mit zahlreichen architektonischen Meisterwerken ist sehr zu empfehlen.
Blick auf die Haltestelle der Stadtbahn nach Lausanne Flon. Man beachte die künstlerisch geschmückten Säulen des neu gebauten Bürogebäudes.
Blick auf das Trasse der zukünftigen Strassenbahn T1 ins Zentrum von Lausanne.

Kommentar

Aus Sicht eines aufmerksamen Benutzers des öffentlichen Verkehrs im Grossraum Zürich kehrt man tief beeindruckt und mit etwas Neid auf Renens zurück – besonders, wenn man den Vergleich mit kürzlich umgebauten oder bestehenden Publikumsanlagen in der Region Zürich zieht. In Renens eingehauste Übergänge, lange Perrondächer oder grosszügige Übergänge und Unterführungen!

Das gelungene Bauwerk und die wunderbare Überführung sind für mich ein schlagender Beweis für die erwähnte konstruktive Zusammenarbeit der SBB mit der Stadt Renens. Kein Vergleich mit den Überführungen in Bellinzona, über die wir auf unserer Website berichtet haben. Offensichtlich wurde dort eine grosse Chance vertan, gemeinsam mit der Stadt Bellinzona für die Öffentlichkeit und für die Fahrgäste eine funktional und städtebaulich überzeugende Lösung zu verwirklichen. Und nur wenig positiver fällt der Vergleich mit den Verhältnissen in Zürich-Oerlikon aus, wo zwei kaum Gemeinsamkeiten aufweisende unmittelbar nebeneinander liegende grosse Personenunterführungen gebaut wurden – eine durch die SBB, die andere von der Stadt Zürich.

Und beim Umsteigen in Lausanne entdeckt – eine hygienische und einladende Wasserbezugsstelle für Fahrgäste. Klein – aber in der Wirkung gross!

Fachmedienkonferenz 2023 Stadler Rail / FLIRT H2

Topics

Am 16. März 2023 folgten knapp zwei Dutzend Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz der Einladung von Stadler Rail AG zur Fachmedienkonferenz 2023. Nach einem ausführlichen Überblick über den Geschäftsgang von Stadler wurde über technische Entwicklungen informiert. Nach den überaus interessanten Präsentationen bot sich Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Werkhallen am Standort Bussnang. Am Nachmittag folgten die Besichtigung und eine Probefahrt mit dem eigens für einen Betreiber in San Bernardino im Süden von Kalifornien produzierten und mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb motorisierten Flirt-Triebwagenzug.

Begrüssung durch Gerda Königsdorfer, Head of Group Communications von Stadler Rail AG

Gerda Königsdorfer, oberste Kommunikationsverantwortliche, begrüsst über 20 Medienfachleute zur Fachmedienkonferenz 2023 und zur Testfahrt mit dem Flirt H2. Sie bedankt sich fürs Kommen und für das Interesse an Stadler Rail. Im Anschluss an drei Referate haben die Teilnehmenden die Möglichkeit zu einem Werkrundgang und – am Nachmittag – zu einer Testfahrt mit dem Flirt H2, dem mit Wasserstoff angetriebenen Flirt für die San Bernardino County Transport Authority (SBCTA), eine Stadt in Südkalifornien bei Los Angeles.

Stadler Rail AG heute – Referat von Markus Bernsteiner, Group CEO

Markus Bernsteiner informiert über wesentliche Ereignisse bei Stadler. Die Firma blickt auf eine eindrückliche Expansionsphase zurück. Auftragseingang und Auftragsbestand haben 2022 neue Rekordstände erreicht. Mit Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer wurde der Verwaltungsrat von Stadler Rail AG weiter gestärkt.

Bestellungen 2022 und Bestellungsvorrat.

Markus Bernsteiner erläutert die von Stadler bearbeiteten Marktsegmente und die entsprechenden Fahrzeuge. Bemerkenswert sind die Erfolge mit der Lokomotive EURO9000, der stärksten sechsachsigen Lokomotive.

Anschliessend erläutert Markus Bernsteiner die globalen Märkte für Triebfahrzeuge. Die Zielmärkte von Stadler haben ohne China ein jährliches Volumen von rund CHF 26 Milliarden. Mit einem Umsatz von CHF 3.2 Milliarden beträgt der aktuelle Marktanteil von Stadler rund 13 Prozent – eine stolze Leistung für das relativ junge Unternehmen.

Strategische Märkte Stadler.

Eindrücklich ist auch das verhältnismässig dichte europaweite Netz von Servicestandorten. Stadler sucht die Nähe zu den Kunden. Dies ist unter anderem ein Beweis für die Servicequalität von Stadler für die eingesetzten Produkte.

Service Standorte von Stadler Rail.

Besonders stolz ist Stadler auf den Erfolg der Sparte Signaltechnik. In nur fünf Jahren wuchs dieser Bereich von fünf auf 600 Mitarbeitende, die an mehreren Standorten beschäftigt sind. Das von Stadler entwickelte «Guardia»-System für die ETCS-Infrastruktur in Fahrzeugen wurden von mehreren europäischen Eisenbahnaufsichtsbehörden homologisiert.

Produkte im Segment Signalling.

Innovation und Wachstum – Referat von Dr. Ansgar Brockmeyer, stv. Group CEO

Dr. Ansgar Brockmeyer erläutert den Nutzen der Eisenbahn als umweltfreundlichstes terrestrisches Transportsystem. Besonderes Augenmerk widmet Stadler der Förderung der Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge – unter dem Begriff der Dekarbonisierung vor allem dem Ersatz des Dieselantriebes durch umweltfreundlichere Antriebe. Anhand einer Folie zeigt Dr. Ansgar Brockmeyer das CO2-Einsparpotential der verschiedenen Antriebsarten. Überraschend tief ist mit 26 Prozent das Einsparpotential von Wasserstoff-Brennstoffantrieben, dies im Gegensatz zu 77 Prozent bei batteriebetriebenen Triebwagenzügen.

Potentiale der Dekarbonisierung.
Gesamteffizienz von Antriebskonzepten.

In Anlehnung an die bewährten GTW-Triebwagenzüge werden neu auch bei Flirt zwischen die Wagen Module mit Bestandteilen der Antriebstechnik, die sogenannten «Power-Pack», eingereiht. Diese bieten Raum für die neuartigen Energiequellen, seien es Batterien oder die Wasserstoff-Brennstoffzellen. Am Nachmittag bietet sich Gelegenheit zu einer Besichtigung und Fahrt mit einem H2-betriebenen Flirt.

Dr. Ansgar Brockmeyer beendet seine Ausführungen mit einem Überblick über die von Stadler angebotenen umweltfreundlichen Antriebssysteme und bereits damit ausgerüstete Fahrtzeuge. Bemerkenswert ist das Faktum, dass 2022 mehr Fahrzeuge für Stadtbahnen und Strassenbahnen bestellt wurden als traditionelle Vollbahn-Triebwagenzüge.

Auftragseingang 2022 nach Produktsegmenten.

Präsentation TINA – Präsentation von Dirk Schillings, CTO LRV

Dirk Schillings, CTO des Bereichs Light Rail Vehicles LRV, erläutert die Entstehungsgeschichte der Strassenbahn TINA (Total Integrierter Niederflur-Antrieb), einem neuen Verkaufserfolg von Stadler. 2017 wurde bei Stadler in Anbetracht der unsystematischen Angebotspalette von Strassenbahnen die Notwendigkeit einer Systematisierung und Vereinheitlichung erkannt. In der Folge wurde in rekordkurzer Zeit mit TINA ein völlig neues und vielfältig einsetzbares Drehgestell entwickelt, das in verschiedenen Ausprägungen und mit modularen Wagenkästen erhältlich ist.

Kennzahlen TINA.

Mit diesem Drehgestell ausgerüstete Strassenbahnfahrzeuge wurden vom Markt sehr gut aufgenommen, wie die bereits eingegangenen festen Bestellungen von 191 Fahrzeugen eindrücklich belegen. Die neuen Fahrzeuge zeichnen sich a) durch Kundenfreundlichkeit – komplett barrierefreier Boden, grosse Panoramafenster, etc. – b) Wartungsfreundlichkeit und c) übersichtliche, grosszügige und sichere Führerkabine aus.

Absatzerfolg 2022 TINA.

Rundgang durch das Werk Bussnang

Nach diesen spannenden Referaten lädt Dr. Ansgar Brockmeyer zu einem Werkrundgang ein. Neu und von den Anwesenden freudig begrüsst wird das Angebot, von ein paar ausgesuchten Standorten Bilder aufzunehmen. Das bisher geltende Verbot auf Fotoaufnahmen ist gemäss Dr. Ansgar Brockmeyer hauptsächlich auf Anforderungen der Besteller der Fahrzeuge zurückzuführen.

Beeindruckend ist die Führung durch die gut ausgerüsteten und hellen Werkshallen. Imposant ist auch die Vielfalt der Fahrzeuge in verschiedenen Fertigungsstufen. Besonders beeindruckt haben den Verfasser die Farbenpracht und die beispielhafte Ordnung und Sauberkeit in den Hallen. Neben den Fahrzeugen selbst scheint auch die Organisation des Fertigungsprozesses eine ingenieurmässige Spitzenleistung zu sein.

Nachstehend ein paar Bilder vom Rundgang.

Präsentation und Testfahrt mit dem Flirt H2 für SBCTA

Nach dem offerierten exzellenten Mittagessen besammeln sich die Anwesenden vor dem Bus zur Fahrt nach Hemishofen. Die Reise führt bei prächtigem Frühlingswetter über eher wenig befahrene Strassen über den Seerücken an den Untersee und von hier weiter über Stein am Rhein nach Hemishofen.

Heimishofen liegt an der stillgelegten Bahnstecke zwischen Etzwilen und Singen, die zurzeit nur noch von Zügen einer Museumsbahn befahren wird. Aber nicht nur – Stadler Rail darf Teile dieser nicht elektrifizierten Strecke für das Testen von Fahrzeugen benutzen.

Bahnhofsgebäude von Hemishofen.

Erwartungsvoll harren die Anwesenden vor dem Bahnhof von Hemishofen der Dinge, die da kommen sollen. Pünktlich um 14.00 Uhr nähert sich der angekündigte Star des Nachmittages, der von einem H2-Brennstoffzellenmotor angetriebene zweiteilige Flirt-Triebwagenzug. Der Zug wurde als Einzelanfertigung von der San Bernardino County-Transport Authority SBCTA für den Einsatz zwischen dem Stadtzentrum von San Bernardino und der Redlands-Universität bestellt. Wie zu vernehmen war, wurden für vier weitere Züge Vorverträge unterzeichnet, und für weitere 20 wurden Optionen vereinbart. Der Zug präsentiert sich dank der «Erlkönig-Schutzfolie» prächtig.

Soeben eingefahrener Flirt.
Führerkabine. Man beachte die Beschriftung.

Im «Power-Pack» sind drei Wasserstoff-Brennstoffzellenantriebe angeordnet. Diese liefern den Strom für den Antrieb und die übrigen Geräte des zweiteiligen Zuges. Bemerkenswert ist, dass bei Aussentemperaturen von 45 Grad fast ein Drittel der Energie für den Betrieb der Klimaanlage benötigt wird. Für die vierteiligen Züge wird das «Power-Pack» mit einem zusätzlichen Brennstoffzellenantrieb ausgerüstet.

Power-Pack.

Der Wasserstoff wird in 40 relativ kleinen Tanks mitgeführt. Der Druck beträgt bei der Füllung 350 bar, wobei die aus Kunststoff hergestellten Tanks aus Sicherheitsgründen nie völlig geleert werden dürfen. Die maximale Reichweite des Zuges liegt mit vollen Tanks bei etwa 700 Kilometern. Der Ladevorgang für alle Tanks beträgt 15 Minuten. Die beim Bremsen erzeugte Energie wird mit Batterien aufgefangen – eine umweltfreundliche Technologie, die Stadler auch bei anderen Antriebsarten einsetzt.

Für die technischen Daten des Flirt H2 wird auf den Prospekt verwiesen. Die Kosten des Zuges sind mit rund CHF 10 Mio. im Vergleich zum Dieselantrieb mit CHF 5 Mio. und mit Batteriebetrieb mit CHF 7 ½ Mio. vergleichsweise hoch. Allerdings handelt es sich beim Flirt H2 um eine Einzelanfertigung.

Kennzahlen des Flirt.

Bemerkenswert ist, dass der Zug als technologische Innovation von den Bestimmungen der «Buy American-Rule» ausgenommen ist. Zum Staunen Anlass bietet auch der Sachverhalt, dass es mit Stadler einem Schweizer Unternehmen gelungen ist, einen einzigen Zug – und erst noch als Einzelanfertigung mit einem völlig neuen Antriebssystem – in die USA zu verkaufen. Also nicht nur eine technische, sondern auch eine marketingmässige Spitzenleistung. Fast unglaublich!

Nach der intensiven Begutachtung des Äusseren und Inneren des Zuges erfolgt die Probefahrt nach dem etwa sechs Kilometer entfernten Bahnhof von Ramsen. Fast geräuschlos gleitet der Zug mit ansprechendem Tempo dorthin, und nach einem weiteren Fotohalt am Zielbahnhof, auch wieder zurück.

Auffallend im Wageninnern sind die zahlreichen Sicherheitshinweise in englischer und spanischer Sprache.

Blick aus dem Führerstand während der Fahrt nach Ramsen.
Route und Angabe der Haltestellen.

Beeindruckt treten die Anwesenden die Rückreise an – nicht ohne vor dem Einsteigen Dr. Ansgar Brockmeyer und seinem Team mit einem kräftigen Applaus für den gehaltvollen und perfekt organisierten Tag zu danken.

Hinweise

Besten Dank an die Group Communication von Stadler Rail AG für das Gegenlesen dieses Beitrages und an meinen Partner für die redaktionelle Überarbeitung.

Die Folien wurden den Präsentationsunterlagen entnommen – die beiden Kennzahlenblätter den Prospekten der entsprechenden Fahrzeuge. Die Fotos wurden vom Verfasser mit einem Smartphone aufgenommen. Leider lässt sich die Zahl „2“ in der Überschrift nicht in einem kleineres Format setzen.

Öffentlicher Verkehr in Nidwalden / Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad

Topics

Lorenz Degen, Mitglied des Vorstandes der Bahnjournalisten Schweiz, organisierte am 8. März 2023 eine interessante Exkursion in die Innerschweiz. Am Vormittag erhielten 14 Mitglieder der Bahnjournalisten im Bergrestaurant Niederbauen mit zwei Referaten einen umfassenden Überblick über die Entwicklung, den Stand und die Anliegen des öffentlichen Verkehrs im Kanton Nidwalden. Am Nachmittag empfing uns Gerhard Züger zu einem spannenden und mit vielen Informationen bereicherten Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad.

Referat von Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer, Baudirektorin

Frau Regierungsrätin Rotzer-Mathyer begann ihr Referat mit einem Überblick über die geografische Lage des Kantons Nidwalden.

Frau Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer bei ihren packenden Ausführungen (Foto: Roland Arnet).

Der Kanton erlebte in den vergangenen sechzig Jahren eine stürmische Entwicklung, was sich in einer Verdoppelung der Einwohnerzahl auf knapp 44’000 Personen niederschlug. Entscheidend dabei waren zwei Verkehrsinfrastrukturen, nämlich die Brücke über die Acheregg und der Bau der Nationalstrasse A2. Dadurch wurde die Standortgunst des Kantons massiv gesteigert. Auch beim Angebot und bei der Qualität des öffentlichen Verkehrs erfolgten substantielle Verbesserungen. Luzern ist von Stans aus mit Regionalexpresszügen heute in einer Viertelstunde erreichbar. Weitere Verbesserungen sind angedacht.

Historisches Bild der Achereggbrücke (Quelle unbekannt).

Frau Rotzer-Mathyer tritt auf zwei Anliegen des Kantons Nidwalden vertieft ein. Mit engagierten Worten spricht sich die Referentin für den Bau des Durchgangsbahnhofs DBL aus und erläutert den Nutzen dieses Projekts für die Zentralschweiz. Die Regierungen der Innerschweizer Kantone stehen geschlossen hinter diesem Projekt und fordern dessen Realisierung bereits im Ausbauschritt 2035.

Lage des Durchgangsbahnhofs Luzern (Quelle: Präsentation von Regierungsrätin Rotzer-Mathyer).

Die knapp ein Kilometer lange einspurige Strecke zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt ist ein Ärgernis und steht einem Ausbau des Verkehrsangebots in der Region entgegen. Der ursprünglich angedachte Bau eines zweiten Gleises scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Heute steht der Bau eines doppelspurigen Tunnels im Fokus. Die Kosten für diese umweltfreundliche Lösung werden auf CHF 80 Millionen geschätzt. Frau Rotzer-Mathyer plädiert für eine baldige Realisierung dieses Tunnels.

Neben diesen beiden Forderungen soll auch die Leistungsfähigkeit der Zulaufstrecken zum DML durch gezielte Massnahmen gesteigert werden.

Ausführungen Markus Meisinger, Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden

Markus Meisinger bemängelt einleitend die abnehmende Planungssicherheit beim Ausbau der nationalen Eisenbahninfrastruktur.

Markus Meisinger, Abteilungsleiter Strategie und Planung, im Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden, bei seinem spannenden Referat. (Foto: Roland Arnet).

Bisher wurde etwa alle acht Jahre ein Bauprogramm mit konkreten Fahrpanzielen erarbeitet. Zurzeit befinden sich gemäss Markus Meisinger zu viele Projekte in der Umsetzung oder in der Planungs- und Abklärungsphase. Zudem enthält das Bauprogramm 2026 nur wenige nationale Teilprojekte, statt grosse Züge aufzuzeigen. Ein «grosser Wurf» soll erst wieder ab 2030 vorgelegt werden.

Übersicht über die Planung (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Bei der Anpassung der Personenanlagen an das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz BehiG im Kanton Nidwalden bestehen zwischen der Eisenbahn und den Bussen grosse Unterschiede. Während die Anforderungen des BhiG bei den Bahnhöfen zu 95 Prozent erfüllt sind und nur noch eine kleine Haltestelle fehlt, ist die Situation bei den Bushaltestellen weniger gut. Aber auch bei den Bushaltestellen wird intensiv an der Elimination der Schwachstellen für behinderte Personen gearbeitet. Ein wesentlicher Teil der Verzögerungen ist darauf zurückzuführen, dass Anpassungen in Dorfkernen oft in übergeordnete Baumassnahmen eingebettet sind, an denen mehrere staatliche Ebenen mitwirken.

Stand der Anpassung der Bushaltestellen im Kanton Nidwalden an das BehiG (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Auch das Angebot im regionalen Busverkehr wurde erheblich ausgebaut. In Anlehnung an die «Tell-Busse» zwischen Luzern und Altdorf mit einer Fahrzeit von 40 Minuten verkehren neu in der Regel alle zwei Stunden direkte «Winkelried-Regionalbusse» zwischen Stans und Altdorf mit einer Fahrzeit von 43 Minuten. Im Gegensatz zu den «Tell-Bussen» bedienen die «Winkelried-Busse» auf ihrer Fahrt unterwegs ein paar grössere Ortschaften des Kantons. Auch für die Seegemeinden ist ein Konzept für die Verbesserung der Buserschliessung in Arbeit.

Markus Meisinger ortet auch bei der Schifffahrt ergänzend zum touristischen Verkehr ein Potential für den «allgemeinen» öffentlichen Personenverkehr. Das Potential könnte mit zwei Möglichkeiten, nämlich Bestellung von Zusatzleistungen bei den Schifffahrtunternehmen a) über das RPV oder b) über die Tourismusförderung, erschlossen werden.

Zusammenfassend zu den beiden Referaten lässt sich feststellen, dass beim öffentlichen Verkehr im Kanton Nidwalden in den vergangenen sechzig Jahren «kein Stein auf dem anderen geblieben ist» und gewaltige Fortschritte erreicht wurden. Erfreulich ist, dass der Elan und die Bereitschaft für weitere Verbesserungen anhalten.

Sichtlich zufriedene Teilnehmende mit Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer und Markus Meisinger, rechts aussen Lorenz Degen, der souveräne Exkursionsleiter (Foto Roland Arnet).

Besuch Werkstätte Zentralbahn mit Gerhard Züger

Am späteren Nachmittag begrüsst Gerhard Züger vor dem Bahnhof Stansstad die Delegation zu einem Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn. Gerhard Züger leitet als Mitglied der Geschäftsleitung den Bereich Produktion und Rollmaterial der Zentralbahn. Daneben präsidiert er IHRUS, ein nicht-kommerzieller Verein, der sich mit der Instandhaltung von Rad und Schiene beschäftigt. Zudem leitet Gerhard Züger im VöV die Arbeitsgruppe ATO Automatic Train-Control für Meter-, Spezialspur- und Trambahnen.

Gerhard Züger zieht bei seinem interessanten Vortrag alle in seinen Bann (Foto: Roland Arnet).

Nach kurzem Spaziergang trifft die Delegation bei der Werkstätte ein. Neben Stansstad betreibt die Zentralbahn in Meiringen eine zweite Werkstätte. Die Zentralbahn ist mit rund zwanzig weiteren Meterspurbahnen Mitglied von RAILPlus, einem Branchenverband, der die Interessen der Meterspurbahnen bündelt und den Informationsaustausch unter den Mitgliedern fördert. Ein besonderes Augenmerk von Gerhard Züger liegt auf der Wechselwirkung von Rad und Schiene – der Verfasser erinnert sich gerne an die spannenden Ausführungen von Gerhard Züger an der IHRUS-Fachtagung im Herbst 2020. Sorgen bereitet die Tatsache, dass die modernen und leistungsstarken Triebwagenzüge die Geleise bedeutend stärker abnutzen als mit Lokomotiven geführte Züge.

Gerhard Züger führt die Delegation durch die gut eingerichteten Werkstätten, die etwa 30 Mitarbeitende zeitgemässe Arbeitsplätze bieten. Beim Rundgang erfahren die Gäste viel Wissenswertes und Aktuelles.

Blick in die Halle 1 mit einem Verschiebefahrzeug (Foto vom Verfasser).

Besondere Aufmerksamkeit erhält der in der Halle abgestellte dreiteilige Spatz-Triebwagenzug. Vandalen des FC Basel hatten auf der fünfminütigen Fahrt vom Bahnhof Luzern zur Haltestelle Luzern Allmend/Messe im Zug massive Beschädigungen angerichtet, deren Reparatur mehrere CHF 10’000.- kostet.

Aussen bereits wieder hergestellter Triebwagenzug (Foto vom Verfasser).

Beeindruckt sind die Anwesenden auch von der Unterflurdrehmaschine, welche das Abdrehen der Lauffläche der Räder ohne Demontage der Achsen oder der Drehgestelle ermöglicht.

Frontalansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).
Seitenansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).

Während des Rundgangs berichtet Gerhard Züger von den Untersuchungen über die Wechselwirkung zwischen Rad und Schiene, bei welchen die Zentralbahn unter dem Lead von RAILPlus die Systemführerschaft einnimmt Die Erkenntnisse werden unter anderem auch der Firma Stadler Rail AG als führendem Anbieter von meterspurigen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. Wie Informationen von laufenden Beschaffungen von Triebfahrzeugen belegen, nimmt Stadler de facto eine Monopolstellung bei Fahrzeugen mit Zahnradantrieb im Meterspurbereich ein.

Auch das Projekt des Grimseltunnels kommt aus aktuellem Anlass zur Sprache. In der Öffentlichkeit kaum beachtet wird der Sachverhalt, dass die Zentralbahn und die Matterhorn-Gotthard-Bahn unterschiedliche Zahnstangen und Stromsysteme haben. Auf Anfrage führt Gerhard Züger aus, dass es für den Einsatz auf unterschiedlichen Zahnstangen keine kombinierten Antriebe gibt. Entgegen dem lange verfolgten Konzept, die Eisenbahn und die Starkstromleitung in einem einzigen Tunnel zu führen, geht die Planung nun von zwei getrennten Tunnelröhren aus.

Besonderes Interesse finden die Versuche der Zentralbahn für den Adhäsionsbetrieb auf Bergstrecken. Die Untersuchungen erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Schienenfahrzeuge IFS der Technischen Hochschule Aachen. Angestrebt wird bis zu 125 Promille steile Strecken mit reinem Adhäsionsbetrieb zu überwinden. Dazu ist auch eine verstärkte zusätzliche Bremswirkung mit Magnetschienenbremsen erforderlich. Neben der Beschleunigung würde der Adhäsionsbetrieb bei einer gemeinsamen Fahrzeugplattform MGB/RhB/Zentralbahn auch die drastische Reduktion der Drehgestelltypen von heute sechs auf noch zwei ermöglichen.

Seitenansicht des Triebfahrzeuges des Versuchszuges (Foto vom Verfasser).
Plakette mit den am Projekt beteiligten Stellen (Foto vom Verfasser).

Der Besuch schliesst mit einem Rundgang durch das umfangreiche und wohlgeordnete Ersatzteillager.

Abschliessende Bemerkungen

Dankbar und bereichert treten die Teilnehmenden die Heimreise an. Ein grosser Dank geht an die Referentin und die beiden Referenten für ihre informativen Vorträge und die spannenden Gespräche. Besonderen Dank gebührt Lorenz Degen für die Organisation und die Moderation des spannenden Tages.

Nachdenklich stimmt jedoch, dass

  • bis auf Weiteres keine Mittel für den überfälligen Doppelspurausbau zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt verfügbar sind, nachdem die Autobahn A2 zwischen Luzern und Hergiswil mit einem enormen Mitteleinsatz auf weiten Strecken überdeckt wurde,
  • die Planung für den als «Bypass» bezeichneten zweiten Autobahntunnel unter der Stadt Luzern fortschreitet und der Tiefbahnhof Luzern als Voraussetzung für die Leistungssteigerung des Knotens Luzern eine tiefe Priorität hat,
  • die Optik meines Erachtens zu stark auf dem Tiefbahnhof Luzern und nicht auf dem Korridor Zürich-Zug-Luzern liegt. So müsste die Einfahrt in den Tunnel zum Tiefbahnhof Luzern aus nordöstlicher Richtung nicht bei Ebikon, sondern bereits vor Gisikon-Root erfolgen. Dadurch und mit dem Zimmerberg II-Tunnel wäre zwischen Luzern und Zürich eine Fahrzeit in der Grössenordnung von einer halben Stunde möglich.

Dank

Der Verfasser bedankt sich bei Markus Meisinger und Gerhard Züger für die Prüfung des Manuskripts und bei Roland Arnet für die zur Verfügung gestellten Fotografien. Nochmals besten Dank auch an Lorenz Degen für die Organisation und die Leitung der Tagung.