Ein Strohhalm namens DAK

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Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) geniesst gegenwärtig eine weit über die Fachkreise hinausgehende Aufmerksamkeit. Sie wird von ihren Befürwortern euphorisch begrüsst und als das Mittel für die Stärkung des innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Güterverkehrs bezeichnet.

Kann die DAK diesen hohen Erwartungen gerecht werden? Mehr darüber in diesem Beitrag!

Rückblick

Automatische Kupplungen sind im Güterverkehr ausserhalb Westeuropas seit Jahrzehnten im Einsatz. Sie beschleunigen das Rangieren, ermöglichen viel höhere Zuglasten und nutzen die Geleise im Vergleich mit Wagen mit Schraubenkupplungen bedeutend weniger ab. Allerdings beschränken sich die meisten automatischen Kupplungen auf das reine Verbinden oder Trennen der Züge und haben keine zusätzlichen Funktionen wie das Führen von Druckluft für das Bremsen der Wagen, die Versorgung der Wagen mit Strom oder elektronischen Daten. Automatische Kupplungen an Triebwagen für den Personenverkehr nehmen diese Funktionen bereits heute sehr wohl war, aber müssen keine oder nur geringe Zugkräfte auffangen.

Einsatz von automatischen Kupplungen weltweit, mit Angabe des Jahres der Einführung (Quelle: BMDV).

Die Bestrebungen, europaweit eine automatische Kupplung einzuführen, sind nicht neu. Bereits 1970 wurde an der europäischen Verkehrsministerkonferenz die Einführung einer automatischen Kupplung der Bauart AK69e/Intermat beschlossen, und zwar in West- und Osteuropa. Die Umsetzung dieses Beschlusses scheiterte 1973 an der Weigerung der europäischen Verkehrsminister, die dazu erforderlichen riesigen Investitionen zu subventionieren. Als Folge dieses Beschlusses zog sich Frankreich zurück und setzte auf den TGV.

Die europäischen Güterbahnen streben mit der Digitalen automatischen Kupplung (DAK) aus dem Stand heraus einen Quantensprung an. Sozusagen die Genese des berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Die DAK soll nicht nur Güterwagen mechanisch verbinden, sondern auch Druckluft-, Strom- und Datenleitungen. Darüber hinaus soll die DAK das automatische Rangieren bzw. das Verbinden oder Trennen von Güterwagen ermöglichen. Unter der Bezeichnung «DAC4EU» läuft gegenwärtig ein von mehreren europäischen Bahnen und Wagenbesitzern getragenes Grossprojekt zur Einführung der DAK. Der Steuerungsausschuss «European DAC Delivery Programme» (EDDP) hat als leitendes Gremium das Konzept der Scharfenberg-Kupplung als Basis für die DAK festgelegt. Die erste Version dieser Kupplung wurde bereits 1903 entwickelt.

Zum ersten Mal hat die Deutsche Bahn einen völlig neuen Kupplungsmechanismus für ihre Güterwagen präsentiert. Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) beschleunigt das Zusammenstellen von Güterzügen. Bild und Text wurden mit dem bestem Dank der Website von DB Cargo entnommen.

Die Scharfenberg-Kupplung Typ 10 ist unter anderem bei den TGV-, ICE- und Thalys-Hochgeschwindigkeitszügen im Einsatz. Als Pionierunternehmen hat SBB Cargo AG im Mai 2019 im nationalen kombinierten Verkehr einen Versuchsbetrieb mit einer DAK aufgenommen. Dazu wurden 100 Wagen und 25 Lokomotiven mit der «Voith-Cargo Flex»-Kupplung, einer Weiterentwicklung der Scharfenberg-Kupplung des Typs 10, ausgerüstet.

Kritik

 Das gewählte Vorgehen wird von erfahrenen Fachleuten aus der Wissenschaft und der Praxis kritisiert. So haben Prof. Dr. mult. Bernd H. Kortschak und Dipl. Ing Peter Molle am 5. April 2022 an der 47. Fachtagung «Moderne Schienenfahrzeuge» scharfe Kritik geübt. Beanstandet werden unter anderem die zu schnelle Konzentration auf einen einzigen Kupplungstyp, die zu hohe Störungsanfälligkeit, die fehlenden Betriebsversuche mit grossen Anhängelasten und die Komplexität der gewählten Kupplung. Der Auszug aus dem «Sonderheft Tagungsband» der Zeitschrift ZEV Rail steht über diesen Link zur Verfügung: ZEV 2022 DAK Kortschak Molle

Dazu kommt, dass gemäss dem Jahrbuch 2012 der schweizerischen Verkehrswirtschaft, Seite 25, eine Analyse von ETH und SBB gezeigt hat, «dass die Mehrkosten einer vollkompatiblen automatischen Kupplung über den gesamten Lebenszyklus hinweg nicht durch Produktivitätsgewinne kompensiert werden können».

Noch pessimistischer sieht es ein kritischer Beobachter, der den laufenden Massnahmen eine Alibifunktion unterstellt und ein Scheitern befürchtet. Erstaunlich ist, dass das «Deutsche Bundesministerium für Digitales und Verkehr» BMDV die Entwicklung der DAK mit nur gerade EUR 13 Millionen unterstützt. Bemerkenswert ist auch, dass die Redaktion der GRV-Nachrichten in einer Stellungnahme zu einem kritischen Beitrag über die Entwicklung der DAK die Meinung vertritt, dass aus europaweiter Warte «eine mangelnde Komptabilität kein absolutes Ausschlusskriterium sein muss.» – nota bene der DAK!

Folgerungen

Meinung gegen Meinung. Ich kann die Erfolgsaussichten der laufenden Bestrebungen für die Einführung der DAK nicht beurteilen. Mir scheint, dass wichtige europäische EVU nicht an der Entwicklung beteiligt sind. Zudem erscheint der administrative Überbau beträchtlich.

Ich teile die meines Erachtens überhöhten Erwartungen bezüglich des Potentials einer europaweit eingesetzten DAK als Mittel für die Wiederbelebung des europäischen Schienengüterverkehrs nicht. Die DAK ist höchstens eine Voraussetzung unter mehreren. Um mehr Güter auf die Schiene zu bringen, sind andere und weitreichendere Massnahmen erforderlich. Dazu zählen meines Erachtens hauptsächlich folgende Massnahmen:

  1. Substantielle Erhöhung von Zuverlässigkeit und Servicequalität. Zurzeit gelten nur 15 Prozent der Güterzüge in Deutschland als pünktlich und erreichen so ihr Ziel mit weniger als einer Stunde Verspätung. Neben den gewaltigen Verspätungen war Hupac 2022 mit zahlreichen Zugsausfällen konfrontiert.

  2. Wiedergewinnung von hochwertigen oder zeitkritischen Gütern wie beispielsweise Früchte und Gemüse durch eine qualitativ einwandfreie sprich pünktliche Transportleistung.

  3. Angleichung der Geschwindigkeit der hochwertigen Güterzüge an diejenigen der Personenzüge. Das erfordert eine Reduktion der Geschwindigkeit der Reisezüge auf gemeinsam befahrenen Strecken wie beispielsweise in den neuen Alpentunnels und die gleichzeitige Entwicklung von neuen Güterwagen für höhere Geschwindigkeiten – idealerweise für Geschwindigkeiten von 160 Km/h.

    Im Tunnel unter dem Ärmelkanal fahren die Personenzüge und die Shuttlezüge gleich schnell – nicht aber auf den von den Personenzügen mit bis über 300 Km/h befahrenen Zulaufstrecken. In der Schweiz ist es salopp ausgedrückt umgekehrt – in den langen Basistunnels verkehren die Personenzüge doppelt so schnell wie die Güterzüge. Das kostet wertvolle Trassen.

  4. Gleichbehandlung von Personen- und Güterverkehr bei der Zuteilung und Überwachung von Trassen. Grenzüberschreitende Festlegung und Sicherung von Trassen auch für den Güterverkehr. Güterzügen mit hochwertiger oder verderblicher Fracht sind gegenüber Personenzügen zu privilegieren und müssen auch bei Streiks geführt werden.

  5. Trennung von Personenfern-, Personennah- und den Güterverkehr in den Metropolitanräumen, gegebenenfalls sogar durch den Bau von neuen Strecken.

  6. Wahrheitsgetreue Kommunikation von Politikern, Bahnen und Medien an die Öffentlichkeit und die Stimmbürger. So wurde der Bau der NEAT überwiegend mit der Güterverkehrsverlagerung begründet. Auch die bewährte Lok 2000 wurde anfänglich dem Vernehmen nach mit der Traktion von Güterzügen im alpenquerenden Güterverkehr beschafft. Heute dienen beide Investitionen vorab dem Personenverkehr.

    Wichtig ist auch ein Paradigmenwechsel für den Nutzen des Schienengütertransports. Güter sollen nicht aus ökologischen Argumenten auf die Schiene verlagert werden, sondern weil der Transport zuverlässig, wesensgerecht, sicher und kostengünstig erfolgt. Der so erzielte Mehrverkehr verbessert den Modalsplit zugunsten der Schiene und trägt so wirkungsvoll zum Schutz der Umwelt bei.

  7. Kostensenkungs- und Rationalisierungsmassnahmen bei den staatlichen Güterbahnen. Der Marktanteil der nichtbundeseigenen Güterbahnen in Deutschland am innerdeutschen Schienengütertransport von inzwischen über 50 Prozent legt den Handlungsbedarf schonungslos offen. Das gleiche gilt auch für die Schweiz, belegt durch das Beispiel des EVU Rail Care von Coop oder der eindrückliche Aufstieg des EVU Widmer Rail Service (WRS). Einem innovativen Quereinsteiger aus der Gesundheitsbranche gelingt es, der Staatsbahn Marktanteile abzugewinnen!

  8. Deshalb müssen die europäischen Güterbahnen in wenigen und europaweit tätigen – und idealerweise privaten – Güterbahnen wie in Nordamerika fusioniert werden.

    Dazu müsste sich auch die Schweiz bewegen. EVU wie BLS Cargo AG oder SBB Cargo International AG müssen endlich zusammengelegt werden oder in einen grossen europäischen Carrier aufgehen.

    Konsequenzen dieser Zusammenlegung wären unter anderem a) grenzüberschreitende Güterzüge ohne Grenzaufenthalt, b) die Verkleinerung von ausgedehnten Grenzbahnhöfen und c) administrative Vereinfachungen durch den Übergang des Managements der Güterverkehrskorridore von Behörden an das jeweilige EVU.

Der Schienengüterverkehr kann in seiner Gesamtheit seine so dringend notwendige Revitalisierung nur auf europäischer Ebene schaffen – davon wird auch der wesensgerecht ausgelegte nationale Schienengüterverkehr profitieren. Um die Aufwuchsfähigkeit zu erhalten – und nur darum – muss der nationale Wagenladungsverkehr erhalten bleiben. Auch wenn er dafür vorübergehend auf Subventionen angewiesen ist.

Konklusion

Es gilt – wie gezeigt – zahlreiche und gewichtigere Probleme zu lösen als sich auf die DAK zu konzentrieren. Durch die starke Fokussierung auf die DAK – und die Möglichkeit ihres Scheiterns – geht viel Zeit verloren. Es wäre der Revitalisierung des europäischen Schienengüterverkehrs zuträglicher, wenn DB Cargo, SBB Cargo zuerst die Hausarbeiten erledigen würden, wie beispielsweise die Förderung von Qualität und Pünktlichkeit.

Man kann es nie genug wiederholen, es braucht ein dezidiertes und koordiniertes Handeln aller Beteiligter auf europäischer Ebene. Und dafür stehen die Sterne schlecht! Wie soll es der Alte Kontinent schaffen, ein effizientes Güterverkehrssystem heranzubilden, wenn es nicht einmal gelingt, eine einheitliche europäische Armee zu schaffen. Und dies trotz den hohen Ausgaben der einzelnen Staaten für die Verteidigung.