Gedanken zum Wirken von Andreas Meyer als CEO der SBB AG

Topics

Die nur im Internet erscheinende Zeitung „Republik“ hat am 27. März 2020 im Beitrag „Mensch, Meyer!“ Bilanz zur Amtszeit von Andreas Meyer als CEO der SBB AG gezogen. Unseres Erachtens hat der Autor dieses Beitrages, Philippe Albrecht, den Nagel nicht auf den Kopf getroffen und eine fahrige Analyse vorgelegt. Sie kann über den folgenden Link heruntergeladen werden: Republik 2020_03_27 Andreas Meyer.

Titelseite des Beitrags der Republik

Wir unternehmen in diesem Beitrag den Versuch, die Ära Meyer positiver zu würdigen.

I       Vorbemerkungen

  1. Grundsätzlich stiehlt niemand eine Stelle – man wird angestellt. Das gilt auch für die Anstellung von Andreas Meyer als CEO der SBB AG.
  2. Wir erinnern an die in den Schlachten des Mittelalters eingesetzten „Verlorenen Knechte“, die zwischen den Formationen der Streitkräfte zirkulieren mussten und dabei oft ihr Leben einbüssten.
  3. Das Studium der Biografien von Hans Eisenring „Man kann alles lernen“ und von Benedikt Weibel „Der rote Boss“ und der Vergleich der Lebensläufe mit demjenigen von Andreas Meyer liefert für den nachstehend erörterten Sachverhalt wertvolle Erkenntnisse. Aus der Analyse der Biografien lässt sich unseres Erachtens der von uns beobachtete gesellschaftliche Positionsverlust der Eisenbahn in der Schweiz ableiten.
  4. Je nach der Quelle beziehen in der Schweiz über 3‘000 oder 4‘000 Arbeitnehmende ein Jahressalär von über einer Million Franken. Kaum ein anderes Unternehmen steht derart im Rampenlicht wie die SBB AG – und kaum ein anderer CEO ist so stark exponiert.
  5. Die Würdigung des Wirkens von Andreas Meyer im erwähnten Artikel der Republik ist oberflächlich und unterschlägt Wesentliches.

II      Fakten

  1. Im Gegensatz zu den gesellschaftlich hervorragend vernetzten Hans Eisenring und Benedikt Weibel kam Andreas Meyer von aussen. Er verfügte über keine Hausmacht, stammte aus eher kleinbürgerlichen Kreisen und war als ehemaliger Chef der S-Bahn Berlin mit den schwerwiegenden Problemen dieses Unternehmens belastet.
  2. Zudem wurde Andreas Meyer gemäss den Aussagen der Republik als CEO der SBB AG dem bestens vernetzten Paul Blumental vorgezogen – aus unserer Sicht zu Recht, wobei wir uns unter anderem auf das Wirken von Paul Blumenthal als Leiter der Arbeitsgruppe EOBI beziehen.
  3. Der Entscheid für Andreas Meyer stand im Zeichen des um die Jahrtausendwende dominierenden neoliberalen Geistes. Man erwartete durch die Verpflichtung eines externen Kandidaten als CEO, die SBB AG zu einem stärker betriebswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen zu formen.
  4. Schon vor dem Eintritt von Andreas Meyer wurde sein Jahressalär und seine Umzugsentschädigung – ein Gesamtpaket von über CHF 1‘300‘000.- – in den Medien breit kommuniziert. Die belastenden Diskussionen über das vor allem von der Linken bemängelte zu hohe Salär hielten während der gesamten Amtszeit von Andreas Meyer an.
  5. Der Zustand der Infrastruktur befand sich bereits beim Eintritt von Andreas Meyer nicht in einem erstklassigen Zustand. Wichtige Führungsinformationen oder -systeme fehlten. Ungeschickt waren zweifellos die despektierlichen Aussagen von Andreas Meyer zu diesem Problem sowie zum Wirken seines überaus populären Vorgängers.
  6. Die drei von der Republik verorteten Probleme als Hinterlassenschaften aus der Ära Meyer – Baustellen, Bombardier-Zug und Lokführer – sind eher sekundärer Natur. In Tat und Wahrheit bestehen bei den SBB viel grössere Probleme. Die von der Republik genannten Probleme sind eher Folgeprobleme von gravierenderen offenen Fragen, auf die wir weiter unten eintreten.
  7. Dazu kommen unseres Erachtens Mängel in der Oberleitung der SBB. Aktionär der SBB AG ist de iure der Bundesrat. Er ernennt weitgehend nach politischen Kriterien die Mitglieder des Verwaltungsrates. Dazu nur ein Querverweis auf den Werdegang der amtierenden Präsidentin des Verwaltungsrates der SBB. Da in beiden Gremien das fachspezifische Wissen für das erfolgreiche Führen eines Unternehmens nicht im notwendigen Ausmass vorhanden ist, hat man wesentliche Kontroll- und Überwachungsaufgaben dem Bundesamt für Verkehr BAV übertragen. Ein hoher ehemaliger Kadermitarbeiter eines Bundesbetriebes hat diese Funktion in einem persönlichen Gespräch sogar als Hauptaufgabe des BAV bezeichnet.

III     Versuch einer Würdigung

  1. Die obenstehenden Überlegungen und die Schwierigkeiten der Position lassen den Schluss zu, dass Andreas Meyer seine Aufgaben bedeutend besser gemeistert hat als ihm zugestanden wird. Man müsste das Salär von Andreas Meyer sogar etwas überzeichnet als zu tief angesetztes Schmerzensgeld bezeichnen.
  2. Zu den von den drei von der Republik verorteten Problemen der SBB AG
    • Die Schwierigkeiten im Netz der SBB sind seit vielen Jahren bekannt. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die bereits 2011 publizierte präzise Analyse von Sepp Moser „Warnsignal – Schweizer Bahnnetz in Gefahr“.
    • Die Probleme beim Bombardier-Zug sind auf das Scheitern einer verfehlten Strategie zurückzuführen. Durch das vorherrschende betriebswirtschaftliche Denken glaubte man, auf den Bau von leistungsfähigen Neubaustrecken verzichten zu können. Zudem wollte man vom Einsatz der aktiven Neigetechnik wegkommen, obschon sie sich in den IC-Neigezügen nach anfänglichen Problemen recht gut bewährt. Der Bombardier-Zug und das neuartige und komplexe Konzept der Wankkompensation boten sich als vielversprechende Lösung an.
      Dieses Konzept ist grandios gescheitert – anzulasten sind die Schwierigkeiten vielmehr einer verfehlten Verkehrspolitik. Unseres Erachtens – dies als Querverweis – kein gutes Omen für die ausserordentlich ambitionierte Strategie „smartrail 4.0“.
    • Dem Vernehmen nach hatten die SBB AG zu jedem Zeitpunkt genügend Lokomotivführerinnen und -führer. Die Engpässe sind vielmehr a) auf die Aufteilung des Lokpersonals auf die Konzerngesellschaften Fernverkehr, Cargo und Thurbo sowie b) auf die bald unübersehbare Vielfalt an Triebfahrzeugen zurückzuführen. Lokomotivführerinnen und -führer sind in der Regel nicht für alle Triebfahrzeuge ausgebildet. Zudem muss das Lokpersonal Streckenkenntnisse besitzen.
  3. Andreas Meyer und der Führung der SBB anzulastende Fehler
    • Da ist einmal die Dominanz des betriebswirtschaftlichen Denkens als Handlungsmaxime bei den SBB. Zweifellos müssen Unternehmen betriebswirtschaftlich effizient geführt werden. Bei einem Verkehrssystem stehen jedoch volks- und gesamtwirtschaftlichen Überlegung als Handlungsmaximen im Vordergrund. Andreas Meyer war diese Betrachtungsweise fremd – möglicherweise war er entsprechend mandatiert – und hat damit die Diskussion um den unseres Erachtens überfälligen grosszügigen Ausbau des Schweizer Eisenbahnnetzes blockiert.
    • Die Eisenbahn im Allgemeinen und speziell die SBB haben bei der Jugend viel von ihrer früheren Faszination eingebüsst. Das äussert sich unter anderem im Attraktivitätsverlust des Lokomotivführerberufs. Zudem fällt uns vor Weihnachten regelmässig auf, dass die Werbung für Modelleisenbahnen aus den Katalogen der Fachhandelsgeschäfte für Spielzeuge praktisch verschwunden ist.
    • Die Eisenbahn hat an Modernität und Innovation eingebüsst. Das Postulat der ökologischen Überlegenheit wird überstrapaziert. Zum einen trifft es nicht immer zu, und zweitens wird die Wahl des Verkehrsmittels nicht nur durch Umweltschutzüberlegungen gesteuert.
    • Viel zu wenig wurde unternommen, um die gesellschaftliche Positionierung der Eisenbahn wiederherzustellen. Viele Bahnhöfe sind heruntergewirtschaftet, Wartehäuschen und sanitäre Anlagen wurden abgebaut, der Kundenservice wurde zurückgefahren und die Platzverhältnisse in den Zügen wurden enger.
    • Unvergessen ist auch die vor einigen Jahren vorübergehend praktizierte brutale Nulltoleranz bei nicht korrekten und von den Fahrgästen gar nicht als solche erkennbaren Fahrausweise. Leidtragende war das Zugpersonal, das den nachvollziehbaren Aggressionen der Fahrgäste ausgesetzt war.
    • Unverständlich ist für uns auch die Beschaffung der Giruno Hochgeschwindigkeitszüge. Gemäss SBB-internen Quellen mussten rund 1‘000 Mitarbeitende für diesen in einer Stückzahl von 29 Einheiten beschafften Zug ausgebildet werden. Dazu kommt der Ausbildungsbedarf des Personals bei den ausländischen Eisenbahnunternehmen, die den Giruno auf den Strecken im Ausland betreiben.
    • Die Beschaffung oder die Lizenzproduktion eines in Europa bewährten Zuges – beispielsweise aus der Familie der von mehreren Eisenbahnunternehmen eingesetzten ETR 600 – hätte entscheidende Vorteile geboten. Undenkbar, dass beispielsweise die Lufthansa bei Airbus in dieser Grössenordnung weitgehend neu konzipierte Flugzeuge ordern würde.

Zur Problematik der Abgeltungszahlungen

Topics

In diesem Beitrag möchten wir ein paar allgemeine Überlegungen zu den beanstandeten überhöhten Abgeltungszahlungen von Bund und Kanton Bern an die BLS AG anstellen. Der Betrag von CHF 39,7 Mio. für die Periode von 2011 bis 2018 wurde nachträglich in der Jahresrechnung 2018 verbucht – CHF 8,2 Mio. wurden über die Abgeltungszahlungen 2018 gebucht, der Rest von CHF 31,5 Mio. wurde direkt dem Eigenkapital belastet.

Beginnen möchten wir mit einigen grundsätzlichen Feststellungen.

I       Vorbemerkungen

  1. Das System des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz ist hoch komplex. Neben der durch das förderalistische System bedingten Regelungsdichte und der Vielfalt der Entscheidungsträger nehmen Öffentlichkeit, wirtschaftliche Interessen, Arbeitnehmerorganisationen und Medien in einem sehr hohen Mass Einfluss auf den öffentlichen Verkehr – ein vielschichtiges und von ständigen Wechselwirkungen geprägtes Netzwerk.
  2. Die Aktiengesellschaften in ihrer reinen Form sind definiert a.) durch das Beschränken der Haftung für die Eigentümer auf das eingesetzte Kapital und als Folge durch das Einbinden der Allgemeinheit als Risikoträger und b.) durch das Gewinnstreben.
  3. Die Ausgründung von staatlichen Leistungen der Grundversorgung in Aktiengesellschaften – selbst wenn diese als spezialgesellschaftliche AG definiert sind – in dem im ersten Abschnitt skizzierten Umfeld begründet unseres Erachtens einen konfliktträchtigen und kaum aufzulösenden Widerspruch. Zudem wird die Führbarkeit des komplexen Systems des öffentlichen Verkehrs zu Lasten der Qualität erschwert.

II      Zur Problematik der Abgeltungszahlungen

  1. In den letzten Jahren wurden neben der BLS AG auch andere Transportunternehmen mit dem Vorwurf von zu hohen Abgeltungszahlungen konfrontiert. Diese Vorwürfe waren teilweise gerechtfertigt. Die bei allem Respekt in einen grösseren Kontext zu stellenden und vergleichsweise tiefen Beträge führten besonders bei der Post AG als Eigentümerin der Postauto AG zu einem veritablen Erdbeben.
    Aus unserer Sicht wurde besonders bei der Post das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem die bis dato erfolgreiche Führung der vom Strukturwandel äusserst stark betroffenen Post ausgewechselt wurde und sich die zuständige Departementsleiterin, perfekt sekundiert von ihrem Parteikollegen, damit aus der Verantwortung stahl.
    Man bedenke, abgesehen von der – wenn überhaupt – marginalen Auswirkung auf die vom Ergebnis abhängigen Boni für die oberste Führung hat sich niemand persönlich bereichert. Zudem handelt es sich schlussendlich um eine in der Summe ergebnisneutrale Verschiebung zwischen staatlichen Entitäten.
    Mit den zu hohen Abgeltungen wurden dem Vernehmen nach bei Postauto der Freiraum für innovative Projekte wie die selbstfahrenden Postautos in Sion finanziert und weitere Reserven gebildet. In diesem Zusammenhang möchten wir auf das WLAN in den Postautos hinweisen – eine willkommene Dienstleistung für Fahrgäste in den gelben Bussen. Hier hat Postauto die meisten schweizerischen Transportunternehmen weit hinter sich gelassen.
    Dazu kommt, dass zahlreiche private Busunternehmen in der Schweiz im Auftrag der Kantone öffentlichen und fahrplanmässigen Busverkehr betreiben – irrig der Gedanke, dass diese Unternehmen nicht gewinnstrebig agieren?
    Zu bedenken ist ferner, dass die konzessionierten staatlichen Transportunternehmen sowohl abgeltungsberechtigte als auch nicht abgeltungsberechtigte Leistungen anbieten, wie das Beispiel des abgeltungsberechtigten Regionalverkehrs und des „gewinnberechtigten“ Fernverkehrs zeigt. Die Zuweisung des unternehmensinternen Fixkostenblocks auf diese beiden Bereiche – und damit die Höhe der Ergebnisse der Unternehmensbereiche – bleibt immer einer gewissen Willkür unterworfen.
  2. Die medial in die Nähe von Staatskrisen gerückten Verfehlungen bei den betreffenden Transportunternehmen gehen unseres Erachtens direkt auf die einleitenden Feststellungen zurück. Dazu kommen wohl auch parteipolitisch und persönlich motivierte Abrechnungen.
  3. Und zum Schluss sei auf die ungelöste Frage des Wettbewerbs hingewiesen. Alle reden von Wettbewerb, und viele lehnen ihn insgeheim ab – vor allem aber fehlen allgemeine und akzeptierte Vorstellungen, wie er ausgestaltet werden soll. Dabei zeigen sich am Beispiel des Personenverkehrs in einigen Ländern sowie beim Schienengüterverkehr in Europa durchaus positive Auswirkungen des Wettbewerbs bei der Eisenbahn.

III     Handlungsbedarf

  1. Eine Grundsatzdiskussion drängt sich auf. Wir orten vielfältigen Handlungsbedarf, damit derartige dem Ansehen des öffentlichen Verkehrs abträglichen Vorfälle inskünftig verhindert werden können.
  2. Leider verfügen auch wir über kein Patentrezept. Wir sehen zwei Handlungsmaximen, nämlich a.) die Rückführung der Transportunternehmen in staatliche Anstalten und die Aufgabe des Wettbewerbs oder b.) die Schaffung von wirklichen Wettbewerbsstrukturen. Für nicht zielführend halten wir den Ausbau von Aufsicht und Kontrolle. Das führt nur zu noch mehr Bürokratie. Abbau, nicht Erhöhung der Komplexität ist das Gebot der Stunde.
    Es kann doch nicht sein, dass der Erlass der rechtlichen Grundlagen, die Bestellung der Leistungen, deren Entgelt und vor allem die Kontrolle in einer Hand vereint sind.
    Zu überprüfen ist insbesondere auch die Corporate Governance der SBB AG und die wirkliche Feststellung ihres unternehmerischen Freiraums. Prof. Mathias Finger hat in seinem Buch „SBB – was nun?“ eine Auslegeordnung der Probleme vorgenommen.
  3. Persönlich favorisieren wir ein stark auf den Wettbewerb ausgerichtetes System. Der Bund definiert auf der Grundlage von klaren und anerkannten Bestimmungsfaktoren landesweit das Angebot des öffentlichen Verkehrs – so, wie er es beispielsweise bei der Post tut – und stellt die Infrastruktur zur Verfügung. Also die Strassen und das Schienennetz. Die Tarifhoheit geht an eine staatliche Stelle über.
    Dieser fliessen alle Einnahmen aus den Transporterlösen zu. Daraus resultieren unter anderem ein einheitlicher nationaler Verkehrsverbund und substantielle Einsparungen durch den Abbau des obsolet gewordenen administrativen Überbaus.
    Der Bund definiert im Rahmen seines neuen Auftrags den Fahrplan und schreibt alle Transportleistungen aus. Er kann dabei verschiedene Auflagen wie beispielsweise die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen erlassen.
    Kantone und Gemeinden können über das schweizweit definierte Angebot hinausgehende Transportleistungen definieren und bezahlen. Sie haben dafür Anrecht auf die zusätzlich erzielten Erlöse.

In letzter Konsequenz führt diese tiefgreifende Umstrukturierung zu einer konsequenten Trennung von Infrastruktur und Betrieb, wie sie sich de facto im Schienengüterverkehr auch in der Schweiz durchgesetzt und gemäss unserer Wahrnehmung bewährt hat.