Vorbemerkungen
Im Rahmen einer Reise von Marrakesch aus ins Atlasgebirge statteten wir dem neuen Bahnhof von Marrakesch einen Besuch ab. Wir waren enorm beeindruckt. Anlass genug, dem prächtigen Gebäude einen Beitrag zu widmen und ihn mit ein paar Informationen über die staatliche Eisenbahngesellschaft ONCF zu ergänzen.
Bei unseren Ausführungen basieren wir auf Informationen aus Reiseführern, der Website von ONCF und im Bahnhof aufliegenden Unterlagen.
Der kürzlich eröffnete neue Bahnhof liegt unweit des Zentrums des neuen Stadtteils von Marrakesch. Schräg gegenüber befindet sich das repräsentative Gebäude des königlichen Theaters.
Bahnhof von Marrakesch
Schon der erste Kontakt mit dem Bahnhofsgebäude war beeindruckend. Verwendet wurden ausschliesslich hochwertige Baumaterialien. Die Qualität der handwerklichen Arbeit ist makellos.
Die Innenausstattung ist modern und übersichtlich. Das Gebäude verfügt über zwei Seitenflügel und ein mit Rolltreppen erreichbares Obergeschoss.
Im Erdgeschoss befinden sich neben Ladengeschäften und Restaurants zwei Schalterkabinen und ein Servicebüro von ONCF. Den Reisenden stehen zusätzlich mehrere Billettautomaten zur Verfügung. Sie sind sehr leicht zu bedienen.
Übersichtliche Anzeigetafeln und Stelen gewähren eine gute und rasche Übersicht. Auf Werbung von Dritten wird verzichtet. Sauberkeit und Ordnung sind exemplarisch. Auch die Entsorgungsstationen wirken elegant und funktional. Keine Orgien von Klebefolien.
Im Innern des Bahnhofs zirkulieren unauffällig mehrere Sicherheitsbeamte. Eine Reinigungsequipe ist ständig an der Arbeit.
Der Bahnhof verfügt über sechs Geleise. Seitlich befinden sich mehrere Abstellgeleise. Zwischen dem Bahnhofgebäude und den Gleisköpfen befindet sich eine mit Palmen und Sitzbänken ausgestattete grosszügige Zirkulationsfläche. Dieser Bereich wird mit grossen und festen schirmähnlichen Fächern überdacht. Die Perrons sind abgesehen von einigen wenigen kleinen Wartezonen nicht überdacht.
Der Zugang zu den Gleisen ist nur mit gültigen Fahrausweisen möglich. Dank dem Entgegenkommen eines Sicherheitsbeamten konnte ich mich in der Vorzone relativ frei bewegen. Der Zutritt zu den Perrons war leider nicht möglich.
Von Marrakesch aus verkehrt in der Regel alle zwei Stunden ein Zug nach Norden. Ich war Zeuge eines einfahrenden und eines ausfahrenden Zuges aus mindestens acht Wagen. Beide Züge waren sehr stark belegt.
Busbahnhof Marrakesch
Etwa 200 m seitlich des Bahnhofs befindet sich der Busbahnhof. Auch dieser scheint relativ neu zu sein und wirkt ebenfalls modern, übersichtlich und sauber. Die vor dem Busbahnhof wartenden Busse sind sehr sauber. Auch die Chauffeure tragen saubere Uniformen. Das Busnetz ergänzt das Eisenbahnnetz und stellt Verbindungen zu den nicht von Bahn erschlossenen grösseren Städten sicher.
Profil ONCF (Office National des Chemins de Fer)
ONCF ist das 1964 gegründete staatliche Eisenbahnunternehmen von Marokko. Es betreibt Güter- und Personenverkehr. Nachstehend ein paar Kennzahlen zu ONCF:
- Die Länge der verlegten Geleise beträgt 3’600 km. Die Streckenlänge beträgt 2’110 km. ONCF bedient 120 Bahnhöfe.
- 75 Prozent der Strecken – darunter alle wichtigen Strecken – sind elektrifiziert.
- Gemäss den Angaben von ONCF bedient das Unternehmen 51 Prozent der Bevölkerung.
- 2015 wurden 40,5 Millionen Passagiere befördert. Produziert wurden 5’490 Millionen Personenkilometer. Die mittlere Reiseweite betrug 135 Kilometer.
(SBB 2015: 441,8 Millionen Passagiere, 18’560 Millionen Personenkilometer, durchschnittliche Reiseweite 42 Kilometer) - Gemäss dem Fahrplan 2016/2017 wurden folgende Strecken mit den erwähnten Zugspaaren bedient
- Kenitra – Casablanca / ca. 55 Zugspaare
- Casablanca – Casablanca-Flughafen / ca. 25 Zugspaare
- Marrakesch – Fes / 9 Zugspaare, teilweise mit Umsteigen
- Entfernte Destinationen werden mit wenigen Zugspaaren, teilweise auch mit Nachtzügen, bedient.
- Nachstehend ein Fahrplanauszug.
- 2015 wurden 31 Millionen Tonnen Güter transportiert. Erbracht wurden 4’738 Millionen Tonnenkilometer. Die mittlere Transportdistanz lag demnach bei 152 Kilometern. Transportiert wurden vor allem Phosphate aus dem Inland in die Mittelmeerhäfen. Das Maximalgewicht der Güterzüge liegt bei 4’000 Tonnen.
(SBB 2015: 51,1 Millionen (Netto-) Tonnen, 15’065 Millionen (Netto-) Tonnen- kilometer, mittlere Transportdistanz 295 Kilometer. Vorsicht: Diese Werte beinhalten auch den durch SBB Cargo International erbrachten Verkehr und können deshalb nicht direkt mit den Zahlen von ONCF verglichen werden.). - In den letzten Jahren wurden – teilweise mit französischer Unterstützung – enorme Investitionen in die Infrastruktur und das Rollmaterial getätigt. Die Lage der Projekte ist aus der Netzübersicht ersichtlich. Paradebeispiel ist die TGV Strecke zwischen Tanger und Casablanca.
- Nachstehend eine Übersicht über die Grossprojekte und deren Fortschritt:
- Dem Vernehmen werden mit Vertretern der Volksrepublik China Gespräche bezüglich des hier nicht erwähnten Projekts einer rund 800 km langen neuen Eisenbahnlinie von Marrakesch über Agadir nach Laayoune geführt.
- ONCF bietet Vergünstigungskarten unter anderem für Studenten, Familien, Vielfahrer, Wochenendfahrten etc. an. Diese sind teilweise auf einzelne Züge limitiert.
- Die übersichtlich und gefällig gestalteten Dokumente liegen in lateinischer und arabischer Schrift auf. Das Corporate Design wirkt modern und ist systematisch durchgezogen.
- Die Website von ONCF www.oncf.ma enthält eine Fülle von Informationen. Über diese Website stehen unter anderem die Geschäftsberichte von ONCF zur Verfügung.
Abschliessende Bemerkungen
Meine Eindrücke und die verfügbaren Informationen führen zum Schluss, dass das Eisenbahnsystem von Marokko einen mit Europa vergleichbaren Stand erreicht hat.
Neben Marokko verfügen in Afrika nur Ägypten und Südafrika über leistungsfähige Eisennbahnnetze. ONCF bezeichnet sich gemäss den eigenen Angaben als das führende afrikanische Eisenbahnunternehmen und wirkt beim Ausbau der Eisenbahn in einigen afrikanischen Staaten mit.
Die enormen Anstrengungen für den Ausbau der Infrastruktur beschränken sich bei Weitem nicht nur auf die Eisenbahn. Aus unseren ausgedehnten Fahrten durch den Hohen Atlas wurden wir Zeuge von gewaltigen Investitionen in Bewässerungssysteme, Strassen und die Elektrifizierung selbst weit abgelegener Gebiete. Diese Bemühungen sind möglicherweise eine der Ursachen, weshalb Marokko von den Wirren des arabischen Frühlings verschont wurde.
Und – last but not least – auch der neue Flughafen von Marrakesch beeindruckt. Dazu ein paar Bilder: