Eisenbahn in Rumänien – der Handlungsbedarf ist riesig!

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Eine Wanderreise in Transsylvanien im August 2022 bot Gelegenheit, Eindrücke vom Eisenbahnwesen in Rumänien zu gewinnen. Leider reichte die Zeit nur für eine Fahrt mit der Flughafenbahn von Bukarest sowie für eine längere Bahnfahrt von Bukarest nach Hermannstadt. Fahrten mit der Untergrundbahn in Bukarest und mit dem Stadtbus von Kronstadt rundeten das Bild ab.

Zusammenfassend ergab sich ein zwiespältiges Bild. Der Erneuerungsbedarf ist riesig. Aber es gibt auch Positives zu berichten. Die innerstädtische Verkehrserschliessung in den besuchten Städten ist zeitgemäss und funktioniert leidlich. Zu erwähnen sind die gut ausgebaute Untergrundbahn von Bukarest sowie die städtischen Busnetze von Brasov und Sibiu. Auch sah ich erfreut, dass westlich von Sighisoara eine längere Neubaustrecke gebaut wurde.

Mehr über meine Eindrücke in diesem Bericht.

Überblick Eisenbahnnetz Rumänien

Gemäss Wikipedia beträgt die Länge des rumänischen Streckennetzes 20’730 Kilometer. Davon sind lediglich 3’292 km elektrifiziert und 2’707 km zweispurig. Auf den wichtigen Magistralen beträgt die Höchstgeschwindigkeit nur 100 km/h. An verschiedenen Stellen wird das Streckennetz mit massgeblicher Unterstützung durch die EU erneuert. Leider werden die bedeutenden Fördermittel nur unzureichend ausgeschöpft, was auf einen schleppenden Ausbau schliessen lässt.

Eigene Reiseeindrücke

 Flughafenbahn

Für die Fahrt vom Flughafen Henri Coanda in die Innenstadt von Bukarest benutzten wir die neu gebaute Flughafenbahn. Die ersten Eindrücke waren durchwegs positiv. Der Weg von der Ankunftshalle zum Bahnhof war kurz und vollständig überdacht. Die Züge fahren in der Regel alle vierzig Minuten. Eingesetzt werden dieselbetriebene Desiro Triebwagenzüge.

Flughafenbahnhof Henri Coanda in Bukarest mit Desiro-Triebwagenzug. (Quelle: DB Engineering & Consulting)
Blick aus dem Flughafenzug kurz vor der Einfahrt in Bukarest Gara Nord.

Auf der ersten Hälfte der rund 25-minütigen Reise fährt der Zug auf einer teilweise hochgelegten einspurigen Neubaustrecke. Diese mündet nach etwa zehn Kilometern in die Stammlinie von Bukarest nach Brasov. Hier verdüstert sich das Bild. Auf der südwestlichen Seite sind die Umrisse eines ehemaligen Güterbahnhofs erkennbar. Die riesige Fläche durchaus von der Grösse des Rangierbahnhofs Limmattal ist von Gras und Büschen überwachsen – ein trauriger Anblick.

Reise von Bukarest nach Sibiu (Hermannstadt)

Die Reise von Bukarest nach Sibiu erfolgte mit einem der beiden direkten Tageszüge. Gemäss Fahrplan verlässt der IR 1623 Bukarest um 09.55 Uhr und endet nach 340 km Fahrt fünf Stunden und 46 Minuten später um 15.41 Uhr in Sibiu. Am 6. August 2022 wurde der aus neun Wagen bestehende Zug jedoch erst um 10.20 Uhr bereitgestellt und verliess Bukarest um 10.35 Uhr. Bei der Abfahrt war der Zug sehr gut besetzt.

Blick auf den Bahnsteig mit den wartenden Fahrgästen im Bahnhof Bukarest Gara Nord..
Blick auf den Gleiskopf im Bahnhof Bukarest Gara Nord.

In Brasov wurden die elektrische Lokomotive gegen eine Diesellok ausgetauscht, und vier Wagen wurden abgehängt. Der Zug traf schlussendlich mit einer Verspätung von 75 Minuten in Sibiu ein. Unser Wagen war sauber, komfortabel und klimatisiert, und die Fahrt war angenehm. Das Reservationssystem funktionierte.

Die Eindrücke von der Fahrt zwischen Brasov und Sibiu waren deprimierend. Überwachsene und ausgedehnte Bahnanlagen zeugten von einer besseren Vergangenheit der Eisenbahn. Oft bewegte sich der Zug auf der häufig schnurgeraden einspurigen Strecke mit geschätzt höchstens 50 km/h.

Leistungsparameter von ausgewählten Strecken ab Brasov

Nachstehend eine Übersicht über die drei wichtigsten Strecken ab Brasov. Mit Ausnahme der Strecke nach Sibiu sind die Strecken zweigleisig und elektrifiziert. Die Angaben wurden dem elektronischen Fahrplan der SBB und einschlägigen Routenplanern entnommen. Die Längen der Eisenbahnstrecken wurden geschätzt.

Die Tabelle kann durch Anklicken vergrössert werden.

Beobachtungen vom Zustand der Strecken

Auf den Fahrten in Transsylvanien folgten wir gelegentlich genutzten Eisenbahnlinien. Gestossene und nicht verschweisste Schienen waren die Regel. Das Gleisbett war häufig überwachsen, und selbst Bahnübergänge von grösseren Strassen waren gelegentlich ungesichert. Die Gleislage war oft uneben, was die tiefen Geschwindigkeiten erklärt. Dazu folgende Bilder.

Gleis im Bahnhof Brasov – typisch für viele Streckengeleise.
Übergang im Bahnhof Brasov.

Bahnhöfe

Auf der Reise nutzte ich ein paar freie Minuten, um die Bahnhöfe von Bukarest, Brasov, Sibiu und Sighisoara zu besichtigen. Überrascht stellte ich fest, dass sich die ersten drei Bahnhöfe durchaus modern und gepflegt präsentieren. Sighisoara wird noch umgebaut. Trotz des dünnen Angebots an Zügen waren die Bahnhöfe belebt und verfügen über eine gute Infrastruktur. Mehr dazu mit ein paar Bildern.

Schalterhalle im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Fahrplantafel im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Anzeigetafel im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Zelt im Bahnhof Bukarest Gara Nord für die Beherbergung von Flüchtlingen aus der Ukraine.
Zelt im Bahnhof Bukarest Gara Nord für die Registrierung von Flüchtlingen aus der Ukraine.
Bahnhofsgebäude von Sibiu.
Innenraum des Bahnhofs von Sibiu.
Blick auf den Bahnsteig des Bahnhofs von Sibiu.
Blick auf den Bahnsteig des Bahnhofs von Sibiu unmittelbar nach der Ankunft unseres Zuges aus Bukarest.
Bahnhofgebäude von Brasov mit vorgelagerter Wartezone für Busfahrgäste.
Innenraum des Bahnhofs von Brasov.
Wandgemälde im Bahnhof von Brasov.
Anzeige im Bahnhof Brasov auf einem Wagen des Nachtzugs nach Wien.
Bahnhofgebäude von Sighisoara.
Blick auf die Bauarbeiten vor dem Bahnhof von Sighisoara mit dem behelfsmässigen Zugang zum Bahnsteig.
Blick auf den Hausperron des Bahnhofs von Sighisoara.
Blick in den Innenraum des Bahnhofs von Sighisoara. Offensichtlich konnte die Frau mit ihren beiden Kindern darin übernachten.

Kommentar

Ganz offensichtlich besteht ein gewaltiger Erneuerungsbedarf. Gemäss Berichten im Internet wird das Bahnnetz an mehreren Stellen erneuert. Eine auf 160 km/h erhöhte Höchstgeschwindigkeit soll die Reisezeiten substantiell verkürzen. Viele Anzeichen sprechen für eine Revitalisierung der Eisenbahn in Rumänien. Es bleibt die Hoffnung, dass die Strukturen und die Usanzen im Wirtschaftsleben dieses schönen Landes den Weg dafür frei machen.

Gemäss den volkswirtschaftlichen Theorien vermögen Investitionen in die Infrastruktur über Multiplikatoreffekte die nationale Wertschöpfung nachhaltig zu mehren – zumal die Kosten zum grossen Teil von der EU getragen werden.

Hinweistafel für den Ausbau einer Teilstrecke von Sighisoara in Richtung Brasov. Die Kosten für den Ausbau der gesamten Strecke belaufen sich dem Vernehmen nach auf rund EUR 1’200 Millionen.