Umfahrung Ebreichsdorf – Staunen ohne Ende

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Mit der Strecke von Münchendorf nach Wampersdorf wurde im Dezember 2023 das letzte Teilstück des Doppelspurausbaus der «Pottendorfer-Linie» in Betrieb genommen. Das gesamte Projekt wurde in unserem Beitrag vom 9. Januar 2020 eingehend vorgestellt. Hier der Link zu diesem Beitrag: Grossartig – die neue Pottendorfer-Linie und ihre Bahnhöfe | fokus-oev-schweiz

Lage der „Pottendorfer-Linie“ (Auszug aus dem Eisenbahnatlas Österreich von Schweers+Wall, mit dem besten Dank an den Verlag). Die „Pottendorfer-Linie“ ist fein eingezeichnet und verläuft rechts neben der fett eingezeichneten Hauptverkehrsstrecke von Wien nach Wiener Neustadt.

Herzstück der letzten Etappe ist die Umfahrung von Ebreichsdorf und der neue Bahnhof dieser Kleinstadt mit knapp 10’000 Einwohnern. Der neue Bahnhof und die Örtlichkeiten wurden Mitte Januar 2024 eingehend besichtigt. Mehr über die überwältigenden Eindrücke in diesem Bericht.

Ausgangslage

Die ursprüngliche einspurige Strecke führte in einer relativ breiten Schneise durch das Zentrum von Ebreichsdorf. Angeschlossen an den alten Bahnhof war ein grosser Getreidesilo. Die Umgebung von Ebreichsdorf wirkt trotz der Nähe zu Wien verhältnismässig ländlich. Die Regionalzüge von Wien über Ebreichsdorf nach Wiener Neustadt verkehrten stündlich.

Im Rahmen der Modernisierung der «Pottendorfer-Linie» wurde beschlossen, anstelle des Ausbaus der bestehenden Strecke an der ursprünglichen Lage eine etwa zehn Kilometer lange und das Zentrum von Ebreichsdorf umfahrende Neubaustrecke zu bauen. Zudem wurde die Neubaustrecke auf einen etwa fünf Meter hohen Damm gelegt.

Umfahrungsstrecke von Ebreichsdorf (blau), neben der aufgehobenen Bestandesstrecke (schwarz). Die Karte wurde mit dem besten Dank einem Prospekt der ÖBB entnommen.

Bilder

Nachstehend einige Bilder von der Besichtigung. Für weitere Angaben wird auf die Bildunterschriften verwiesen.

Aufgehobene Strecke durch Ebreichsdorf

Gelände des ehemaligen Bahnhofs von Ebreichsdorf, aufgenommen vom Dach des Getreidesilos. (Das Bild wurde einer Broschüre der TU Wien entnommen). Man beachte die breite Schneise und die freien Flächen.
Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs von Ebreichsdorf, aufgenommen vom Dach des Getreidesilos. (Das Bild wurde einer Broschüre der TU Wien entnommen).
Blick auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhof von Ebreichsdorf.
Blick auf das Gelände des ehemaligen Bahnhofs von Ebreichsdorf. Man beachte die ausgedehnte freie Fläche.

Zugang zum neuen Bahnhof von Ebreichsdorf

Blick vom Ende der Bushaltestelle auf den neuen Bahnhof. Das Umsteigen zwischen Bahn und Bus erfolgt geschützt. Der Teerbelag ist gelb eingefärbt. Die weissen Flecken stammen vom Salz.
Ein paar Schritte weiter in Richtung des neuen Bahnhofs.
Blick in die „Unterführung“ des neuen Bahnhofs. Man beachte die verwendeten Materialien am Boden und an den Seitenwänden (Natursteine).
Blick auf die Rückseite des neuen Bahnhofs.
Blick von der ausgedehnten Parkanlage auf den neuen Bahnhof.
Blick auf eine der beiden Abstellanlagen für Fahrräder. Rechts davon befinden sich ein paar Bänke.

Zugang zu den Bahnsteigen

Blick in die „Unterführung“ mit dem Anzeigemonitor und einer Informationstafel.
Treppenaufgang zum Bahnsteig.
Lift auf den Bahnsteig. Selbst die Wände des Liftschachts sind mit Natursteinen belegt.

Wartebereiche für Fahrgäste und Besucher

Wartebereich im Freien. In den Sichtflächen hinter den Sitzbänken befinden sich allgemeine Informationen zum Standort und keine Werbeanzeigen.
Beheizter Warteraum unmittelbar neben dem Zugang zum Bahnhof mit künstlerisch gestalteter Rückwand.
Warteraum auf einem der beiden Bahnsteige. Der Raum verfügt zwar über keine Türe, dafür aber über einen beidseitigen Windfang.

Bahnsteige und Gleisanlagen

Blick von Süden auf die Bahnsteige.
Blick auf die sorgfältig gestalteten Dächer über den Bahnsteigen.
Blick auf den Bahnsteig 1.
Glaseinsatz in der Schallschutzwand ermöglicht den Blick auf die Stadt Ebreichsdorf.

Ausführungsdetails – vom Allerfeinsten!

Ausführungsdetail von der Auskleidung der Wände des Liftschachts.
Ausführung des Bahnsteigbelags auf den Schachtdeckeln.
Vor dem Zugang zum Lift wurde eine Chromstahlwanne eingebaut und mit einem Gitterrost abgedeckt. Dies verhindert das Eindringen von Wasser, Schnee oder Schmutz in die Liftkabine. Zusätzlich wurden seitlich zwei Abflussrinnen eingebaut.
Rostfreie seitliche Abflussrinnen neben dem Lift.
Ausführungsdetail von der Treppe zu den Bahnsteigen. Man beachte die Lichtquelle im unteren Handlauf und die schwach erkennbare Chromstahlrinne für Fahrräder.

Und das berühmte „Tüpfchen“ auf dem „i“

Offensichtlich soll die etwa eine halbe Hektare grosse Parkfläche mit einer Solaranlage überdacht werden.

Kommentar

Der etwa 350 Meter vom alten Standort entfernte neue Bahnhof ist mit den über  Ebreichsdorf hinaus fahrenden Regionalbussen gut erreichbar. Zudem wurde beim neuen Bahnhof ein grosser Parkplatz gebaut. Auf beiden Seiten des Bahnhofs stehen für Fahrräder geschützte Abstellplätze zur Verfügung.

Die örtlichen Verhältnisse hätten meines Erachtens jedoch auch eine einfachere und günstigere Lösung zugelassen, indem (1) man neben die Bestandesstrecke ein zweites Gleis gelegt hätte und (2) der „alte“ Bahnhof auf vier Geleise ausgebaut und zu einem Verkehrsknotenpunkt erweitert worden wäre. Schallschutzwände hätten die Lärmimmissionen auf ein vertretbares Niveau reduziert.

Mit der Umfahrung und dem neuen Bahnhof von Ebreichsdorf wurde jedoch eine grosszügige und weitsichtige Lösung getroffen, welche in hiesigen Verhältnissen – man denke etwa an den Ausbau des Bahnhofs Liestal oder das Führen der Strecke der SZU durch das neue Stadtquartier „Green City“ in Zürich-Leimbach – undenkbar waren.

Anmerkungen zum Verkauf von DB Arriva an I Squared Capital

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Die Deutsche Bahn AG hat am 19. Oktober 2023 den Verkauf ihrer Tochtergesellschaft DB Arriva an die nordamerikanische Private Equity-Gesellschaft I Squared Capital kommuniziert.

Mit diesem Verkauf endet eine seit mehreren Jahren anhaltende Unsicherheit über die Zukunft dieses im europäischen Eisenbahn- und Reisebusgeschäft tätigen Unternehmens.

Mehr über dieses Geschäft und ein kurzer Kommentar in diesem Beitrag.

 Rückblick

Arriva wurde 1931 von der Familie Cowie in einer nordenglischen Kleinstadt als Reparaturwerkstatt für Motorräder gegründet. Wenige Jahre später wurde die Geschäftstätigkeit auf Automobile ausgedehnt. 1965 wurde das Unternehmen an der Londoner Börse kotiert. 1980 erfolgte die Expansion in die Personenbeförderung mit Bussen.

Im März 2010 übernahm die Deutsche Bahn AG Arriva für rund EUR 2.8 Milliarden und dekotierte Arriva per 27. August 2010 von der englischen Börse. In der Folge verzeichnete DB Arriva eine stürmische Entwicklung und expandierte in zahlreiche europäische Länder. Dabei übernahm DB Arriva auch Aufträge für den schienengebundenen Personenverkehr.

Da die gesteckten Ertragsziele bei DB Arriva verfehlt wurden und sich die Qualitätsprobleme im innerdeutschen Personenverkehr auf der Schiene verschärften, wuchs der Druck auf die Deutsche Bahn AG, sich von ihrer Tochtergesellschaft zu trennen. Nicht umgesetzt werden konnte die Absicht, DB Arriva als selbstständiges Unternehmen an der Börse zu kotieren. So begann die Deutsche Bahn AG, einzelne Tochterfirmen von DB Arriva zu verkaufen.

Mit dem eingangs erwähnten Verkauf von DB Arriva an I Squared Capital wurden die mehrjährigen Anstrengungen endlich abgeschlossen. Gerüchten zufolge beträgt der Verkaufspreis EUR 1.6 Milliarden, nachdem DB Arriva noch vor wenigen Jahren mit EUR 2.5 Milliarden bilanziert wurde. Der Verkauf unterliegt der Genehmigung durch die Wettbewerbsbehörden und soll 2024 abgeschlossen werden.

Zu DB Arriva

Auf unserer Website haben wir zweimal über DB Arriva berichtet.

Am 30. Juni 1918 haben wir DB Arriva unter dem Titel «DB Arriva – Fakten und Kommentar» vorgestellt. (DB Arriva / Fakten & Kommentar | fokus-oev-schweiz).

Im Beitrag «DB Arriva unter Dauerbeschuss» wurde am 5. Februar 2020 über mutmassliche Verkaufsabsichten der Deutschen Bahn AG berichtet. (DB Arriva unter Dauerbeschuss | fokus-oev-schweiz).

Der Geschäftsgang von DB Arriva hat sich in den vergangenen sechs Jahren erheblich verschlechtert. So mussten bei allen relevanten Kennzahlen Rückgänge verzeichnet werden. Anfangs 2020 verlor DB Arriva wegen Qualitätsmängeln einen bedeutenden Kontrakt für schienengebundenen Nahverkehr in Nordengland. Weniger gross waren die Verluste beim Busverkehr.

Entwicklung von DB Arriva von 2017 bis 2022. (Quelle dieser und aller folgenden Daten: Geschäftsberichte der Deutschen Bahn AG).
Entwicklung wichtiger Kennzahlen von 2017 bis 2022 (Bahn- und Busreisende, Aussenumsatz, Mitarbeitende am Jahresende).

Trotz der anhaltenden Ungewissheit über die Zukunft des Unternehmens blieb die Kundenzufriedenheit bis Ende 2021 vergleichsweise stabil. Erst 2022 war ein grösserer Rückgang zu verzeichnen.

Zu I Squared Capital

Das Unternehmen wurde 2012 gegründet und ist sehr gut vernetzt. Neben dem Hauptsitz in Miami verfügt I Squared Capital über Niederlassungen in Nordamerika, Asien und London. I Squared Capital ist im Infrastrukturbereich tätig, unter anderem in der Energieerzeugung, und betreibt Versorgungsnetze, Entsorgungsanlagen und Telekommunikationseinrichtungen. I Squarded Capital verwaltete Mitte 2023 mit 120 Mitarbeitenden auf eigenes Risiko oder über seine Fonds Vermögenswerte von USD 37 Milliarden.

I Squared Capital geniesst in der Finanzindustrie einen guten Ruf und wurde für sein unternehmerisches Wirken mehrfach ausgezeichnet.

Auswirkungen des Verkaufs von DB Arriva für die Deutsche Bahn AG

Die Auswirkungen des Verkaufs für die Sparte «Personenverkehr» der Deutschen Bahn AG sind erheblich, wie die folgenden Darstellungen zeigen.

Vergleich von DB Arriva mit den anderen beiden Geschäftsbereichen des Personenverkehrs der Deutschen Bahn AG. Immerhin vermochte DB Arriva als einziger Geschäftsbereich 2022 einen positiven EBIT zu erwirtschaften. Das Jahresergebnis war aber negativ.
Reisende pro Geschäftsbereich.
Aussenumsatz pro Geschäftsbereich.
Mitarbeitende pro Geschäftsbereich.

Kommentar

Mit dem Verkauf von DB Arriva endet die Expansion der Deutschen Bahn AG in den europäischen Personenverkehrsmarkt. Mir war die Logik dieser Ausweitung der Geschäftstätigkeit stets unklar. Skaleneffekte lassen sich in einem derart heterogenen Gebilde kaum realisieren, und die Bindung von Managementkapazitäten auf der obersten Führungsebene ist wohl erheblich.

Wie in diesen Tagen verlautete, möchte sich die Deutsche Bahn AG auch von ihrer Logistiktochter DB Schenker AG trennen. Im Gegensatz zu DB Arriva bestehen hier aber für die Deutsche Bahn AG Synergien, indem verkehrsträgerübergreifende Transportleistungen angeboten werden können.

Vorbehalte habe ich aber bezüglich des Verkaufs von DB Arriva an eine Private Equity-Gesellschaft ohne nachgewiesene Expertise im öffentlichen Personenverkehr. In Europa besteht kaum ein Mangel an Kapital oder Erfahrung.  Meines Erachtens hätte DB Arriva gut ins Portefeuille beispielsweise von Kéolis oder Transdev gepasst.

Ist es tatsächlich der Weisheit letzter Schluss, wenn grosse europäische Infrastrukturen oder Infrastrukturbetreiber an nordamerikanische Finanzgesellschaften verkauft werden? Investitionen in den öffentlichen Verkehr sind in Anbetracht der angestrebten Verkehrsverlagerung nicht nur wenig riskant, sondern mittelfristig wohl lukrativ.

Befremdend ist ausserdem, dass ausgerechnet Deutschland als führende Macht der Europäischen Union für DB Arriva keine europäische Lösung gefunden hat. Honi soit qui mal y pense – aber ist Deutschland in letzter Konsequenz das eigene Hemd wichtiger als das weitsichtige Handeln im europäischen Interesse? Die von deutschen Politikern häufig vorgetragene Vision von „der immer enger werdenden Union“ erweist sich vor diesem Hintergrund als leere Worthülse!

Grundsätzlich halte ich eine Konzentration im europäischen Eisenbahnwesen und das Entstehen von grossen und mächtigen grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrsunternehmen in Europa für notwendig. Ich befürchte jedoch, dass der Eintritt von I Squared Capital in den europäischen Personenverkehrsmarkt zu ähnlichen Verwerfungen führen könnte, wie sie sich bei der Go Ahead-Gruppe oder bei Railtrack zu Lasten von Fahrgästen und der öffentlichen Hand einstellten.