Auf einer Städtereise durch Belgien und Luxemburg fuhren wir mit dem Zug auch durch Lüttich und Aachen. Die Eindrücke während den kurzen Aufenthalten waren höchst unterschiedlich. Mein Interesse war geweckt – besonders, nachdem ich schon viel vom Bahnhof Liège-Guillemins gehört hatte.
Am 30. Oktober 2022 bot sich Gelegenheit, die beiden eingangs erwähnten Bahnhöfe eingehend zu besichtigen. Die Eindrücke waren einerseits überwältigend, aber auch bedrückend, wie die Bilder in diesem Bericht zeigen.
Vorab jedoch ein Ausschnitt aus dem Eisenbahnatlas EU von Schweers+Wall mit der Lage von Lüttich und Aachen.
Bahnhof Liège-Guillemins
Der nach Plänen von Santiago Calatrava umgebaute Hauptbahnhof von Lüttich wurde im September 2009 eröffnet. Er liegt im Stadtteil Guillemins am Rande der Altstadt. Daneben verfügt Lüttich mit dem Bahnhof Liège-Saint-Lambert über einen zweiten grossen Stadtbahnhof.
Lüttich ist an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden und wird unter anderem von ICE und Thalys-Zügen bedient. Auch die Nachtzüge der ÖBB zwischen Brüssel und Wien halten hier. Zudem ist Lüttich ein bedeutender Knotenpunkt im Netz der Belgischen Staatsbahnen. Im Bahnhof Liège-Guillemins halten täglich über 500 Züge.
Aachen
Die Fahrt nach Aachen führt auf belgischem Gebiet über eine für 250 km/h ausgelegte perfekt trassierte Neubaustrecke. Kurz nach dem Passieren der belgisch-deutschen Grenze folgt der Buschtunnel. Nach dem Verlassen des Tunnels befindet man sich in einem Aussenbezirk der Stadt Aachen. Der auf dem belgischen Teil der Strecke mit 250 km/h fahrende Thalys streifte die Zweige der entlang der Geleise wachsenden Büsche – ob der Buschtunnel deshalb so heisst? Ein dschungelähnliches und ziemlich fremdes Gefühl.
Der Bahnhof von Aachen wurde im zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Als wichtiger Knotenpunkt im deutschen Bahnnetz wurden die Gleisanlagen nach dem Kriegsende rasch repariert. Auch die Gebäude waren nach verhältnismässig kurzer Bauzeit bereits 1950 wieder hergestellt.
Kommentar
Die Gegensätze zwischen den beiden Bahnhöfen könnten kaum krasser sein. In Lüttich alles vom Feinsten, und in Aachen an vielen Stellen Verwahrlosung pur. Nur am Rande sei erwähnt, dass auf den Anzeigen in den Bahnhöfen, an denen ich am 30. Oktober 2022 umsteigen musste, kaum ein Fernzug ohne Verspätung verkehrte. Wenn man sich die Zustände in Aachen – und auf dem deutschen Streckenabschnitt bei unserer kürzlichen Bahnfahrt von Luxemburg nach Trier und zurück – vor Augen führt, eigentlich nicht erstaunlich.
Vor vielen Jahren widmete ich mich der Lektüre des ernüchternden Buches „Der Reichsbahn Report“ von Erich Preuss, ehemaliger leitender Angestellter einer Direktion der Reichsbahn. Wäre es nicht an der Zeit, dass ein kompetenter Autor ein analoges und zugleich sachliches Buch über die Zustände bei der Deutsche Bundesbahn schreibt?
Und ausserdem
Nicht nur in Lüttich, sondern auch in anderen Städten in Belgien und in Luxemburg haben uns Bahnhöfe beeindruckt. Das gute Bild wurde jedoch durch Eindrücke auf der Fahrt von Luxemburg über Namur nach Brüssel getrübt. In Wallonien hielt der IC an grösseren Bahnhöfen, auf denen die Bahnsteige einen Kiesbelag aufwiesen. Sonderbare Bilder.
Dennoch möchte ich diesen Bericht mit ein paar Bildern von Bahnhöfen in Belgien und von Luxemburg schliessen.
Eine Wanderreise in Transsylvanien im August 2022 bot Gelegenheit, Eindrücke vom Eisenbahnwesen in Rumänien zu gewinnen. Leider reichte die Zeit nur für eine Fahrt mit der Flughafenbahn von Bukarest sowie für eine längere Bahnfahrt von Bukarest nach Hermannstadt. Fahrten mit der Untergrundbahn in Bukarest und mit dem Stadtbus von Kronstadt rundeten das Bild ab.
Zusammenfassend ergab sich ein zwiespältiges Bild. Der Erneuerungsbedarf ist riesig. Aber es gibt auch Positives zu berichten. Die innerstädtische Verkehrserschliessung in den besuchten Städten ist zeitgemäss und funktioniert leidlich. Zu erwähnen sind die gut ausgebaute Untergrundbahn von Bukarest sowie die städtischen Busnetze von Brasov und Sibiu. Auch sah ich erfreut, dass westlich von Sighisoara eine längere Neubaustrecke gebaut wurde.
Mehr über meine Eindrücke in diesem Bericht.
Überblick Eisenbahnnetz Rumänien
Gemäss Wikipedia beträgt die Länge des rumänischen Streckennetzes 20’730 Kilometer. Davon sind lediglich 3’292 km elektrifiziert und 2’707 km zweispurig. Auf den wichtigen Magistralen beträgt die Höchstgeschwindigkeit nur 100 km/h. An verschiedenen Stellen wird das Streckennetz mit massgeblicher Unterstützung durch die EU erneuert. Leider werden die bedeutenden Fördermittel nur unzureichend ausgeschöpft, was auf einen schleppenden Ausbau schliessen lässt.
Eigene Reiseeindrücke
Flughafenbahn
Für die Fahrt vom Flughafen Henri Coanda in die Innenstadt von Bukarest benutzten wir die neu gebaute Flughafenbahn. Die ersten Eindrücke waren durchwegs positiv. Der Weg von der Ankunftshalle zum Bahnhof war kurz und vollständig überdacht. Die Züge fahren in der Regel alle vierzig Minuten. Eingesetzt werden dieselbetriebene Desiro Triebwagenzüge.
Auf der ersten Hälfte der rund 25-minütigen Reise fährt der Zug auf einer teilweise hochgelegten einspurigen Neubaustrecke. Diese mündet nach etwa zehn Kilometern in die Stammlinie von Bukarest nach Brasov. Hier verdüstert sich das Bild. Auf der südwestlichen Seite sind die Umrisse eines ehemaligen Güterbahnhofs erkennbar. Die riesige Fläche durchaus von der Grösse des Rangierbahnhofs Limmattal ist von Gras und Büschen überwachsen – ein trauriger Anblick.
Reise von Bukarest nach Sibiu (Hermannstadt)
Die Reise von Bukarest nach Sibiu erfolgte mit einem der beiden direkten Tageszüge. Gemäss Fahrplan verlässt der IR 1623 Bukarest um 09.55 Uhr und endet nach 340 km Fahrt fünf Stunden und 46 Minuten später um 15.41 Uhr in Sibiu. Am 6. August 2022 wurde der aus neun Wagen bestehende Zug jedoch erst um 10.20 Uhr bereitgestellt und verliess Bukarest um 10.35 Uhr. Bei der Abfahrt war der Zug sehr gut besetzt.
In Brasov wurden die elektrische Lokomotive gegen eine Diesellok ausgetauscht, und vier Wagen wurden abgehängt. Der Zug traf schlussendlich mit einer Verspätung von 75 Minuten in Sibiu ein. Unser Wagen war sauber, komfortabel und klimatisiert, und die Fahrt war angenehm. Das Reservationssystem funktionierte.
Die Eindrücke von der Fahrt zwischen Brasov und Sibiu waren deprimierend. Überwachsene und ausgedehnte Bahnanlagen zeugten von einer besseren Vergangenheit der Eisenbahn. Oft bewegte sich der Zug auf der häufig schnurgeraden einspurigen Strecke mit geschätzt höchstens 50 km/h.
Leistungsparameter von ausgewählten Strecken ab Brasov
Nachstehend eine Übersicht über die drei wichtigsten Strecken ab Brasov. Mit Ausnahme der Strecke nach Sibiu sind die Strecken zweigleisig und elektrifiziert. Die Angaben wurden dem elektronischen Fahrplan der SBB und einschlägigen Routenplanern entnommen. Die Längen der Eisenbahnstrecken wurden geschätzt.
Beobachtungen vom Zustand der Strecken
Auf den Fahrten in Transsylvanien folgten wir gelegentlich genutzten Eisenbahnlinien. Gestossene und nicht verschweisste Schienen waren die Regel. Das Gleisbett war häufig überwachsen, und selbst Bahnübergänge von grösseren Strassen waren gelegentlich ungesichert. Die Gleislage war oft uneben, was die tiefen Geschwindigkeiten erklärt. Dazu folgende Bilder.
Bahnhöfe
Auf der Reise nutzte ich ein paar freie Minuten, um die Bahnhöfe von Bukarest, Brasov, Sibiu und Sighisoara zu besichtigen. Überrascht stellte ich fest, dass sich die ersten drei Bahnhöfe durchaus modern und gepflegt präsentieren. Sighisoara wird noch umgebaut. Trotz des dünnen Angebots an Zügen waren die Bahnhöfe belebt und verfügen über eine gute Infrastruktur. Mehr dazu mit ein paar Bildern.
Kommentar
Ganz offensichtlich besteht ein gewaltiger Erneuerungsbedarf. Gemäss Berichten im Internet wird das Bahnnetz an mehreren Stellen erneuert. Eine auf 160 km/h erhöhte Höchstgeschwindigkeit soll die Reisezeiten substantiell verkürzen. Viele Anzeichen sprechen für eine Revitalisierung der Eisenbahn in Rumänien. Es bleibt die Hoffnung, dass die Strukturen und die Usanzen im Wirtschaftsleben dieses schönen Landes den Weg dafür frei machen.
Gemäss den volkswirtschaftlichen Theorien vermögen Investitionen in die Infrastruktur über Multiplikatoreffekte die nationale Wertschöpfung nachhaltig zu mehren – zumal die Kosten zum grossen Teil von der EU getragen werden.
Eine Studienreise zur Geschichte von Nordirland bot in Derry/Londonderry Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher zum kürzlich renovierten Bahnhof. Dieser Bahnhof ist Endstation der Fernverbindung mit einer Länge von ca. 154 km zwischen Derry (85’000 Einwohner) und Belfast (344’000 Einwohner).
Die Eindrücke vom Bahnhof von Derry waren überwältigend, wie die folgenden Bilder belegen.
Der Bahnhof von aussen
Innenbereich
Servicefazilitäten
Bahnsteig und Aussenbereich
Und ausserdem
Neben zahlreichen Sehenswürdigkeiten sind mir in Derry bezüglich der Infrastruktur die für Fussgänger gebaute grossartige Friedensbrücke und aufwendig gestaltete öffentliche Plätze aufgefallen. Derry hat viel zu bieten. Empfehlenswert sind die Studienreisen von Partizan Travel mit Sitz in Schierling (D). Gerne stelle ich ein paar Bilder an das Ende dieses Berichts.
Kurt Metz organisierte für die Schweizer Bahnjournalisten unter der Bezeichnung «Verkehrsverlagerung mit Italien und dem Tessin» eine wie immer hoch aktuelle und perfekt organisierte Studienreise. Rund 20 fachkundige Medienfachleute und Vertreterinnen und Vertreter von Transportunternehmen liessen sich vom 15. bis zum 17. Juni 2022 an mehreren Orten aus erster Hand über den Stand und aktuelle Projekte für den alpenquerenden Güterverkehr informieren.
Die Teilnehmenden an der Studienreise waren überall sehr willkommen und gelangten in den Genuss von spannenden Referaten oder eindrücklichen Besichtigungen. Darüber hinaus ermöglichten die Fahrten zwischen den einzelnen Stationen einen anregenden Gedankenaustausch zwischen den Teilnehmenden und die Vertiefung der soeben erhaltenen Informationen.
In diesem Bericht sollen die Höhepunkte der Studienreise in geraffter Form wiedergegeben werden – dies im Wissen, dass jedes Referat und jede Station einer gesonderten Berichterstattung würdig wären.
1. Etappe – Begrüssung und Kurzpräsentationen in Altdorf / 15. Juni 2022
Um 09.00 Uhr begrüsste Kurt Metz die Referenten und die Teilnehmenden in einem Sitzungszimmer des repräsentativen neuen Bahnhofgebäudes von Altdorf.
Nach einigen organisatorischen Hinweisen leitete Kurt Metz zum ersten Referat über.
In Vertretung von Django Betschart, Geschäftsleiter der Alpen-Initiative, referierte Fabio Gassmann, dort Teamleiter Alpenschutz, über den Alpenschutz am Puls der Zeit. Aus aktuellem Anlass kommt einer nachhaltigen Verkehrspolitik und griffigen Klimaschutzmassnahmen eine erhöhte Bedeutung zu. Mit rund 880’000 Lastwagen im Strassentransit über die Alpen wurde die Limite von 650’000 Fahrten im alpenquerenden Güterverkehr auch 2021 verfehlt.
Mit Besorgnis wird der stagnierende oder gar sinkende Anteil der Schiene im Binnengüterverkehr sowie im Import und Export zur Kenntnis genommen. Befürchtungen verursachen auch die düsteren Aussichten für den nationalen Wagenladungsverkehr. Auch wird die Verlagerungspolitik vermehrt in Frage gestellt, wie Ausführungen von Nationalrat Walter Wobmann im Tages-Anzeiger belegen. Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Richtungsänderung der alpenquerenden Güterverkehrsströme von Süden nach Norden als Folge des Ausbaus der Häfen im Mittelmeer.
Andreas Windlinger, Leiter Kommunikation im Bundesamt für Verkehr BAV, stellt die Stossrichtungen des BAV zur Förderung des alpenquerenden Transitverkehrs vor. So soll die Strecke aus dem Raum Como nach Mailand durch Italien auf Kosten von Italien substantiell erneuert und ausgebaut werden. Mit Unterstützung durch die Schweiz soll südlich von Mailand in Piacenza ein weiterer Güterverkehrsterminal errichtet werden. In den kommenden Jahren sollen am Gotthard pro Stunde in beiden Richtungen je sechs Güterverkehrstrassen eingerichtet werden.
Das BAV ortet weiterhin ein erhebliches Potential entlang des europäischen Güterverkehrskorridor Nr. 1 zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer. Die möglichen Konsequenzen des Ausbaus der Mittelmeerhäfen für die NEAT werden aufmerksam verfolgt. Eine entsprechende Untersuchung wurde abgeschlossen.
Erfreulich ist die Verpflichtung von Italien, die Simplon-Achse in Richtung Mailand und Novara bis Ende 2028 durchgehend für Güterzüge mit vier Metern Eckhöhe ausbauen. Die Schweiz beteiligt sich mit CHF 128 Millionen an den Investitionen, wobei dieser Betrag in Tranchen entsprechend dem Projektfortschritt ausbezahlt wird.
Der nationale Wagenladungsverkehr auf der Schiene steht vor der Schicksalsfrage. Kann dieser Verkehr rationalisiert und mit Subventionen weiter betrieben werden oder droht die Einstellung? Dem Vernehmen eröffnet das BAV im Herbst 2022 eine Vernehmlassung. Die SBB halten vorläufig am Status Quo fest.
Bruno Fischer, Leiter Kombinierter Verkehr bei den SBB, berichtet über die Massnahmen von SBB Cargo beim kombinierten Binnenverkehr. Er hält fest, dass der Anteil des Wagenladungsverkehrs am Ertrag des nationalen Schienengüterverkehrs nach wie vor fast zwei Drittel ausmacht. Die SBB möchten den nationalen kombinierten Verkehr unter anderem mit der Förderung von Anschlussgeleisen, dem Ausbau von Terminals und eigenen Wechselbehältern nachhaltig fördern. Auch erhofft man sich durch die Automatisierung der Kupplung – diese ist bei den Wagen des nationalen kombinierten Verkehrs seit rund einem Jahr im Einsatz – und der Bremsprobe zusätzliche Rationalisierungseffekte.
Pascal Jenni, Chief Commercial Officer der SBB Cargo International, kommt nach einer kurzen Vorstellung von SBB CI auf aktuelle Probleme des europäischen Schienengüterverkehrs zu sprechen. Der Lokführermangel vorab in Deutschland verstärkt sich und bewirkt Zugsausfälle und Annahmesperren. Rastatt war ein einschneidendes Ereignis. Leider hat sich seither in Bezug auf die Förderung wenig getan. Das Problembewusstsein in der Politik und in der Öffentlichkeit ist gering. Zustände wie im Schienengüterverkehr wären in anderen Verkehrsbereichen undenkbar. Zwar wurde das Zulassungsverfahren für Lokomotiven durch ERA standardisiert. Unterschiedliche nationale Anforderungen und die vielen Beteiligten führen zu mehr Komplexität. Das Management in den Güterverkehrskorridoren ist unzureichend. Pascal Jenni glaubt an die Chancen des internationalen Schienengüterverkehrs und fordert mehr Kapazität, mehr Qualität, eine verstärkte Standardisierung sowie mehr fairen Wettbewerb.
Dr. Dirk Pfister, Leiter Produktmanagement und Vertrieb bei BLS Cargo, referiert über Herausforderungen und Chancen im internationalen Schienengüterverkehr. Grosse Sorgen bereitet zurzeit der enorme Anstieg der Strompreise für die Bahn und die zunehmenden Störungen auf der Schieneninfrastruktur vorab in Deutschland. So hat sich der Strompreis für die Bahnen in Deutschland innerhalb einem Jahr vervierfacht. Endlich scheint mit dem angedachten Ausbau der Eisenbahnstrecke zwischen Wörth und Strassburg eine Ausweichroute für den Europäischen Güterverkehrskorridor Nr. 1 zu entstehen. Kritisch sieht Dr. Dirk Pfister die Kapazitätsengässe und die erodierende Qualität der Infrastruktur. Das Angebot im Personenverkehr sollte auf gewissen Strecken überdacht werden, um mehr Trassen für den Güterverkehr zu gewinnen.
Andreas Hollenstein, Leiter Infrastruktur und Betrieb bei der Firma Camion Transport CT, hält fest, dass CT seit vierzig Jahren Stückgut auf der Schiene befördert. CT betreibt 15 Standorte in der Schweiz und lässt pro Nacht bis zu 130 Bahnwagen zirkulieren. Sorgen bereitet der zunehmende Mangel an Fachkräften. Täglich werden 7’500 Sendungen mit einem durchschnittlichen Gewicht von 750 Kilogramm befördert. 75 Prozent der Sendungen über grössere Distanzen werden per Bahn zwischenbefördert. CT bietet ergänzend zur Spedition zunehmend auch Dienstleistungen wie Zwischenlagerung oder die Konfektionierung der Waren an. Als führend in der Transportökologie entwickelt CT auch Vorstellungen über die Ausgestaltung der City Logistik.
Severin Bär, VR und Mitglied der Geschäftsleitung der Planzer Familienholding, informiert über aktuelle Probleme im Güterverkehr auf Schiene und Strasse. Einleitend hält Severin Bär fest, dass sich die Verlagerungspolitik trotz Mängeln bei der Infrastruktur bewährt hat. Sorgen bereiten die starke Zunahme der Staustunden auf dem Schweizer Nationalstrassennetz und die Unterbrüche bei der Schieneninfrastruktur, auch in der Schweiz. Massive Kritik übt Severin Bär am Projekt Cargo Souterrain – statt Phantasien zu huldigen würde man besser die Qualität des Cargo Surterrain nachhaltig fördern. Eine grosse Herausforderung für den Gütertransport ergibt sich durch den Trend zu immer mehr und immer kleineren Sendungen. Severin Bär plädiert für das Abschneiden von alten Zöpfen beim Wagenladungsverkehr. Ein tragfähiges Konzept für den europäischen Güterverkehr ist überfällig.
Planzer beschäftigt über 5300 Mitarbeitende an 69 Standorten, davon 59 in der Schweiz. Planzer besitzt eine Flotte von 1800 Last- und Lieferwagen, mit denen täglich bis zu 23’000 Sendungen spediert werden. Für den Transport zwischen den Standorten werden bis zu 240 Eisenbahnwagen eingesetzt. Planzer betreibt 11 Hochregallager mit einer Kapazität von 177’000 Palettplätzen. Eine Intensivierung der Strassentransporte während der Nacht wird erwogen. Planzer betreibt seit 1996 City Logistik in Zusammenarbeit mit der SBB. In Zermatt erfolgt der Gütertransport zum Endkunden neu auch mit Pferdefuhrwerken.
Daniel Schöni, Inhaber der Firma Schöni, stellt einleitend die Erfolgsgeschichte seines Unternehmens vor. Gegründet wurde die Firma 1969 mit dem Ziel, den dannzumal unzuverlässigen Güterverkehr nach Italien als Marktnische zu erschliessen. Schon früh wurde auf Huckepack gesetzt. 2005 bekannte sich Schöni zum kombinierten Verkehr. 2010 wurde mit 22’800 Aufliegern der Spitzenwert erreicht. Seither erfolgte primär aus Kostengründen eine Rückverlagerung auf die Strasse, zurzeit werden jährlich noch rund 6000 Sendungen mit der Bahn abgewickelt. Daniel Schöni präsentiert den Zerfall der Frachtgebühren anhand einer nachdenklich stimmenden Folie. Die Einführung eines zusätzlichen Blockzuges nach Italien ist äusserst nervenaufreibend und erfordert – so Daniel Schöni – den Konsum von zwei Packungen Valium.
Daniel Schöni plädiert für mehr Objektivität und Faktentreue bei der Diskussion um die CO2-Belastung. Die deutschen Kohlenkraftwerke für die Erzeugung von elektrischer Energie sind die grössten CO2-Produzenten Europas. Wie reagieren die Bahnen, wenn die Lastwagen in absehbarer Zukunft ökologischer unterwegs sind als die Güterzüge?
2. Etappe – Besichtigung des Terminals von CT in Cadenazzo / 15. Juni 2022
Nach der Bahnfahrt durch den Gotthard Basis-Tunnel begrüsst uns Andreas Hollenstein in Cadenazzo auf dem Gelände der Firma Camion Transport zur Führung durch den bestehenden und durch die Baustelle des neu entstehenden Terminals.
Der bestehende Terminal für den Umschlag von Gütern zwischen der Bahn und den Lastwagen verfügt im Innern über ein Gleis, auf dem fünf grosse Schiebewandwagen ent- und beladen werden können. Neben dem Gebäude hat es ein Abstellgleis für fünf weitere Schiebewandwagen. Im bestehenden Terminal werden fünfzig Mitarbeitende beschäftigt.
Nach einer kurzen Führung durch den bestehenden Terminal begeben wir uns auf die Baustelle des neuen Umschlagsterminals. Der neue und bedeutend grössere im Entstehen begriffene Terminal hat eine Fläche von 32’000 m2. Er verfügt über zwei Hallengeleise für je 15 Schiebewandwagen. Die Arbeitsabläufe ermöglichen das Arbeiten in zwei Schichten. Speziell ist der baulich abgetrennte Bereich für Gefahrenstoffe. Bei den Investitionen von CHF 42 Millionen hat sich das BAV aufgrund des Güterverkehrsgesetzes an den Kosten der Gleisanlagen beteiligt.
Auf Anfrage führt Andreas Hollenstein aus, dass sich die Zusammenarbeit mit den übrigen Anbietern von Cargo Domizil auf den Einkauf der Transportleistungen bei den SBB reduziert hat. Sichtlich beeindruckt vom Gesehenen verabschieden sich die Besucher von Andreas Hollenstein. Offensichtlich hat die Eisenbahn im nationalen Güterverkehr durchaus eine Existenzberechtigung – und wie die Investitionen von CT zeigen – auch Entwicklungspotential.
3. Etappe – Besichtigung des Terminals von Hupac in Busto Arsizio / 15. Juni 2022
Nach der Bahnfahrt nach Luino fahren wir mit einem Bus nach Busto-Arsizio zum grossen Terminal der Firma Hupac AG, wo wir von Irmtraut Tonndorf, Director Marketing & Communication, zur Vorstellung ihres Unternehmens empfangen werden.
Die Hupac AG gehört zu 72 Prozent privaten Transportunternehmen und zu 28 Prozent Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen. Sie wurde 1967 gegründet und besitzt über 8100 Tragwagen. 2021 hat Hupac per Bahn über 1’120’000 (Strassen-) Sendungen transportiert. Hupac beschäftigt an mehreren Standorten in Europa rund 630 Mitarbeitende und hat 2021 bei einem Umsatz von CHF 682.5 Mio. einen Reingewinn von CHF 12.4 Millionen erzielt. Der Corona-bedingte Einbruch in 2020 konnte 2021 mit einem Wachstum von 10.7 Prozent teilweise wettgemacht werden. Hupac erbringt ihre Leistungen primär auf der Nord/Süd-Achse und will ergänzend den bereits bestehenden Ost/West-Verkehr mit neuen Zügen ausbauen.
Hupac AG sieht ein grosses Entwicklungspotential und wird zwischen 2021 und 2026 über EUR 500 Mio. in neue und in die Erweiterung bestehender Terminals investieren. Dank einem Wachstum von sieben Prozent soll die Anzahl Sendungen am Ende der Planungsperiode 1.6 Millionen Sendungen pro Jahr erreichen. Mit dem multinationalen EVU BoxXpress wird unter der Bezeichnung «Maritime Shuttle» ein neuer Produktionszweig für den Transport ab den Containerhäfen am Mittelmeer und an der Nordsee geschaffen. Heute werden von Norden nach Süden rund 43 Millionen TEU und in der Gegenrichtung 11 Millionen TEU transportiert. Man erwartet, dass sich die Ströme dank dem Ausbau der Häfen am Mittelmeer und der Bahninfrastruktur angleichen werden, was Hupac AG eine bessere Auslastung ihrer Kapazitäten ermöglichen soll.
Leider, so Irmtraut Tonndorf, haben sich die Probleme im internationalen Schienengüterverkehr in jüngster Zeit massiv verschärft. In der Vorwoche fielen 40 Prozent der Züge aus – im langjährigen Durchschnitt liegt diese Kennzahl bei fünf Prozent – was beim Betrieb und bei den Kunden zu grossen Schwierigkeiten führt. Nur bei einem Bruchteil der verhinderten Transporte kann auf die Strasse ausgewichen werden. Welcher unvernünftige Spediteur würde der Eisenbahn vor diesem Hintergrund verderbliche Ware anvertrauen?
Die DB hat die Probleme bestätigt und Besserung durch bessere Koordination der baulichen Massnahmen versprochen. Hupac AG verfügt bei den Eisenbahnwagen über eine Reserve von zehn Prozent und hat begonnen, eigene Lokführer für den Einsatz bei den beauftragten EVU auszubilden. Unglücklicherweise können die Züge von Hupac AG bei Störungen im deutschen Netz kaum auf französische oder österreichische Transitachsen ausweichen. So müssen bei Störungen in letzter Instanz viel zu häufig Annahmestopps für Güter verfügt werden.
Auf einem Abstecher ins Gelände des Terminals werden den Besuchern die gewaltigen Dimensionen der Anlage ersichtlich. Auf eine Fläche von 245’000 m2 befinden sich dreizehn Umschlaggeleise, elf Abstellgeleise und fünf Wartungsgeleise. Sechs Geleise stehen für Überholungen zur Verfügung. Zwölf Portalkrane ermöglichen theoretisch den Güterumschlag von 33 Zugspaaren pro Tag. Technische Gründe limitieren die Anzahl Zugspaare jedoch auf 25 Einheiten.
Marco Terranova, Managing Director von SBB Cargo Italia, erläutert die italienische Sicht eines internationalen EVU. Er beanstandet den konzeptlosen Mitteleinsatz beim Bau und Unterhalt des Schienennetzes sowie strukturelle Hindernisse durch überholte Betriebsvorschriften. Ein Ärgernis ist beispielsweise der in einigen Ländern vorgeschriebene Einsatz eines zweiten Lokführers, was die Transportkosten um einen Viertel erhöht. Die starke Erhöhung der Strompreise verteuert die Trassenkosten um etwa einen Drittel. Diese können von den EVU nicht weiterbelastet werden. Marco Terranova kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Schienengüterverkehr im Gegensatz zum Strassentransport für die Ertragsausfälle wegen Corona kaum Subventionen erhielt.
Auch Marco Terranova bemängelt die unzureichenden Absprachen innerhalb der europäischen Güterverkehrskorridoren sowie die Kapazität und Erreichbarkeit der Terminals. Sorgen bereiten in Italien auch die Betriebsvorschriften der Netzbetreiberin RFI, indem beispielsweise Pönale für zu lange Züge verhängt werden. Zudem könnte die Kapazität der Rangier- und Abstellbahnhöfe von Domodossola durch neue Vorschriften bis zu einem Drittel reduziert werden. Die Besetzung von zahlreichen Positionen im Management von RFI mit Kadermitarbeitenden aus dem Personenverkehr schlägt sich in fehlender Leistungs- und Marktorientierung nieder. Haftungsregeln bei Mängeln fehlen, und wichtige Vereinbarungen für die Leistungserbringung müssen jährlich aktualisiert. Unterschiedliche Regeln innerhalb der EU im Schienengüterverkehr wie Bremssohlen, RID, Zuglänge, Sprache und ERTMS sind zu vereinheitlichen. Der Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen den Häfen in Ligurien und dem Hinterland durch den Terzo Valico wird begrüsst, muss jedoch durch flankierende Massnahmen in den Häfen ergänzt werden. Vor allem müssen genügend Warteräume für Güterzüge im Hinterland bereitgestellt werden. Der Nutzen der Korridore wird wegen den Qualitätsmängeln in Frage gestellt. Die Bahn ist nicht (mehr) in der Lage, Sendungen nach dem «Just-in-Time»-Prinzip zu transportieren.
Der Präsident der Internationalen Vereinigung der Gesellschaften für den Kombinierten Verkehr Schiene/Strasse UIRR, Ralph-Charley Schulze, sieht ein ideales Momentum für den Ausbau des Kombinierten Verkehrs als umweltfreundliche Transportart. Leider wird der Nutzen von Förderungsmassnahmen gelegentlich durch gegenläufige Massnahmen eingeschränkt. Wie Marco Terranova fordert Ralph-Charley Schulze eine verstärkte Standardisierung im internationalen Güterverkehr. Die Gewichtsbeschränkung für die Lastwagen ist dringend beizubehalten. Erwogen werden sollte die Ausgründung der europäischen Güterverkehrskorridore in eigene Unternehmen. Ralph-Charley Schulze teilt die Meinung von Daniel Schöni bezüglich einer ganzheitlichen Betrachtung der CO2-Problematik und einer Vereinheitlichung der Messsysteme für den CO2-Ausstoss.
Die interessante Besichtigung des Terminals von Busto-Arsizio schliesst mit einem Abstecher zum eindrücklichen Umschlagsterminal der Firma Schöni. Hier werden die mit Lastwagen angelieferten Sendungen für den Weitertransport auf der Schiene auf Güterwagen verladen – mehrheitlich von Süden nach Norden.
Busfahrt von Busto-Arsizio nach Alessandria / 15. Juni 2022
Auf der Weiterfahrt nach Alessandria ergeben sich spannende Gespräche. Der Bedarf nach einer einheitlichen Bahnsprache, wohl Englisch, wird diskutiert. Der Einsatz der englischen Sprache ist aus Sicht des Verfassers überfällig.
Auch die Vorschrift der Streckenkundigkeit für das Lokpersonal wird in Anbetracht der neuen Leitsysteme wie ERTMS in Frage gestellt. Aus Sicht eines Fachmanns sprechen Sicherheitsüberlegungen für die Beibehaltung dieses Prinzips.
Federico Rossi, Mitarbeiter von BLS Infrastruktur, dessen Referat «Ausbauperspektiven für die Simplon-Achse» aus zeitlichen Gründen ausfallen musste – die Unterlagen der Präsentation stehen in schriftlicher Form zur Verfügung – könnte die Stabilität des Netzes in Deutschland durch die Herrichtung von Nebenstrecken für den Güterverkehr und die Optimierung der Stellwerke relativ rasch und mit vertretbarem Aufwand verbessert werden. Parallel dazu müsste die Flexibilität auf den Hauptstrecken durch die Bereitstellung von Ausweichgleisen und Gleiswechselmöglichkeiten (Banalisierung) erhöht werden.
4. Etappe – Allgemeine Einführung und Besichtigung des Hafens von Genova Pra / 16. Juni 2022
Nach einer durch den Stau auf der Autobahn verzögerten Busfahrt treffen wir kurz nach zehn Uhr auf dem Hafengelände im Zentrum von Genua ein. Der Stau wurde durch ausgedehnte Sanierungsarbeiten an der Autobahn verursacht. Beim Vorbeifahren zeigten sich für hiesige Vorstellungen undenkbare Betonschäden an Tunnelwänden, Stützmauern und Brücken. Der Sanierungsbedarf ist riesig. Bemerkenswert war auch die Herkunft der grossen Lastwagen. Die langsame Fahrt ermöglichte die Feststellung der Herkunft der Fahrzeuge. Eine spontane Stichprobe von zehn hintereinander fahrenden grossen Lastwagen ergab, dass nur drei davon in Italien immatrikuliert waren. Vier Lastwagen stammten aus Portugal oder Spanien, und drei aus Polen und Rumänien.
Um 10.40 Uhr Uhr begrüsste uns Paolo Emilio Signorini, Präsident der Western Ligurian Sea Port Network Authority im Palazzo San Giorgio, dem aus dem frühen Mittelalter stammenden, prunkvollen Verwaltungsgebäude der Hafenaufsichtsbehörde.
In einer kurzen Ansprache erwähnte Paolo Emilio Signorini die einst dominante Bedeutung des Hafens von Genua für die Schweiz und lobte die NEAT. Er führte aus, dass 60 Prozent der Anlieferungen von Gütern per Schiff in Containern oder verwandten Transportgebinden eintreffen. Die Häfen von Genua wollen den Anteil der mit der Bahn weiter beförderten Container von heute 15 auf 25 Prozent erhöhen. Zu diesem Zweck wird die Bahnerschliessung substantiell ausgebaut. Der relativ tiefe Anteil der Schiene ist primär durch die kurzen Transportdistanzen in das wirtschaftliche starke Hinterland bedingt.
Nach der Einführung durch Paolo Emilio Signorini präsentieren Mitarbeitende eine Fülle von Fakten über die Häfen in Ligurien. Die Häfen in Ligurien zählen zu den bedeutendsten Tiefseehäfen im Mittelmeer mit einer Kapazität von 2.8 Millionen TEU. Die Häfen beschäftigen über 31’000 Mitarbeitende. Dazu kommen gegen 70’000 weitere Arbeitsplätze bei Zuliefer- oder Nebenbetrieben. Die vier Häfen der Hafenbehörde erstrecken sich über eine Fläche von sieben Quadratkilometern. Die Länge der Kais mit insgesamt 30 Anlegestellen mit Portalkränen beträgt über 17 Meilen, entsprechend knapp 26 Kilometer.
Der Corona-bedingte Einbruch konnte beinahe wettgemacht werden. Neben dem Umschlag von Waren werden ergänzende Dienstleistungen wie Schiffbau und Unterhalt sowie Wartung und Entsorgung angeboten. Zudem werden mittelgrosse Yachten gefertigt, und mit über 2 Millionen Passagieren gehören die Häfen von Genua auch im Personenverkehr zu den grössten Häfen Europas. In Ligurien sind mit MSC in Genua und mit Costa Cruises in Savona zwei der weltweit grössten Redereien domiziliert.
Ein paar Zahlen dokumentieren das stürmische Wachstum des Containerverkehrs und das Gewicht der Häfen in Ligurien beim Umschlag von Containern. Insgesamt wurden 2021 in italienischen Häfen 7.2 Millionen TEU gelöscht, davon 61.5 Prozent in den Häfen von Ligurien und 19.8 Prozent an den adriatischen Häfen.
Von 2011 bis zu dem durch Corona beeinträchtigten Jahr 2021 wuchs die Anzahl der Containerzüge pro Jahr von 5155 auf 9387 Züge. Die Zunahme der per Bahn weiter beförderten Container stieg von rund 246’000 TEU auf 380’328 TEU. Der Anteil der Eisenbahn am gesamten Containerverkehr stieg von 14.6 Prozent auf 15.7 Prozent. Die meisten Container – und das mit steigendem Anteil – waren für Abnehmer im Piemont und in der Lombardei bestimmt. Wie von Paolo Emilio Signorini ausgeführt soll der Anteil der ab Genua mit der Eisenbahn weiter beförderten Container mit dem Ausbau der Bahninfrastruktur gesteigert werden, wie etwa durch den Ausbau des Streckennetzes und der Rangierbahnhöfe.
Zurzeit verkehren in der Regel nur je drei Containerzüge pro Woche nach Busto-Arsizio und nach Frenkendorf. Acht Züge fahren nach Melzo. Stark wachsend ist der Anteil von neuen EVU am Transportvolumen.
In der Diskussion erläutert Pascal Jenni die Strategie von SBB Cargo International für die Gewinnung von neuen Kunden. Leider wurden diese Bestrebungen durch Corona empfindlich behindert.
Im Anschluss an diese interessanten Präsentationen verschieben wir uns zum Hafen von Genova Pra, wo wir im Verwaltungsgebäude von Massimiliano Cozzani, Senior Manager von PSA, und seinem Team empfangen werden. Der Hafen gehört mehrheitlich zur Port of Singpore Authority PSA, der weltweit grössten Betreiberin von Häfen. Über die Häfen von PSA wurden 2021 weltweit 91.5 Mio. TEU umgeschlagen. In 28 Ländern befinden sich 53 Häfen und 60 Terminals.
Vom obersten Geschoss des Verwaltungsgebäudes bietet sich ein guter Überblick über die imposanten Hafenanlagen. Die Fläche ist in drei Zonen unterteilt, nämlich die Ship-Side (Umschlag Schiff-Land), die Yard-Side (Lagerfläche) und die Quay-Side (Umschlag Lager-Lastwagen oder Bahn). Der überwiegende Teil der Container wird auf der Strasse weiterbefördert. An Spitzentagen erfolgen 2000 Lastwagenfahrten, im Jahresdurchschnitt sind es pro Tag rund 1800 Fahrten. Der Mangel an qualifizierten Chauffeuren hat bedrohliche Ausmasse angenommen. Pro Woche verlassen zwischen 91 und 96 Züge den Hafen von Genova Pra. Die maximale Kapazität liegt bei 120 Zügen pro Woche. Allerdings ist die Zuglänge auf 460 Meter beschränkt – statt der angestrebten Länge von 750 Metern. Das Verlagerungspotential für die Eisenbahn vorab im internationalen Güterverkehr ist gross. Man schätzt, dass der Transport von Containern aus Asien über die Häfen am Mittelmeer – anstatt über die Nordseehäfen – zu den Empfängern in Mitteleuropa zwischen 15 und 40 Prozent weniger CO2 verursacht und zudem vier bis sieben Tage weniger in Anspruch nimmt.
Zudem verfügen die Häfen am Mittelmeer im Gegensatz zu den chronisch überlasteten Häfen an der Nordsee über freie oder rasch zu erschliessende Kapazitäten. In krassem Gegensatz zu den hiesigen Vorurteilen wurden die Häfen in Ligurien seit 20 Jahren nicht mehr bestreikt. Als positiv zu werten ist, dass das allgemeine Bewusstsein über die Probleme im europäischen Güterverkehr steigt.
5. Etappe – Besichtigung des neuen Tiefseehafens Savona Vado Ligure / 16. Juni 2022
Nach der Busfahrt gelangen wir zum neuen Tiefseehafen von Vado Ligure. Dieser moderne Hafen wurde nach kürzester Bauzeit im Dezember 2019 eröffnet und verfügt über eine Kapazität für 1.1 Mio. TEU. Neben dem Containerhafen befindet sich ein weiterer neuer Hafen für den Umschlag von anderen Gütern wie Autos oder Oel. Unweit der Hafenanlagen erkennt man ein Werk der von Alstom übernommenen Bombardier AG für die Herstellung von Eisenbahnfahrzeugen.
An die kurze Einführung von Daniela Mossa, Commercial Manager, schliesst eine Besichtigung der Hafenanlagen an. Der Betrieb der Yard-Side erfolgt vollautomatisch. Die Container werden mit den Kränen vom Schiff auf die Ship-Side abgeladen. Von da werden sie vollautomatisch mit den Portalkränen in der Yard-Side zwischengelagert und von dort unmittelbar vor dem Abholen auf der Quay-Side deponiert, von wo aus sie mit manuell bedienten Stackern auf Lastwagen oder Eisenbahnwagen verladen werden. Die Zeit zwischen dem Eintreffen der Lastwagen und dem Beladen mit dem Container wird als GMPH bezeichnet und liegt unter 30 Minuten. Die eindrücklichen und fast hundert Meter hohen Portalkräne wurden vollständig gefertigt aus China importiert und auf das Festland verschoben. Eindrücklich sind auch Ausmasse und die Beweglichkeit der imposanten Stacker.
Nach der Besichtigung der Hafenanlagen begrüsst uns Dr. Luigi Ghilotto, Senior Manager von Vado Ligure, und ergänzt die Ausführungen von Daniela Mossa. Die Häfen von Vado Ligure gehören der weltweit tätigen APM-Gruppe. Chinesische Investoren sind mit einer Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent an den Häfen beteiligt. Die Betreiber von Vado Ligure streben die Ansiedelung von Firmen in der weiteren Umgebung der Häfen an. Unter anderem wurden frühere Getreidesilos für die Zwischenlagerung von ungerösteten Kaffeebohnen umgenutzt. Die maximale Kapazität der Anlagen liegt bei sagenhaften 65’000 Tonnen. Weitere Kooperationen unter anderem mit Nestlé sind in Vorbereitung.
Der Anteil der Eisenbahn an den weiter beförderten Containern liegt zurzeit bei 24 Prozent und soll auf 40 Prozent gesteigert werden. Zurzeit verlassen täglich durchschnittlich fünf bis sieben Züge den Hafenbahnhof von Vado Ligure. Möglich wären zwölf Züge. Die Infrastruktur soll für die Bildung von 750 Meter langen Güterzügen ausgebaut werden. Angestrebt wird eine Kooperation mit Hupac über das Terminal von Busto-Arsizio.
Die Anlagen und die Infrastruktur hinterlassen bezüglich des Umweltschutzes und der Qualität der Arbeitsplätze einen vorzüglichen Eindruck. Der Schutz von Umwelt, Menschen und Gütern geniesst höchste Priorität. Zwischen den Betrieb der Hafenanlagen und der touristischen Nutzung der Strände von Savona ergaben sich Zielkonflikte, die gemäss den vorliegenden Informationen einvernehmlich gelöst werden konnten.
6. Etappe – Stiftung SLALA / 16. Juni 2022
Vor dem Abendessen stellen uns Vertreter in Alessandria SLALA vor. Diese Stiftung strebt mit grossem Engagement der Mitwirkenden die Förderung des Grossraums Alessandria für die Ansiedelung von Industrie, Gewerbe und Transportfirmen an. Sie orientieren sich dabei am Erfolg von ähnlichen Fördermassnahmen im Raum Tortona. Die in wenigen Jahren in Betrieb gehende neue Eisenbahnverbindung zwischen den ligurischen Häfen und Alessandria bietet grosse Chancen. Alessandria verfügt über eine Flächenreserve von rund 1 Mio. m2 und eine ungenutzte Abstellanlage für Güterwagen. Zudem ist Alessandria hervorragend an das italienische Schienennetz und an drei Autobahnen angebunden. Als Alternative zum Ausbau der Rangieranlagen bei den Häfen könnten von dort kürzere Güterzüge nach Alessandria geführt und hier in 750 Meter langen Zügen umformiert werden.
7. Etappe – Besichtigung von zwei Baustellen des Terzo Valico / 17. Juni 2022
Am 17. Juni 2022 begrüsst uns Mariano Concetti, Direktor bei RFI und für das gesamte Projekt verantwortlich, in Arquata Scrivia zur Präsentation von Terzo Valico dei Giovi. Zur Gruppe der Bahnjournalisten gesellen sich je grössere Gruppen der Gesellschaft der Ingenieure des öffentlichen Verkehrs GDI und einer schweizerischen Kaderorganisation. Insgesamt nehmen über 70 Personen an der Präsentation teil.
Walter G. Finkbohner – er hat sich hinter den Kulissen sehr für unser heutiges Programm eingesetzt – übersetzt die auf Italienisch vorgetragenen Ausführungen von Mariano Concetti und seiner Projektleiter laufend auf Deutsch.
Das Projekt bezweckt den Bau einer neuen Hochleistungsstrecke zwischen Genua und der Poebene. Damit entsteht als Ergänzung zu den bestehenden beiden doppelspurigen Strecken zwischen Genua und Arquata Scrivia eine dritte Eisenbahnlinie. Zur konsequenten Trennung der Verkehrsarten wird das Projekt im Grossraum Genua mit einem für die S-Bahn bestimmten 2.5 Kilometer langen Tunnel ergänzt. Die Streckenlänge beträgt 53 Kilometer, wovon 37 Kilometer in Tunnels. Die maximale Steigung beträgt 12.5 Promille, was das Führen von 750 Meter langen Zügen mit einer Lokomotive ermöglicht. Grundsätzlich werden zwei einspurige Tunnels mit einem Querschnitt von je 73 m2 gebaut. Der Querschnitt in den doppelspurig ausgeführten Tunnelzufahrten beträgt 106 m2.
Dazu kommt eine bereits gebaute Anbindung des Hafens von Genua Pra. Das Budget für die weitgehend von der EU finanzierten Investitionen beträgt EUR 6.167 Mia, dazu kommen EUR 988 Mio. für den Knoten Genua und EUR 306 für den Anschluss des Hafens bei Genua Campobasso.
Die von den Firmen Cociv und WeBuild gebauten Strecken sollen 2026 in Betrieb genommen werden. Im Bereich von Arquate Scrivia verzweigt die Strecke in zwei Teilstrecken – eine davon führt nach Tortona und die andere in Richtung Alessandria.
Auch die Zulaufstrecken zum Terzo Valico werden mit einem enormen Mitteleinsatz ausgebaut. So wird die Strecke von Milano Rogoredo bis nach Pavia für EUR 250 Mio. durchgängig auf vier Geleise erweitert. Die Strecke von Pavia nach Tortona wird für EUR 156 Mio. erneuert und für eine Geschwindigkeit von 180 km/h hergerichtet. Im Zuge dieser Arbeiten werden Vorbereitungen für eine spätere Erweiterung auf Vierspur getroffen. Ebenfalls mit einer zweiten Doppelspurstrecke erweitert wird die topografisch anspruchsvolle Strecke zwischen Tortona und Voghera. Die Kosten dafür erscheinen mit EUR 500 Mio. vergleichsweise hoch. Alle Strecken werden für die Umstellung auf ERTMS bzw. ETCS vorbereitet.
Aus schweizerischer Sicht ist erfreulich, dass dem Vernehmen nach Abklärungen für den Ausbau der direkten Verbindung zwischen Milano Rogoredo und Monza bzw. der Anbindung der Flughäfen von Malpensa an die Fernverbindung zwischen Domodossola und Mailand im Gang sind. Auch soll die Strecke von Como nach Monza beschleunigt und ggf. mit einem dritten Gleis erweitert werden.
Nach den Präsentationen werden die Teilnehmenden mit Kleinbussen zu zwei von insgesamt zwölf Grossbaustellen befördert. Daneben wurden für den Bau sechs ausgedehnte rückwärtige Werkplätze eingerichtet.
Die Teilnehmenden werden für die Besichtigung mit neuen Schutzwesten, Schutzhelmen und Sicherheitsschuhen ausgerüstet und unterwegs mit einem reichhaltigen Apéro riche verpflegt. Dankbar und sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft und vom Gesehenen werden die Teilnehmenden am Nachmittag im Grossraum Genua verabschiedet.
Kommentar
Vorab ein grosses Dankeschön an Kurt Metz für Organisation und die Leitung der hoch interessanten Reise, den Referentinnen und Referenten für die uns gewidmete Aufmerksamkeit und die Fülle von Informationen, den Sponsoren für ihre Unterstützung, Dr. Max Ehrbar für das Lektorat und – last but not least – den Teilnehmenden für die bereichernden Gespräche unterwegs.
Ich habe davon abgesehen, den Referentinnen und Referenten diesen Beitrag zur Stellungnahme zukommen zu lassen. Ich bitte ggf. um Korrekturwünsche, die ich umgehend einarbeiten würde.
Zum Schluss zwei kritische Fragen:
Ich habe in diesem Beitrag auf die Herkunft der Lastwagen auf Fahrt nach Genua hingewiesen. Ähnliche Beobachtungen habe ich in den letzten Monaten am Brenner, auf deutschen Autobahnen und auf dem Balkan gemacht. Ich frage mich, ob das Fokussieren auf eine zusätzliche Anzahl Züge aus dem Mittelmeerraum nach Norden aufgrund der Situation nicht ein viel zu bescheidenes Ziel ist und ob man sich nicht gescheiter auf eine fundamentale Stärkung des europäischen Schienengüterverkehrs konzentrieren sollte.
Zweitens stellt sich die Frage, ob die Struktur und die Eigentumsverhältnisse der europäischen Güterbahnen in Anbetracht der alarmierenden Zustände im europäischen Schienengüterverkehr noch angemessen sind.
Am 30. März 2022 fand im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern eine von über 200 Personen besuchte Veranstaltung zum 50-jährigen Jubiläum der «Schweizerischen Gesamtverkehrs-Politik» statt. Der Bundesrat hatte vor fünfzig Jahren am 19. Januar 1972 einer Kommission unter der Leitung von Nationalrat Dr. Alois Hürlimann den Auftrag für die Erarbeitung einer schweizerischen Gesamtverkehrs-Konzeption erteilt.
Diese interessante Veranstaltung wurde organisiert von einem Team, bestehend aus Franziska Borer Blindenbacher, Jörg Oetterli, Paul Schneeberger und Peter Suter, in Zusammenarbeit mit dem Verkehrshaus der Schweiz und der Schweizerischen Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten. Gerne fassen wir in diesem Beitrag den Inhalt dieser Jubiläumsveranstaltung zusammen.
Zusammenfassung der Referate und Diskussionen
Einleitend begrüsst Martin Bütikofer, Direktor des Verkehrshauses der Schweiz, die Anwesenden und bedankt sich für das grosse Interesse an der heutigen Veranstaltung. Er erinnert an die Präsentation des Schlussberichts der Kommission Hürlimann 1977 im Verkehrshaus, und freut sich, dass die Jubiläumsveranstaltung auch im VHS stattfindet. Das VHS ist tatkräftig bestrebt, mit griffigen Fördermassnahmen die Begeisterung der Jugend für den Bau und den Unterhalt von Infrastrukturen zu wecken.
Dr. Christian Furrer, während der Amtszeit von Bundesrat Ogi Leiter des Generalsekretariats des seinerzeitigen Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, berichtet anstelle des krankheitshalber abwesenden alt Bundesrat Adolph Ogi über die Entstehung der Gesamt-Verkehrs-Konzeption GVK. Eindrücklich ist der kurze Film aus dem Jahr 1988, mit dem Adolf Ogi als soeben gekürter Bundesrat die verlorene Abstimmung über die Koordinierte Verkehrspolitik KVP kommentiert. Adolf Ogi vertritt die Auffassung, dass die Empfehlungen der GVK zu 90 Prozent umgesetzt wurden, und sieht bei der Abstimmungsniederlage der KVP Parallelen zur kürzlichen Ablehnung des CO2-Gesetzes. So hätten die Empfehlungen der GVK unter anderem den Weg für die LSVA, den Bahninfrastrukturfonds BIF und den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs Fonds NAF, die Tarifverbünde und die S-Bahnsysteme frei gemacht. Adolf Ogi glaubt sogar, dass die Erarbeitung der Gesetze für die Umsetzung der KVP die NEAT massiv verzögert hätte.
Gemäss Dr. Furrer darf das Jubiläum somit durchaus gefeiert werden. So wurde 1982 der Taktfahrplan Realität. Obschon von den Neuen Hochleistungs-Transversalen nur der Ast von Mattstetten nach Rothrist gebaut wurde, kann auf Schweizer Schienen zurzeit auf über 120 Kilometern mit 200 km/h gefahren werden.
Alt Regierungsrätin Dori Schaerer-Born, von 1992 bis 2002 Leiterin der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, führt aus, wie sie als ursprüngliche Gegnerin der Neubaustrecke von Mattstetten nach Rothrist, gemeinsam mit anderen, schlussendlich diesem Projekt zum Durchbruch verhalf. Dori Schaerer-Born erinnert an die Entstehung der NEAT im Spannungsfeld zwischen dem Gotthard- und dem Lötschberg-Komitee. Der Entscheid, sowohl die Gotthard- als auch die Lötschbergachse zu bauen, verhalfen der NEAT ihrer Meinung nach zum Durchbruch. Die Auseinandersetzung war in einem gewissen Sinn die Wiederauflage des seinerzeitigen Kampfes zwischen Alfred Escher und dem späteren Bundesrat Jakob Stämpfli um die Lage der ersten Alpenbahn in der Schweiz. Dori Schaerer-Born plädiert abschliessend für den vollständigen Ausbau des Lötschberg-Basistunnels auf Doppelspur.
Stefan Sandmeier, Historiker, stellt die Erarbeitung der Gesamtverkehrs-Konzeption und ihre Ablehnung in einen grösseren historischen Zusammenhang. Um 1970 existierte in der Schweiz in vielen Bereichen ein starker Planungsoptimismus. Der Bau des Autobahnnetzes war in vollem Gang, und die Zunahme der Mobilität vor allem auf der Strasse stieg rasant. Die Bahnen rutschten in die roten Zahlen, und in der Öffentlichkeit wuchs der Wunsch, die Verkehrsbedürfnisse möglichst effizient, wirtschaftlich und umweltfreundlich sicherzustellen. Neuartige Simulationsmodelle im Zuge der Einführung von Computern und das lange Wirtschaftswachstum nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges förderten den Glauben an die Berechenbarkeit der Zukunft.
Wegen den von den USA ausgehenden gesellschaftlichen Trends und dem Erstarken des neoliberalen Gedankenguts wuchs die Kritik an den gesamtheitlichen Konzepten – so auch bezüglich des Verkehrs. Auch in der Schweiz nahm der Glaube an die Gestaltungskraft des freien Marktes überhand, wie unter anderem der seinerzeitige Leitsatz der FDP «Mehr Freiheit, weniger Staat» belegt. So war die Ablehnung der sich stark an die Empfehlungen der GVK anlehnenden Verfassungsbestimmungen über die Koordinierte Verkehrs-Politik KVP im 12. Juni 1988 nicht überraschend. Überrascht hat nach der deutlichen Zustimmung zu Bahn 2000 am 19. Dezember 1986 höchstens die deutliche Ablehnung der KVP.
In einem Panelgespräch mit den drei Referenten werden vor dem Mittagessen verschiedene Aspekte der Referate diskutiert. Dr. Christian Furrer erläutert anhand der Entstehung der «Transjurane», der heute wenig befahrenen Nationalstrasse A16, durch den Jura die Wichtigkeit von Verkehrsachsen für die nationale Kohäsion in der Schweiz. Das Aufkommen der Elektromobilität und von neuen Technologien stellt die traditionelle Finanzierung von Verkehrsprojekten über Treibstoffzölle zunehmend in Frage. Neue Lösungsansätze sind gefordert. Stefan Sandmeier sieht aufgrund einer Anfrage aus dem Publikum noch keine Renaissance von gesamtheitlichen Planungskonzepten.
Nach der Pause erläutert Dr. Ulrich Seewer, Vizedirektor im Bundesamt für Raumplanung ARE, den kürzlich publizierten Sachplan Verkehr. Der Sachplan Verkehr setzt sich zusammen aus dem «Programm» als Rahmen für die langfristige Entwicklung des Gesamtverkehrssystems in der Schweiz, sowie aus den Teilinfrastrukturprogrammen für dessen Umsetzung (Schiene, Strasse, Luftfahrt und Schifffahrt).
Im Gegensatz zu früheren Planungen wird auch der Langsamverkehr wie Fahrräder und Fussgänger berücksichtigt. Die Planung basiert auf der Raumplanung, von Verkehrsprognosen und den Anforderungen nach einer nachhaltigen Entwicklung. Dargestellt werden die Ergebnisse in zahlreichen Handlungsräumen.
Dr. Benedikt Weibel, langjähriger CEO der SBB AG, formuliert Gedanken zur nachhaltigen Mobilität. Die Klimaziele 2050 sind für ihn feste Verpflichtung. Der Verkehr ist in der Schweiz mit wachsendem Anteil für 30 Prozent der Immissionen verantwortlich. Das Zeitfenster für den Wandel wird immer enger. Dr. Benedikt Weibel plädiert für eine Erhöhung der Auslastung der bestehenden Systeme. Neubauten von Infrastrukturen dauern viel zu lange und sind oft generationsübergreifende Projekte. Neue Technologien können den CO2-Anfall senken. Gemäss seinem breit kommentierten Artikel in der Neuen Zürcher-Zeitung hält er den Einzelwagenladungsverkehr auf der Schiene in der Schweiz für überholt. Die Distanzen sind einfach zu gering. Zudem muss der Ausbau aller Verkehrsträger kritisch hinterfragt werden. Auch fordert Dr. Benedikt Weibel Zurückhaltung bei der weiteren Verdichtung des Angebots im öffentlichen Verkehr.
Prof. Dr. Maike Scherrer, ZHAW School of Engineering, fordert in ihrem Referat «Gütermobilität von morgen – kollaborativ, vernetzt, multimodal» eine engere Abstimmung zwischen den Verkehrsträgern und für neue Lösungsansätze.
Prof. Dr. Ueli Haefeli, Interface Politikstudien, unternimmt in seinem Referat «Immer mobiler» den Versuch, den Verkehr über einen Zeitraum von 200 Jahren zu überblicken. Nur dank hohen Investitionen in die entsprechenden Infrastrukturen konnte der öffentliche Verkehr seinen Marktanteil in der Schweiz in den letzten fünfzig Jahren von 18 auf 24 Prozent steigern. Prof. Dr. Ueli Haefeli spricht vom «Märchen der steigenden Mobilität» und meint, dass nur die Verkehrsleistungen wirklich gewachsen sind.
Prof. Dr. Ueli Haefeli beurteilt die GVK ’75 zusammenfassend als Erfolg. Eine aktualisierte GVK 2022 wäre nützlich und sollte vor allem den Verkehr in Agglomerationen und Mobilitätshubs regeln. Die getrennten Kassen für den MIV und den öffentlichen Verkehr werden weiterhin regionalpolitische Verteilkämpfe hervorrufen und die Effizienz des Gesamtsystems schwächen. Digitalisierung, demografischer Wandel und Klimawandel stehen als grosse Herausforderungen im Raum. Auch die Beschränkung auf den nationalen Rahmen ist zu eng (Luftfahrt, Güterverkehr etc.). Mobilität aber, so der Referent, bleibt dennoch ein schillerndes Phänomen und ist damit nur beschränkt steuerbar.
Das abschliessende Panel dreht sich um die vordringlichsten Massnahmen. Dr. Benedikt Weibel wiederholt seine Forderung nach einer Überprüfung von weiteren Ausbauten. Ulrich Seewer plädiert für eine «10’000-Schritte-Gesellschaft» und fordert gesamtheitliche Massnahmen, zu denen auch das Mobility Pricing gehören sollte. Bei den Gütertransporten hat sich die LSVA als verbrauchsabhängige Steuer ja auch durchgesetzt.
Auch die Multimodalität ist zu fördern. Grundsätzlich sollten die Raumplanung und das Home Office die Mobilität reduzieren. Problematisch ist der hohe Anteil des MIV beim Freizeitverkehr. Werner Stohler bezeichnet den Freizeitverkehr als Materialschlacht. Das E-Bike wird als effizientes und umweltfreundliches Transportmittel gelobt.
Ein Votant bemängelt, dass auf dem Podium keine Politiker sitzen. Er glaubt, dass wir uns im Kreis drehen. Wie weit steht die breite Bevölkerung hinter den vorgeschlagenen Massnahmen?
Peter Suter, ehemaliger Leiter der Sektion Alptransit im Bundesamt für Raumplanung, schliesst die interessante Jubiläumsveranstaltung und teilt die Meinung, dass die GVK durchaus einen praktischen Nutzen hatte und einer Jubiläumsfeier würdig ist.
Kommentar
Zum Abschluss möchte ich ein paar persönliche Bemerkungen anbringen. Nun, in den letzten fünfzig Jahren hat sich viel bewegt. Tatsächlich entspricht der aktuelle rechtliche Rahmen in vielen Aspekten den Vorschlägen der GVK. Auch sind in struktureller und infrastruktureller Hinsicht bedeutende Fortschritte zu verzeichnen – man denke an die kantonsübergreifenden Tarifverbünde oder an die NEAT.
Andererseits ist zu viel auf der Strecke geblieben. Ich denke etwa an den Niedergang des nationalen Güterverkehrs. In beiden Schlussvarianten der GVK ging man von zahlreichen Rangierbahnhöfen mit einer Verschiebekapazität von total über 40’000 Güterwagen pro Tag aus. Auch fehlen weiterhin drei so wichtige Neubaustrecken wie Bern-Lausanne (und Genf), dritter Juradurchstich oder Zürich-Winterthur-St. Gallen. Der Stückgutverkehr mit der Eisenbahn als Rückgrat wurde Privaten übertragen.
Auch fehlen im Gegensatz zum Nationalstrassennetz Vorstellungen über den weiteren strategischen Ausbau der Schieneninfrastruktur. Im Rahmen des Ausbauschritts 2030/2035 werden im besten Fall seit langem bekannte Schwachstellen im schweizerischen Eisenbahnnetz beseitigt. Der Ausbau der NEAT zu einer wirklichen transeuropäischen Güterverkehrsachse ist fatalerweise kein Thema.
Als besonders bedrohlich sehe ich den Sachverhalt, dass das Gewicht der Legislative bei der Verkehrsplanung abgenommen hat, und viel in die Verwaltung verlagert wurde. Ich erinnere daran, dass der Lead bei der GVK, vertreten durch ihren starken Nationalrat Alois Hürlimann, eigentlich bei der Legislative lag.
Dieser Paradigmenwechsel ist mit einem zusehends reaktiv agierenden und wenig Führungsstärke vermittelnden Bundesrat kein gutes Omen für die Zukunft. Ich orte – wie in anderen Bereichen der Politik – bei der aktiven Gestaltung unseres Verkehrssystems Orientierungslosigkeit und abnehmende Gestaltungskraft.
Auf der Radtour entlang der Drau waren wir mit der Verkehrserschliessung der durchfahrenen Ortschaften konfrontiert. Durch einen Zufall lernten wir GO-Mobil kennen. GO-Mobil ist das grösste und mehrfach ausgezeichnete gemeinnützige Mobilitätsmodell in Österreich für Gemeinden mit unzureichender Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr.
In diesem Beitrag möchten wir GO-Mobil kurz vorstellen. Unseres Erachtens könnte sich das Modell auch für Randregionen in der Schweiz eignen.
Verkehrserschliessung Lavamünd
Auf der Fahrt von Klagenfurt nach Lavamünd bot sich Gelegenheit, anhand der Fahrpläne bei den Haltestellen der Busse die Dichte des Angebots festzustellen. Die Erkenntnisse waren ernüchternd. Das Angebot beschränkt sich weitgehend auf den Berufs- und den Schülerverkehr. An Wochenende wird der Verkehr weiter ausgedünnt oder gar eingestellt.
Zur Dokumentation dieses Sachverhalts haben wir die Fahrpläne der vier nach Lavamünd verkehrenden Busverbindungen ausgewertet. Lavamünd ist eine Markgemeinde in Südostkärnten und hat rund 3‘300 Einwohner. Es liegt am Zusammenfluss von Drau und Lavant und liegt an der ehemaligen Eisenbahnlinie von Dravograd nach St. Paul im Lavanttal. Der Personenverkehr auf der Schiene wurde 1997, der Güterverkehr 2001 eingestellt.
Unsere Erfahrungen mit GO-Mobil
Bei unserem Eintreffen in Lavamünd zu später Stunde bemerkten wir, dass wir den Rucksack beim letzten Halt vergessen hatten. Wir erkundigten uns bei einer Garage nach einem Leihwagen oder einem Taxi – ohne Erfolg. Der Inhaber der Garage wies uns jedoch auf GO-Mobil hin und bestellte für uns ein Fahrzeug. Wenige Minuten später traf ein Personenwagen ein, der uns unserem letzten und etwa 15 Kilometer ausserhalb der Gemeinde liegenden Rastplatz führte. Dort lag das gesuchte Gepäckstück.
Während der Fahrt zurück befragten wir den freundlichen Fahrer zu GO-Mobil. Er wirkt seit über 15 Jahren für GO-Mobil und erhält für seine lange Verfügbarkeit eine feste Pauschale von EUR 150.- pro Monat. Die Fahrt kostet fix EUR 3.80 pro Fahrgast und Fahrt und beschränkt sich im Prinzip auf das Gemeindegebiet. Davon ausgenommen sind Fahrten zum weiter entfernten ÖBB-Bahnhof St. Paul im Lavanttal.
Der Dienst steht an Werktagen zwischen 08.00 Uhr und 24.00 Uhr zur Verfügung, an Samstagen von 09.00 Uhr bis 24.00 Uhr, und an Sonntagen von 09.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Fahrten können im Voraus bestellt werden und haben gegenüber den auch spontan möglichen Anforderungen Vorrang.
Was ist GO-Mobil
Nach unserer Rückkehr konsultierten wir die Website von GO-Mobil. Maximilian Goritschnig gründete GO-Mobil als PPP „Public-Private-Partnership“ im Jahr 1998. Am 1. Juni 1999 nahm in Moorsburg das erste Fahrzeug von GO-Mobil den Betrieb auf. Zurzeit sind in Kärnten über 60 Gemeinden an GO-Mobil angeschlossen. Durchschnittlich wird der Dienst alle zwei Minuten in Anspruch genommen. 2012 wurde das Angebot in den Landesverkehrsplan integriert und ist damit wie Bahn und Bus ein festes Angebot im öffentlichen Orts- und Regionalverkehr von Kärnten.
Die Fahrerinnen und die Fahrer arbeiten abgesehen von einer geringen Pauschalentschädigung ehrenamtlich. Die Zertifizierung erfolgt durch GMZ, die GO-Mobil Zertifizierung GmbH. Diese Firma gehört Maximilian Goritschnig. Als exklusive Inhaberin der Verwertungsrechte und als Dachorganisation ist GMZ Auftragnehmerin des Bundeslandes Kärnten. Die dezentralen Aufgaben, im Vordergrund natürlich der Betrieb, obliegt in den Gemeinden den lokalen GO-Mobil-Vereinen. 12 der 21 gemeinnützigen GO-Mobil-Vereinen arbeiten gemeindeübergreifend.
Der feste Fahrpreis von EUR 3.80 pro Personen entspricht etwa dem Normalpreis einer Fahrt mit dem öffentlichen Bus. Wir bezahlten bei unserem Aufenthalt in Kärnten beispielsweise für die 20 Kilometer lange Busreise von Annabrücke nach Klagenfurt pro Person EUR 6.-.
Als Partner von GO-Mobil ist die ÖBB Mitglied in den GO-Mobil-Vereinen. Dadurch können Bahnhöfe und Haltestellen der ÖBB vergünstigt für nur einen Euro angefahren werden. Zudem ist GO-Mobil in das „Scotty“-Fahrplanauskunftssystem der ÖBB eingebunden.
GO-Mobil als Modell auch für die Schweiz?
Auch in der Schweiz gibt es verschiedene Rufbus-Systeme. Die Angebote sind oft sehr gut ausgebaut. Viele Angebote sind auf den Tourismus oder auf die Verkehrserschliessung in Randstunden ausgerichtet. Die Leistungen werden von staatlichen Anbietern wie Postauto oder von privaten Anbietern erbracht. Speziell zu erwähnen ist der Alpentaxi-Service, welcher zahlreiche Bergtouren für Benützer der öffentlichen Verkehrsmittel erst ermöglicht. Dazu kommen Rufbus-Systeme für Menschen mit eingeschränkter Mobilität wie etwa Tixi.
Als konkretes Beispiel aus der Schweiz sei die Verbindung von Landquart/Grüsch nach dem am 31. Dezember 2010 139 Einwohner zählenden Bergdorf Valzeina erwähnt. Hier werden mit dem Postauto an Werktagen sieben feste Verbindungen angeboten. An Wochenende und an Feiertagen sind es bis zu vier Verbindungen mit dem Rufbus.
Andererseits bestehen vor allem in Randregionen Überangebote bei der Verkehrserschliessung. Ich denke dabei etwa an das dünn besiedelte Calanca-Tal in Südbünden, wo an Werktagen zehn feste Verbindungen bestehen. Dabei gibt es im Calanca-Tal nur noch ein Lebensmittelgeschäft. Bei zahlreichen Wanderungen in dieser Bergregion war ich häufig der einzige Fahrgast. Zudem wird der Verkehr nach 20 Uhr eingestellt. Hier wäre ein Transportsystem wie GO-Mobil eine ökologisch und ökonomisch ungleich vorteilhafter. Ähnliche Feststellungen liessen sich beispielsweise auch bei der heute stündlichen Verkehrserschliessung des peripheren Weisstannentals (Gemeinde Mels) machen.
Ein Nachsatz
Mit diesen Empfehlungen möchten wir die positive Beurteilung von öffentlichen Transportunternehmen keinesfalls in Frage stellen. Vor allem in Graubünden oder im Wallis ist die Servicequalität von Postauto oft exzellent. Unsere Empfehlungen sind auch keine Kritik an den in der Schweiz geltenden Regeln für die Verkehrserschliessung von Siedlungen. Die Frage stellt sich hingegen nach dem „Wie“ unter Berücksichtigung von ökologischer und ökonomischer Effizienz sowie der zeitlichen Verfügbarkeit der Transportleistungen. Mit anderen Worten: Im Calancatal ist kurz nach 19.00 Uhr Schluss, in Lavamünd erst vier Stunden später.
Im Rahmen einer Radtour von Toblach nach Maribor im April 2022 entlang der Drau bot sich Gelegenheit, beim Vorbeifahren einige Eindrücke von Verkehrsinfrastrukturen zu gewinnen.
Durch frühere Bahnreisen war ich mit der Gegend und einigen Bahnhöfen vertraut. Vor vier Jahren war ich zum letzten Mal in Lienz.
Die Veränderungen seit meinem letzten Besuch in der Region sind immens. Vor allem die Bahnhöfe von Lienz und Maribor sind kaum mehr zu erkennen. Neben den Bahnhöfen sah man nur noch neues und gepflegtes Rollmaterial. Das gilt in besonderem Mass für Slovenske Zeleznice SZ, die Staatsbahn von Slowenien.
Bei kurzen Aufenthalten haben wir mit dem Smartphone ein paar flüchtige Bilder aufgenommen, mit denen wir das Gesehene und unsere Eindrücke dokumentieren möchten.
Innsbruck
Bei unserer Anreise nach Toblach mussten wir Innsbruck auf den Anschlusszug auf den Brenner warten. Für den Wechsel auf einen anderen Bahnsteig benutzten wir mit unseren Fahrrädern den Lift.
In der Halle des Bahnhofs Innsbruck entdeckten wir neben dem grosszügigen allgemeinen Warteraum einen eigens für Jugendliche bestimmten und entsprechend ausgestatteten Warteraum.
Sillian
Sillian ist eine österreichische Marktgemeinde im Hochpustertal. Der Tourismus ist in der von rund 2‘200 Menschen bewohnten Gemeinde ein wichtiger Einkommenszweig. In den letzten fünf Jahren wurde der früher einfache Bahnhof grundlegend erneuert und präsentiert sich heute ansprechend. Sillian wird von Zügen von SAD, dem Verkehrsverbund der Region Südtirol, stündlich bedient. Die sechsteiligen Flirt-Triebwagenzüge der Firma Stadler AG verkehren grenzüberschreitend von Lienz nach Franzensfeste/Fortezza.
Lienz
Bei meinem letzten Besuch in Lienz vor vier Jahren erfuhr ich, dass der Bahnhof erneuert werden soll. Der Bahnhof präsentierte sich damals als etwas in die Jahre gekommen, war jedoch gut unterhalten und wies keine Schäden auf. Ich erwartete aufgrund der Ankündigung von ÖBB Infra, dass die Anlagen behindertengerecht ausgebaut und verschiedene Publikumsanlagen modernisiert würden.
Lienz hat knapp 12‘000 Einwohner und ist Verwaltungssitz des gleichnamigen Bezirks. Die gepflegte Kleinstadt in Osttirol wird neben einer einzigen Fernverbindung nach Wien stündlich von Regionalzügen der ÖBB Richtung Spittal-Millstättersee und derjenigen des SAD nach Franzensfeste bedient. Zudem verkehren Busse in die Region sowie einige direkte Fernbusse der ÖBB nach Innsbruck oder nach Kitzbühel.
Was ich jedoch bei unserem kurzen Aufenthalt zu sehen bekam, machte mich sprachlos. Eine der beiden Unterführungen wurde erheblich erweitert und zu einer komfortablen Radunterführung ausgebaut. Anstelle von Ladengeschäften wurde eine Wand auf einer Länge von weit über hundert Metern mit Glasplatten geschmückt. Prachtvoll! Atemberaubend ist auch der Aufgang aus der Unterführung zum Bahnhof mit einem grosszügig dimensionierten Lift und einer benutzerfreundlichen Treppe.
Bahnhof Maribor
Maribor ist mit knapp 100‘000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt von Slowenien. Ich bin im Bahnhof von Maribor zwischen 2012 und 2018 mehrmals umgestiegen und hatte den Bahnhof in recht guter Erinnerung. Er wirkte damals zwar etwas unbelebt, war jedoch sauber und gut unterhalten. Meines Wissens war er jedoch nicht behindertengerecht ausgestattet.
Unsere Eindrücke beim Warten auf den Zug nach Graz waren überwältigend. Die Unterführung und die Bahnsteige wurden neu gebaut und präsentieren sich bestens. Zu den Bahnsteigen gelangt man mittels Rolltreppen, Lift oder bequem zu begehender Treppe.
Auch das Rollmaterial präsentiert sich im Vergleich zu früheren Jahren tadellos. Noch vor wenigen Jahren waren die meisten Triebwagenzüge bemalt oder verschmutzt. Auch das Angebot – es ist immer noch viel weniger dicht als in der Schweiz – wurde ausgebaut.
Auf der Fahrt von Maribor nach Graz sahen wir, dass in Richtung Österreich auf einer Länge von schätzungsweise 15 Kilometern neben der heute einspurigen Strecke an einer grosszügig trassierten doppelspurigen Neubaustrecke gebaut wird.
Ganz offensichtlich wird in Slowenien mit einem enormen Aufwand an der Erneuerung der Eisenbahn gearbeitet. So sah ich bereits im Oktober 2021 auf einer Bahnreise, dass die Bahnlinie von Jesenice in Richtung Ljubljana und mehrere Haltestellen daran aufwendig erneuert wurden.
Busterminal Maribor
Bei früheren Bahnreisen mit der Bahn von Maribor nach Bleiburg in Kärnten bemerkte ich ein etwa 250 Meter südwestlich vom Bahnhof Maribor liegendes grosses Busterminal. Bei der Fahrt von der Unterkunft zum Bahnhof statteten wir dem Busterminal einen kurzen Besuch ab. Gemäss den Fahrplänen ist der Betrieb ausserhalb der Hauptverkehrszeiten mässig.
Die Anlagen vermitteln einen luxuriösen Eindruck. Ich habe in den letzten zehn Jahren in Europa einige grosszügige und kundenfreundliche Busterminals angeschaut – aber derjenige von Maribor übertrifft alle mir bekannten Anlagen um Welten.
Und ein abschliessender Stossseufzer: Weshalb nehmen die sozialen und ökologischen Postulaten zugeneigten Behörden der Stadt Zürich und die Öffentlichkeit die unhaltbaren Zustände am Carparkplatz am Sihlquai seit Jahren hin?
Dieser Beitrag wurde am 21. April 2022 revidiert und mit einem Link zum zitierten Artikel in der Ausgabe der „NZZ am Sonntag“ ergänzt. Besten Dank an Herrn Jürg Meier.
Topics
In der Ausgabe der „NZZ am Sonntag“ vom 19. März 2022 fasst Jürg Meier unter dem Titel „SBB: Güter sollen auf die Strasse“ Aussagen von Benedikt Weibel zur Lage des Schienenverkehrs in der Schweiz zusammen. Schon die Einleitung „Die Pandemie beschert dem öffentlichen Verkehr Milliardenverluste. Jetzt brauche es Einschnitte im Güterverkehr und bei Ausbauten, sagt der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel.“ lässt aufhorchen.
In diesem Beitrag möchten wir die Aussagen von Benedikt Weibel kritisch hinterfragen und Stellung nehmen. Zudem erachten wir die vermutlich durch die NZZ gesetzte Überschrift „SBB: Güter sollen auf die Strasse“ als ausgesprochen tendenziös – vor allem für die eiligen Leserinnen und Leser, welche den Inhalt des Artikels nur überfliegen.
Zum Schienengüterverkehr in der Schweiz
In der Tat kann man den Nutzen des nationalen Einzelwagenladungsverkehrs kritisch hinterfragen. Es gibt berechtigte Zweifel an der ökonomischen und ökologischen Sinnhaftigkeit. Mit nur noch zwei grossen und nicht voll ausgelasteten Rangierbahnhöfen ergeben sich für viele Wagen ungünstige Relationen zwischen a) der Entfernung von Sender und Empfänger und b) der von den Güterwagen zurückgelegten Strecke sowie lange Beförderungszeiten.
Auf der anderen Seite zeugt „RailCare“, das private Eisenbahnverkehrsunternehmen der Coop-Gruppe, dass grosse Firmen weiterhin auf den nationalen Schienengüterverkehr mit Einzelwagen setzen und auch entsprechend investieren.
Und noch bemerkenswerter ist die positive Aufnahme, welche das Konzept „Cargo Souterrain“ bei grossen Nachfragern von Transportleistungen gefunden hat. Für uns ist „Cargo Souterrain“ ein deutliches Indiz dafür, dass man die Leistungsfähigkeit des Strassengüterverkehrs in Frage stellt und nach Alternativen sucht.
Erstaunlich, dass die Schweizer Bahnen bis dato keine Alternativen zu „Cargo Souterrain“ gefunden oder kommuniziert haben. Vor einigen Jahren hat ein Vertreter von SBB Cargo von einem Konzept mit acht nationalen Containerterminals gesprochen. Das könnte in Verbindung mit weiteren Innovationen vorab ins Rollmaterial durchaus eine Antwort auf „Cargo Souterrain“ sein. Vor allem wenn für die erste Etappe von „Cargo Souterrain“ von Investitionen von über CHF 33 Milliarden gesprochen wird. Damit könnte man auch auf der Schiene viel erreichen.
Es wäre verdienstvoller, wenn Benedikt Weibel statt Abbaumassnahmen zu fordern, tragfähige Lösungen für die Entwicklung des nationalen Schienengüterverkehrs erarbeiten und vorschlagen würde.
Umdenken bei der Infrastruktur
Noch weniger einverstanden sind wir aus verschiedenen Gründen mit der plakativen Forderung, Ausbauvorhaben kritisch zu hinterfragen.
Da ist einmal die von Benedikt Weibel postulierte und auch in der öffentlichen Diskussion zunehmende Betonung der Kosten als Entscheidungsgrundlage. Grundsätzlich stiftet eine Investition in die Verkehrsinfrastruktur aus Kundensicht Nutzen, wie Zeitgewinn, Verkehrsangebot und Zuverlässigkeit. Diesen Überlegungen wird unseres Erachtens unzureichend Beachtung geschenkt.
Dazu kommt, dass es sich bei den teuren Vorhaben des Ausbauschrittes 2030/35 vorab um die überfällige Beseitigung von seit vielen Jahren bestehenden Schwachstellen handelt. Der Katalog der Schwachstellen im Schweizer Normalspurnetz enthält darüber hinaus zahlreiche weitere Massnahmen. Zu erwähnen sind etwa die unzureichenden, wenig leistungsfähigen und nicht umweltkonformen Zufahrten zu den Tunnels der NEAT wie beispielsweise die Relation Lugano-Chiasso oder der überfällige dritte Juradurchstich. Zum Vergleich: Italien baut unter der Bezeichnung „Terzo Valico“ eine dritte und leistungsfähige Eisenbahnlinie von Genua in die Poebene.
Uns fällt auf, dass vor allem in Österreich, aber auch teilweise in Italien, an Ausbauvorhaben gearbeitet wird oder die teilweise bereits umgesetzt sind, von denen wir in der Schweiz kaum zu träumen wagen. Zum Vergleich: Eine Reisezeit von rund 2 ½ Stunden für die Fahrt von Zürich nach Genf ist nicht mehr zeitgemäss.
Angebotsausbau
Beipflichten möchten wir der Forderung von Benedikt Weibel nach Zurückhaltung bei der Angebotsausweitung auf stark genutzten Strecken des Fernverkehrs. Wenn überhaupt, könnten Zusatzzüge in den Hauptverkehrszeiten die Nachfragespitzen brechen. Das dafür notwendige Rollmaterial könnte beispielsweise an Werktagen zwischen den grossen Zentren und am Wochenende im Freizeitverkehr eingesetzt werden.
Effizienzsteigernd könnte sich auch die Ausdünnung des Taktangebots in den Randstunden oder in heute überdotierten Korridoren wie etwa im Oberwallis oder zwischen Sargans und Chur auswirken. In die gleiche Richtung zielt die Umstellung des Reiseverkehrs in den Randstunden auf die Strasse, wie es einzelne Privatbahnen wie etwa die RhB schon heute erfolgreich praktizieren.
Kommentar
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist für das Gedeihen der Demokratie unverzichtbar. Ob es jedoch angebracht ist, wenn sich ein ehemaliger und von vielen Mitarbeitenden seines früheren Arbeitgebers hoch geschätzter Unternehmensleiter für Restrukturierungen ausspricht, bleibe dahin gestellt. Vor allem, wenn sich alt Bundesrat Adolf Ogi gemäss einem Zitat aus dem Buch „Der rote Boss“ von Christian Dorer und Patrik Müller wie folgt geäussert hatte: „Im Güterverkehr hat Beppo nicht das erreicht, was ich mir erhofft habe.“
Nachtrag
Link zum zitierten Artikel in der Ausgabe der „NZZ am Sonntag“ vom 19. April 2022.
Zurzeit wird In Österreich an der Koralmbahn, einem weiteren grossen Eisenbahnprojekt, gearbeitet, Die Koralmbahn wird nach ihrer mutmasslichen Fertigstellung im Jahr 2025 die Reisezeit zwischen Graz, Hauptstadt des Bundeslandes Steiermark, und Klagenfurt, Hauptstadt des Bundeslandes Kärnten, auf einen Bruchteil der heutigen Zeit reduzieren.
Der Bau der Koralmbahn ist eingebettet in das Projekt „Ausbau Südstrecke“ und damit Bestandteil des „Baltisch-Adriatischen Korridors“ der EU.
Zudem wird die Koralmbahn die Erreichbarkeit von heute eher peripheren Regionen in Österreich substantiell verbessern.
Nachdem wir den Fortschritt dieses grossartigen Eisenbahnprojekts seit einigen Jahren intensiv verfolgen und mehrere Studienreisen in die Region unternommen hatten, besichtigten wir anfangs April 2022 das Projekts auf den eigens dafür geschaffenen „Rad-Infopfaden“ auf seiner ganzen Länge. Die Eindrücke von diesem in vieler Hinsicht beispielhaften Projekt waren überwältigend. Mehr darüber in diesem Bericht.
Verkehrsverbindungen zwischen Graz und Klagenfurt
Die Bahnfahrt zwischen Graz und Klagenfurt dauert heute rund drei Stunden. Zudem muss dabei in der Regel in Bruck an der Mur umgestiegen werden. Der elektronische Fahrplan der SBB zeigt für einen Werktag zehn Verbindungen.
Mit den direkt verkehrenden Intercity-Bussen der ÖBB dauert die Fahrt über den Packsattel 2 Stunden und 13 Minuten. Täglich verkehren sieben Buspaare.
Mit der Koralmbahn verkürzt sich die Reisezeit zwischen Klagenfurt und Graz auf nur noch 45 Minuten und somit auf etwa einen Viertel der Dauer der heutigen Bahnreise.
Auch die Erreichbarkeit des Lavanttals wird durch die Koralmbahn substantiell verbessert. Die Reisezeit von der Landeshauptstadt Klagenfurt zu Städten wie Wolfsberg in Kärnten oder St. Paul sinkt im Vergleich zu heute auf weniger als die Hälfte.
Koralmbahn im Überblick
Die Länge der Neubaustrecke beträgt ohne die bestehende Schleife über Bleiburg 125,4 Kilometer. Davon liegen 50,3 Kilometer in Tunnels oder Überdeckungen. Der Tunnelanteil beträgt 40,2 Prozent.
Die Koralmbahn folgt im Westen teilweise der heute im Dieselbetrieb befahrenen Bestandesstrecke von Klagenfurt über Bleiburg nach Wolfsberg. Bleiburg bleibt auch inskünftig über eine elektrifizierte Schleife an die Koralmbahn angebunden. Von Klagenfurt aus fahren die Regionalzüge nach Wolfsberg bereits heute auf rund dreissig Kilometern auf der Koralmbahn.
Im Raum Graz werden die grossen Güterterminals an die Koralmbahn angebunden. In Planung für einen weiteren Ausbauschritt ist ein zusätzlicher Bahnhof am Flughafen Graz. Der Flughafen ist vom Zentrum von Graz aus bereits heute mit der S-Bahn in wenigen Minuten erreichbar.
Zwischen Weitendorf und Wettmanstetten dient die Koralmbahn auf einer Länge von knapp zwanzig Kilometern auch dem Regionalverkehr. Bereits heute benutzen die mit Diesel betriebenen Züge der Graz-Köflach-Bahn GKB die Geleise der Koralmbahn auf den erwähnten Abschnitt. Die Elektrifikation der GKB steht gemäss den uns vorliegenden Informationen jedoch bevor.
Die Strecke wird für Höchstgeschwindigkeiten bis zu 250 km/h ausgelegt. Teile der Strecke dienen wie erwähnt sowohl auf dem Ost- und als auch auf dem Westast auch dem Regionalverkehr.
Die baulichen Arbeiten sind weit fortgeschritten. Zurzeit sind noch grössere bauliche Aktivitäten zwischen Graz Don Bosco und Weitendorf sowie von Aich nach Eis/Ruden im Gang. Des Weiteren wird intensiv an der Fertigstellung von einigen Bahnhöfen gearbeitet.
Entlang der Koralmbahn werden 23 Bahnhöfe neu gebaut oder erneuert. Zudem wird die Lavanttalbahn elektrifiziert.
Die gesamten Investitionen für die Koralmbahn könnten gemäss unbestätigten Meldungen aus der Presse EUR 10 Milliarden erreichen, nachdem man 2009 noch von einem Investitionsbedarf von EUR 5,2 Milliarden ausgegangen war. Die Mehrkosten sind auf die Baukostenteuerung und substantielle Mehrleistungen zurückzuführen.
Reportage von der Erkundungstour von Klagenfurt nach Graz
Meine Eindrücke waren wie eingangs erwähnt überwältigend. Lärm- und Umweltschutz, Sicherheitsmassnahmen sowie Gestaltung und Funktionalität der Bahnhöfe sind einzigartig.
Beispielhaft sind auch die Kommunikationsmassnahmen und die Projektdokumentationen wie Karten und Prospekte für die Öffentlichkeit sowie die sechs Informationspavillons.
Bilder sagen bekanntlich mehr als Worte. Die folgenden Bilder und die Kommentare vermitteln Eindrücke von der Erkundungstour von Klagenfurt nach Graz.
Kommentar
Von der Koralmbahn werden gemäss der Aussage des Vizepräsidenten des Stadtrates von Deutschlandsberg starke positive Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung von Südostösterreich erwartet. Beispielsweise reduziert sich Reisezeit zwischen dem Bahnhof Lavanttal und Graz auf knapp eine halbe Stunde und ermöglicht somit das Pendeln in das prosperierende Graz.
Aber die Koralmbahn führt auch zur Aufhebung von heute von der Bevölkerung geschätzten Bahnhöfen, wie beispielsweise des schmucken Bahnhofs von Stein im Jauntal. Andererseits ist die Region bereits heute gut mit Bussen erschlossen.
Die Koralmbahn wird nach ihrer Fertigstellung auch Mischverkehr aufnehmen müssen. Das reduziert die Kapazität. Besondere Anforderungen beim Betrieb ergeben sich durch die nicht kreuzungsfreie Einbindung von zwei Einspurstrecken. Während die Züge über Bleiburg in einer Richtung „nur“ ein Gleis der Koralmbahn kreuzen, ist im Osten komplizierter. Die Züge der GKB von Werndorf nach Wettmannstetten müssen beide Geleise der Koralmbahn kreuzen. Das führt zu einem erheblichen Kapazitätsverlust. Wenn die Koralmbahn wirklich eine bedeutende Rolle als Güterverkehrskorridor übernehmen soll, können diese strukturellen Gegebenheiten zu Problemen führen.
Diese kritischen Bemerkungen sollen dem grossartigen Werk der Koralmbahn keinesfalls Abbruch leisten. In einem gewissen Gegensatz zu den Ankündigungen, wonach die Koralmbahn von europäischer Dimension sei, sehen wir ihren Nutzen doch eher als eine neue und hochwertige innerösterreichische Bahninfrastruktur.
Uns ist schon bei der ABS 38 zwischen München und Freilassing aufgefallen, dass nationale Verkehrsprojekte stets und mit einer gewissen Euphorie in einen europaweiten Kontext gestellt werden, so etwa auch das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm als Bestandteil des Korridors Paris-Bratislava. Niemand sollte jedoch den ersten Stein werfen – auch bei der NEAT oder bei anderen Ausbauprojekten in der Schweiz wurde schon analog argumentiert.
Der bedeutende Eisenbahnverkehr zwischen München und Salzburg wird gegenwärtig über die Strecke über Rosenheim abgewickelt. Ein Teil dieser Strecke – nämlich zwischen der Spange bei Rosenheim und Salzburg – wird auch für den innerösterreichische Personen- und Güterfernverkehr genutzt. Auch die internationalen Fernverkehrszüge zwischen Zürich und Wien benutzen diese Strecke.
Die österreichischen Züge erreichen Rosenheim ab dem Grenzbahnhof Kufstein. Diese Strecke ist Bestandteil der stark belasteten Nordzufahrt zum Brenner.
Vor allem die Strecke zwischen Rosenheim und Salzburg ist stark belastet und oft verantwortlich für die sich auf das innerösterreichische Netz durchschlagenden Störungen. Die Strecke ist relativ ungünstig trassiert – langsam und schnell zu befahrende Abschnitte wechseln oft in kurzen Abständen.
Neben dieser aus österreichischer Sicht als „Korridor-Strecke“ bezeichneten Verbindung besteht eine weitere und gut trassierte Strecke über Mühldorf am Inn.
Zwar ist die Strecke über Mühldorf geringfügig länger als diejenige über Rosenheim, aber bedeutend besser trassiert und wenig belastet. Deutschland hat deshalb vor einigen Jahren beschlossen, diese Strecke als Bestandteil des Transeuropäischen Eisenbahnnetzes zu modernisieren.
Einige kurze Abschnitte wurden bereits ausgebaut, und vor allem der Bahnhof Mühldorf am Inn – er verfügt über fünf Geleise für den Personenverkehr – wurde trotz dem heute bescheidenen Personenverkehr aufwendig erneuert.
Leider wird der bisher schleppende Fortschritt des Projekts gemäss einer Mitteilung der Projektorganisation erneut verzögert. Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung der DB AG vom 21. März 2022:
Detailangaben zum Projekt ABS 38
Nachstehend ein Überblick über das Projekt ABS 38. Ich habe die Strecke am 22. November 2018 auf der ganzen Länge befahren und festgestellt, dass die Strecke weitgehend über unbebautes und flaches Gebiet verläuft. Vor allem zwischen Ampfing und Freilassing fühlt man sich als Fahrgast in frühere Zeiten zurückversetzt. Andererseits sind die Schallschutzmassnahmen auf dem Doppelspurabschnitt zwischen Ampfing und Tüssling überwältigend.
Hier ein Auszug aus einem Prospekt der Projektorganisation.
Und wie wird dieses ambitiöse Postulat umgesetzt? Auch dazu ein Auszug aus einem Prospekt.
In der Tat werden mit der einspurigen Zweigstrecke und weitgehend für den Güterverkehr bestimmten Zweigstrecke nach Burghausen rund 145 Kilometer elektrifiziert. Da die Strecke zwischen Tüssling und Freilassing nur mit zweigleisigen Begegnungsabschnitten auf Doppelspur ausgebaut werden soll, beschränkt sich der Doppelspurausbau geschätzt auf 75 Kilometer. Die Schätzung basiert auf der Annahme, dass etwa die Hälfte der Strecke zwischen Tüssling und Freilassing doppelspurig werden soll.
Gemäss dem Dokument „Drucksache 18/580“ des Deutschen Bundestages erfolgten die ersten Planungen für die ABS 38 noch vor der Jahrtausendwende. Die bescheidenen ersten Massnahmen wurden Ende 2003 in Betrieb genommen – Ampfing-Altmühldorf am 12. Dezember 2010 und Mühldorf-Tüssling am 22. Mai 2017.
Das Projekt wird mit aufwendigen Kommunikationsmassnahmen begleitet. In Mühldorf wird ein aufwendiges Informationszentrum betrieben. Dazu ein dem Internet entnommenes Bild. Zudem werden regelmässig Medienmitteilungen und Newsletter publiziert.
Kommentar
Man vergleiche die höchst ambitiös lautenden Zielsetzungen und die umfassenden Begleitmassnahmen mit dem doch überschaubaren Projektumfang und der langen Realisierungsdauer – das Projekt ABS 38 wird mutmasslich erst nach 2030 abgeschlossen. Auffallend ist auch, dass nur ein Teil der Strecke zwischen Tüssling und Freilassing überhaupt ein zweites Gleis erhalten soll. Dabei bietet die ABS 38 ein grosses Potential für die Entlastung der „Korridorstrecke“, indem der internationale Personenfernverkehr zwischen München und Wien auf die ABS 38 umgelegt und beschleunigt werden könnte. Mit dem beschlossenen Ausbau der österreichischen Westbahn zwischen Salzburg und Köstendorf und der ABS 38 erscheint eine Reisezeit zwischen Wien und München von nur wenig mehr als drei Stunden möglich.
Beeindruckt hat mich auf meiner Erkundungsreise die aufwendige Erweiterung des Bahnhofs von Mühldorf am Inn – die Treppen und die Passerelle sind seitlich geschützt und überdacht, und ergänzend zu den Treppen stehen den wenigen Fahrgästen Lifte zur Verfügung.
Und abschliessend eine persönliche Bemerkung: Nachdem die Bundesrepublik Deutschland nach der Wende in knapp zwanzig Jahren mit einem bewundernswerten Kraftakt die Infrastruktur der neuen Bundesländer und mit einem dreistelligen Milliardenbetrag auf Vordermann gebracht hat, kann man den schleppenden Verlauf des Projekts ABS 38 einfach nicht nachvollziehen.