Am 7. Dezember 2023 wurde der Westast der Koralmbahn, die sogenannte „Kärtner Koralmbahn“, eröffnet. Neben der 54 Kilometer langen Aus- und Neubaustrecke von Klagenfurt zum Westportal des Koralmtunnels wurden die 9 Kilometer lange „Bleiburger-Schleife“ und die 16 Kilometer lange Stichstrecke von St. Paul nach Wolfsberg in Kärnten elektrifiziert und sämtliche Bahnhöfe grundlegend erneuert. Vier wenig frequentierte Haltestellen werden neu umfahren und wurden demnach aufgehoben.
Am 12. Januar 2024 befuhr ich die Strecke von Klagenfurt nach Wolfsberg und besichtigte den Verkehrsknotenpunkt St. Paul im Lavanttal. Der neu angelegte Bahnhof befindet sich in der Fertigstellungsphase. Die Eindrücke sind einmal mehr überwältigend, wie dieser Bericht zeigt.
Lage und Verlauf der „Kärtner Koralmbahn“
Bahnhof von St. Paul im Lavanttal
Fahrplanangebot zwischen Klagenfurt und Wolfsberg
Abschliessend ein Bild aus dem Cityjet-Triebwagenzug
Kommentar
Der neue Bahnhof von St. Paul fügt sich nahtlos in die Reihe der grossartigen neuen Bahnhöfe an der „Kärtner Koralmbahn“ ein wie beispielsweise Grafenstein oder Kühnsdorf-Klopeiner See. Gespannt sind wir auf den Bahnhof Weststeiermark auf der Ostseite des Koralmtunnels, den wir im Bau besichtigt haben und von dem zurzeit nur eine Visualisierung vorliegt.
Nachdem der Koralmtunnel – er wurde infolge der Länge von 33 Kilometern in zwei Röhren gebaut – am 12. Juni 2023 zum ersten Mal von einem Personenzug befahren wurde, darf man sich auf die Eröffnung der gesamten Koralmbahn im Dezember 2025 freuen.
Der Bundesrat hat am 10. Januar 2024 die Botschaft zur Revision des Gütertransportgesetzes verabschiedet.
Fabian Schäfer hat auf Seite 10 der Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 11. Januar 2024 unter dem Titel «Millionen für den Güterverkehr» einen Kommentar publiziert, in dem unter anderem die üppige Dotierung des 2014 eingeführten Bahninfrastrukturfonds (BIF) behauptet wird.
Ich teile diese Auffassung in hohem Masse nicht und möchte meine Meinung in diesem Beitrag darlegen.
Ausgangslage
Der BIF wurde im Rahmen der Vorlage FABI beschlossen. FABI steht für «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur».
Der Bundesrat schlägt vor, die Mittel für die Subventionen des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) aus dem BIF zu finanzieren. In den ersten vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses sollen CHF 260 Millionen investiert werden. Weitere CHF 180 Millionen sind für die Einführung der automatischen Kupplung vorgesehen. Zusätzlich soll der EWLV unbefristet mit CHF 60 Millionen pro Jahr subventioniert werden. Das führt in den nächsten zehn Jahren zu Ausgaben von einer Milliarde Franken.
Und wenn es nach dem Willen des Bundesrates geht, sollen die Einlagen in den BIF 2025 um CHF 300 Mio. und 2026 um weitere CHF 150 Mio. gekürzt werden.
Zum BIF
Martin Stuber hat nach umfangreichen Abklärungen bereits 2017 prognostiziert, dass die Mittel des BIF längerfristig nur noch für die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur ausreichen werden. Das ist keine gute Aussicht.
Zudem bestehen im Schweizer Normalspurnetz weiterhin empfindliche Schwachstellen. Eine Arbeitsgruppe hat vor einigen Jahren eine Liste über die Schwachstellen erarbeitet. Dieser Link führt zur nicht mehr topaktuellen Übersicht: Schwachstellen
Die Finanzierung der von Swiss Railvolution vorgeschlagenen leistungsfähigen Neubaustrecken, im Besonderen das «Verkehrskreuz Schweiz», ist völlig offen und würde gewiss einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Dazu kommt, dass zahlreiche Bahnhöfe der SBB bezüglich Kundenfreundlichkeit zu wünschen offenlassen.
Klare Vorstellungen über den langfristigen Ausbaubedarf liegen nicht mit der notwendigen Verbindlichkeit vor. Zudem verzögert sich die Weiterentwicklung des Normalspurnetzes durch den langwierigen Entscheidungsprozess und die Vielzahl der Mitwirkenden. Das führt dazu, dass die Mittel des BIF oft für fragwürdige Investitionen bei den sogenannten Privatbahnen verwendet werden.
Dazu kommt, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen Infrastrukturausbauten generell zunimmt, und die Baukosten durch die zunehmende Reglementierung ständig steigen.
Kommentar
Der Beitrag von Fabian Schäfer nimmt auf diese Realität nicht nur keinen Bezug, sondern vermittelt ein völlig falsches Bild vom tatsächlichen Finanzbedarf für den Ausbau des schweizerischen Normalspurnetzes. Ich vertrete die Auffassung, dass unser Normalspurnetz im internationalen Vergleich immer weiter zurückfällt.
Die Situation tritt auch in anderen Infrastrukturbereichen auf. Sie ist typisch für alternde Gesellschaften, wo zu viel für den laufenden Betrieb ausgegeben und zu wenig in die Zukunft investiert wird.
In dieses Bild passt auch der folgende Ausschnitt aus dem Interview der NZZ mit Rolf Dörig in der Ausgabe vom 27. Januar 2024.
Die Kreation des BIF erfolgte wohl mit der Absicht, die Finanzierung des Unterhalts und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu gewährleisten. Und nun vergreift sich der Bundesrat beim ersten kühlen Lüftchen an den Mitteln des BIF. Die Frage steht im Raum, ob eine Verfassungsgerichtsbarkeit oder ein (Bundes-) Rechnungshof wie in Deutschland diesen Griff in die Kasse des BIF zugelassen hätten.
Mit der Strecke von Münchendorf nach Wampersdorf wurde im Dezember 2023 das letzte Teilstück des Doppelspurausbaus der «Pottendorfer-Linie» in Betrieb genommen. Das gesamte Projekt wurde in unserem Beitrag vom 9. Januar 2020 eingehend vorgestellt. Hier der Link zu diesem Beitrag: Grossartig – die neue Pottendorfer-Linie und ihre Bahnhöfe | fokus-oev-schweiz
Herzstück der letzten Etappe ist die Umfahrung von Ebreichsdorf und der neue Bahnhof dieser Kleinstadt mit knapp 10’000 Einwohnern. Der neue Bahnhof und die Örtlichkeiten wurden Mitte Januar 2024 eingehend besichtigt. Mehr über die überwältigenden Eindrücke in diesem Bericht.
Ausgangslage
Die ursprüngliche einspurige Strecke führte in einer relativ breiten Schneise durch das Zentrum von Ebreichsdorf. Angeschlossen an den alten Bahnhof war ein grosser Getreidesilo. Die Umgebung von Ebreichsdorf wirkt trotz der Nähe zu Wien verhältnismässig ländlich. Die Regionalzüge von Wien über Ebreichsdorf nach Wiener Neustadt verkehrten stündlich.
Im Rahmen der Modernisierung der «Pottendorfer-Linie» wurde beschlossen, anstelle des Ausbaus der bestehenden Strecke an der ursprünglichen Lage eine etwa zehn Kilometer lange und das Zentrum von Ebreichsdorf umfahrende Neubaustrecke zu bauen. Zudem wurde die Neubaustrecke auf einen etwa fünf Meter hohen Damm gelegt.
Bilder
Nachstehend einige Bilder von der Besichtigung. Für weitere Angaben wird auf die Bildunterschriften verwiesen.
Aufgehobene Strecke durch Ebreichsdorf
Zugang zum neuen Bahnhof von Ebreichsdorf
Zugang zu den Bahnsteigen
Wartebereiche für Fahrgäste und Besucher
Bahnsteige und Gleisanlagen
Ausführungsdetails – vom Allerfeinsten!
Und das berühmte „Tüpfchen“ auf dem „i“
Kommentar
Der etwa 350 Meter vom alten Standort entfernte neue Bahnhof ist mit den über Ebreichsdorf hinaus fahrenden Regionalbussen gut erreichbar. Zudem wurde beim neuen Bahnhof ein grosser Parkplatz gebaut. Auf beiden Seiten des Bahnhofs stehen für Fahrräder geschützte Abstellplätze zur Verfügung.
Die örtlichen Verhältnisse hätten meines Erachtens jedoch auch eine einfachere und günstigere Lösung zugelassen, indem (1) man neben die Bestandesstrecke ein zweites Gleis gelegt hätte und (2) der „alte“ Bahnhof auf vier Geleise ausgebaut und zu einem Verkehrsknotenpunkt erweitert worden wäre. Schallschutzwände hätten die Lärmimmissionen auf ein vertretbares Niveau reduziert.
Mit der Umfahrung und dem neuen Bahnhof von Ebreichsdorf wurde jedoch eine grosszügige und weitsichtige Lösung getroffen, welche in hiesigen Verhältnissen – man denke etwa an den Ausbau des Bahnhofs Liestal oder das Führen der Strecke der SZU durch das neue Stadtquartier „Green City“ in Zürich-Leimbach – undenkbar waren.
Die Deutsche Bahn AG hat am 19. Oktober 2023 den Verkauf ihrer Tochtergesellschaft DB Arriva an die nordamerikanische Private Equity-Gesellschaft I Squared Capital kommuniziert.
Mit diesem Verkauf endet eine seit mehreren Jahren anhaltende Unsicherheit über die Zukunft dieses im europäischen Eisenbahn- und Reisebusgeschäft tätigen Unternehmens.
Mehr über dieses Geschäft und ein kurzer Kommentar in diesem Beitrag.
Rückblick
Arriva wurde 1931 von der Familie Cowie in einer nordenglischen Kleinstadt als Reparaturwerkstatt für Motorräder gegründet. Wenige Jahre später wurde die Geschäftstätigkeit auf Automobile ausgedehnt. 1965 wurde das Unternehmen an der Londoner Börse kotiert. 1980 erfolgte die Expansion in die Personenbeförderung mit Bussen.
Im März 2010 übernahm die Deutsche Bahn AG Arriva für rund EUR 2.8 Milliarden und dekotierte Arriva per 27. August 2010 von der englischen Börse. In der Folge verzeichnete DB Arriva eine stürmische Entwicklung und expandierte in zahlreiche europäische Länder. Dabei übernahm DB Arriva auch Aufträge für den schienengebundenen Personenverkehr.
Da die gesteckten Ertragsziele bei DB Arriva verfehlt wurden und sich die Qualitätsprobleme im innerdeutschen Personenverkehr auf der Schiene verschärften, wuchs der Druck auf die Deutsche Bahn AG, sich von ihrer Tochtergesellschaft zu trennen. Nicht umgesetzt werden konnte die Absicht, DB Arriva als selbstständiges Unternehmen an der Börse zu kotieren. So begann die Deutsche Bahn AG, einzelne Tochterfirmen von DB Arriva zu verkaufen.
Mit dem eingangs erwähnten Verkauf von DB Arriva an I Squared Capital wurden die mehrjährigen Anstrengungen endlich abgeschlossen. Gerüchten zufolge beträgt der Verkaufspreis EUR 1.6 Milliarden, nachdem DB Arriva noch vor wenigen Jahren mit EUR 2.5 Milliarden bilanziert wurde. Der Verkauf unterliegt der Genehmigung durch die Wettbewerbsbehörden und soll 2024 abgeschlossen werden.
Zu DB Arriva
Auf unserer Website haben wir zweimal über DB Arriva berichtet.
Der Geschäftsgang von DB Arriva hat sich in den vergangenen sechs Jahren erheblich verschlechtert. So mussten bei allen relevanten Kennzahlen Rückgänge verzeichnet werden. Anfangs 2020 verlor DB Arriva wegen Qualitätsmängeln einen bedeutenden Kontrakt für schienengebundenen Nahverkehr in Nordengland. Weniger gross waren die Verluste beim Busverkehr.
Trotz der anhaltenden Ungewissheit über die Zukunft des Unternehmens blieb die Kundenzufriedenheit bis Ende 2021 vergleichsweise stabil. Erst 2022 war ein grösserer Rückgang zu verzeichnen.
Zu I Squared Capital
Das Unternehmen wurde 2012 gegründet und ist sehr gut vernetzt. Neben dem Hauptsitz in Miami verfügt I Squared Capital über Niederlassungen in Nordamerika, Asien und London. I Squared Capital ist im Infrastrukturbereich tätig, unter anderem in der Energieerzeugung, und betreibt Versorgungsnetze, Entsorgungsanlagen und Telekommunikationseinrichtungen. I Squarded Capital verwaltete Mitte 2023 mit 120 Mitarbeitenden auf eigenes Risiko oder über seine Fonds Vermögenswerte von USD 37 Milliarden.
I Squared Capital geniesst in der Finanzindustrie einen guten Ruf und wurde für sein unternehmerisches Wirken mehrfach ausgezeichnet.
Auswirkungen des Verkaufs von DB Arriva für die Deutsche Bahn AG
Die Auswirkungen des Verkaufs für die Sparte «Personenverkehr» der Deutschen Bahn AG sind erheblich, wie die folgenden Darstellungen zeigen.
Kommentar
Mit dem Verkauf von DB Arriva endet die Expansion der Deutschen Bahn AG in den europäischen Personenverkehrsmarkt. Mir war die Logik dieser Ausweitung der Geschäftstätigkeit stets unklar. Skaleneffekte lassen sich in einem derart heterogenen Gebilde kaum realisieren, und die Bindung von Managementkapazitäten auf der obersten Führungsebene ist wohl erheblich.
Wie in diesen Tagen verlautete, möchte sich die Deutsche Bahn AG auch von ihrer Logistiktochter DB Schenker AG trennen. Im Gegensatz zu DB Arriva bestehen hier aber für die Deutsche Bahn AG Synergien, indem verkehrsträgerübergreifende Transportleistungen angeboten werden können.
Vorbehalte habe ich aber bezüglich des Verkaufs von DB Arriva an eine Private Equity-Gesellschaft ohne nachgewiesene Expertise im öffentlichen Personenverkehr. In Europa besteht kaum ein Mangel an Kapital oder Erfahrung. Meines Erachtens hätte DB Arriva gut ins Portefeuille beispielsweise von Kéolis oder Transdev gepasst.
Ist es tatsächlich der Weisheit letzter Schluss, wenn grosse europäische Infrastrukturen oder Infrastrukturbetreiber an nordamerikanische Finanzgesellschaften verkauft werden? Investitionen in den öffentlichen Verkehr sind in Anbetracht der angestrebten Verkehrsverlagerung nicht nur wenig riskant, sondern mittelfristig wohl lukrativ.
Befremdend ist ausserdem, dass ausgerechnet Deutschland als führende Macht der Europäischen Union für DB Arriva keine europäische Lösung gefunden hat. Honi soit qui mal y pense – aber ist Deutschland in letzter Konsequenz das eigene Hemd wichtiger als das weitsichtige Handeln im europäischen Interesse? Die von deutschen Politikern häufig vorgetragene Vision von „der immer enger werdenden Union“ erweist sich vor diesem Hintergrund als leere Worthülse!
Grundsätzlich halte ich eine Konzentration im europäischen Eisenbahnwesen und das Entstehen von grossen und mächtigen grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrsunternehmen in Europa für notwendig. Ich befürchte jedoch, dass der Eintritt von I Squared Capital in den europäischen Personenverkehrsmarkt zu ähnlichen Verwerfungen führen könnte, wie sie sich bei der Go Ahead-Gruppe oder bei Railtrack zu Lasten von Fahrgästen und der öffentlichen Hand einstellten.
Am 16. November 2023 fand im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern die 12. IHRUS-Fachtagung statt. Die vom Verein IHRUS durchgeführte Tagung «Bessere Technik durch neue Rahmenbedingungen» war der Wirkung von verschleissabhängigen Trassenpreisen gewidmet.
An der von rund 180 Teilnehmenden besuchten gehaltvollen Veranstaltung diskutierten Fachleute von Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen mit Vertretern von Industrie und der Fachpresse, wie und mit welchen technischen und organisatorischen Mitteln sich der Verschleiss des Rollmaterials und des Gleisoberbaus reduzieren lässt.
Gerne fassen wir in diesem Bericht nach einer kurzen Vorstellung von IHRUS den Inhalt der spannenden Vorträge und Präsentationen zusammen. Die Darstellungen wurden mit dem besten Dank dem Internet oder den Präsentationen entnommen.
IHRUS
Unter dem Kürzel IHRUS – es steht für «Instandhaltung Rad und Schiene» – besteht seit einigen Jahren ein nicht kommerziell ausgerichteter Verein von Fachleuten aus der Eisenbahnbranche.
IHRUS vereinigt Fachkompetenz, Engagement und Idealismus und verfolgt gemäss der Website des Vereins folgende Ziele:
Sicherstellen eines branchen- und unternehmensübergreifenden Austausches zwischen Fachleuten von Eisenbahnunternehmen, Behörden, Verbänden, Forschung und Industrie.
Offener Austausch zwischen Praktikern und Entscheidungsträgern im Hinblick auf die Erarbeitung von praxistauglichen und innovativen Lösungsansätzen.
Optimierung von Lebenszyklen im Verkehrssystem Eisenbahn.
Ausbau und Verstärkung der Kompetenz bei der Instandhaltung von Fahrzeugen und der Infrastruktur.
Schaffung von Kernkompetenzen im Hinblick auf die Trennung von Infrastruktur und Verkehr.
An den Fachtagungen führt IHRUS Fachvorträge durch und fördert den Austausch unter den Mitgliedern. Seit der Gründung hat sich IHRUS zu einer wirkungsmächtigen und allgemein anerkannten Plattform entwickelt. Durch Kompetenz und Sachlichkeit hat IHRUS wirkungsvoll auf die Wechselwirkung zwischen Schiene und Rad hingewiesen und das Problemverständnis für eine bessere Abstimmung gefördert.
Fachvorträge der IHRUS-Fachtagung 2023
Die Teilnehmenden an der 12. IHRUS-Fachtagung kamen in den Genuss von acht spannenden Fachvorträgen. Längere Pausen zwischen jeweils zwei Vorträgen boten die Möglichkeit zum Austausch mit den Referentinnen und Referenten. Die Unterlagen der Präsentationen, über die wir anschliessend kurz berichten, stehen über die Website von IHRUS zur Verfügung.
In Vertretung von Gilbert Zimmermann von der RhB hält Gerhard Züger (Leiter Produktion und Rollmaterial der Zentralbahn) das einführende Referat. Züger führt aus, dass das Bundesamt für Verkehr (BAV) die Systemführerschaft für die Abklärungen der Interaktion zwischen Fahrzeug und Schiene RAILplus übertragen hat. RAILplus hat als Grundlage ein 400-seitigen Dokument über die bisher gewonnenen Erkenntnisse erstellt. Dieses Dokument wird im nächsten Jahr durch eine VöV-Arbeitsgruppe in eine RTE überführt.
Das BAV unterstützt die von 2022 bis 2026 laufende Untersuchung mit einem Beitrag von rund CHF 20 Millionen. Die Abklärungen erfolgen in acht Teilprojekten. Mitberücksichtigt werden auch die Erkenntnisse der unter der Systemführerschaft der SBB erfolgten Abklärungen im Arbeitskreis «Allianz Fahrweg» für die normalspurigen Bahnen.
Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der stark angestiegene Verschleiss beim Fahrweg und beim Rollmaterial bei Bahnen mit engen Bogenradien unter 250 Metern und bei Fahrzeugen mit erhöhten Achslasten auftritt. Das gilt sowohl bei angetriebenen als auch bei nicht angetriebenen Achsen. Auch die stärkere Motorisierung und die höheren Geschwindigkeiten führen zu einem erhöhten Verschleiss.
Die Reduktion des Verschleisses erfordert ein abgestimmtes Vorgehen, da sich Fahrweg und Fahrzeug während dem gesamten Lebenszyklus gegenseitig stark beeinflussen. Bei dieser fortlaufenden Abstimmung der Massnahmen (Konzeption, Beschaffung, Betrieb, Unterhalt) wird die Methode des Life-Cycle-Managements (LCM) angewendet.
Die heutigen Fahrwerke bei den Meterspurbahnen sind abgesehen von einer einzigen Ausnahme mit einer steifen Radsatzführung ausgestattet. Auch die Werkstoffbeanspruchung der heute verwendeten Stähle von Rad und Schiene hat die Belastungsgrenze erreicht und erfordert neue Legierungen. Angestrebt wäre für Meterspurbahnen eine gemeinsame Fahrwerkplattform mit radial einstellbaren Achsen. Auch die Berührgeometrie zwischen Rad und Schiene sowie die Schmierung der Innenseite der Schienen in Bögen haben ein grosses Potential zur Reduktion des Verschleisses. Die Spurweite von 1’000 Millimetern sollte auf keinen Fall unterschritten werden. Auf geraden und mit höheren Geschwindigkeiten befahrenen Strecken empfiehlt sich eine Spurweite zwischen 1’002 und 1’004 Millimetern.
Gilbert Zimmermann von der RhB postuliert in seinen Unterlagen bei den Meterspurbahnen ein Kompetenzzentrum Rad/Schiene, das die Abklärungen weiterführt und den Informationsaustausch unter den Bahnen sicherstellt.
2. Möglichkeiten optimierter Fahrwerkkonstruktionen im Normal- und Meterspurbereich für eine Reduktion der Rad- und Gleisbelastung
Bruno Meier, Leiter Produktentwicklung Fahrwerke bei Stadler Rail AG, und Roman Assfalg, Teamleiter Fahrwerke für Schmalspur-, Zahnrad- und Spezialfahrzeuge bei Stadler Rail AG, dokumentieren in ihrer Präsentation, dass Stadler auf die Anforderungen der Eisenbahnen reagiert – und zwar sowohl im Meterspurbereich als auch bei der Normalspur.
Die Massnahmen von Stadler werden anhand der Fahrwerke beim Flirt erläutert. So wurde der Drehgestellrahmen seit dem ersten Flirt neu konzipiert. Das Gewicht des heute verwendeten verkürzten und offenen Rahmens wurde um 16 Prozent reduziert. Noch drastischer ist die Gewichtsreduktion des heute teilweise abgefederten Antriebs der Flirt von 4’000 Kilogramm auf 2’670 Kilogramm. Auch die Vergrösserung der Hohlbohrung in der Radsatzwelle auf 90 mm reduziert das Gewicht der Achse um 100 Kilogramm. Verbesserungen wurden auch bei der Schnittstelle zwischen dem Achslager und dem Drehgestell durch neu konzipierte Achslenkerlager erreicht. Bei Strecken mit engen Radien, so Roman Assfalg, lässt sich der Verschleiss durch radial einstellbare Achsen substantiell reduzieren. Die im Vergleich zur Normalspur kleineren Fahrwerke erschweren verschleissmindernde Massnahmen bei Meterspurbahnen. Zudem werden Fahrzeuge für Meterspurbahnen im Vergleich zu denjenigen bei der Normalspur in kleineren Stückzahlen bestellt, was die Kosten für verschleissmindernde Massnahmen pro Fahrzeug verteuert.
Trotz diesen Optimierungen am Fahrwerk braucht eine gute Radialeinstellung immer auch eine geeignete Profilpaarung zwischen Rad und Schiene. Der Verschleiss kann zudem durch gefühlvolles Fahren sowie durch eine gute Adhäsionsregelung spürbar reduziert werden.
Mit der von RAILplus entwickelten «FIMO-Formel» wurde eine in der Branche allgemein akzeptierte Regel zur Ermittlung der Korrelation zwischen dem Verschleisskoeffizienten und dem Produkt aus Radstand und Achslast entwickelt. Generell werden ein möglichst kurzer Radstand und tiefe Achslasten angestrebt. Letztere sind bei gleicher Fahrzeuggrösse nur mit mehr Achsen erreichbar.
Mit einem Überblick über Massnahmen von Stadler zur Reduktion des Verschleisses bei Normal- und Meterspurbahnen schliesst Roman Assfalg seine Ausführungen. Offensichtlich hat Stadler auf die Anliegen der Meterspurbahnen reagiert.
3. Optimierte Fahrzeugkonstruktion bei Siemens
Martin Teichmann, Siemens Mobility, beschäftigt sich seit 35 Jahren mit der Interaktion zwischen Rad und Schiene. Seit vielen Jahren untersucht Teichmann die Wirkung von verschleissabhängigen Trassenpreise auf die Fahrzeugentwicklung. Er stellt fest, dass der Verschleiss im Trassenpreissystem der EU unzureichend berücksichtigt wird. Die Schweiz, so Teichmann, nehme in Europa eine Vorreiterrolle ein. Viele Kurven und hohe Geschwindigkeit haben einen hohen Einfluss auf den Verschleiss.
Minderkosten durch die Reduktion des Verschleisses stehen Mehrkosten bei der Fahrzeugentwicklung und -beschaffung gegenüber. Der Zielkonflikt muss durch das Konzept der Lebenszykluskosten gelöst werden. Wichtig ist auch der interne Zinssatz, mit dem die Einsparungen und die Zusatzaufwendungen auf die Gegenwart diskontiert werden.
Am Beispiel des mit dem Flirt vergleichbaren Mireo-Triebwagenzuges erläutert Teichmann die Massnahmen von Siemens zur Reduktion des Verschleisses. Die Massnahmen zielen in die gleiche Richtung wie bei Stadler, nämlich konsequenter Leichtbau, weiche Fahrwerksrahmen und möglichst kurze Radabstände. Die koordinierten Massnahmen zur Reduktion des Verschleisses haben die Anschaffungskosten pro Fahrzeug zudem um rund EUR 500’000.- gesenkt.
Auch bei den Lokomotiven, so Teichmann, wurden Fortschritte für die Verschleissreduktion erzielt. Bei den weit verbreiteten Vectron-Lokomotiven wurden aktive Drehdämpfer (ADD) eingesetzt. Während der gesamten Lebensdauer der Lokomotive lassen sich dadurch erhebliche Kosteneinsparungen realisieren. Zusammenfassend hält Teichmann fest, dass im Normalspurbereich der Nutzen von verschleissabhängigen Trassenpreisen nicht überbewertet werden darf. Massgebend seien, wie bereits ausgeführt, sei die Geometrie der Strecke (Kurven, Adhäsion, etc.) und die Fahrgeschwindigkeit.
4. Einfluss von Trassenpreis auf die Gleis- und Weichenbelastung bei den SBB
In ihrer Präsentation informieren Claudia Kossmann, Ingo Nerlich und Oliver Schwery über die Auswirkungen des verschleissabhängigen Trassenpreissystems in der Schweiz. Zusammenfassend wird das in der Schweiz applizierte verschleissabhängige Trassenpreissystem als grosser Erfolg bezeichnet. Eine Weiterentwicklung und Verfeinerung des Systems könnten sich lohnen.
Ab 2010 ist die Anzahl der Schienenfehler substantiell gestiegen. Das führte ab 2013 zu einem massiven Anstieg des Aufwandes für die Schienenbearbeitung – seit 2020 wird dreimal mehr gepflegt, um die tiefe Fehlerquote von 2004 zu erreichen.
Eindrücklich, aber auch nachdenklich stimmend, ist die Entwicklung des Substanzerhalts für die Fahrbahn seit 2017. Die Aufwendungen für die Erneuerung und den präventiven Unterhalt haben sich gegenüber dem kurativen Unterhalt relativ zurückgebildet.
5. Berücksichtigung der Trassenpreise bei der Beschaffung von Streckenlokomotiven
Thorsten Teigeler, verantwortlich bei SBB Cargo AG für die Beschaffung von neuen Streckenlokomotiven für den Güterverkehr, erläutert die Kriterien für die Selektion der neuen Lokomotiven. Dabei kommt den Kosten für die Trassen und die Energie eine hohe Bedeutung zu, betragen diese Kosten doch mehr als die Hälfte der Lebenszykluskosten eines Fahrzeuges aus. Der Anteil der Trassenkosten macht rund dreissig Prozent der gesamten Lebenszykluskosten aus. Diesem Sachverhalt wurde bei den bisherigen Beschaffungen kaum Beachtung geschenkt. Unterschiedliche Kosten für den Verschleiss fallen dabei deutlich ins Gewicht, wie die folgende Übersicht zeigt. Bei 120’000 Kilometer Laufleistung pro Jahr und bei 30 Betriebsjahren können unterschiedliche Kosten für den Verschleiss im Trassenpreis sehr wohl CHF 500’000.- ausmachen.
Im Zeitraum von 2027 bis 2035 besteht bei SBB Cargo AG ein Ersatzbedarf von rund 130 Streckenlokomotiven. Dabei fällt die Reduktion der Lebenszykluskosten von CHF 500’000.- pro Lokomotive sehr wohl ins Gewicht.
Problematisch fällt bei der Beschaffung ins Gewicht, dass die Schweiz gemäss Teigeler das einzige Land in Europa ist, bei dem Verschleisskomponenten im Trassenpreis berücksichtigt werden. In Europa wird nur das Gewicht der Lokomotive bei der Festlegung der Trassenpreise berücksichtigt. Die europäischen Hersteller legen deshalb geringes Gewicht auf verschleissarme Lokomotiven, sondern konzentrieren sich auf den Energieverbrauch und – wie erwähnt – auf das Gewicht der Lokomotiven.
Angesprochen auf die Möglichkeit, dass verschleissarme Lokomotiven möglicherweise nicht erhältlich sind und auf Standardprodukte ausgewichen werden muss, reagiert Teigeler mit einem resignierten Achselzucken.
6. Berücksichtigung der Trassenpreise bei der Beschaffung von Triebfahrzeugen
Reto Wagner und Stephan Maurer, bei der BLS AG verantwortlich für die Beschaffung von Triebfahrzeugen, informieren, wie die BLS die Verschleisskomponente im Trassenpreis für Triebfahrzeuge berücksichtigen. Dieser Aspekt wurde nicht nur bei der Neubeschaffung von Triebfahrzeugen berücksichtigt, sondern auch durch die erwogene Anpassungen bei der bestehenden Fahrzeugflotte. Bei einer Restlebensdauer von zehn Jahren wurden Anpassungen an den Fahrzeugen geprüft. Bei kürzeren Restlebensdauer wurden Anpassungen ausgeschlossen.
Bei bestehenden Fahrzeugen wurden als einzige Optimierungsmöglichkeiten a) die aktive Ansteuerung der Radsätze und b) hydraulische Achslenklager in Erwägung gezogen. Bei den «Lötschbergern» führten die Abklärungen zu einem negativen Ergebnis. Bei den in den letzten Jahren bei der Firma Stadler Rail AG beschafften Mutz-Triebwagenzüge ergaben die Abklärungen hingegen ein positives Ergebnis, weshalb in den kommenden Jahren hydraulische Achslenklager eingebaut werden, und zwar im Rahmen der laufenden Revisionen. Je nach der befahrenen Strecke ergeben sich beträchtliche Einsparungen, im Durchschnitt CHF 390’000.- pro Jahr und Fahrzeug.
Bei den vor der Beschaffung stehenden Flirt-Triebwagenzügen «MIKA» floss der Verschleiss als Kriterium ein. Die Einhaltung der Zusicherungen durch den Lieferanten wird regelmässig geprüft. Dabei wird ein über den Vereinbarungen liegender Verschleiss mit Pönalen geahndet. Im Gegenzug werden bei geringerem Verschleiss Bonuszahlungen an den Lieferanten fällig. Dieses einvernehmliche Konstrukt hat den Lieferanten dazu bewogen, besonderes Augenmerk auf verschleissarme Fahrzeuge zu legen.
7. Belastung der Strasseninfrastruktur durch den Schwerverkehr
In einem spannenden Referat stellt Cédric Vuilleumier vom Bundesamt für Strassen ASTRA nach einem Überblick über das schweizerische Nationalstrassennetz die Bestimmungen und die Prozesse bei überschweren Strassentransporten vor. Beeindruckt nehmen die Anwesenden von den komplexen und teilweise wenig systematischen Verfahren für die Genehmigung und die Durchführung von überschweren Strassentransporten Kenntnis. Dabei zeigen sich die Grenzen unserer föderalen Strukturen. Nicht nur der Schienenverkehr, sondern auch der Güterverkehr auf der Strasse ist mit komplexen Genehmigungsverfahren konfrontiert.
Anhand von Fallbeispielen erläutert Vuilleumier die geschilderten Probleme. Besonders geregelt sind Sondertransporte durch die grossen Strassentunnels durch die Alpen. Das Bundesamt für Strassen ist bestrebt, die Transparenz des Verfahrens für Antragsteller mit einem Onlineportal zu erhöhen. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass besonders schwere Transporte umfangreicher Vorabklärungen bedürfen und Einhaltung der Fahrroute beispielsweise auf Kunstbauten wie Brücken minutiös festzulegen und einzuhalten ist. Durchschnittlich erfolgen schweizweit pro Werktag zwischen 120 bis 150 Sondertransporte.
8. Rollmaterial Instandhaltung von Übermorgen
Dr. Joël Luc Cachelin, Zukunftsforscher bei wissensfabrik.ch, und Frieder Tallafuss von PROSE, skizzieren Szenarien für die zukünftige Entwicklung der Instandhaltung von Rollmaterial. Mehrere Faktoren wie Standardisierung des Rollmaterials, Fachkräftemangel und komplexere Fahrzeuge könnten den Prozess der Instandhaltung tiefgreifend und wie folgt verändern:
Trennung von Betrieb und Wartung, unter anderem durch die Shared Economy.
Vereinheitlichung und Standardisierung der Fahrzeugflotten.
Nutzung des Potentials für Effizienzsteigerungen bei der Wartung und beim Unterhalt.
Optimierung bzw. Reduktion der Standzeiten von Fahrzeugen.
Dezentralisation von Wartung und Unterhalt.
Sich selbst überwachende und Störungen unmittelbar kommunizierende Fahrzeuge, welche im Anschluss auch den notwendigen Reparaturbedarf automatisch anfordern.
Voraussetzungen für diese Veränderung ist ein verstärkter Einsatz von IT-Instrumenten und die Entstehung von adäquaten Servicefirmen. Effiziente Prozesse bei der Wartung und beim Unterhalt sind zudem auch kostengünstiger und ökologisch nachhaltiger.
Zusammenfassung und Abschluss
Gerhard Züger fasst abschliessend den Verlauf und die Ergebnisse der interessanten Fachtagung kurz zusammen. Die diskutierten Probleme sind komplex. Zwischen der Normalspur und der Schmalspur bestehen in verschiedener Hinsicht beträchtliche Unterschiede. Die Erfahrungen lassen sich nicht ohne weiteres übertragen.
Bei der weiteren Entwicklung sind auch die Trends in der EU zu berücksichtigen. Wie auf anderen Gebieten unterliegen Massnahmen für Verbesserungen bei der Wechselwirkung zwischen Schiene und Rad wirtschaftlichen Sachzwängen – angezeigt ist nur, was sich wirtschaftlich lohnt. Und nicht nur die Eisenbahnindustrie, sondern auch der Strassenverkehr ist mit verworrenen Prozessen konfrontiert.
Die nächste Tagung findet am 14. November 2024 wiederum im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern statt.
Der Abschnitt zwischen Fideris und Küblis ist wohl die gravierendste Schwachstelle der Strecke der RhB zwischen Landquart und Klosters.
Erfreulicherweise soll diese Schwachstelle in den kommenden Jahren eliminiert werden. Das grosszügige Ausbauprojekt besteht aus einem etwa 1.4 Kilometer langen Tunnel und einer Reihe von Kunstbauten im Abschnitt zwischen Äuli und Dalvazza.
Ein spannendes und seit vielen Jahren erwartetes Projekt, das wir in diesem Bericht gerne vorstellen.
Ausgangslage
Die Streckengeschwindigkeit im engen und kurvenreichen Tal der Landquart beträgt abschnittsweise nur noch 40 km/h bzw. 45 km/h. Während Hitzetagen im Sommer muss die Geschwindigkeit wegen Gleisverwerfungen manchmal sogar auf 30 km/h reduziert werden. Und das für die bis zu 120 km/h schnellen Capricorn-Triebwagenzüge der Rhätischen Bahn.
Im Zuge des Ausbaus der Strecke der RhB wird zwischen Fideris und Küblis auch die Lücke der Nationalstrasse A28 geschlossen. Im Gegensatz zur Bahn wird die neue zweispurige Strasse oberirdisch durch das wilde Tal geführt. Die heutige Strasse wird als Lokalstrasse ebenfalls neu erstellt und dient als Ersatz für den Radweg.
Die oben erwähnten Kunstbauten umfassen auch die Brücken für diese Strassen. Die bald hundertjährige baugeschichtlich wichtige Brücke unterhalb der Strahlegg wird ins Projekt integriert.
Abschnitt Fideris-Äuli
Zwischen Fideris und Äuli wird die Bahn in einen rund 1.4 Kilometer langen gestreckten Tunnel verlegt. Zu diesem Zweck muss der bestehende Bahnhof von Fideris in südlicher Richtung um einige Meter verschoben werden. Da die Züge auf der Doppelspurinsel bei Pragg-Jenaz und im Bahnhof Küblis gut kreuzen können, bestand kein Bedarf nach einem Ausbau auf Doppelspur.
Wie erwähnt wird die Nationalstrasse A28 in diesem Abschnitt oberirdisch geführt. Wegen der Gefahr durch Hochwasser wird die Strasse etwas höher gelegt. Denkbar – aber bedeutend teurer zu bauen und zu unterhalten – wäre auch für die neue Nationalstrasse wie bei der Bahn eine Tunnellösung gewesen.
Abschnitt Äuli-Dalvazza (-Küblis)
In diesem Abschnitt sind sowohl für die Bahn als auch für die Strassen mehrere Kunstbauten erforderlich. Dazu wurde im ersten Halbjahr 2023 ein «Einstufiger anonymer Projektwettbewerb» durchgeführt. Die Jurierung durch das Preisgericht unter der Leitung von Christian Florin, Leiter des Bereichs Infrastruktur der RhB, erfolgte am 24. August 2023. Zu beurteilen waren «nur» vier Projekte. Die Jury entschied sich nach einer intensiven Diskussion einstimmig für das Projekt «Strahlegg», das von einem Team bestehend aus (a) der Ingenieurgemeinschaft Casutt Wyrsch Zwicky AG, Chur, (b) Chitvanni+Wille GmbH, Chur, (c) Gredig Walser Architekten AG, Chur, und (d) Grand Paysage GmbH, Basel, erarbeitet wurde.
Die Projekte und die Ergebnisse des Wettbewerbs wurden am 31. Oktober 2023 an der Fachhochschule Chur durch Karl Baumann, Leiter Kunstbauten bei der RhB, präsentiert. An dieser spannenden und auch für Laien gut verständlichen Präsentation wurde rasch klar, mit welch hohen Anforderungen die Teilnehmer am Wettbewerb konfrontiert waren. Dies erklärt auch die relativ geringe Zahl der eingereichten Vorschläge. Karl Baumann stellte einleitend fest, dass vier hochwertige Beiträge eingereicht wurden.
Das Preisgericht formulierte seine Anforderungen wie folgt: «Die Kunstbauten sollten im Sinne der Zielsetzung des Wettbewerbs eine umfassend überzeugende Lösung der Aufgabe darstellen, in welche technische, wirtschaftliche, kontextuelle und landschaftsarchitektonische Überlegungen in durchdacht ausgewogener Gewichtung einfliessen.» (Auszug aus dem Bericht des Preisgerichts). Beurteilt wurden diese Erwartungen anhand folgender Kriterien:
Gestaltung, Einbindung in die Landschaft
Baukosten, Wirtschaftlichkeit, Unterhalt
Robustheit, Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Nachhaltigkeit
Realisierbarkeit, Bauverfahren, Bauzeit
Statisch-konstruktive Konzeption.
Das Siegerprojekt überzeugt gemäss der Jury sowohl in technischer als auch in gestalterischer Hinsicht. Es verzichtet im mittleren Bereich auf die Platzierung der Bahnlinie auf eine Stützmauer neben der Nationalstrasse zugunsten einer zusätzlichen und leicht wirkenden, etwas tiefer liegenden und leicht abgesetzten Brückenkonstruktion. Dadurch wird der Eingriff in das enge Flusstal reduziert.
Das Projekt «Slap Shot» erhielt den zweiten Preis, und den dritten Preis teilten sich die Projekte Freier Fluss» und «Überdüür».
Realisierung
Die Leitung des anspruchsvollen Gesamtprojekts «Ausbau Fideris – Küblis» wurde Andri Nicolay, RhB, anvertraut. Projektträger sind neben der RhB das Tiefbauamt des Kantons Graubünden und das Bundesamt für Strassen ASTRA. Nicht nur bei der Planung und der Leitung des Projekts stellen sich grosse Herausforderungen, auch beim Bau und bei der Logistik der Baustellen werden von den mitwirkenden Unternehmen Höchstleistungen abverlangt.
Folgende Meilensteine sind vorgesehen:
Ausarbeitung Bauprojekt 2024/2025
Baubeginn 2027
Inbetriebnahme neue Bahnstrecke 2032 (Brücken, Tunnel, Anschlüsse, etc.)
Inbetriebnahme Strassen 2034.
Die Kosten für das gesamte Projekt – Strasse und Bahn – betragen aus heutiger Sicht CHF 325 Mio. (inkl. MWST). Da sich aber erst um ein Vorprojekt handelt, bewegt sich die Kostengenauigkeit in einer Bandbreite von plus/minus zwanzig Prozent.
Die Erarbeitung des eigentlichen Bauprojekts startet im Frühling 2024. Dabei wird auch der Kostenvoranschlag detailliert. Der definitive Kostenvoranschlag soll bis im Herbst 2025 in einer Bandbreite von plus/minus zehn Prozent vorliegen.
Klimawandel und Naturgewalten in den Alpen – was bedeutet das für die Bahnen und wie gehen sie mit diesen Herausforderungen um? Dies die Thematik einer weiteren interessanten und hoch aktuellen Exkursion der Bahnjournalisten Schweiz.
Reiseleiter Kurt Metz hat es einmal mehr verstanden, ein anspruchsvolles und intensives Programm zusammenstellen. Seine Bemühungen haben neben der grosszügigen Unterstützung durch die involvierten Bahnen und dank kompetenten Referentinnen und Referenten entscheidend zum grossen Erfolg dieser Exkursion beigetragen.
Überblick zu den aktuellen und zukünftigen klimatischen Herausforderungen im Alpenraum
Nach der Begrüssung durch Kurt Metz in einem Sitzungszimmer der BLS im Bahnhof Spiez prognostiziert Dr. Regula Mülchi, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, in ihrem Referat, wie sich das Klima in der Schweiz bis 2100 mutmasslich verändern wird. Dr. Mülchi zeigt anhand einer Grafik die dramatischen Veränderungen des Klimas in unserem Land seit 1981 und die sich daraus ergebenden Auswirkungen.
Ohne einschneidende Klimaschutzmassnahmen wird sich der Klimawandel verstärkt fortsetzen. So könnte sich die mittlere Temperatur bis zur Jahrhundertwende gegenüber heute um bis zu 4.3 Grad erhöhen. Neben einer starken Zunahme der Hitzetage und einem Anstieg der Schneegrenze in höhere Lagen wird die Niederschlagsmenge im Sommer ab- und im Winter zunehmen. Der Wassermangel im Sommerhalbjahr könnte vor allem der Landwirtschaft grosse Probleme bereiten.
Mit griffigen Klimaschutzmassnahmen liesse sich die Erhöhung auf 1.2 Grad beschränken. Allerdings, so führt Dr. Mülchi auf Anfrage aus, handelt es sich bei den Klimaschutzmassnahmen um weltweit erforderliche Massnahmen.
Schutzmassnahmen und Krisenmanagement bei der BLS
Nach den Ausführungen von Dr. Mülchi begrüsst Nicole Viguier, Fachspezialistin Naturgefahren bei der BLS, die Anwesenden und leitet zum Infoblock der BLS über. Sie fasst in wenigen Worten die Wichtigkeit der Schutzmassnahmen für die BLS zusammen und weist auf die Bedeutung des Schutzwaldes für den Schutz der Bahninfrastruktur hin. Schutzmassnahmen durch den Wald sind mit dem Landschaftsbild gut vereinbar und kostengünstiger. Bauliche Massnahmen kosten bei gleicher Schutzwirkung rund zehnmal mehr als die Pflege und der Unterhalt des Schutzwaldes.
Im Anschluss an die Erläuterungen von Nicole Viguier fahren wir mit der Bahn nach Hohtenn, wo uns Ferdinand Pfammatter, Forstwart bei der BLS, zur Besichtigung der Schutzmassnahmen und des Risikomanagements entlang der Lötschberg-Südrampe erwartet. Im Gegensatz zu den Schwesterbahnen im Gebirge, so Pfammatter, stellt die BLS die Schutzmassnahmen weitgehend mit eigenen Mitteln sicher. Auf beiden Seiten des Lötschberg-Scheiteltunnels kümmert sich eine achtköpfige Equipe um die Schutzmassnahmen.
Die schutzbezogenen Massnahmen, so Pfammatter, konzentrieren sich vor allem auf die Pflege und den Unterhalt des Schutzwaldes sowie auf den Schutz des Waldes selbst vor Feuer. Die grösste Waldbrandgefahr stammt von den klassischen Bremsen der Eisenbahnwagen. Dieses Risiko ist dank dem Verkehrsrückgang auf der Bergstrecke, neuen Bremssystemen und Bremskötzen aus Verbundmaterial stark zurückgegangen.
Die Bedeutung des Schutzwaldes wurde bereits beim Bau der BLS oder kurz nach der Betriebsaufnahme erkannt. So hat die BLS viele Waldparzellen entlang der Eisenbahnstrecke mit den dazu gehörenden Wasserrechten gekauft und unzählige Bäume neu gepflanzt. Sorgen bereitet der Rückgang des über die Suonen herangeführten Wassers (Suonen sind künstliche Bewässerungskanäle). Der Rückgang wird sich durch das Abschmelzen der Gletscher verstärken.
Grosse Sorgen bereitet auch der Sachverhalt, dass der Temperaturanstieg und der Wassermangel die traditionell angepflanzten Baumarten absterben lassen. Die BLS hat dies schon früh erkannt und in den schwierigen Bedingungen überlebensfähige Baumarten angepflanzt. Für die Förster der BLS führt dies zu heiklen Entscheidungssituationen, so etwa bei der Bestimmung der neuen Baumarten und deren Einpflanzung. Dabei fällt die Wahl oft auch auf ausländische Baumarten. Pfammatter erwartet einen Anstieg der Klimazonen und der Baumgrenze bis 2100 um bis zu 700 Metern. Das wird den Wandel beschleunigen.
Der Brandschutz geniesst unter den Schutzmassnahmen eine besondere Aufmerksamkeit. Waldbrände unterhalb der Strecke gefährden den Betrieb, und solche oberhalb der Strecke können den Schutzwald vernichten. Löschaktionen, so schildert Pfammatter an einem konkreten Fall, erfordern Sofortmassnahmen und massive Mittel. Bei der Brandverhütung arbeitet die BLS eng mit lokalen Stellen zusammen. Zur Bestimmung der Feuergefahr wird im Kanton Wallis die weltweit verwendete kanadische Software «Incendie» eingesetzt. Anhand von zahlreichen Parametern wird kantonsweit für rund ein Dutzend Zonen die Feuergefahr errechnet.
Am Schluss seiner spannenden Ausführungen erläutert Pfammatter Inhalt und Ziele eines umfassenden und langfristig angelegten Klimaprojekts. Er stellt erleichtert fest, dass die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für die Problematik des Klimawandels in den letzten Jahren zugenommen hat, und bedankt sich für das Interesse.
Schutzmassnahmen und Krisenmanagement bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn MGB
Nach der Weiterfahrt von Hohtenn nach Brig steigen wir auf dem Bahnhofplatz in einen Zug der MGB. Hier begrüssen uns Fernando Lehner, Unternehmensleiter der MGB, und Jan Bärwalde, Vertreter der Unternehmenskommunikation der MGB. Fernando Lehner hat es sich als CEO der MGB nicht nehmen lassen, uns auf der Fahrt von Brig nach Visp zu begleiten.
Nach einer kurzen Vorstellung der komplexen Strukturen der BVZ-Holding, zu welcher drei unter der Bezeichnung MGB firmierende Tochtergesellschaften gehören (Betrieb, Management, Infrastruktur), weist Lehner darauf hin, dass die Infrastrukturbelange der MGB in ein eigens dafür gegründetes Unternehmen ausgegliedert wurden, das vollständig vom BAV finanziert wird. In der MGB sind die Klimaproblematik und der Schutz der Infrastruktur hoch aktuell. Mit Genugtuung betont Lehner, dass die MGB wegen der guten Schutzmassnahmen in den letzten Jahren vor grösseren Schäden verschont geblieben ist. Bemerkenswert – und im Gegensatz zur öffentlichen Meinung – sind die Risiken im Sommer höher als im Winter.
Die Planung für den Bau des direkten Tunnels von Täsch nach Zermatt ist weit fortgeschritten. Die Finanzierung des Projekts über den Bahninfrastruktur-Fonds BIF ist gesichert. Der rund 4.1 Kilometer lange Tunnel wird einspurig gebaut und verfügt in der Tunnelmitte über eine 1.8 Kilometer lange Ausweichstelle. Dank dem Tunnel können die Züge im Adhäsionsbetrieb verkehren, wodurch sich die Fahrzeit zwischen den beiden Orten von zwölf auf sechs Minuten halbiert. Der Bau des Tunnels drängt sich aber auch aus Sicherheitsgründen auf. Auf Anfrage führt Lehner aus, dass neben der Bahn auch die Strasse von Täsch an den Ortsrand von Zermatt als Rückfallebene bei Störungen im Bahnbetrieb wintersicher sein muss. Sie bleibt jedoch für den privaten Verkehr gesperrt.
Am Ende seiner Ausführungen weist Lehner auf weitere bedeutende Projekte in der Region hin, wie etwa die anstehende Modernisierung des Furka-Basistunnels oder das Geothermieprojekt im Bedretto-Stollen.
Gemäss Schätzungen von SRF kostet der Tunnel CHF 327 Mio. Dieser Betrag reduziert sich durch den Wegfall von kapitalisierten Unterhaltskosten für die heutige Strecke etwa um die Hälfte.
Nach dem Eintreffen in St. Niklaus versammeln wir uns in einem Sitzungszimmer der Raiffeisenbank Mischabel-Matterhorn. Jan Bärwalde ist froh über das steigende Interesse an der Klimaproblematik. Das Streckennetz der MGB, so Bärwalde ist gut geschützt, auf besonders gefährdeten Teilstrecken sogar mehrfach.
Nach diesen Vorbemerkungen begrüsst uns Daniel Siegen, Anlagenmanager Kunstbauten und Naturgefahren der MGB. Er wird den weiteren Verlauf der Präsentation mit Claudia Holenstein vom Ingenieurbüro Hottinger, und Aline Fetzer vom Ingenieurbüro Ravina & Partner AG bestreiten.
Nach einer kurzen Vorstellung der Matterhorn-Gotthard Bahn und der ebenfalls der BVZ Holding gehörenden Gornergrat Bahn stellt uns Siegen anhand eines Schemas des BAV das «Integrale Risikomanagement IRM» vor, mit dem Schutzmassnahmen berechnet und priorisiert werden. Bis zur Einführung dieser neuen Methode erfolgten Schutzmassnahmen aufgrund konkreter Naturgefahren. Mit dem IRM werden die Kosten der potenziellen Schäden von Naturereignissen entlang der Strecken umfassend berechnet, wobei neben den Schäden an der Infrastruktur und an Fahrzeugen auch die Ausfälle durch Betriebsunterbrüche, Personenschäden wie Verletzungen oder Todesfälle und Folgeschäden berücksichtigt werden. Den so ermittelten Gesamtkosten werden die Kosten der Schutzmassnahmen gegenüber gestellt. Dabei beschränken sich Massnahmen primär auf Fälle, bei denen die Kosten der Schutzmassnahmen tiefer sind als die Kosten der potenziellen Ereignisse.
Bei der Risikoabwehr arbeitet die MGB mit externen Partnern zusammen und pflegt einen engen Austausch mit anderen Gebirgsbahnen sowie mit dem BAV und dem BAFU. Die Infrastrukturgesellschaft MGB erhält vom Bund für alle Bauvorhaben durchschnittlich etwa CHF 80 Mio. pro Jahr.
Claudia Holenstein erläutert die Methode des IRM als fundamentalen Paradigmenwechsel in der Schweiz – von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement. Die Methode ist in der vom Bund 2018 veröffentlichten Publikation Planat (Plattform Naturgefahren) detailliert beschrieben. Dazu dieses Schaubild aus der Präsentation von Holenstein.
Nach dieser Einführung erläutert Holenstein die Anwendung der IRM bei der MGB. Insgesamt wurden auf den Strecken 328 Gefahrenstellen identifiziert, die mit einer rollenden Planung abgearbeitet werden. Nicht jede Gefahr, so unterstreicht Holenstein ihre Ausführungen, bedeutet auch ein hohes Risiko.
Nach dieser theoretischen Einführung stellt uns Aline Fetzer vom Ingenieurbüro Rovina + Partner AG zwei Fallbeispiele aus der unmittelbaren Umgebung von St. Niklaus vor, nämlich (1) den Abbau eines gewaltigen Felsblocks im Gebiet Chalchofen über St. Niklaus im vergangenen Jahr und die 2023 erstellte Analyse der Sturzgefahren aus dieser Gefahrenzone sowie (2) die Untersuchung des Felssturzes Medji von 2002. Im Anschluss an ihre Präsentation zeigt uns Fetzer auf einer Wanderung ins Gelände oberhalb des Dorfes den zum Schutz des Dorfes errichteten gewaltigen Damm.
Beim Abstieg vom Damm erklärte mir Fetzer auf Anfrage, dass man für das Hochrisikogebiet «Grosser Graben» östlich von St. Niklaus – im Bereich des Mittelbergs und des Breithorns sind alle Bergwege gesperrt – keine Lösung habe.
Am Folgetag begrüsste uns Daniel Siegen in Andermatt und informierte einleitend kurz über den Ausbau der Bahninfrastruktur im Urserental. So sollen der Bahnhof umgebaut und eine ursprünglich in Hospental geplante Werkstatthalle neu im Raum Andermatt errichtet werden. Dabei handelt es sich um langfristige Vorhaben, deren Planung drei bis vier Jahre beansprucht, während die Realisierung zwei bis drei Jahre dauern wird.
Nach der Einführung präsentiert René Hildbrand Massnahmen für den Hochwasserschutz im Urserental. Beim Jahrhunderthochwasser 1987 wurden der Kanton Uri und das Urserental stark verwüstet. Zahlreiche Massnahmen wurden zum Schutz vor ähnlichen Katastrophen getroffen. Sorgen bereitet die relativ tief liegende Brücke der MGB über die Unteralpreuss bei Andermatt. Infolge der Topografie kann die Brücke nicht höher gelegt werden, obschon der Wasserstand bei Hochwasser die Brücke gefährden könnte. Deshalb wurde in den Räumen der ETH in Zürich ein Geländemodell im Massstab 1:10 konstruiert, mit dem die Situation bei Hochwasser simuliert werden konnte. Als Konsequenz wurde neben dem Flussbett der Unteralpreuss ein virtuelles zweites Flussbett konzipiert, in das bei Hochwasser überflutende Wassermenge abgeleitet werden könnte. Dabei wurden neben zahlreichen anderen Massnahmen unter Neubauten grosse Öffnungen für den Durchfluss des Wassers gebaut. Bei vielen Massnahmen müssen auch ökologische Bedingungen, beispielsweise für den Schutz der Fische, eingehalten werden. Auch der Schutz des Grundwassers wurde gemäss einem kürzlich publizierten Entscheid des Bundesgerichts verschärft.
Auf dem Oberalppass erläutert Damian Steffen von der Firma geoformer igp AG anhand der Bahnstrecke entlang dem Oberalpsee, wie diese gegen Lawinen geschützt wird. Aus dem Inventar der Gefahrenstellen wird die Schutzdringlichkeit pro Gefahrenstelle ermittelt. An diese Abklärungen folgt die Massnahmenplanung im Anrissgebiet wie Lawinenverbauungen, Aufforstungen oder Sprengmasten für die künstliche Auslösung von Lawinen. Die Bahnstrecke kann unter anderem durch Galerien, Dämme oder Schutzwände gegen die Schneemassen geschützt werden. Dazu kommen bei grosser Gefahr organisatorisch/technische Massnahmen wie Sperrungen oder Alarmsysteme. Anhand von konkreten Beispielen erläutert Steffen das Vorgehen auf einzelnen Streckenabschnitten. Grössere Projekte stehen auch im Urserental für den Schutz von Strasse und Schiene gegen Lawinen an. Damit soll die Verfügbarkeit der Verkehrsverbindungen zwischen Andermatt und Realp auch bei extremen Schneelagen gewährleistet werden.
Herausforderungen Naturgefahren – Analyse der Gefährdung und Schutzmassnahmen bei den SBB
Zwischen der Präsentation des Hochwasserschutzes in Andermatt und dem Schutz vor Lawinen auf dem Oberalppass präsentieren uns Marc Hauser, Leiter Naturgefahren bei den SBB, und sein Mitarbeiter, Heinz Müller, wie und mit welchen Mitteln die Bundesbahnen ihre Infrastrukturen vor Naturgefahren schützen. Bei der Überwachung der Gefahrenstellen kommen seit einigen Jahren Drohnen zum Einsatz. Als «verlängertes Auge» ermöglichen sie die rasche und sichere Überwachung von Gefahrenzonen. Die auf den mit GPS präzise festgelegten Flugrouten periodisch gemachten Aufnahmen werden mit einer speziellen Software analysiert und ermöglichen solide Aussagen über Geländeveränderungen, ohne dass sich Menschen in die Gefahrenzonen begeben müssen. Bemerkenswert ist gemäss Müller, dass sich 80 Prozent der Umweltschäden in urbanem Gebiet ereignen und auf menschliche Eingriffe zurückzuführen sind.
Hauser stellt in seinem Referat das risikobasierte Risikomanagement im Spannungsfeld des Klimawandels vor. Die Auswirkungen stellen sich weit schneller ein als befürchtet. Seit 1970 hat die mittlere Jahrestemperatur in der Schweiz stark zugenommen.
Die Schweiz ist im europäischen Vergleich wegen der Topografie besonders stark betroffen. Vierzig Prozent der Strecken der SBB sind gefahrenexponiert. Allein auf der Gotthard-Nordrampe der SBB befinden sich 3’000 schützenswerte Objekte.
Die SBB messen dem Schutz vor Naturgefahren grosse Bedeutung zu und wenden pro Jahr über CHF 30 Mio. für Schutzbauten auf. Bei der Analyse der Risiken setzen die SBB stark auf GIS-gesteuerte Risikomodellierung. Die Fortschritte und die Präzision der Satellitenaufnahmen sind enorm. Sie lassen Geländeveränderungen im Millimeterbereich erkennen. Besonders gefährdet im Kanton Uri ist das Massiv der beiden Windgällen. Hier verschieben sich grosse Gesteinsmassen über fünf Millimeter pro Jahr. Ganz wichtig ist, dass Risikosituationen mit Warn- und Alarmsystemen begegnet werden kann. Flankierend kommt die Geosensorik zum Einsatz. Anhand von atemberaubenden konkreten Beispielen aus der Praxis erläutert Hauser die Umsetzung von ein paar Massnahmen im Gelände. Abschliessend stellt Hauser eine gegenläufige gesellschaftliche Entwicklung im Spannungsfeld des Klimawandels fest – einer Zunahme der Risiken und der Kosten der Schutzmassnahmen steht eine abnehmende Risikotoleranz der Bevölkerung entgegen.
Die ausgefeilten technischen Hilfsmittel machen die Lagebeurteilung durch den Menschen der Risikosituationen keineswegs obsolet. Die besonders gefährdeten Stellen werden regelmässig im Gelände und aus der Luft von Experten beurteilt. Ein Helikopterflug von Andermatt zum Oberalpass verschafft die Möglichkeit, sich von der furchterregenden Gefahrenzone bei den Windgällen persönlich ein Bild zu machen.
Herausforderungen Naturgefahren – und wie geht die RhB damit um?
Nach der Fahrt vom Oberalppass nach Ilanz begrüsst uns Simon Rageth, Bereich Kommunikation der RhB, zum Infoblock der RhB. Rageth führt aus, dass die RhB als Gebirgsbahn den Naturgefahren stark ausgesetzt ist. Über dreissig Prozent des Streckennetzes liegen über 1’500 Meter über Meer. In den letzten 130 Jahren hat die RhB eine reiche Erfahrung im Umgang mit Naturgefahren und Schutzmassnahmen erworben. Die Länge der Schutzmassnahmen entlang der Strecken der RhB beträgt 62 Kilometer (Streckennetzlänge ca. 400 km). Manche der Massnahmen sind von Auge kaum erkennbar. Auch die RhB schätzen den Schutzwald als wirksame und kostengünstige Massnahme. Die RhB lassen sich dem Schutz ihrer Infrastruktur viel kosten, nämlich jährlich fast CHF 8 Mio.
Gilbert Zimmermann, Leiter Bahndienst Nord der RhB, führt mit einem kurzen Film in die Problematik ein. Am Beispiel der Brücke über den Carrerabach beschreibt Zimmermann eine besonders kritische Gefahrenstelle. Seit ihrem Bau vor rund zwanzig Jahren wird die Brücke regelmässig überflutet. Vor einigen Jahren fuhr ein Zug auf einen Schuttkegel und entgleiste. Die Räumung der Brücke und die Wiederherstellung der Bahnanlage verursachen jedesmal Kosten von etwa CHF 400’000.-. Ein dauerhafter Schutz gegen die Überflutung der Brücke wäre nur mit unverhältnismässig hohen Kosten möglich. Oft kann die Wassermenge und die Menge des darin mitgeführten Gerölls kurzfristig stark anschwellen. Die Gefahr wird durch Überwachungs- und Alarmsysteme ständig beobachtet. Zusätzlich überwachen bei Unwettern zwei Mitarbeiter der RhB die besonders exponierten Gefahrenstellen. Trotz dem fortgeschrittenen Einsatz von technischen Überwachungssystemen werden alle Strecken der RhB regelmässig von Fachleuten zu Fuss begangen – im Sommer alle zwei und im Winter alle vier Wochen. Zimmermann hält fest, dass sich die Perioden der Grossereignisse, wie beispielsweise die Jahrhundertereignisse, dramatisch verkürzt haben – teilweise um den Faktor 10. Erstaunlich ist, dass die Schäden von plötzlich auftretendem Starkregen bei trockenen Böden höher ausfallen als bei feuchtem Untergrund.
Das Flussbett des Carrerabachs wird regelmässig ausgebaggert. Die enormen Mengen von Kies dürfen aber nur bei gewissen Bedingungen in den Rhein geschüttet werden. Bei Sperrzeiten muss der Kies weggeführt und anderweitig abgelagert werden. Zurzeit kann der Kies für die Hinterfüllung der in der Nähe liegenden «Aulta»-Galerie verwendet werden. Zu diesem Zweck wurde ein provisorischer Bahnanschluss geschaffen.
Am Beispiel der Galerie «Aulta» in der Ruinalta erläutert Markus Kunz, Projektleiter, wie die RhB den integralen Steinschlagschutz zwischen Versam-Safien und Trin umsetzen. Die an dieser Stelle besonders gefährdete Strecke wird auf einer Länge von rund 900 Metern wirksam gegen den Steinschlag geschützt. Etwa 600 Meter werden mit unterschiedlich konfektionierten Schutznetzen geschützt, und in schwierigem Gelände wird eine 295 Meter lange Galerie gebaut. Der nicht gefestigte Untergrund erfordert eine aufwendige und entsprechend teure Verankerung im Untergrund. Ein Meter dieser Galerie kostet rund CHF 60’000.-. Neben den bauphysikalischen Anforderungen wurde der architektonischen Gestaltung und der Farbgebung der Galerie besondere Beachtung gewidmet.
Abschliessende Bemerkungen
Beeindruckend, mit welcher Sorgfalt und Kompetenz sich die besuchten Bahnen vor Naturkatastrophen schützen. Die vergleichsmässig wenigen Unfälle auf den Gebirgsstrecken belegen das erfolgreiche Wirken. Die Bahnen profitieren dabei aber auch von den grosszügigen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Das sind Verhältnisse, von denen die Zuständigen für die Infrastruktur der SBB im Flachland nur träumen können. Besonders wenn man den projektierten Tunnel von Täsch nach Zermatt mit der einspurigen Langsamfahrstrecke zwischen Mühlehorn und Tiefenwinkel am Walensee vergleicht.
Am 12. Oktober 2023 hat die ÖBB Personenverkehr AG (ÖBB PV) die Übernahme der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH (Go-Ahead D) angekündigt. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Die Zustimmung der Wettbewerbsbehörden zur Übernahme steht aus. Einwände sind kaum zu erwarten. Go-Ahead wird gemäss den Verlautbarungen ihre Eigenständigkeit nach Aussen bewahren. Der Vollzug der Übernahme soll bis Ende 2023 erfolgen.
Aus unserer Sicht eine überraschende und weitreichende Transaktion. Mehr dazu und ein kurzer Kommentar in diesem Bericht.
Überblick über die Go-Ahead Gruppe
Die Go-Ahead-Gruppe ist ein bedeutendes Personenbeförderungsunternehmen mit Sitz im englischen Newcastle. Sie betreibt in mehreren Ländern Bus- und Eisenbahnverkehr und ist in weiteren Geschäftsfeldern aktiv. Im Jahr 2021 betrug der Umsatz der Go-Ahead-Gruppe GBP 4’058.5 Mio. Das Betriebsergebnis belief sich auf GBP 115.5 Mio. und der Reingewinn auf GBP 40.7 Mio. Go-Ahead beschäftigte 2021 weltweit 30’573 Mitarbeiter.
Gegründet wurde die Go-Ahead-Gruppe 1987 im Zuge der Privatisierung der englischen National Bus Company. In den folgenden Jahren wuchs die Gruppe dynamisch. 1994 wurde die Go-Ahead-Gruppe an der Londoner Börse kotiert.
Im Jahr 1996 wurde die Go-Ahead-Gruppe im Eisenbahnmarkt aktiv. Auf den Erwerb der Franchise für die Thames Trains folgten weitere Übernahmen.
Ein Joint-Venture in den USA für den Betrieb von Schulbussen in St. Louis, Missouri, wurde 2014 nach nur vier Jahren abgebrochen. Damit fand die kurze Expansion in die USA ihr Ende.
Ab 2015 expandierte die Go-Ahead-Gruppe intensiv ins Ausland, und zwar für die Personenbeförderung sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene. 2016 erhielt die Go-Ahead-Gruppe den Zuschlag für den Betrieb von zwei Eisenbahnlinien in Deutschland. Damit verbunden war die Gründung der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH.
Die Gründerjahre der Go-Ahead-Gruppe verliefen teilweise erratisch. Käufe und Verkäufe wechselten in kurzer Folge. 2021 kündete das britische Verkehrsministerium der Go-Ahead-Gruppe eine bedeutende Franchise, nachdem bei einer Prüfung finanzielle Unregelmässigkeiten festgestellt wurden. Die Go-Ahead-Gruppe hatte über GBP 25 Millionen unrechtmässig einbehalten. Weitergehende Abklärungen ergaben, dass weitere Unrechtmässigkeiten begangen wurden, wodurch sich der finanzielle Schaden durch Rückzahlungen und Bussen auf gegen GBP 80 Millionen erhöhte.
In der Folge trat der Finanzvorstand zurück und ein australisch-spanisches (!) Konsortium kaufte die Aktien der Go-Ahead-Gruppe für GBP 669 Mio., worauf die Aktien von der englischen Börse dekotiert wurden.
Überblick über die Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH
Go-Ahead D erbringt Leistungen in mehreren deutschen Verkehrsverbünden, unter anderem in Baden-Württemberg und in Südwest-Bayern. 2022 wurden über 20 Millionen Zugkilometer produziert. Im Raum Stuttgart gehört Go-Ahead D zu den wichtigsten Anbietern im S-Bahn- und im Regionalverkehr. Go-Ahead D betreibt die im Zusammenhang mit Stuttgart_21 neu eingeführten Metropolitan-Expresszüge MEX.
Vor allem im Grossraum Stuttgart verlief der Betriebsbeginn von Go-Ahead D holperig und war gekennzeichnet von Unvermögen und Pannen. Wegen Personalmangel fielen zahlreiche Züge aus, oder die DB musste mit ihren Lokführern einspringen. Als Folge der Probleme erwog Baden-Württemberg die Bildung eines eigenen Pools mit Lokführern, um Personalausfällen bei Go-Ahead D und weiteren EVU interimistisch zu begegnen.
Go-Ahead D hatte für den Betrieb in Deutschland 144 Triebwagenzüge bestellt, die grösstenteils bereits abgeliefert wurden. Davon stammen 88 Flirt-3 Züge von Stadler Rail in verschiedenen Ausführungen und 56 Triebwagenzüge von Siemens.
Go-Ahead D beschäftigt rund 1’000 Mitarbeitende. Angaben zu finanziellen Kennzahlen wie Umsatz, Betriebsergebnis und Gewinn liegen nicht vor.
Kommentar
In der mitteleuropäischen Eisenbahnlandschaft wahrlich ein kleines Erdbeben. Mit der Übernahme von Go-Ahead D treten die ÖBB nach dem Nachtzugverkehr kraftvoll in den europäischen Nahverkehrsmarkt ein. Zudem wird eine private Firma von einem staatlichen Unternehmen übernommen. Damit zieht die ÖBB mit anderen europäischen Staatsbahnen gleich, wie etwa mit der SNCF, DB Arriva, Trenitalia oder NS.
Man kann sich fragen, weshalb die DB Regio AG nicht zum Zuge kam. Aus meiner Sicht hätte dies nahe gelegen.
Und es wird spannend sein zu beobachten, ob und wie die ÖBB Personenverkehr AG die latenten Probleme bei der Go-Ahead D lösen wird. Dazu kommt, dass die Signaltechnik nach der Inbetriebnahme von Stuttgart_21 auf ETCS Level 2 umgestellt wird. Wohl ein Kraftakt sondergleichen.
Die Bahnjournalisten Schweiz führten in Zusammenarbeit mit RAILplus am 29./30. August 2023 eine ausserordentlich interessante und intensive Studienreise zu den Meterspurbahnen im französischsprachigen Jurabogen durch.
Gerne fasse ich in diesem Bericht mit dem besten Dank an den Reiseleiter, RAILplus und die besuchten Bahnen meine Eindrücke von der Studienreise zusammen.
Überblick
Unter der Leitung von Kurt Metz und mit Unterstützung durch Joachim Greuter, Geschäftsleiter von RAILplus, wurden folgende Bahn- und Transportunternehmen besucht:
Nyon – St. Cergue – Morez (NStCM)
Morges – Bière-Cossonay (MBC)
Lausanne – Echallens – Bercher (LEB)
Yverdon – Les Bains – St. Croix (TRAVYS)
Transports publics neuchâtelois (transN)
Chemins de Fer du Jura (CJ)
Der Empfang und die Gastfreundschaft der Bahnen für die zwölfköpfigen Delegation der Bahnjournalisten waren überwältigend. Die Geschäftsleiter der Bahnen präsentierten ihre Unternehmen persönlich und standen für Fragen zur Verfügung. Daneben bot die Exkursion Gelegenheit, Eindrücke von der schönen Juralandschaft zu gewinnen und sich untereinander auszutauschen.
Zusammenfassend präsentierten sich die Bahnen in einem sehr guten Zustand. In den letzten Jahren wurden in verschiedener Hinsicht grosse Fortschritte erzielt. Das gilt sowohl in Bezug auf die Infrastruktur, das Rollmaterial als auch den Auftritt der Bahnen. Die präsentierten Projekte zeugen von einem gesunden Selbstvertrauen und von Zuversicht für die Zukunft.
Unterschiedlich ist der Detaillierungsgrad der abgegebenen Unterlagen oder der über das Internet verfügbaren Informationen. Das gilt in besonderem Mass für den Detaillierungsgrad und die Aussagefähigkeit der Geschäftsberichte. Hier besteht vor allem bei der transN, wo nur sehr pauschal über die Entwicklung der Fahrgastzahlen oder der Personenkilometer berichtet wird, Handlungsbedarf. Trotz mehrfachen Anfragen beim Unternehmen, beim statistischen Amt des Kantons Neuenburg oder beim BAV, konnten die Leistungsdaten von transN nicht beigebracht werden.
Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zum Kanton Waadt die Kantone Jura und Neuenburg ihre (kantons-) eigenen Transport- und Bahnunternehmen unter einem Dach zusammengefasst haben. transN und CJ stellen neben SBB und Postauto den überwiegenden Teil des öffentlichen Verkehrs in ihren Kantonen sicher.
Grosse Unterschiede bestehen bei den Kostendeckungsgraden von einzelnen Angeboten. Zudem stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung von Angeboten. Ist es nachhaltig, die Eisenbahnstrecken von Apples nach L’Isle (mit einem Kostendeckungsgrad um 10 Prozent) oder von St. Cergue nach la Cure in Anbetracht der geringen Frequenzen weiter zu betreiben? Zumal beispielsweise eine Busverbindung von Apples über L’Isle nach Cossonay die Erschliessung der Region mit ihrer gestreuten Besiedlung oder weitab von Bahnhöfen gelegenen Dörfern substantiell verbessern würde.
Auch kann man bezüglich der Angemessenheit von Projekten oder Absichten geteilter Meinung sein. So zum Beispiel das Weiterführen der Züge der schmalspurigen Züge CJ von Glovelier nach Delémont auf einem Dreischienengleis auf der Strecke der SBB oder das projektierte monumentale Bahnhofsgebäude von Bière.
Bei der Beantwortung dieser kritischen Fragen darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Bahnen gerade in weniger strukturstarken Regionen einen wesentlichen Teil zur regionalen Wertschöpfung beitragen oder Hoffnungsträger sind. Ein abendlicher Spaziergang durch St. Croix führte dies vor Augen. Etliche Gebäude im einst bedeutenden Industriezentrum und Touristenort wirken verwahrlost – einzig der Bahnhof und die Umgebung heben sich positiv vom Umgelände ab.
Eindrücklich, mit welcher Begeisterung uns in Les Ponts-de-Martel der Leiter der Werkstatt von transN für die meterspurige und knapp 16 Kilometer lange Meterspurbahn nach La Chaux-de-Fonds seinen Betrieb vorstellte. In Anbetracht der Geographie und des Kostendeckungsgrades dieser Eisenbahnstrecke von 20.5 Prozent könnte eine Umstellung auf Busbetrieb oder – mindestens – eine Fusion mit den Chemins Fer du Jura CJ angezeigt sein.
Betriebliche Kennzahlen 2022
Die Zahlen belegen, dass mit Ausnahme der NStCM und der CJ die Bahnen in Verkehrsunternehmen eingebunden sind, in denen sie nur einen geringen Teil der Transportleistung erbringen. Teilweise bestehen zwischen der SBB und den Jurabahnen komplexe Verhältnisse – so wie im Vallée de Joux oder im Val de Travers.
Finanzielle Kennzahlen 2022 im Überblick
Die Kostendeckungsgrade weichen teilweise von den publizierten Zahlen der Bahnen ab, da der Aufwand auch die Investitionen in Anlagen und Rollmaterial enthält. Das gilt in besonderem Mass für die LEB, welche in der TL-Gruppe (Transport de la Ville de Lausanne) eingebunden ist. Die Zahlen lassen vermuten, dass die Kostendeckungsgrade der Busse über denjenigen der Bahnen liegen.
Bemerkenswert ist, dass die CJ mit drei Tarifverbünden kooperiert, nämlich Onde Verte (Neuenburg und Berner Jura), Vagabond (Jura) und Libero (Bern und Solothurn).
Abschluss
Abschliessend nochmals ein grosses Dankeschön an alle, die zum Erfolg dieser gehaltvollen Studienreise beigetragen haben. Vielen Dank auch an die Bahnen für die Nachlieferung von Informationen.
Am Montag, 4. September 2023, trafen sich etwa fünfzig Mitglieder des «Schweizerischen Eisenbahn-Amateur-Klubs» (SEAK) zu einer Abendrundfahrt auf dem Zürichsee. Der Ausflug stand im Zeichen der im Frühjahr 2023 beschlossenen Auflösung des SEAK per 31. Dezember 2023 – trotz dem tollen Wetter ein betrüblicher Anlass. Damit gehört ein einst bedeutender und traditionsreicher Klubs von Freunden der Eisenbahn der Vergangenheit an.
Nur eine Randnotiz? Mitnichten! Dazu in diesem Bericht ein paar Gedanken.
Kurze Geschichte des SEAK
Der SEAK wurde 1933 in Zürich von gut einem Dutzend von primär an Modelleisenbahnen interessierten Bahnenthusiasten gegründet. Der Klub erfreute sich trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds einem dynamischen Wachstum und konnte bereits 1938 das 100. Mitglied aufnehmen. Das Interesse an der «echten» Eisenbahn oder wie man sagte, an der «Grosstraktion» trat bald gleichberechtigt neben die Leidenschaft für Modelleisenbahnen. Aufbau und Betrieb einer eigenen Modelleisenbahnanlage war nie angedacht.
Wenige Jahre nach der Gründung wurden Kontakte zu anderen Vereinen mit ähnlicher Ausrichtung geknüpft, und der SEAK begann, in der Zeitschrift des «Schweizerischen Modelleisenbahn-Clubs» eigene Beiträge zu publizieren. Abspaltungen vom SEAK führten zur Gründung von weiteren Vereinen, wie etwa dem 1938 in St. Gallen gegründeten Klub.
Der Mitgliederbestand des SEAK verzeichnete in den folgenden Jahrzehnten eine stürmische Entwicklung und erreichte 1981 mit 656 Mitgliedern einen Höchststand. Neben regelmässigen Vorträgen und Zusammenkünften, zahlreichen Exkursionen und Studienreisen mit bis zu 239 Teilnehmenden wurden eine umfangreiche Bibliothek mit Fachliteratur unterhalten und unzählige Eisenbahnfachzeitschriften aus dem In- und Ausland abonniert. Diese zirkulierten mit Lesemappen unter interessierten Mitgliedern. Im Jahr 1978 wurde mit dem «Anschlussgleis» ein eigenes Vereinsorgan publiziert. Das 40-jährige Jubiläum des SEAK wurde 1973 auf dem Dampfschiff «Stadt Rapperswil» mit gegen 600 Gästen gefeiert. Unter den Mitgliedern befanden sich mehrere Persönlichkeiten, die in der Bahnwelt einen guten Namen und viel Einfluss hatten.
Nach dem Höchststand im Jahr 1981 nahm der Mitgliederbestand kontinuierlich ab. Das 150-jährige Jubiläum der Schweizer Bahnen führte zwar zu einer kurzfristigen Trendwende, jedoch ohne nachhaltige Wirkung. Die Mitgliederzahl sank trotz engagierten Werbemassnahmen weiter.
Das Klublokal an der Gessnerallee wurde 1986 aufgegeben. Bis kurz vor der Auflösung unterhielt der SEAK in einem ehemaligen Dienstgebäude der SBB beim Bahnhof Tiefenbrunnen ein Lokal für kleinere Treffen und für die umfangreiche Bibliothek.
Mit dem sinkenden Mitgliederbestand verbunden war die Erhöhung des Durchschnittsalters der Mitglieder. Im Jahr vor der Auflösung befanden sich unter den rund 170 Mitgliedern 131 Veteranen mit 25 und mehr Mitgliedschaftsjahren.
Mehrere Initiativen zur Gewinnung von neuen Mitgliedern verliefen erfolglos, und die Besetzung der Vorstandsfunktionen gestaltete sich zusehends schwieriger. Der Vorstand bestand zum Zeitpunkt des Beschlusses zur Auflösung nur noch aus drei Mitgliedern, die mit einen enormen Arbeitspensum konfrontiert waren.
Um der schleichenden Auflösung ein Ende zu setzen, wurde am 15. April 2023 an einer ausserordentlichen Generalversammlung beschlossen, den SEAK per Ende 2023 aufzulösen.
Folgerungen
Ein bitteres Ende eines einst stolzen und einflussreichen Vereins! Das Ende steht beispielhaft für eine bedrohliche Entwicklung im Eisenbahnwesen.
Erinnern wir uns. Einst umfasste der legendäre Katalog des Spielwarenhauses Franz-Karl Weber knapp ein Dutzend Seiten über Modelleisenbahnen und Zubehör. Namen wie Märklin, Fleischmann, HAG, Trix, Kleinbahn, Fulgurex, Pocher oder Faller waren allgemein bekannt. Auch die Auslagen und die Schaufenster in den Warenhäusern waren dicht bestückt mit Lokomotiven und Wagen. Fast jedem Schüler in unserer Region waren die Bezeichnungen und die Leistungsdaten der schweizerischen Lokomotiven geläufig.
Das alles gehört der Vergangenheit an. Spielzeugeisenbahnen sind wieder die exklusive Leidenschaft einer meist älteren und kaufkräftigen Gruppe geworden – die Eisenbahn ist bei vielen jugendlichen Menschen aus dem Blickfeld verschwunden. So, wie der SEAK und andere eisenbahnaffine Organisationen.
Die Eisenbahn hat die Jugend und viel an Attraktivität für den potentiellen Nachwuchs verloren. Das ist kein gutes Omen für das Prosperieren und für die zukünftige Entwicklung der Eisenbahn. Der von Vincent Ducrot erwähnte Sachverhalt, dass die SBB bis 2030 vierzig Prozent ihres Personals altersbedingt ersetzen müssen, erweckt Besorgnis. Für viele Eisenbahner war ihre Tätigkeit nicht Beruf, sondern Berufung. Dieses Bewusstsein setzte bereits in der Jugend ein. Und genau dieses Fundament ist bedroht.
Kommentar
Ich wurde 1983 als 1188. Mitglied in den SEAK aufgenommen und bin somit eines der über 1’200 Mitglieder, die dem SEAK angehörten oder noch angehören. Möglicherweise sind die Ausführungen in diesem Bericht subjektiv gefärbt. Mag sein.
Aber es wäre der zukünftigen Entwicklung der Eisenbahn in der Schweiz möglicherweise zuträglicher, wenn man den Fokus vermehrt weg von der Schiene und von den Fahrzeugen auf die oben beschriebenen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen legen würde und Gegensteuer gäbe. Aus meiner Sicht stehen hier vor allem die SBB in der Pflicht.