Innovatives Gleissmessverfahren bei der Zentralbahn

Am 21.2.2019 präsentierte die Zentralbahn (zb) ein neues Gleismessverfahren im Einsatz, das in Westeuropa erstmalig zur Anwendung kommt. Das Gleismessverfahren ist in einem normalen Triebzug (Bild 1) eingebaut und vermisst die Gleislage und das Schienenprofil während der normalen Fahrten. Laut Hersteller wird alle 25 Zentimeter ein vollständiges Profilbild des Gleises bei der Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erstellt. Im Gegensatz zu ähnlichen Systemen können auch dynamische Effekte, wie die Verformung des Gleises bei der Drüberfahrt erfasst werden.

Bild 1 (Foto zb)

Das Gleis wird mit sechs Lasern abgetastet (Bilder 2 und 3). Diese sind kastenfest im Unterboden des Fahrzeugs eingebaut. Die Relativbewegung des Kastens zum Gleis wird kompensiert. Die Daten werden on-bord gespeichert. Diese können während des Stillstandes ausgelesen werden. Die Verarbeitung erfolgt derzeit noch off-line in Russland bei der Lieferfirma, die über die entsprechende Auswertesoftware verfügt.

Bild 2 (Foto zb)
Bild 3 (Foto zb)

Laut zb wird so etwa alle drei Wochen das gesamte Netz von etwa 100 km Länge der zb erfasst. Bislang wurde das Netz nur einmal jährlich mittels eines Gleismessfahrzeugs (Stopfmaschine) und mittels visueller Kontrolle untersucht (Bilder 4 und 5). Die Vermessungskosten liegen tiefer als beim herkömmlichen System mit einem speziellen Messwagen und visueller Kontrolle.

Bilder 4 und 5 (Foto zb)

Darüber hinaus wird der Gleiszustand öfters und zeitnaher ermittelt als bisher und kann auch im jährlichen Bericht an das BAV zur Dokumentation des Infrastrukturzustandes verwendet werden. Dank der häufigeren Messfahrten kann in Zukunft auch eine Prognose zur Entwicklung des Gleiszustandes erstellt werden. Bei der zb werden die Gesamtkosten auf  etwa 650‘000 CHF geschätzt. Man erwartet mittelfristig eine Reduktion bei den Erhebungskosten und im Fahrbahnunterhalt.

Weitere Vermessungen, etwa des Fahrdrahtzustandes sind in Abklärung.

Hersteller ist die russische Firma Infotrans, die in Samara (Russland) beheimatet ist. Laut Hersteller befindet sich das System in Russland schon seit etwa 2015 im Einsatz, u.a. auf den Magistralen von Moskau nach Petersburg oder von Moskau nach Wladiwostok. Dort werden Geschwindigkeiten bis 200 km/h gefahren. Die Firma baut schon seit 1992 Gleismesszüge. Laut Hersteller ist die zb in Westeuropa die erste Bahn, die mit einem solchen System arbeitet.

In letzter Zeit wurden ähnlich Systeme vorgestellt. Auch die SOB hat seit Juni 2018 einen Regionaltriebzug FLIRT (siehe Schweizer Eisenbahn-Revue SER 12/2018, S. 626-627) mit einem Gleismesssystem ausgestattet. Dieses System arbeitet mit Beschleunigungssensoren, die auf einem Achslagergehäuse montiert sind. Dieses System wird in Zusammenarbeit mit DB Systemtechnik und den SBB erprobt. Damit können aktuell 247 km Normalspurgleis der SOB und SBB überwacht werden. Laut SER kostet die Fahrzeugausrüstung etwa 150-200‘000 CHF. Die SOB rechnet insgesamt mit Investitionen von 600‘000 CHF, was in der gleichen Grössenordnung liegt, wie beim System der zb. Bei eingespielten Betrieb rechnen die SOB mit Kosten von 40‘000 CHF pro Jahr.

Das Verfahren mit den Beschleunigungssensoren dürfte weniger umfassende Informationen zum Gleiszustand liefern. Aus technischer Sicht wird wohl eine Kombination der beiden Verfahren das Optimum liefern. Die Integration der Beschleunigungssensoren in die bordseitige Elektronik des Lasermessverfahrens dürfte wenig Mehraufwand auslösen. Die kontinuierliche Messung des Gleiszustande erlaubt eine wesentlich zeitnähere Erfassung von Fehlerstellen im Gleis und an den Schienen und trägt zu einer wesentlich besseren Aussagekraft des jährlichen Netzzustandsberichts bei.

Elektronische Billetterfassung

Ausgangslage

Das einst sehr einfache und überschaubare Billettsystem der Schweiz ist zu einem Wirrwarr verkommen. Es ist mittlerweile so kompliziert, dass selbst Vielfahrer (oder Bahnmitarbeiter, wie der Autor selber feststellen konnte) Mühe haben, an einem Automaten das richtige Billett zu lösen. Jeder Verbund hat seine eigene Tarifstruktur. Ohne Kenntnis des genauen Reisewegs tappt man im Ungewissen (und oft auch in die Bussenfalle), Alternativrouten sind ausgeschlossen, „Verbundgrenzen überschreitende“ Fahrten können zur Falle werden, Automaten sind manchmal ausser Betrieb, ohne Kenntnis des genauen Ortsnamens findet man etwa eine bestimmte Bushaltestelle am Billettautomaten nicht.

Es ist unbestritten, dass ein einfaches und transparentes Billettsystem eine grundlegende Voraussetzung für die Akzeptanz des öV ist. Umgekehrt ausgedrückt, hält ein kompliziertes System, wie wir es heute kennen, Gelegenheitsfahrer von der Benutzung des öV ab.

Im Gegensatz dazu bietet beispielsweise das GA einen äusserst einfachen Zugang zum öV. Ich kenne einige Rentner, die sich das GA nur deshalb leisten, obwohl sie es kaum ausnutzen, weil es einfach in der Handhabung ist und die mühselige Bedienung der Billettautomaten erübrigt. Nicht umsonst wird die Idee des GA zunehmend auch im Ausland studiert und teilweise sogar ungesetzt (mindestens regional).

Wer über kein GA verfügt, und das ist die grosse Mehrheit, ist auf die Billettautomaten oder, soweit noch vorhanden, den Billettschalter angewiesen. Das ist der weit grössere Teil der Kundschaft. Ein GA haben etwa 450‘000 öV-Benützer. Weitere gut 2 Mio. Benutzer haben ein Halbtaxabo. Ob Halbtax oder Vollpreis: in beiden Fällen muss das Billett mühsam am Automaten oder dem Schalter erstanden werden.

Automat

Neue Lösungsansätze

Aus Sicht des Kunden sollte das Billettsystem, besser gesagt seine Handhabung, einfach sein. Es muss nicht einmal zwingend transparent sein. Aus Sicht der öV-Betreiber soll die Abrechnung einfach und die Tarifgestaltung flexibel sein. Die heutigen Möglichkeiten der Elektronik gestatten, ein solches System zu entwickeln.

Wie könnte so ein System aussehen? Man könnte als Fahrgast eine Chipkarte erwerben, auf der alle Fahrten automatisch und ohne Zutun des Fahrgastes abgebucht werden. Ob dies eine Prepaidkarte ist oder ob die Abrechnung durch Abbuchung auf einem Konto erfolgt ist nebensächlich. Alle Fahrzeuge müssten mit entsprechenden Kontrollgeräten ausgerüstet sein, etwa im Türbereich. Tritt ein Fahrgast in das Fahrzeug ein wird seine Anwesenheit automatisch und drahtlos erfasst. Der Fahrgast merkt nichts davon. Er muss einfach den Chip auf sich tragen. Ein Fahrzeug müsste also an allen Eingängen solche Erfassungssensoren haben. Bei einem Bahnfahrzeug wären es beispielsweise sechs Sensoren pro Wagen, vier für die Türen und zwei für die Durchgänge. Die Durchgänge müssen deshalb mit Sensoren ausgerüstet sein, um Klassenwechsel erfassen zu können (auch wenn man vom 1.-Klasse-Wagen in den Speisewagen wechselt, würde automatisch der 2.-KlasseTarif verrechnet!). Nach dem Einstieg erfassen die Sensoren laufend oder in bestimmten Zeitabständen, ob sich der Fahrgast noch im Wagen befindet. Entsprechend werden die gefahrenen Kilometer abgebucht. Steigt er aus, so registriert das der Sensor an der Türe oder der Sensor im Wagen stellt die Abwesenheit des Fahrgastes fest. Man kann sogar auf die Sensoren an den Ein- und Durchgängen verzichten, wenn im Inneren des Fahrzeugs vorhandene Sensoren beispielsweise alle 2 Minuten die Anwesenheit des Fahrgastes erfassen.

Bei der Prepaid-Karte werden die gefahrenen Kilometer resp. der Preis laufend abgebucht. Bei der externen Abbuchung meldet das System die gefahrenen Kilometer der Buchungsstelle und es wird beispielsweise Ende Monat Rechnung mit der detaillierten Auflistung aller Fahrten gestellt oder einfach abgebucht. Aus Sicht des Kunden äusserst einfach. Es passiert alles im Hintergrund ohne sein Zutun. Und man verliert keine Zeit mit dem Kauf eines Billetts.

Aus Sicht der Verkehrsunternehmen erlaubt das System eine sehr hohe Flexibilität in der Tarifgestaltung. So kann beispielsweise ein degressiver Tarif eingebaut werden, wie er etwa im Südtirol besteht. Je mehr man fährt, desto billiger wird jeder zusätzlich gefahrene Kilometer. Die gefahrenen Kilometer können exakt den benutzten öV-Unternehmen zugeordnet werden. Dabei ist nicht einmal ein Einheitstarif für alle öV-Unternehmen nötig. Ja selbst die Tarifarithmetik kann individuell den einzelnen Unternehmen angepasst werden. Des Weiteren können tageszeitliche Tarifvariationen eingebaut werden. Auch Sonderaktionen sind möglich, etwa dass die erste Klasse an Samstagen und Sonntagen einen geringeren Aufschlag erhält als an Arbeitstagen.

Als Nebeneffekt würde auch das nervende Problem entfallen, dass vor allem Schüler sich in den Vorräumen der Erste-Klasse-Wagen aufhalten und von dort kaum zu vertreiben sind. Dann würde nämlich automatisch der höhere Ersteklasse-Tarif abgebucht.

Man könnte sogar zwischen sitzenden und stehenden Passagieren unterscheiden. Im letzteren Falle könnte ein reduzierter der Tarif verrechnet werden.

Was machen wir bei Ausländern, etwa Feriengästen? Hier greift die Prepaid-Karte. Diese kann entweder schon im Ausland erworben werden oder dann an der Grenze in der Schweiz. Hier habe ich mit dem Octopus-System in Hongkong gute Erfahrungen gemacht. Das dortige System ist ein Prepaid-System und arbeitet ebenfalls mit einem Chip, der an den Eingängen zur Bahn oder zum Bus an der Eingangsschranke entwertet werden muss. Hier ist noch eine geringe Aktivität des Kunden nötig. Man kann die Karte überall nachladen. Als besonderen Clou kann die Karte am Schluss sogar noch zurückgegeben werden und das Restguthaben wird ohne Abzug (!) ausbezahlt.  Für Ausländer, die das Land wieder verlassen, ideal. Mit der Octopus-Karte kann sogar eingekauft werden (etwa Getränke an einem Stand).

Selbstverständlich könnte die Karte auch für andere Zwecke, etwa Skilifte oder Museen, verwendet werden.

Kontrolle

Es stellt sich die Frage nach der Kontrolle. Ohne Kontrolle könnte ja jeder einsteigen und fahren, ohne zu bezahlen. Die Kontrolle durch einen Kondukteur gestaltet sich äusserst einfach. Er geht wie gewohnt durch den Zug und „tastet“ mit einem Kontrollgerät die Kunden resp. deren Chip ab. Stellt das Kontrollgerät einen gültigen Chip fest, ist die Sache in Ordnung. Stellt es einen fehlenden oder aufgebrauchten Chip fest, so greifen die üblichen Sanktionsmassnahmen. Dazu muss der Kunde nicht einmal den Chip hervornehmen und zeigen. Das Kontrollgerät muss einzig eine gewisse Richtungsempfindlichkeit aufweisen.

Kosten

Ein derartiges System wurde in der Schweiz schon vor etwa 10 Jahren in Basel und Genf getestet, scheiterte damals jedoch an den hohen Kosten und am fehlenden Mut. Mittlerweile sind die Kosten für die Elektronik stark gefallen, sodass mit wesentlich geringeren Kosten zu rechnen ist. In einem lesenswerten Beitrag der Schweizer Eisenbahn-Revue 4/2016, Seite 206, zu diesem Thema wird der Direktor der SOB, Thomas Küchler, dahingehend zitiert, dass die flächendeckende Einführung des Systems „..mittlerweile für einen zweistelligen Millionenbetrag zu realisieren (ist)“. Das System bietet derart bestechende Vorteile, dass es auch dann umgesetzt werden sollte, wenn die Anschaffung teurer ist.

Auf der anderen Seite werden ja alle heutigen Billettautomaten eingespart. Damit entfallen auch die laufenden Kosten zu deren Wartung.

Zusammenfassung

Die Schweiz hatte mit der Einführung des Integralen Taktfahrplans international eine Pionierrolle eingenommen. Dies brachte uns weltweite Anerkennung und Nachahmung. Immer mehr Länder übernehmen das System. Neuerdings will beispielsweise Österreich bis 2025 ebenfalls einen integralen Taktfahrplan einführen. Damit verblasst dieses Alleinstellungsmerkmal der Schweiz im ö.V. zunehmend. Mit dem oben beschriebenen BiBo-System würde die Schweiz einmal mehr eine Pionierrolle einnehmen.

Unter dem Namen BiBo wird derzeit ein System entwickelt, dass dieser Forderung nachkommt und seit 2014 bei der SOB getestet wird. Ich bin der Auffassung, dass Kundenorganisationen wie ProBahn, IGÖV oder VCS voll auf ein solches elektronisches System setzen, resp. sich dafür stark machen sollten.

BeNe-Züge: Aspekt Behindertenfreundlichkeit

Der neue NEAT-Gliederzug der SBB für die Gotthardachse wird in den Fachzeitschriften SER/ERI/ERI  6/2014 ausführlich vorgestellt. Dabei fällt die relativ geringe Platzzahl dieses 200-Meter-Zuges auf. Ein wesentlicher Teil geht auf das Konto „Behindertenfreundlichkeit“. Der Redaktor des Artikels schreibt von „brutalen Einflüssen des Behindertengleichstellungsgesetzes“. Er weist darauf hin, dass etwa 10% der Sitzplätze diesem Konzept geschuldet sind. Der Autor des genannten Artikels verweist denn auch auf die etwa  10% höheren Sitzplatzkosten. Ich habe mir die Mühe gemacht, diesen Aspekt etwas zu analysieren.

NEAT-Zug Fotomontage WPAbb. 1 Ansicht des neuen NEAT-Zuges der SBB (SER 6/2014)

Behindertenabteile unnötig grosszügig

Beim NEAT-Zug gibt es zwei Rollstuhlabteile, je eines für die 1. und die 2. Klasse. Auch die Behindertentoilette ist doppelt vorhanden und je Behindertenabteil sind zwei Spezialtüren für den niveaugleichen Zutritt vom Bahnsteig zum Anteil vorhanden. Ein Behindertenabteil nimmt inklusive Toilette und separatem Einstieg 5815 mm an Wagenlänge für 2 Rollstuhlplätze in Anspruch. Ohne das Behindertenabteil, aber mit einer normalen Toilette, könnten in diesem Bereich 24 Sitzplätze in der zweiten Klasse untergebracht werden. Weitere 6 Sitzplätze gehen verloren, weil der Durchgang zum Speisewagen in der 2. Klasse breiter gehalten werden muss. Ohne Rollstuhlabteil  könnten also in der 2. Klasse 30 normale Sitzplätze mehr eingebaut werden. Abzüglich der 2 Rollstuhlplätze „verliert“ man also 28 Sitzplätze.

BENE 2. Klasse WP

Abb. 2: Grundriss des Behindertenbereichs in der 2. Klasse (SER 6/2014). Da keine Originalzeichungen erhältlich waren, musste der Grundriss gescannt werden.

In der ersten Klasse sehen die Verhältnisse etwas weniger dramatisch aus. Dort gehen unter Berücksichtigung der zwei Rollstuhlplätze und einer normalen Toilette nur „nur“ 11 Sitzplätze verloren.

BENE 1. Klasse WP

Abb 3: Grundriss des Behindertenbereichs in der 1.Klasse (SER 6/2014

Insgesamt sind dies 39 Sitzplätze, die auf das Konto des Behindertengleichstellungsgesetzes gehen. Anstelle von 450 Sitzplätzen im ganzen Zug verbleiben nur 411 Sitzplätze. Es werden also für insgesamt 4 Rollstuhlplätze nicht weniger als 39 normale Sitzplätze geopfert.  Oder anders ausgedrückt: Ein Rollstuhlplatz beansprucht 10 normale Sitzplätze. So nebenbei liessen sich auch noch zwei Spezialtüren und eine teure Behindertentoilette einsparen. Die Sitzplatzkosten pro Rollstuhlplatz betragen somit das Zehnfache eines normalen Sitzes (ohne Berücksichtigung der höheren Kosten für die Spezialtoilette und die Spezialeingangstüren).

Die ÖBB machen es geschickter

Man kann sich schon fragen, ob hier nicht zugunsten einer sehr kleinen Gruppe unverhältnismässige Kosten generiert werden. Als Kompromiss hätte genügt, beispielsweise nur im 1.-Klasse-Teil eine behindertengerechte Einrichtung mit  4 Rollstuhlplätzen unterzubringen. Es käme weit billiger, allen Rollstuhlfahrern ein 1.-Klasse-Billett für den Preis eines 2.-Klasse-Billetts auszuhändigen oder einfach das 2.-Klasse-Billett anzuerkennen. Die österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) machen es beim Railjet vor (der Railjet entspricht bezüglich Sitzplätze ziemlich genau dem NEAT-Zug): dort befindet sich das einzige Rollstuhlabteil im Erste-Klasse-Bereich gleich neben dem Restaurant und kann auch mit einem 2.-Klasse-Billett benutzt werden (Auskunft der ÖBB vom 19.2.15). Nebenbei:  die ÖBB bieten im Railjet nur drei Rollstuhlplätze an, die nach meinen Beobachtungen nur sehr selten belegt sind.

Verhältnismässigkeit kein Begriff mehr?

Auf diese Zusammenhänge sei deshalb verwiesen, weil die Wirtschaftlichkeit der Bahnen und des ö.V. ganz allgemein zunehmend zum Problem wird. Wenn in Zukunft auch die Fernbusse mit einem Rollstuhlabteil ausgestattet werden müssten, sinkt deren Wirtschaftlichkeit prozentual noch weit stärker als bei den Bahnen. Kein Mensch verweigert den Rollstuhlfahrern eine besondere Rücksicht. Trotzdem darf das nicht ein Freipass für unverhältnismässige Vorgaben sein, zumal sich die Zahl der Rollstuhlfahrer in den Zügen in einer überschaubaren Grössenordnung hält. Der Umstand, dass im NEAT-Zug nur gerade 4 Behindertensitzplätze vorgesehen sind (d.h. also etwa 1 % aller Sitzplätze), lässt vermuten, dass der Anteil der Rollstuhlfahrer offenbar um ein Prozent herum liegt. Nach meinen persönlichen Beobachtungen sind es deutlich weniger.

Als weiteres warnendes Beispiel seien die überzogenen Vorstellungen der Behindertenverbände um das Behindertenabteil beim Doppelstock-Fernverkehrszug der SBB genannt, die zu Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe und zu mehrmonatigen Verzögerungen bei der Auslieferung der Züge führen. Oder die Diskussionen um den behindertengerechten Ausbau von Stationen mit geringem Passagieraufkommen, wo nun an deren Schliessung gedacht wird, um den kostenintensiven Auflagen des Behindertengesetzes ausweichen zu können. Dass dann die wesentlich grössere Zahl von Nichtbehinderten Umwege in Kauf nehmen muss, ist offenbar nicht von Belang.

Es geht letztlich um die Verhältnismässigkeit, ein Wort, das immer mehr aus dem politischen Vokabular verschwindet.

Erlösanteile der ersten und zweiten Klasse bei den SBB

Ausgangslage

Gelegentlich werden Stimmen laut, die die Abschaffung der ersten Klasse anregen, weil sie angeblich in der Produktion zu teuer und unrentabel sei. Dieser Behauptung sei hier nachgegangen.

Erlössituation

Laut Geschäftsbericht 2013 der SBB lag der Anteil der Erste-Klasse-Passagiere bei 20%. Die Gesamterlöse aus Fahrscheinverkäufen lagen bei 3.2 Mrd. CHF. Die Tarife der ersten Klasse liegen um 75% höher als bei der zweiten Klasse. Aus diesen Angaben lassen sich die Erlösanteile beider Klassen berechnen:

Erlösanteil 1  Klasse (Formel) Copy_Page_1

Aufgelöst nach der Unbekannten X erhält man:
X=(3.2 Mrd.CHF)/((0.8+0.2*1.75) )= 2.783 Mrd. CHF (2)
Durch Einsetzen des Ergebnisses aus (2) in Gleichung (1) erhält man die Erlösanteile der beiden Klassen:
Klasse: E_(1.Kl)=0.20*1.75*X=0.974 Mrd.CHF, Anteil 30.4%
Klasse: E_(2.Kl)=0.80*X=2.226 Mrd.CHF,Anteil 69.6%
Würden die SBB auf die erste Klasse verzichten, so würde sich der Umfang der Erlöse aus Passagierfahrten um mindestens 417 Mio. CHF reduzieren. „Mindestens“, wenn alle Ersteklassepassagiere auf die zweite Klasse umsteigen würden. Es ist aber anzunehmen, dass nicht Wenige auf das Auto umsteigen würden. Damit reduzieren sich die Einnahmen zusätzlich.

Kostensituation

Auf der anderen Seite sind die Mehrkosten für die erste Klasse anzugeben. Mehrkosten ergeben sich vor allem aus dem Fahrzeug. Die Kapitalkosten, die Reinigungs- und Wartungskosten, sowie die Energiekosten und die Kosten der Schienenbenutzung eines Ersteklassewagens sind praktisch identisch mit denjenigen eines Zweiteklassewagens. Hingegen ist der Sitzraum im Ersteklassewagen pro Sitzplatz um etwa 43% grösser (EW4)und damit die Zahl der Sitzplätze etwa 30% geringer. Die angeführten Kosten müssen demnach durch die kleinere Anzahl Sitzplätze geteilt werden und liegen damit um 43% höher. Allenfalls müssen die Kosten für Lokführer ebenfalls klassenabhängig gewichtet werden.
Die übrigen Kosten, etwa für die stationären Anlagen, Billettautomaten, Verkaufspersonal und die Schienenbenutzungsgebühren (ohne Abnutzungs- und Energiekomponente) sind hingegen gleich wie bei der zweiten Klasse.
Unter dem Strich dürften die Mehrkosten der ersten Klasse beim Fernverkehr bei gleicher Auslastung in beiden Klassen etwa im Bereich von 30% liegen (EW4). Zur Erinnerung: die Mehrerlöse liegen bei plus 75%.

Diese Zahlen gelten für den Fernverkehr. Im Nahverkehr liegen die Verhältnisse noch ungünstiger. Bei den üblichen modernen Nahverkehrsfahrzeugen, etwa dem FLIRT, dem KISS und den GTW’s ist der Platzangebot der ersten Klasse nur noch marginal grösser als in der zweiten Klasse. Beim FLIRT und beim KISS der SBB werden vier Sitze pro Reihe eingebaut (wie in der zweiten Klasse). Beim GTW lautet das Verhältnis 4:5. Die Sitzabstände im FLIRT sind einheitlich 1.80 Meter, beim KISS sind es in der ersten Klasse 2.0 Meter und in der zweiten Klasse 1.70 Meter. Beim GTW sind es einheitlich 1.65 Meter. Der Raum pro Sitzplatz ist beim GTW in der ersten Klasse noch 25% höher als in der zweiten Klasse, beim FLIRT 20% und beim KISS noch 15%. Hier bewegen sich die Mehrkosten für die erste Klasse bestenfalls im Bereich von 15-20% beim Wagenmaterial
Für die SBB sind Ersteklassepassagiere also ein gutes Geschäft.

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Softfacts

Aus Sicht des Passagiers wird die erste Klasse gewählt, weil mehr Platz, bessere Sitze, eine gediegenere Atmosphäre und weniger Lärm vorhanden sind. Die gediegenere Atmosphäre wird oft getrübt, wenn SBB-Personal mit Werkstattkleidern sich in der ersten Klasse niederlässt. Hier sollten die SBB eine klare Trennlinie ziehen: entweder Werkstattkleider und zweite Klasse oder Zivilkleidung und erste Klasse.
Der Lärm ist ein Kapitel für sich. Im Nahverkehr fehlen beim KISS im Oberdeck die Trenntüren. Der meist recht grosse Lärm der zweiten Klasse (z.B. Schüler) dringt daher ungehindert in den Passagierraum der ersten Klasse. Bei den GTW wurden bei den neueren Modellen Trenntüren eingebaut. Die Abschlusswände weisen jedoch gegen die Decke einen Spalt auf, der den Lärm ungehindert durchlässt. Von zusätzlichen Annehmlichkeiten, wie etwa Gratiszeitungen und Getränke wie im Ausland, kann der reiche Schweizer nur träumen. Ich benutze auf meinen Fahrten von Sargans nach Zürich oft den Railjet. Dort wurden anfänglich in der ersten Klasse sowohl Zeitungen als auch Getränke und ein kleiner Snack gereicht. Dann hörte der Spass plötzlich auf. Ich erkundigte mich bei der Zugbegleiterin bekam die (etwas ungnädig formulierte) Antwort: auf den SBB Strecken sei dies nicht mehr gestattet.
Aus Sicht des EVU wird angeführt, dass die erste Klasse schlecht ausgelastet sei. Wenn das stimmt (was ich bezweifle), müsste die Gefässgrösse angepasst werden. Ein EW4-Pendelzug auf der Strecke Zürich-Chur besteht in der Regel aus 5 B-Wagen und 3 A-Wagen plus Speisewagen. Wenn die Ersteklassewagen tatsächlich schlecht ausgelastet sind, müsste man einen Ersetklasswagen weniger beistellen. Ein Passagieranteil von 20% in der ersten Klasse deutet allerdings nicht auf eine zu geringe Nachfrage nach dieser Klasse hin. Im Ausland ist es bedeutend weniger. In Österreich beispielsweise sind nur etwa 5% über alle Zugsgattungen Ersteklassepassagiere, wobei anzumerken ist, dass in Österreich nur die Fernverkehrszüge überhaupt die erste Klasse anbieten. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass dies sehr lästig ist, wenn 90% der Züge keine erste Klasse aufweisen.
Nach eigenen Beobachtungen habe ich den Eindruck, dass die erste Klasse an Wochenenden deutlich weniger belegt ist als an Arbeitstagen. Auch da könnte mit etwas Fantasie und Flexibiltät eine adäquate Lösung angeboten werden, indem ein 1. Klasse Wagen am Wochenende auch für Passagiere der zweiten Klasse frei gegeben würde.

Signalsicherheit

Zur Zugsicherung auf dem Netz der SBB

Das Bahnnetz der Schweiz verfügt über ein veraltetes Zugsicherungssystem, das ein Überfahren eines Halt zeigenden Hauptsignals in weiten Teilen nicht verhindert. Zwar wird das bestehende System in den nächsten Jahren auf moderne Komponenten umgerüstet, jedoch in weiten Teilen ohne Erhöhung des Sicherheitslevels. Österreich ist da voraus. Der Autor fordert, alle Hauptsignale so aufzurüsten, dass ein Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals technisch zwingend verhindert wird.

 Die Grundform dieses Artikels basiert auf einer Studie, die der Autor zusammen mit Jean-Pierre Bäbi, Steinen, schon am 26.3.2013 im Auftrag des Zentralvorstandes von ProBahn Schweiz an das BAV gerichtet hatte. Die vorliegende Fassung wurde durch die aktuellen Entwicklungen der letzten zwei Jahre ergänzt. Er endete mit der Forderung an das BAV, alle Signalpunkte so aufzurüsten, dass ein sicherer Zugbetrieb möglich wird. Die neuesten Unfälle in Granges-Marnand   und Rafz unterstreichen die Aktualität dieser Forderung. Es sei auch auf einen Artikel in der Schweizer Eisenbahn-Revue 3/2015 verwiesen, wo BLS und SOB in etwa den gleichen Standpunkt vertreten. Bei diesen beiden Bahnen sind bereits 70 resp. 92 aller Hauptsignale zugsicherungstechnisch sicher.

Sicherheit Bahnhof Baden

Österreich macht es vor

In der Schweiz ereigneten sich auf dem Netz der SBB in den vergangenen Jahren mehrere Kollisionen zwischen Zügen, die ihre Ursache in der Nichtbeachtung von Signalen hatten. Dies zeigt auf, dass das Zugsicherungssystem der SBB nicht in allen Fällen die grösstmögliche Sicherheit bietet. Dies ist umso erstaunlicher, als die SBB auf anderen Gebieten der Sicherheitstechnik (ETCS L2, BLZ, Gefahrenüberwachungsanlagen etc.) führend sind. Aus Kostengründen rüsten die SBB nur jene Signalpunkte auf, die einem erhöhten Risiko ausgeliefert sind. Man nimmt damit bewusst in Kauf, dass an den anderen Signalpunkten Kollisionen passieren können. Ein Vergleich mit den ÖBB zeigt, dass die SBB diesbezüglich nicht ganz auf dem neusten Stand der Technik sind. Dort sind so gut wie alle Signale so ausgerüstet, dass ein unerlaubtes Überfahren von Lichthaupt- und Schutzsignalen nicht möglich ist oder dass der Zug in der Regel noch vor Erreichen des Gefahrenpunktes zum Stillstand kommt.

Stand der Signaltechnik in der Schweiz

Das Rückgrat des Zugsicherungssystems in der Schweiz bildet immer noch das nunmehr 80-jährige System „Signum“ der Firma Integra. Ab dem Jahre 1990 wurde das verbesserte System „ZUB“ eingebaut. Beide Systeme zählen zu den sogenannten punktförmigen Sicherheitssystemen. Während beim System „Signum“ das Nichtbeachten eines Vorsignals erst durch eine Zwangsbremsung am Hauptsignal abgefangen wird (und damit viel zu spät), stösst beim System „ZUB“ ein auf Warnung stehendes Vorsignal auf dem Fahrzeug eine Bremskurvenberechnung an, die eingreift, wenn der Lokführer zu wenig oder gar nicht bremst (dieses System entspricht in etwa dem deutsch-österreichischen System PZB 60). In der einfachen Version hat das System aber noch eine Sicherheitslücke. Der Lokomotivführer kann sich beim Unterschreiten einer Geschwindigkeit von 40 km/h aus der Überwachung befreien und ab da auf eigene Verantwortung weiterfahren. Überfährt er das geschlossene Hauptsignal, so wird der Zug zwar zwangsgebremst, kommt aber erst nach dem Hauptsignal zum Stillstand. Diese Befreiungsmöglichkeit ist notwendig, weil der Bremsrechner ja die Stellung des Hauptsignals nicht erkennen kann und den Zug auf ewige Zeiten festhalten würde. Im Gegensatz zum System Signum ist aber die Geschwindigkeit viel kleiner, so dass der Restbremsweg ab dem Hauptsignal geringer ausfällt. Man nennt den Abstand vom Hauptsignal zum Gefahrenpunkt den Durchrutschweg. Wenn der Durchrutschweg länger als der Bremsweg ist, erfolgt keine Kollision. Die Einfachversion von „ZUB“ (und PZB) ist also sicher, sofern der Durchrutschweg vor dem Gefahrenpunkt entsprechend lang ist. In den sehr engen räumlichen Verhältnissen der Schweiz können oft keine genügend langen Durchrutschwege vorgesehen werden.

Hier hilft nun die verbesserte Version von „ZUB“ mit Schleife oder ETCS L1 mit Loop. Sie überwacht den Zug bis zum Stillstand. Damit der Zug nach dem Öffnen des Hauptsignals wieder freigegeben werden kann, wird ab ca. 200 m vor dem Hauptsignal bis zum Hauptsignal eine Kabelschleife (der sogenannte Loop) eingebaut. Dieser übermittelt kontinuierlich Informationen an die Lokomotive, u.a. eben auch die Stellung des Hauptsignals. Damit kann der Zug wieder anfahren, sobald das Hauptsignal öffnet. Bei dieser Konzeption wird der Zug auf alle Fälle vor dem Hauptsignal gestoppt. Das System hat nebenbei auch den Vorteil, dass ein Abfahren gegen ein geschlossenes Ausfahrsignal verhindert wird, sofern beim System ETCS L1 eine zusätzliche Balise verbaut wird.

Derzeit sind etwa 3200 Hauptsignale mit „ZUB“ und Schleife ausgerüstet. Weitere 1700 Signalpunkte werden im Zuge des Einbaus von ETCS L1 mit Loop aufgerüstet. Die anderen ca. 6100 Hauptsignale haben nur das „Signum“.

Warum nicht gleich „auf tutti“?

Derzeit rüsten die SBB das ganze Signalsystem auf das modernere Signalsystem „ETCS L1“ um. Diese Umrüstung erhöht allerdings nicht die Sicherheit, sondern es erfolgt im Wesentlichen nur ein Ersatz der alten Komponenten durch ETCS-Komponenten ohne Erhöhung  der Funktionalität. Hier plädiert der Autor für Schweiz ein entschlosseneres Vorgehen. Es sollen alle Signalpunkte auf Bremskurvenüberwachung mit Loop aufgerüstet werden. Damit hätte man die volle Signalsicherheit und Kollisionen wie in den vergangenen Jahren wären obsolet.

Es sei allerdings angemerkt, dass das beschriebene System bei Bremsversagen ein Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals nicht verhindern kann. Da können nur noch Entgleisungsvorrichtungen helfen. Auch Rangierfahrten werden durch das beschrieben System nicht sicherer.

Kostenrahmen

Das kostet natürlich Geld. Die SBB rüsten derzeit weitere 1700 Signalpunkte mit dem Loop auf. Damit verbleiben immer noch etwa 6100 Signalpunkte mit verminderter Zugsicherheit. Die Aufrüstung dieser 1700 Signalpunkte soll 50 Millionen Franken kosten. Das wären dann pro Signalpunkt 30’000 Franken. Die Aufrüstung der restlichen 6100 Signalpunkte würde also etwa 180 Mio. Franken kosten. Das sollte uns die Sicherheit eigentlich wert sein.

Man könnte es noch etwas billiger haben. Das deutsch-österreichische Signalsystem „PZB“ entspricht etwa dem „ZUB“ und kennt den sogenannten 500-Hz-Magneten. Dieser wird etwa 250 Meter vor dem Hauptsignal eingebaut und beschränkt die Geschwindigkeit des Zuges bis zum Hauptsignal auf 25 km/h. Auch dieses System kann das Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals nicht ganz verhindern, erreicht aber wegen der sehr geringen Geschwindigkeit einen sehr kurzen Restbremsweg. Man könnte dies beim System „ETCS L1“ ebenfalls einbauen. Aus betrieblichen Gründen ist das Konzept jedoch unbefriedigend, da der Lokführer beim Öffnen des Hauptsignalsignals weiterhin mit Schleichgeschwindigkeit bis zum Hauptsignal weiter fahren muss.

Mit früherer Umstellung hätte man viel Geld sparen können

Seit 1985 passierten auf dem Netz der SBB gegen 100 Kollisionen durch „Signalfälle“. Wenn man pro Kollision einen Schaden von 1-2 Mio. Franken annimmt, so resultiert daraus eine Schadenssumme von 100-200 Mio. Franken, also etwa die Grössenordnung der Aufrüstungskosten. Es ist zudem stossend, dass man allein Italien im Rahmen des 4-Meter-Korridors 230 Mio. Franken schenkt, aber für die umfassende Erhöhung der Signalsicherheit im Inland kein Geld frei machen will.