Ein Strohhalm namens DAK

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Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) geniesst gegenwärtig eine weit über die Fachkreise hinausgehende Aufmerksamkeit. Sie wird von ihren Befürwortern euphorisch begrüsst und als das Mittel für die Stärkung des innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Güterverkehrs bezeichnet.

Kann die DAK diesen hohen Erwartungen gerecht werden? Mehr darüber in diesem Beitrag!

Rückblick

Automatische Kupplungen sind im Güterverkehr ausserhalb Westeuropas seit Jahrzehnten im Einsatz. Sie beschleunigen das Rangieren, ermöglichen viel höhere Zuglasten und nutzen die Geleise im Vergleich mit Wagen mit Schraubenkupplungen bedeutend weniger ab. Allerdings beschränken sich die meisten automatischen Kupplungen auf das reine Verbinden oder Trennen der Züge und haben keine zusätzlichen Funktionen wie das Führen von Druckluft für das Bremsen der Wagen, die Versorgung der Wagen mit Strom oder elektronischen Daten. Automatische Kupplungen an Triebwagen für den Personenverkehr nehmen diese Funktionen bereits heute sehr wohl war, aber müssen keine oder nur geringe Zugkräfte auffangen.

Einsatz von automatischen Kupplungen weltweit, mit Angabe des Jahres der Einführung (Quelle: BMDV).

Die Bestrebungen, europaweit eine automatische Kupplung einzuführen, sind nicht neu. Bereits 1970 wurde an der europäischen Verkehrsministerkonferenz die Einführung einer automatischen Kupplung der Bauart AK69e/Intermat beschlossen, und zwar in West- und Osteuropa. Die Umsetzung dieses Beschlusses scheiterte 1973 an der Weigerung der europäischen Verkehrsminister, die dazu erforderlichen riesigen Investitionen zu subventionieren. Als Folge dieses Beschlusses zog sich Frankreich zurück und setzte auf den TGV.

Die europäischen Güterbahnen streben mit der Digitalen automatischen Kupplung (DAK) aus dem Stand heraus einen Quantensprung an. Sozusagen die Genese des berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Die DAK soll nicht nur Güterwagen mechanisch verbinden, sondern auch Druckluft-, Strom- und Datenleitungen. Darüber hinaus soll die DAK das automatische Rangieren bzw. das Verbinden oder Trennen von Güterwagen ermöglichen. Unter der Bezeichnung «DAC4EU» läuft gegenwärtig ein von mehreren europäischen Bahnen und Wagenbesitzern getragenes Grossprojekt zur Einführung der DAK. Der Steuerungsausschuss «European DAC Delivery Programme» (EDDP) hat als leitendes Gremium das Konzept der Scharfenberg-Kupplung als Basis für die DAK festgelegt. Die erste Version dieser Kupplung wurde bereits 1903 entwickelt.

Zum ersten Mal hat die Deutsche Bahn einen völlig neuen Kupplungsmechanismus für ihre Güterwagen präsentiert. Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) beschleunigt das Zusammenstellen von Güterzügen. Bild und Text wurden mit dem bestem Dank der Website von DB Cargo entnommen.

Die Scharfenberg-Kupplung Typ 10 ist unter anderem bei den TGV-, ICE- und Thalys-Hochgeschwindigkeitszügen im Einsatz. Als Pionierunternehmen hat SBB Cargo AG im Mai 2019 im nationalen kombinierten Verkehr einen Versuchsbetrieb mit einer DAK aufgenommen. Dazu wurden 100 Wagen und 25 Lokomotiven mit der «Voith-Cargo Flex»-Kupplung, einer Weiterentwicklung der Scharfenberg-Kupplung des Typs 10, ausgerüstet.

Kritik

 Das gewählte Vorgehen wird von erfahrenen Fachleuten aus der Wissenschaft und der Praxis kritisiert. So haben Prof. Dr. mult. Bernd H. Kortschak und Dipl. Ing Peter Molle am 5. April 2022 an der 47. Fachtagung «Moderne Schienenfahrzeuge» scharfe Kritik geübt. Beanstandet werden unter anderem die zu schnelle Konzentration auf einen einzigen Kupplungstyp, die zu hohe Störungsanfälligkeit, die fehlenden Betriebsversuche mit grossen Anhängelasten und die Komplexität der gewählten Kupplung. Der Auszug aus dem «Sonderheft Tagungsband» der Zeitschrift ZEV Rail steht über diesen Link zur Verfügung: ZEV 2022 DAK Kortschak Molle

Dazu kommt, dass gemäss dem Jahrbuch 2012 der schweizerischen Verkehrswirtschaft, Seite 25, eine Analyse von ETH und SBB gezeigt hat, «dass die Mehrkosten einer vollkompatiblen automatischen Kupplung über den gesamten Lebenszyklus hinweg nicht durch Produktivitätsgewinne kompensiert werden können».

Noch pessimistischer sieht es ein kritischer Beobachter, der den laufenden Massnahmen eine Alibifunktion unterstellt und ein Scheitern befürchtet. Erstaunlich ist, dass das «Deutsche Bundesministerium für Digitales und Verkehr» BMDV die Entwicklung der DAK mit nur gerade EUR 13 Millionen unterstützt. Bemerkenswert ist auch, dass die Redaktion der GRV-Nachrichten in einer Stellungnahme zu einem kritischen Beitrag über die Entwicklung der DAK die Meinung vertritt, dass aus europaweiter Warte «eine mangelnde Komptabilität kein absolutes Ausschlusskriterium sein muss.» – nota bene der DAK!

Folgerungen

Meinung gegen Meinung. Ich kann die Erfolgsaussichten der laufenden Bestrebungen für die Einführung der DAK nicht beurteilen. Mir scheint, dass wichtige europäische EVU nicht an der Entwicklung beteiligt sind. Zudem erscheint der administrative Überbau beträchtlich.

Ich teile die meines Erachtens überhöhten Erwartungen bezüglich des Potentials einer europaweit eingesetzten DAK als Mittel für die Wiederbelebung des europäischen Schienengüterverkehrs nicht. Die DAK ist höchstens eine Voraussetzung unter mehreren. Um mehr Güter auf die Schiene zu bringen, sind andere und weitreichendere Massnahmen erforderlich. Dazu zählen meines Erachtens hauptsächlich folgende Massnahmen:

  1. Substantielle Erhöhung von Zuverlässigkeit und Servicequalität. Zurzeit gelten nur 15 Prozent der Güterzüge in Deutschland als pünktlich und erreichen so ihr Ziel mit weniger als einer Stunde Verspätung. Neben den gewaltigen Verspätungen war Hupac 2022 mit zahlreichen Zugsausfällen konfrontiert.

  2. Wiedergewinnung von hochwertigen oder zeitkritischen Gütern wie beispielsweise Früchte und Gemüse durch eine qualitativ einwandfreie sprich pünktliche Transportleistung.

  3. Angleichung der Geschwindigkeit der hochwertigen Güterzüge an diejenigen der Personenzüge. Das erfordert eine Reduktion der Geschwindigkeit der Reisezüge auf gemeinsam befahrenen Strecken wie beispielsweise in den neuen Alpentunnels und die gleichzeitige Entwicklung von neuen Güterwagen für höhere Geschwindigkeiten – idealerweise für Geschwindigkeiten von 160 Km/h.

    Im Tunnel unter dem Ärmelkanal fahren die Personenzüge und die Shuttlezüge gleich schnell – nicht aber auf den von den Personenzügen mit bis über 300 Km/h befahrenen Zulaufstrecken. In der Schweiz ist es salopp ausgedrückt umgekehrt – in den langen Basistunnels verkehren die Personenzüge doppelt so schnell wie die Güterzüge. Das kostet wertvolle Trassen.

  4. Gleichbehandlung von Personen- und Güterverkehr bei der Zuteilung und Überwachung von Trassen. Grenzüberschreitende Festlegung und Sicherung von Trassen auch für den Güterverkehr. Güterzügen mit hochwertiger oder verderblicher Fracht sind gegenüber Personenzügen zu privilegieren und müssen auch bei Streiks geführt werden.

  5. Trennung von Personenfern-, Personennah- und den Güterverkehr in den Metropolitanräumen, gegebenenfalls sogar durch den Bau von neuen Strecken.

  6. Wahrheitsgetreue Kommunikation von Politikern, Bahnen und Medien an die Öffentlichkeit und die Stimmbürger. So wurde der Bau der NEAT überwiegend mit der Güterverkehrsverlagerung begründet. Auch die bewährte Lok 2000 wurde anfänglich dem Vernehmen nach mit der Traktion von Güterzügen im alpenquerenden Güterverkehr beschafft. Heute dienen beide Investitionen vorab dem Personenverkehr.

    Wichtig ist auch ein Paradigmenwechsel für den Nutzen des Schienengütertransports. Güter sollen nicht aus ökologischen Argumenten auf die Schiene verlagert werden, sondern weil der Transport zuverlässig, wesensgerecht, sicher und kostengünstig erfolgt. Der so erzielte Mehrverkehr verbessert den Modalsplit zugunsten der Schiene und trägt so wirkungsvoll zum Schutz der Umwelt bei.

  7. Kostensenkungs- und Rationalisierungsmassnahmen bei den staatlichen Güterbahnen. Der Marktanteil der nichtbundeseigenen Güterbahnen in Deutschland am innerdeutschen Schienengütertransport von inzwischen über 50 Prozent legt den Handlungsbedarf schonungslos offen. Das gleiche gilt auch für die Schweiz, belegt durch das Beispiel des EVU Rail Care von Coop oder der eindrückliche Aufstieg des EVU Widmer Rail Service (WRS). Einem innovativen Quereinsteiger aus der Gesundheitsbranche gelingt es, der Staatsbahn Marktanteile abzugewinnen!

  8. Deshalb müssen die europäischen Güterbahnen in wenigen und europaweit tätigen – und idealerweise privaten – Güterbahnen wie in Nordamerika fusioniert werden.

    Dazu müsste sich auch die Schweiz bewegen. EVU wie BLS Cargo AG oder SBB Cargo International AG müssen endlich zusammengelegt werden oder in einen grossen europäischen Carrier aufgehen.

    Konsequenzen dieser Zusammenlegung wären unter anderem a) grenzüberschreitende Güterzüge ohne Grenzaufenthalt, b) die Verkleinerung von ausgedehnten Grenzbahnhöfen und c) administrative Vereinfachungen durch den Übergang des Managements der Güterverkehrskorridore von Behörden an das jeweilige EVU.

Der Schienengüterverkehr kann in seiner Gesamtheit seine so dringend notwendige Revitalisierung nur auf europäischer Ebene schaffen – davon wird auch der wesensgerecht ausgelegte nationale Schienengüterverkehr profitieren. Um die Aufwuchsfähigkeit zu erhalten – und nur darum – muss der nationale Wagenladungsverkehr erhalten bleiben. Auch wenn er dafür vorübergehend auf Subventionen angewiesen ist.

Konklusion

Es gilt – wie gezeigt – zahlreiche und gewichtigere Probleme zu lösen als sich auf die DAK zu konzentrieren. Durch die starke Fokussierung auf die DAK – und die Möglichkeit ihres Scheiterns – geht viel Zeit verloren. Es wäre der Revitalisierung des europäischen Schienengüterverkehrs zuträglicher, wenn DB Cargo, SBB Cargo zuerst die Hausarbeiten erledigen würden, wie beispielsweise die Förderung von Qualität und Pünktlichkeit.

Man kann es nie genug wiederholen, es braucht ein dezidiertes und koordiniertes Handeln aller Beteiligter auf europäischer Ebene. Und dafür stehen die Sterne schlecht! Wie soll es der Alte Kontinent schaffen, ein effizientes Güterverkehrssystem heranzubilden, wenn es nicht einmal gelingt, eine einheitliche europäische Armee zu schaffen. Und dies trotz den hohen Ausgaben der einzelnen Staaten für die Verteidigung.

Fachmedienkonferenz 2023 Stadler Rail / FLIRT H2

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Am 16. März 2023 folgten knapp zwei Dutzend Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz der Einladung von Stadler Rail AG zur Fachmedienkonferenz 2023. Nach einem ausführlichen Überblick über den Geschäftsgang von Stadler wurde über technische Entwicklungen informiert. Nach den überaus interessanten Präsentationen bot sich Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Werkhallen am Standort Bussnang. Am Nachmittag folgten die Besichtigung und eine Probefahrt mit dem eigens für einen Betreiber in San Bernardino im Süden von Kalifornien produzierten und mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb motorisierten Flirt-Triebwagenzug.

Begrüssung durch Gerda Königsdorfer, Head of Group Communications von Stadler Rail AG

Gerda Königsdorfer, oberste Kommunikationsverantwortliche, begrüsst über 20 Medienfachleute zur Fachmedienkonferenz 2023 und zur Testfahrt mit dem Flirt H2. Sie bedankt sich fürs Kommen und für das Interesse an Stadler Rail. Im Anschluss an drei Referate haben die Teilnehmenden die Möglichkeit zu einem Werkrundgang und – am Nachmittag – zu einer Testfahrt mit dem Flirt H2, dem mit Wasserstoff angetriebenen Flirt für die San Bernardino County Transport Authority (SBCTA), eine Stadt in Südkalifornien bei Los Angeles.

Stadler Rail AG heute – Referat von Markus Bernsteiner, Group CEO

Markus Bernsteiner informiert über wesentliche Ereignisse bei Stadler. Die Firma blickt auf eine eindrückliche Expansionsphase zurück. Auftragseingang und Auftragsbestand haben 2022 neue Rekordstände erreicht. Mit Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer wurde der Verwaltungsrat von Stadler Rail AG weiter gestärkt.

Bestellungen 2022 und Bestellungsvorrat.

Markus Bernsteiner erläutert die von Stadler bearbeiteten Marktsegmente und die entsprechenden Fahrzeuge. Bemerkenswert sind die Erfolge mit der Lokomotive EURO9000, der stärksten sechsachsigen Lokomotive.

Anschliessend erläutert Markus Bernsteiner die globalen Märkte für Triebfahrzeuge. Die Zielmärkte von Stadler haben ohne China ein jährliches Volumen von rund CHF 26 Milliarden. Mit einem Umsatz von CHF 3.2 Milliarden beträgt der aktuelle Marktanteil von Stadler rund 13 Prozent – eine stolze Leistung für das relativ junge Unternehmen.

Strategische Märkte Stadler.

Eindrücklich ist auch das verhältnismässig dichte europaweite Netz von Servicestandorten. Stadler sucht die Nähe zu den Kunden. Dies ist unter anderem ein Beweis für die Servicequalität von Stadler für die eingesetzten Produkte.

Service Standorte von Stadler Rail.

Besonders stolz ist Stadler auf den Erfolg der Sparte Signaltechnik. In nur fünf Jahren wuchs dieser Bereich von fünf auf 600 Mitarbeitende, die an mehreren Standorten beschäftigt sind. Das von Stadler entwickelte «Guardia»-System für die ETCS-Infrastruktur in Fahrzeugen wurden von mehreren europäischen Eisenbahnaufsichtsbehörden homologisiert.

Produkte im Segment Signalling.

Innovation und Wachstum – Referat von Dr. Ansgar Brockmeyer, stv. Group CEO

Dr. Ansgar Brockmeyer erläutert den Nutzen der Eisenbahn als umweltfreundlichstes terrestrisches Transportsystem. Besonderes Augenmerk widmet Stadler der Förderung der Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge – unter dem Begriff der Dekarbonisierung vor allem dem Ersatz des Dieselantriebes durch umweltfreundlichere Antriebe. Anhand einer Folie zeigt Dr. Ansgar Brockmeyer das CO2-Einsparpotential der verschiedenen Antriebsarten. Überraschend tief ist mit 26 Prozent das Einsparpotential von Wasserstoff-Brennstoffantrieben, dies im Gegensatz zu 77 Prozent bei batteriebetriebenen Triebwagenzügen.

Potentiale der Dekarbonisierung.
Gesamteffizienz von Antriebskonzepten.

In Anlehnung an die bewährten GTW-Triebwagenzüge werden neu auch bei Flirt zwischen die Wagen Module mit Bestandteilen der Antriebstechnik, die sogenannten «Power-Pack», eingereiht. Diese bieten Raum für die neuartigen Energiequellen, seien es Batterien oder die Wasserstoff-Brennstoffzellen. Am Nachmittag bietet sich Gelegenheit zu einer Besichtigung und Fahrt mit einem H2-betriebenen Flirt.

Dr. Ansgar Brockmeyer beendet seine Ausführungen mit einem Überblick über die von Stadler angebotenen umweltfreundlichen Antriebssysteme und bereits damit ausgerüstete Fahrtzeuge. Bemerkenswert ist das Faktum, dass 2022 mehr Fahrzeuge für Stadtbahnen und Strassenbahnen bestellt wurden als traditionelle Vollbahn-Triebwagenzüge.

Auftragseingang 2022 nach Produktsegmenten.

Präsentation TINA – Präsentation von Dirk Schillings, CTO LRV

Dirk Schillings, CTO des Bereichs Light Rail Vehicles LRV, erläutert die Entstehungsgeschichte der Strassenbahn TINA (Total Integrierter Niederflur-Antrieb), einem neuen Verkaufserfolg von Stadler. 2017 wurde bei Stadler in Anbetracht der unsystematischen Angebotspalette von Strassenbahnen die Notwendigkeit einer Systematisierung und Vereinheitlichung erkannt. In der Folge wurde in rekordkurzer Zeit mit TINA ein völlig neues und vielfältig einsetzbares Drehgestell entwickelt, das in verschiedenen Ausprägungen und mit modularen Wagenkästen erhältlich ist.

Kennzahlen TINA.

Mit diesem Drehgestell ausgerüstete Strassenbahnfahrzeuge wurden vom Markt sehr gut aufgenommen, wie die bereits eingegangenen festen Bestellungen von 191 Fahrzeugen eindrücklich belegen. Die neuen Fahrzeuge zeichnen sich a) durch Kundenfreundlichkeit – komplett barrierefreier Boden, grosse Panoramafenster, etc. – b) Wartungsfreundlichkeit und c) übersichtliche, grosszügige und sichere Führerkabine aus.

Absatzerfolg 2022 TINA.

Rundgang durch das Werk Bussnang

Nach diesen spannenden Referaten lädt Dr. Ansgar Brockmeyer zu einem Werkrundgang ein. Neu und von den Anwesenden freudig begrüsst wird das Angebot, von ein paar ausgesuchten Standorten Bilder aufzunehmen. Das bisher geltende Verbot auf Fotoaufnahmen ist gemäss Dr. Ansgar Brockmeyer hauptsächlich auf Anforderungen der Besteller der Fahrzeuge zurückzuführen.

Beeindruckend ist die Führung durch die gut ausgerüsteten und hellen Werkshallen. Imposant ist auch die Vielfalt der Fahrzeuge in verschiedenen Fertigungsstufen. Besonders beeindruckt haben den Verfasser die Farbenpracht und die beispielhafte Ordnung und Sauberkeit in den Hallen. Neben den Fahrzeugen selbst scheint auch die Organisation des Fertigungsprozesses eine ingenieurmässige Spitzenleistung zu sein.

Nachstehend ein paar Bilder vom Rundgang.

Präsentation und Testfahrt mit dem Flirt H2 für SBCTA

Nach dem offerierten exzellenten Mittagessen besammeln sich die Anwesenden vor dem Bus zur Fahrt nach Hemishofen. Die Reise führt bei prächtigem Frühlingswetter über eher wenig befahrene Strassen über den Seerücken an den Untersee und von hier weiter über Stein am Rhein nach Hemishofen.

Heimishofen liegt an der stillgelegten Bahnstecke zwischen Etzwilen und Singen, die zurzeit nur noch von Zügen einer Museumsbahn befahren wird. Aber nicht nur – Stadler Rail darf Teile dieser nicht elektrifizierten Strecke für das Testen von Fahrzeugen benutzen.

Bahnhofsgebäude von Hemishofen.

Erwartungsvoll harren die Anwesenden vor dem Bahnhof von Hemishofen der Dinge, die da kommen sollen. Pünktlich um 14.00 Uhr nähert sich der angekündigte Star des Nachmittages, der von einem H2-Brennstoffzellenmotor angetriebene zweiteilige Flirt-Triebwagenzug. Der Zug wurde als Einzelanfertigung von der San Bernardino County-Transport Authority SBCTA für den Einsatz zwischen dem Stadtzentrum von San Bernardino und der Redlands-Universität bestellt. Wie zu vernehmen war, wurden für vier weitere Züge Vorverträge unterzeichnet, und für weitere 20 wurden Optionen vereinbart. Der Zug präsentiert sich dank der «Erlkönig-Schutzfolie» prächtig.

Soeben eingefahrener Flirt.
Führerkabine. Man beachte die Beschriftung.

Im «Power-Pack» sind drei Wasserstoff-Brennstoffzellenantriebe angeordnet. Diese liefern den Strom für den Antrieb und die übrigen Geräte des zweiteiligen Zuges. Bemerkenswert ist, dass bei Aussentemperaturen von 45 Grad fast ein Drittel der Energie für den Betrieb der Klimaanlage benötigt wird. Für die vierteiligen Züge wird das «Power-Pack» mit einem zusätzlichen Brennstoffzellenantrieb ausgerüstet.

Power-Pack.

Der Wasserstoff wird in 40 relativ kleinen Tanks mitgeführt. Der Druck beträgt bei der Füllung 350 bar, wobei die aus Kunststoff hergestellten Tanks aus Sicherheitsgründen nie völlig geleert werden dürfen. Die maximale Reichweite des Zuges liegt mit vollen Tanks bei etwa 700 Kilometern. Der Ladevorgang für alle Tanks beträgt 15 Minuten. Die beim Bremsen erzeugte Energie wird mit Batterien aufgefangen – eine umweltfreundliche Technologie, die Stadler auch bei anderen Antriebsarten einsetzt.

Für die technischen Daten des Flirt H2 wird auf den Prospekt verwiesen. Die Kosten des Zuges sind mit rund CHF 10 Mio. im Vergleich zum Dieselantrieb mit CHF 5 Mio. und mit Batteriebetrieb mit CHF 7 ½ Mio. vergleichsweise hoch. Allerdings handelt es sich beim Flirt H2 um eine Einzelanfertigung.

Kennzahlen des Flirt.

Bemerkenswert ist, dass der Zug als technologische Innovation von den Bestimmungen der «Buy American-Rule» ausgenommen ist. Zum Staunen Anlass bietet auch der Sachverhalt, dass es mit Stadler einem Schweizer Unternehmen gelungen ist, einen einzigen Zug – und erst noch als Einzelanfertigung mit einem völlig neuen Antriebssystem – in die USA zu verkaufen. Also nicht nur eine technische, sondern auch eine marketingmässige Spitzenleistung. Fast unglaublich!

Nach der intensiven Begutachtung des Äusseren und Inneren des Zuges erfolgt die Probefahrt nach dem etwa sechs Kilometer entfernten Bahnhof von Ramsen. Fast geräuschlos gleitet der Zug mit ansprechendem Tempo dorthin, und nach einem weiteren Fotohalt am Zielbahnhof, auch wieder zurück.

Auffallend im Wageninnern sind die zahlreichen Sicherheitshinweise in englischer und spanischer Sprache.

Blick aus dem Führerstand während der Fahrt nach Ramsen.
Route und Angabe der Haltestellen.

Beeindruckt treten die Anwesenden die Rückreise an – nicht ohne vor dem Einsteigen Dr. Ansgar Brockmeyer und seinem Team mit einem kräftigen Applaus für den gehaltvollen und perfekt organisierten Tag zu danken.

Hinweise

Besten Dank an die Group Communication von Stadler Rail AG für das Gegenlesen dieses Beitrages und an meinen Partner für die redaktionelle Überarbeitung.

Die Folien wurden den Präsentationsunterlagen entnommen – die beiden Kennzahlenblätter den Prospekten der entsprechenden Fahrzeuge. Die Fotos wurden vom Verfasser mit einem Smartphone aufgenommen. Leider lässt sich die Zahl „2“ in der Überschrift nicht in einem kleineres Format setzen.

Bilbao Intermodal – wie in einer anderen Welt!

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Das vor 25 Jahren eröffnete Guggenheim-Museum von Frank Gehry in Bilbao gehört zu den berühmtesten Museumsgebäuden der Welt.

Bild des Guggenheim-Museums. (Quelle: Website des Museums).

Aber es gibt in Bilbao eine Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs, die meines Erachtens in seiner Einzigartigkeit dem Guggenheim-Museum in Nichts nachsteht – nämlich der Knotenpunkt Bilbao Intermodal. Auch hier wurden wesentliche Elemente von einem weltberühmten Architekten, dem Engländer Norman Forster, gestaltet.

Bürogebäude und architektonisches Wahrzeichen von Bilbao Intermodal.

Mit diesem Bericht lade ich zu einem Rundgang in Bilbao Intermodal ein. Der Bericht schliesst mit ein paar Bildern vom Busterminal von San Sebastian.

Der öffentliche Verkehr in Bilbao

In Bilbao, als der zehntgrössten spanische Stadt, wohnen rund 350’000 Menschen. Bilbao verfügt neben einem städtischen Busnetz über eine Strassenbahn, eine U-Bahn, zwei Regionalbahnen und eine S-Bahn. Vom Bahnhof Bilbao Abando aus fahren relativ wenige Fernzüge der spanischen Staatsbahn Renfe über Miranda de Ebro nach Madrid oder nach Zaragossa. In einigen Jahren wird Bilbao jedoch mit dem „Basken-Y“ an das spanische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen. Die baulichen Massnahmen für das „Basken-Y“ sind weit fortgeschritten. Von Bilbao aus fahren Fernbusse in alle Richtungen. 

Karte der schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrsmittel in Bilbao. (Quelle: Internet).

In Bilbao Intermodal werden mit Ausnahme von Feve – der von Renfe betriebenen Meterspurbahn – alle schienengebundenen öffentlichen lokalen Verkehrsmittel von Euskotren betrieben. Die Gehdistanzen der unterirdischen Verbindungswege zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern sind relativ kurz. Der längste Weg zwischen der U-Bahn und dem Stadtbus misst knapp 260 Meter – die übrigen Wege sind bedeutend kürzer.

Fernbus-Terminal

Einleitend eine Reminiszenz: Im Rahmen eines Sprachaufenthaltes unternahm meine Frau eine Busreise von Bilbao nach San Sebastian. Sie schilderte mir ihre Eindrücke vom Busterminal von Bilbao und war begeistert. Ein paar Wochen später suchte ich während einer Studienreise in Bilbao das Busterminal. Ich nahm an, dass mich Busse zum Standort leiten würden. Aber ich erreichte Bilbao Intermodal, ohne einem Fernbus zu begegnen. In dem von weitem sichtbaren Gebäude gelangte ich über eine Treppe ins Untergeschoss und entdeckte als erstes das Terminal der Fernbusse. Ich war sprachlos. Da ich nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises war, wurde mir der Zugang zum Busterminal jedoch verwehrt.

Architektonisches Wahrzeichen über Bilbao Intermodal.

So unternahm ich wenige Tage später eine Busreise in umgekehrter Richtung – von San Sebastian nach Bilbao. Bei der Anfahrt in Bilbao stellte ich fest, dass das Busterminal sogar mit einer kurzen Verbindungsstrasse an das städtische Autobahnnetz angeschlossen ist. Nachstehend ein paar Bilder:

Abgang zur unterirdischen Verbindung zwischen den Haltestellen der Verkehrsträger. Lediglich die etwa 120 Meter entfernte Haltestelle der Stadtbusse befindet sich auf der Oberfläche. Rechts hinten befindet sich in etwa 25 Meter Entfernung die Haltestelle der Strassenbahn.
Verbindungsgang zum Terminal der Fernbusse.
Zugang zu den Fernbussen. Der Zugang ist nur mit einem gültigen Fahrausweis möglich.
Blick vom Verbindungsgang auf die Haltestellen der Fernbusse im zweiten Untergeschoss. Im zweiten Untergeschoss wird die Luft intensiv abgesogen. Weder in der Wartezone noch im Verbindungsgang sind Abgase zu riechen. Auch beim Ein- und Aussteigen riecht man keine Abgase. Die Türen zum Aufgang nach oben und zum unteren Wartebereich schliessen hermetisch ab.
Nahaufnahme „meines“ Busses nach dem Aussteigen der Fahrgäste.
Aufgang aus der inneren Wartezone und dem Eingangsbereich in die obere Etage.
Zusätzlich zu den Rolltreppen und zur konventionellen Treppe stehen zwei Lifte zur Verfügung.
Bild aus der unteren und nur Personen mit Fahrausweisen zugänglichen Wartezone. Nicht erkennbar auf dem Bild sind Ausgabeautomaten für Speisen und Getränke. Rechts auf dem Bild sieht man auf den Zugang zum Bus wartende Fahrgäste.
Obere Wartezone im Verbindungsgang. Links hinten ist eine einfache Gaststätte erkennbar.

Haltestelle der Strassenbahn

Bild von der Haltestelle der Strassenbahn. Die Züge der Strassenbahn verkehren alle 15 Minuten.

Haltestelle San Mamès der S-Bahn von Renfe „Cercanias“

Der Fahrplan der beiden S-Bahnlinien ist verhältnismässig dicht. Die Züge verkehren in den Stosszeiten alle zwanzig Minuten, tagsüber im Halbstundentakt.

Zugang aus dem Verbindungsgang zum Bahnhof San Mamès der von Renfe betriebenen S-Bahn.
Blick von der Passerelle auf die Haltestelle der S-Bahn.
Blick von der Passerelle auf die Bahnsteige der S-Bahn.
Eindruck von einem der Bahnsteige der S-Bahn.
Künstlerischer Schmuck und Lichtspiel an einer Seitenwand der S-Bahn Haltestelle. Da steigt man gerne ein oder aus und begeht auch keine Vandalenakte.

Haltestelle der U-Bahn

Die Haltestellen wurden von Norman Forster gestaltet. Sie überzeugen durch ihre Grosszügigkeit und die verwendeten Materialien. Der Fahrplan der besonders in den Stosszeiten stark belegten Züge ist viel dichter als bei der S-Bahn.

Abgang aus dem Verbindungsgang zur U-Bahn. Man beachte die Orientierungshilfen auf dem Boden und das knapp sichtbare Wandbild auf der rechten Seite, welches die gesamte Länge des Verbindungsgangs ziert.
Blick von der ersten der beiden Treppen auf den Abgang. Gut beleuchtet, stilvoll gestaltet, sicher zu begehen und klinisch sauber.
Zwischenpodest in der Mitte des Abgangs.
Blick von unten auf den Abgang.
Zugang zur U-Bahn.
Anzeigetafeln der U-Bahn.
Blick auf die Bahnsteige der U-Bahn.
Bahnsteig mit einem abfahrenden U-Bahn-Zug.
An beiden Enden der Bahnsteige befinden sich grosszügig dimensionierte Lifte.
Detailansicht von der Passerelle.
Treppe von der Passerelle auf den Bahnsteig.
Ausführungsdetail bei der Aufhängung der Passerelle. Ich bitte um Verständnis für das unscharfe Bild.

Busterminal von San Sebastian/Donostia

Auch San Sebastian mit rund 190’000 Einwohnern verfügt über einen dichten, gut organisierten und gepflegten öffentlichen Verkehr. Wie in Bilbao betreibt Renfe in San Sebastian auf einer Strecke stündlich verkehrende Cercanias-Züge. Ungleich dichter und auf einem viel höheren höheren Niveau als derjenige von Renfe ist der S-Bahn-Verkehr der meterspurigen und von der Region des Baskenlandes betriebenen Euskotren. Dieses EVU wird in einem der nächsten Beiträge auf unserer Website vorgestellt.

Die Hauptlast des öffentlichen Verkehrs liegt jedoch auf Stadtbussen. Ein Teil der Linien wird bereits mit elektrisch angetriebenen Bussen betrieben. Daneben erleichtern öffentlich zugängliche und kostenlos zu benutzende Lifte Fussgängern den Aufstieg zu höher liegenden Stadtteilen. Die oft spektakulär angelegten Lifte überwinden Höhenunterschiede von über 35 Metern.

Das Busterminal von San Sebastian – die einheimische baskische Bevölkerung nennt die Stadt in ihrer Muttersprache Donostia – liegt unmittelbar unter dem Stadtbahnhof. Abgesehen von der einfacheren architektonischen Gestaltung kann der Busbahnhof funktional durchaus mit dem prachtvollen Busterminal von Bilbao mithalten, wie die folgenden Bilder belegen.

Rampe zum Busterminal von San Sebastian. Der Boden der Rampe ist mit Natursteinen belegt. Im Hintergrund erkennt man das Gebäude des Stadtbahnhofs von Renfe.
Zugangsbereich zum Busterminal.
Direkter Zugang von der Rampe zum Busterminal zum Bahnhof von Renfe.
Abstellraum für Fahrräder im Busterminal unmittelbar neben dem Abgang zu den Bussen.
Abgang zur unteren Ebene des Busterminals. Auf der linken Seite ist ein Kiosk sichtbar. Weiter hinten befindet sich der Zugang zu einem grossen Detailhandelsgeschäft.
Blick von der Wartezone und Zugangsbereich zu den Bussen auf den Abgang. Neben der Rolltreppe und der konventionellen Treppe steht den Fahrgästen auch ein Lift zur Verfügung.
Einer der rund 15 Halteplätze für Busse mit abfahrbereitem Bus.
Kunstvoll gestaltetes und nach oben offenes Tragwerk im Zentrum der Verkehrsfläche. Auch im Ein- und Ausstiegsbereich werden die Fahrgäste nicht mit Abgasen konfrontiert, da sich diese nach oben ins freie verflüchtigen.

Abschliessende Bemerkungen

Vor drei Wochen warteten wir bei der Haltestelle Sihlquai auf das Tram. Dabei konnten wir einmal mehr ein paar Blicke auf den benachbarten Carparkplatz der Stadt Zürich werfen. Kein Vergleich zu den rund 20 Busterminals, die ich in den letzten zehn Jahren in Europa gesehen habe. Ein grauenhaftes Bild.

Die Stigmatisierung der Buspassagiere in der Stadt Zürich ist unerträglich. Für viele der Fahrgäste oft aus einkommensschwächeren Schichten ist der Bus das einzige verfügbare und bezahlbare öffentliche Verkehrsmittel für Fernreisen. Wie verträgt sich dieser Missstand mit dem Credo rot-grün regierten Stadt!

Neubaustrecke Wendlingen-Ulm / grossartig, aber ….

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Am 12. Dezember 2022 wurde nach zehn Jahren Bauzeit der Betrieb auf der rund 60 Kilometer langen Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm aufgenommen. Der Verfasser befuhr die Strecke am 4. Januar 2023 und am 17. Januar 2023. Die Eindrücke waren überwältigend. Leider wurde der positive Eindruck durch ein paar Mängel an den Publikumsanlagen beeinträchtigt.

Erfreulich ist auch der Stand bei den Anschlussbauwerken in Wendlingen. Eines davon wird bereits genutzt, das zweite ist praktisch fertiggestellt und das dritte befindet sich in Arbeit.

Mehr über die grossartige Neubaustrecke und die Situation in Wendlingen in diesem Bericht.

Streckenverlauf

Die Neubaustrecke schliesst in Wendlingen am Neckar an die Strecke vom Flughafen Stuttgart – diese ist Bestandteil des Projekts Stuttgart 21 und befindet sich noch im Bau – an. Die Strecke steigt vom niedrigsten Punkt bei Wendlingen auf 276 Metern über Meer nach 25 Kilometern bis zum Scheitelpunkt beim Steinbühltunnel auf 746 Metern über Meer. Anschliessend sinkt die Strecke auf den nächsten 35 Kilometern ab zum Hauptbahnhof von Ulm auf 266 Metern über Meer.

Zugang zur NBS in Wendlingen mit abfahrbereitem IRE 200.

30 Kilometer der total 61 Kilometern langen Neubaustrecke liegen in fünf Tunnels. Nur elf Kilometer der Strecke wurden ohne Kunstbauten errichtet. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 Km/h. Die maximale Steigung liegt abgesehen von zwei kurzen Abschnitten bei 2.5 Prozent. Die längeren Tunnels wurden mit zwei Röhren gebaut.

Die Neubaustrecke führt durch fünf Tunnels und – wohl als markanteste Bauwerke – über die beiden etwa 480 Meter langen und bis 85 Meter hohen einspurigen Filstalbücken

Etwa in der Mitte der Strecke wurde in Merklingen-Schwäbische Alb ein viergleisiger Regionalbahnhof errichtet.

Regionalbahnhof Merklingen-Schwäbische Alb mit Blick nach Westen.

Die Neubaustrecke ist mit ETCS Level 2-Signaltechnik ausgerüstet. Die Geleise liegen durchgängig auf einer festen Fahrbahn.

In Ulm mündet die Neubaustrecke direkt in den Hauptbahnhof. In Wendligen bestehen zwei Anschlüsse an die Bestandesstrecke von Plochingen nach Tübingen. Die lange umstrittene «Güterzugsanbindung» ermöglichte die vorzeitige Inbetriebnahme der Neubaustrecke vor der Fertigstellung des Projekts Stuttgart 21. Von Süden her erfolgt die Einbindung der Bestandesstrecke aus Tübingen kreuzungsfrei mit den beiden sogenannten «Wendlinger-Kurven». Die Arbeiten für die «Kleine Wendlinger-Kurve» sind praktisch abgeschlossen, während die nachträglich bewilligte «Grossen Wendlinger-Kurve» noch im Bau ist.

Einfahrt der NBS in Ulm in die in den rund sechs Kilometer langen Albabstiegstunnel.
In Ulm in die NBS einfahrender ICE.

Die Kosten der gesamten Neubaustrecke inklusive einer neuen Brücke über die Donau bei Ulm liegen bei EUR 3.985 Milliarden. An diesen Kosten beteiligen sich der Bund mit rund 51 Prozent, die EU mit 17 Prozent, das Land Baden-Württemberg mit 28 Prozent und die Deutsche Bahn AG mit 4 Prozent.

Betriebskonzept

Zurzeit wird die Strecke in der Regel in jeder Richtung von zwei ICE und einem IRE 200 befahren. Der IRE hält stündlich in Merklingen-Schwäbische Alb. Die IC und die Regionalzüge sowie die Güterzüge verkehren weiterhin auf der Bestandesstrecke über die Geislinger-Steige.

Die ICE fahren zwischen Stuttgart und Ulm ohne Halt. Die Fahrzeit zwischen diesen beiden Städten verkürzt sich durch die Fahrt über Neubaustrecke von knapp einer Stunde auf etwas über vierzig Minuten. Die neu eingeführten IRE 200 verkehren nur zwischen Ulm und Wendlingen, wo auf die Züge des Regionalverkehrs umgestiegen werden muss.

Werbung auf einer der beiden Vectron-Lokomotiven des IRE 200 von Ulm nach Wendlingen. Mangels ETCS-tauglichen Steuerwagen sind diese aus vier Personenwagen zusammengesetzten Züge mit zwei Lokomotiven bestückt.
Er darf nicht auf die NBS. Dieselgeführter IC Oberstdorf-Dortmund bei der Ausfahrt in Ulm über die Bestandsstrecke via Geislingen.

Eindrücke von meinen beiden Fahrten

In Ulm werden das Bahnhofgebäude und der Vorplatz umgebaut. Die vielversprechenden Arbeiten sind noch im Gang. Die Bahnsteige lassen sich über die neue südliche repräsentative Fussgängerüberführung erreichen, in der Mitte durch die bestehende etwas enge Unterführung und nördlich über eine Rampe. 

Bahnhofvorplatz in Ulm in Fertigstellung.

Wie einige der folgenden Bilder zeigen, besteht Handlungsbedarf.

Repräsentative Fussgängerüberführung am Südkopf des Bahnhofs Ulm mit Zugang zu den Bahnsteigen.
Blick vom Bahnsteig 2 auf die Fussgängerüberführung.
Ungepflegt wirkender Innenraum der Fussgängerüberführung mit schäbigem Bodenbelag
Abfalleimer in der Fussgängerüberführung – die berüchtigte Faust auf das berühmte Auge.
Verwahrlost wirkende und bereits schadhafte Stellen aufweisende Treppe der Personenüberführung.
Rampe vom Bahnsteig 2 in die nördliche Unterführung des Bahnhofs Ulm – unverträglich mit dem Ausführungsniveau der NBS.

Der Regionalbahnhof Merklingen-Schwäbische Alb wurde als regionaler Verkehrsknotenpunkt konzipiert. Regionalbusse fahren vom Bahnhof in die umliegenden Dörfer. Daneben verfügt der Bahnhof über rund 200 Parkplätze und zwei schmucke Gebäude. Eines der Gebäude dient als Parkhaus für Fahrräder, im anderen sind kostenlos zu benutzende Toiletten und ein kleiner Bankschalter untergebracht. Trotz dem durchwegs positiven Eindruck von den Anlagen orte ich auch in Merklingen-Schwäbische Alb Optimierungspotential.

Ansicht vom Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb.
Parkplätze beim Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb.
Repräsentatives Parkhaus für Fahrräder beim Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb.
Parkhaus für Fahrräder beim Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb mit Einstellboxen und Schliessfächern für Gepäck.
Servicegebäude beim Bahnhof Merklingen-Schwäbische Alb mit fernbedientem Bankschalter.
Kostenlos zu benutzende Toiletten beim Servicegebäude.
Busstation für Lokal- und Regionalbusse ohne Schutzvorkehrungen für Fahrgäste. Wenig Komfort im offenen Gelände mit oft stürmischem Wind.
Eines der beiden Treppenhäuser zum Bahnsteig. Der Zugang von Aussen zum ersten Treppenhaus ist ungeschützt. Hingegen ist die Überführung über den Geleisen zum Schutz der Fahrgäste eingehaust.
Innenanblick in einem der beiden typengleichen Treppenhäuser. Unklare Funktion dieses zusätzlichen Liftzugangs auf dem Zwischenperron ohne Ausgang ins Freie.
Verwahrlost wirkende Treppe im Treppenhaus, etwa fünf Wochen nach der Eröffnung des Bahnhofs. Das erste Rendez-Vous dieser Treppe mit einem Reinigungsgerät steht noch aus.

In Wendlingen müssen die nach Stuttgart weiterreisenden Fahrgäste des IRE 200 einen relativ weiten Fussweg zur Unterführung und von hier zum Bahnsteig der Züge nach Stuttgart auf sich nehmen – glücklicherweise nur bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 im Jahr 2025.

Bilder von den Anschlusswerken bei Wendligen

Überblick über die Anschlusswerke vor dem Bahnhof Wendlingen. Die vom Verfasser bearbeitete Karte stammt aus der Projektdokumentation der DB AG zum Projekt NBS Wendlingen-Ulm.
Blick auf die Güterzugsanbindung mit in einem in den Albaufstiegstunnel einfahrenden IRE 200.
Luftbild auf die Lage der beiden „Wendlinger-Kurven“. Die Unterführung der „Grossen Wendlinger-Kurve“ unter der Neubaustrecke ist bereits fertiggestellt. Ende Januar waren die Vorbereitungen für den Bau des Tunnels der „Grossen Wendlinger-Kurve“ im Gang. Man rechnet für den knapp 700 Meter langen Tunnel mit einer Bauzeit von zwei Jahren. Beteiligt am Bau des Tunnels ist die Firma Max Bögl AG. (Bild: DB AG).
Blick auf ein tief gelegtes Teilstück der „Kleinen Wendlinger-Kurve“.
Das Verlegen der Geleise auf der „Kleinen Wendlinger-Kurve“ ist abgeschlossen.
Auf der rechten Seite des Tunnels der „Kleinen Wendlinger-Kurve“ kommt das südliche Portal des Tunnels der „Grossen Wendlinger-Kurve“ zu liegen.
Blick von Wendligen auf die Neubaustrecke in Richtung Flughafen Stuttgart. Dieser Abschnitt gehört bereits zum Projekt Stuttgart 21 und wird nach der Fertigstellung des Projekts auch vom schnellen Regionalverkehr zwischen Tübingen und Stuttgart befahren, was den Fahrgästen auf dieser Relation eine substantielle Beschleunigung der Reisezeit verschafft.

Ein paar abschliessende Bemerkungen

Als Vergleichsobjekte für die Überführung in Ulm und den Bahnhof Merklingen möchte ich auf die neue Überführung im Bahnhof von Luxemburg und den Bahnhof Kühnsdorf an der Koralmbahn hinweisen. Bauten dieser Qualität wären aus meiner Sicht der grossartigen Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und dem Projekt Stuttgart 21 angemessener.

Bahnhof Luxemburg – Übergang von der Überführung zum Lift auf den Bahnsteig.
Luftbild auf den Bahnhof von Kühnsdorf. (Auszug aus einem Prospekt der ÖBB).

Und abschliessend verbleibt die Hoffnung, dass die lieblose Detailausführung bei den Publikumsanlagen in Ulm und Merklingen auf die bauliche Infrastruktur beschränkt bleibt und nicht beispielsweise auch bei der Technik auftritt.

Der Bahnhof Hendaye und seine gute Fee

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Ein Zwischenhalt in Hendaye bot Gelegenheit, die beiden Bahnhöfe von Hendaye näher zu besichtigen. Die Anreise nach Hendaye erfolgte von San Sebastian mit der baskischen Regionalbahn Euskotren – ein Bericht darüber folgt demnächst – und die Weiterreise nach Paris mit der SNCF.

Beide Bahnhöfe und die dort anwesenden Mitarbeitenden der Bahnunternehmen präsentierten sich ausgesprochen positiv. Besonders hervorheben möchten wir eine Mitarbeiterin der SNCF, der wir diesen Bericht gerne widmen.

Hintergrundinformationen

Hendaye ist eine Kleinstadt mit knapp 17’000 Einwohnern im Südwesten von Frankreich und liegt an der Atlantikküste. Hendaye hat zwei Bahnhöfe – den Bahnhof der SNCF und denjenigen von Euskotren. Die beiden Bahnhöfe liegen unmittelbar nebeneinander.

Lage von Hendaye (Auszug aus dem Eisenbahnatlas EU von Schweers+Wall)

An Werktagen verkehren ab dem Bahnhof der SNCF 13 Regionalzüge nach Dax oder Bordeaux und 5 TGV nach Paris. 2017 stiegen hier 360’000 Fahrgäste ein oder aus. Etwa die Hälfte davon erreichte Hendaye mit Euskotren oder fuhr mit Zügen von Euskotren weiter.

Der Verkehr ab dem Bahnhof von Euskotren – er liegt unmittelbar neben dem Bahnhof der SNCF auf französischem Boden – ist wesentlich intensiver. An Werktagen besteht zwischen 05.33 Uhr und 22.33 Uhr nach San Sebastian Halbstundentakt, total 35 Züge in jeder Richtung. In der Nacht von Samstag auf Sonntag fahren die Züge während der ganzen Nacht alle zwei Stunden. Der Bahnhof von Euskotren wurde 2017 von 700’000 Fahrgästen frequentiert.

Gelegentlich sind Güterzüge zwischen Hendaye und dem benachbarten Irun unterwegs. Infolge der unterschiedlichen Spurweiten in Frankreich und in Spanien müssen in Irun die Radsätze der Güterwagen ausgetauscht oder in Ausnahmefällen die Ladungen umgeladen werden.

Rundgang durch den SNCF Bahnhof von Hendaye

Hier die Bilder vom Rundgang durch den Bahnhof der SNCF – ergänzt mit Bildern von einem früheren Aufenthalt.

Frontalansicht des Bahnhofs von Hendaye.
Glasfenster neben dem Haupteingang.
Ansicht vom rechten Seitenflügel des Bahnhofs.
Wartehallen für die Fahrgäste der Regional- und Lokalbusse.
Serviceräume und gesicherte Veloeinstallhalle neben dem Bahnhofgebäude.
Innenraum mit Blick auf den Zugang zum Hausperron und zur Unterführung.
Innenraum mit Blick auf den Kiosk. Rechts die grüne Informationstafel von Euskotren.
Frontalansicht auf den Warteraum.
Innenansicht des wohnlichen Warteraums mit Steckdosen für Strom und Internet.
Kinderecke im Warteraum.

Die gute Fee vom Bahnhof der SNCF

Kurz vor 09.00 Uhr erschien eine Mitarbeiterin der SNCF und nahm im Raum hinter dem Informationsschalter Platz. Wenige Minuten später ging ein Mitarbeiter der SNCF mutmasslich von der Infrastruktur durch die Halle. Die Mitarbeiterin verliess ihr Büro und gesellte sich zum Mitarbeiter. Sie führte ihn zu einigen Stellen und monierte die dortigen Mängel. Anschliessend unternahm sie einen Rundgang durch die Halle und den Warteraum und räumte vereinzelt vorhandene Abfälle weg. Ich war sehr beeindruckt und fragte die Dame, ob ich von ihr ein Bild anfertigen dürfe, was sie bejahte.

Die Mitarbeiterin verlässt den Schalterraum und schliesst die Türe ab.
Die Mitarbeiterin führt ihren Kollegen durch den Innenraum.
Die Mitarbeiterin weist ihren Kollegen auf einen Baumangel hin.
Stolz präsentiert sich die engagierte Mitarbeiterin vor „ihrem“ Bahnhof.

Ein paar Bilder vom Bahnhof von Euskotren

Abschliessend ein paar Bilder vom Bahnhof von Euskotren. Auch diser Bahnhof ist während den Betriebszeiten von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter besetzt. Zugang zum und Verlassen des Bahnsteigs ist nur mit einem gültigen Fahrausweis möglich. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwachen die Anlagen und den Innenraum, erteilen Auskünfte oder verkaufen Fahrausweise an die mit den Automaten nicht vertrauten Fahrgäste.

Frontalansicht des Bahnhofs Hendaia von Euskotren.
Blick auf die rasch reagierenden Zutritts- oder Ausgangskontrollsysteme. Man beachte den schmutzabweisenden Teppich und die exemplarische Sauberkeit des Raumes und der Anlagen.
Blick im Innenraum auf die Schiebetüren und die Billettautomaten.

Abschliessende Bemerkungen

Die Eindrücke waren wie einleitend beschrieben ausgezeichnet. Das gilt für den Innenausbau, die Ausstattung und die während den Betriebszeiten präsenten Mitarbeitenden. In einer solchen Umgebung fühlt man sich gut aufgehoben, und das Risiko von Vandalenakten dürfte gering sein.

Offensichtlich haben sich die Gegebenheiten auch bei den SNCF seit den viele Jahre zurückliegenden Besuchen in der Region enorm verbessert. Das zeigten auch die Blicke aus dem Zugfenster bei den Zwischenhalten auf die Bahnhöfe wie Bayonne oder Bordeaux sowie die dort wartenden Regionalzüge.

Informationstafel im Bahnhof Hendaye über das Eisenbahnnetz in der Region Aquitanien. Was für ein Fortschritt seit unserem letzten Aufenthalt. Das Bild lässt sich durch Anklicken vergrössern und scheint zu belegen, dass der Regionalverkehr in Frankreich auch in lange vernachlässigten Regionen eine Wiederbelebung erfährt. Wir haben einige der Strecken vor vielen Jahren befahren.

Ehrenrettung für die Deutsche Bahn AG

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Neben den desolaten Zuständen gibt es durchaus Erfreuliches von der Eisenbahn in unserem nördlichen Nachbarland zu berichten, wie die Bilder in diesem Bericht belegen.

Bahnhof Dresden-Neustadt

Das Äussere des stattlichen Bahnhofs präsentiert sich zwar nicht so schön, wie das obige Bild von Guido Radig aus Wikipedia vermuten lässt. Dafür sind die Eingangshalle und die Gleishalle sehr sehenswert.

Kürzlich renovierte Eingangshalle mit der prächtigen Deckenbemalung.
Blick von Norden auf die Gleishalle. Güterzüge fahren durch zwei Geleise neben der Halle.
Blick auf die Tragkonstruktion der Gleishalle.
Wartehalle auf dem Bahnsteig für die Fernzüge.
Innenraum der Wartehalle.

Leider ergab sich keine Gelegenheit, den Hauptbahnhof von Dresden zu besichtigen. Die optischen Eindrücke vom kürzlich renovierten Hauptbahnhof beim kurzen Zwischenhalt unseres Zuges von Dresden-Neustadt nach Prag waren positiv.

Bilder aus dem Zug

Nachstehend drei Bilder aus fahrenden Zügen. Für nähere Angaben verweise ich auf die Bildunterschriften.

Anzeige im ICE auf der grossartigen Neubaustrecke zwischen München und Berlin. Der Zug traf sogar eine Minute vor der Planankunft in Erfurt ein.
Anzeige auf der Fahrt auf der Neubaustrecke von Köln nach Frankfurt.
Anzeige im ICE auf der Fahrt von Strasbourg nach Paris. Die ICE können mit den TGV durchaus mithalten.

Kommentar

An der Tagung von Avenir Mobilité über den aktuellen Stand der Verlagerung im alpenquerenden Güterverkehr beklagte ein deutscher Teilnehmer das im Vergleich zur Schweiz ungleich geringere Ansehen der Eisenbahn in Deutschland. Unter anderem hätten die ständigen Verspätungen im Fernverkehr das Image der Eisenbahn nachhaltig beschädigt.

Ich habe mich oft gefragt, was die aus Kundensicht lästigen Verspätungen für die Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG bedeuten. Neben den Unmutsbezeugungen der Fahrgäste sind sie als Mitarbeitende von den Verspätungen auch persönlich betroffen. Die selbst bei Störungen in aller Regel freundlich und kompetent auftretenden Mitarbeitenden der DB AG verdienen Respekt und Anerkennung. Ein grosses Dankeschön!

Lüttich und Aachen / wie Tag und Nacht

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Auf einer Städtereise durch Belgien und Luxemburg fuhren wir mit dem Zug auch durch Lüttich und Aachen. Die Eindrücke während den kurzen Aufenthalten waren höchst unterschiedlich. Mein Interesse war geweckt – besonders, nachdem ich schon viel vom Bahnhof Liège-Guillemins gehört hatte.

Am 30. Oktober 2022 bot sich Gelegenheit, die beiden eingangs erwähnten Bahnhöfe eingehend zu besichtigen. Die Eindrücke waren einerseits überwältigend, aber auch bedrückend, wie die Bilder in diesem Bericht zeigen.

Vorab jedoch ein Ausschnitt aus dem Eisenbahnatlas EU von Schweers+Wall mit der Lage von Lüttich und Aachen.

Bahnhof Liège-Guillemins

Der nach Plänen von Santiago Calatrava umgebaute Hauptbahnhof von Lüttich wurde im September 2009 eröffnet. Er liegt im Stadtteil Guillemins am Rande der Altstadt. Daneben verfügt Lüttich mit dem Bahnhof Liège-Saint-Lambert über einen zweiten grossen Stadtbahnhof.

Lüttich ist an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden und wird unter anderem von ICE und Thalys-Zügen bedient. Auch die Nachtzüge der ÖBB zwischen Brüssel und Wien halten hier. Zudem ist Lüttich ein bedeutender Knotenpunkt im Netz der Belgischen Staatsbahnen. Im Bahnhof Liège-Guillemins halten täglich über 500 Züge.

Blick durch die Bahnhofshalle in Richtung Stadtzentrum von Lüttich.
Blick auf die Rolltreppen, welche in die obere Ebene führen. Diese kann auch über Rollbänder und gewöhnliche Treppen erreicht werden.
Blick von der oberen Ebene auf einen der vier Bahnsteige.
Blick auf die Halle von Süden.
Blick auf Halle aus Südwesten.
Blick auf die Halle von Norden.
Blick auf die Halle und den Haupteingang von Osten.
Seitenanblick in Richtung Süden.
Seitenanblick in Richtung Norden mit dem autofreien Vorplatz.
Blick auf einen Bahnsteig mit dem Dach ausserhalb der Halle. Selbst bei überlangen Zügen können Fahrgäste geschützt ein- und aussteigen.
Dachkonstruktion über den Bahnsteigen.
Fahrgäste gelangen mit Rollbändern vom Aussenbereich der Bahnsteige in die obere Ebene.
Rolltreppen aus der Unterführung auf einen Bahnsteig. Daneben führen Lifte und Treppen auf die Bahnsteige. Zudem kann man auch über eine obere Ebene zwischen den Bahnsteigen und der Zufahrtstrasse zirkulieren.
Drei Sektionen von Rolltreppen verbinden die drei Ebenen im bergseitigen Teil der Halle.
Ergänzend zu den Rolltreppen kann man auch auf normalen Treppen zwischen den Ebenen zirkulieren.
Ein Ladengeschäft in der Unterführung. Zwischen den Aufgängen zu den Bahnsteigen befinden sich rund zehn Ladengeschäfte und kleinere Gaststätten.
Unmittelbar neben dem Eingang in die Unterführung befindet sich ein gepflegtes Restaurant.
Nicht nur der Bahnhof, sondern auch das soeben erwähnte Restaurant ist erstklassig.
Detailansicht der Tragkonstruktion der Halle.
Detailansicht der Überdeckung der Bahnsteige.
Detailansicht der Tragkonstruktion des Hallendaches.
Detailansicht der Informationstafeln auf den Bahnsteigen.

Aachen

Die Fahrt nach Aachen führt auf belgischem Gebiet über eine für 250 km/h ausgelegte perfekt trassierte Neubaustrecke. Kurz nach dem Passieren der belgisch-deutschen Grenze folgt der Buschtunnel. Nach dem Verlassen des Tunnels befindet man sich in einem Aussenbezirk der Stadt Aachen. Der auf dem belgischen Teil der Strecke mit 250 km/h fahrende Thalys streifte die Zweige der entlang der Geleise wachsenden Büsche – ob der Buschtunnel deshalb so heisst? Ein dschungelähnliches und ziemlich fremdes Gefühl.

Der Bahnhof von Aachen wurde im zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Als wichtiger Knotenpunkt im deutschen Bahnnetz wurden die Gleisanlagen nach dem Kriegsende rasch repariert. Auch die Gebäude waren nach verhältnismässig kurzer Bauzeit bereits 1950 wieder hergestellt. 

Ansicht des Hallendachs aus Westen.
Hallendach aus der Nähe. Die Schutzscheiben wurden mit Klebebändern behelfsmässig repariert.
Blick vom Hausperron nach Westen.
Blick auf die Stützmauer aus Westen.
Bild vom Bahnsteig, auf dem die Züge des Fernverkehrs anhalten.
Szenenbild vom Bahnsteig für den internationalen Verkehr.
Lift auf dem Bahnsteig. Die Durchgänge für die Fahrgäste sind bei grossem Andrang sehr eng.
Blick in die Haupthalle. Man beachte die roten Netze unter den Oberlichtern.
Ein weiterer Blick auf die roten Netze.
Bei den roten Netzen handelt es sich um Schutznetze. Diese sollen Fahrgäste und Fahrzeuge vor herunter fallenden Trümmern schützen. Wie das Bild zeigt, besteht das Risiko tatsächlich.
Keine Gefängniszelle, sondern Warteraum auf dem Bahnsteig für den internationalen Reiseverkehr.
Abgang vom Hausperron in die Unterführung.
Detail vom erwähnten Abgang.
Bahnhofgebäude von Aachen. Eigentlich ein repräsentatives Bauwerk.
Eingangshalle im Bahnhof Aachen.
Unterführung im Bahnhof Aachen – ein beträchtlicher Gegensatz zu den Eindrücken in der Halle.
Treppenaufgang zu einem Bahnsteig,
Lift und Treppe auf einen Bahnsteig. Erfreulicher Gegensatz zu dem, was die Reisenden in der Halle erwartet.

Kommentar

Die Gegensätze zwischen den beiden Bahnhöfen könnten kaum krasser sein. In Lüttich alles vom Feinsten, und in Aachen an vielen Stellen Verwahrlosung pur. Nur am Rande sei erwähnt, dass auf den Anzeigen in den Bahnhöfen, an denen ich am 30. Oktober 2022 umsteigen musste, kaum ein Fernzug ohne Verspätung verkehrte. Wenn man sich die Zustände in Aachen – und auf dem deutschen Streckenabschnitt bei unserer kürzlichen Bahnfahrt von Luxemburg nach Trier und zurück – vor Augen führt, eigentlich nicht erstaunlich.

Vor vielen Jahren widmete ich mich der Lektüre des ernüchternden Buches „Der Reichsbahn Report“ von Erich Preuss, ehemaliger leitender Angestellter einer Direktion der Reichsbahn. Wäre es nicht an der Zeit, dass ein kompetenter Autor ein analoges und zugleich sachliches Buch über die Zustände bei der Deutsche Bundesbahn schreibt?

Deckblatt des erwähnten Buches.

Und ausserdem

Nicht nur in Lüttich, sondern auch in anderen Städten in Belgien und in Luxemburg haben uns Bahnhöfe beeindruckt. Das gute Bild wurde jedoch durch Eindrücke auf der Fahrt von Luxemburg über Namur nach Brüssel getrübt. In Wallonien hielt der IC an grösseren Bahnhöfen, auf denen die Bahnsteige einen Kiesbelag aufwiesen. Sonderbare Bilder.

Dennoch möchte ich diesen Bericht mit ein paar Bildern von Bahnhöfen in Belgien und von Luxemburg schliessen.

Bahnsteig im vollständig überdachten Bahnhof von Oostende. Man beachte den an einen Hafen angelehnten Bodenbelag des Bahnsteigs mit Holzdielen.
Abgang ins Parkhaus im Bahnhof Oostende.
Blick auf das Bahnhofgebäude von Oostende.
Wandbemalung in der Halle des Bahnhofs von Gent. Da ich keine Personen fotografieren wollte, ist die Aufnahme etwas verzerrt.
Eindruck von einem Bahnsteig in Gent. Man beachte die verwendeten Materialien.
Blick auf das Perrondach im Bahnhof Gent. Der Umbau des Bahnhofs ist noch im Gang.
Bodenbelag und Ausführungsdetail auf dem Bahnsteig in Gent.
Unterführung im Bahnhof Brügge.
Rolltreppe für den Aufgang aus der Unterführung in Brügge auf den Bahnsteig.
Lift und Treppe im Bahnhof Brügge. Die Liftkabine ist grosszügig bemessen.
Überführung im Bahnhof Luxemburg. Auf unserer Website haben wir von ein paar Jahren ausführlich über den Bahnhof berichtet. Gerne verweisen wir auf den entsprechenden Beitrag.
Übergang von der Überführung zum Lift auf den Bahnsteig.
Eindruck aus der Überführung im Bahnhof Luxemburg. Fahrgästen steht auch eine unter anderem mit mechanischen Mitteln erschlossene Unterführung zur Verfügung.

Eisenbahn in Rumänien – der Handlungsbedarf ist riesig!

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Eine Wanderreise in Transsylvanien im August 2022 bot Gelegenheit, Eindrücke vom Eisenbahnwesen in Rumänien zu gewinnen. Leider reichte die Zeit nur für eine Fahrt mit der Flughafenbahn von Bukarest sowie für eine längere Bahnfahrt von Bukarest nach Hermannstadt. Fahrten mit der Untergrundbahn in Bukarest und mit dem Stadtbus von Kronstadt rundeten das Bild ab.

Zusammenfassend ergab sich ein zwiespältiges Bild. Der Erneuerungsbedarf ist riesig. Aber es gibt auch Positives zu berichten. Die innerstädtische Verkehrserschliessung in den besuchten Städten ist zeitgemäss und funktioniert leidlich. Zu erwähnen sind die gut ausgebaute Untergrundbahn von Bukarest sowie die städtischen Busnetze von Brasov und Sibiu. Auch sah ich erfreut, dass westlich von Sighisoara eine längere Neubaustrecke gebaut wurde.

Mehr über meine Eindrücke in diesem Bericht.

Überblick Eisenbahnnetz Rumänien

Gemäss Wikipedia beträgt die Länge des rumänischen Streckennetzes 20’730 Kilometer. Davon sind lediglich 3’292 km elektrifiziert und 2’707 km zweispurig. Auf den wichtigen Magistralen beträgt die Höchstgeschwindigkeit nur 100 km/h. An verschiedenen Stellen wird das Streckennetz mit massgeblicher Unterstützung durch die EU erneuert. Leider werden die bedeutenden Fördermittel nur unzureichend ausgeschöpft, was auf einen schleppenden Ausbau schliessen lässt.

Eigene Reiseeindrücke

 Flughafenbahn

Für die Fahrt vom Flughafen Henri Coanda in die Innenstadt von Bukarest benutzten wir die neu gebaute Flughafenbahn. Die ersten Eindrücke waren durchwegs positiv. Der Weg von der Ankunftshalle zum Bahnhof war kurz und vollständig überdacht. Die Züge fahren in der Regel alle vierzig Minuten. Eingesetzt werden dieselbetriebene Desiro Triebwagenzüge.

Flughafenbahnhof Henri Coanda in Bukarest mit Desiro-Triebwagenzug. (Quelle: DB Engineering & Consulting)
Blick aus dem Flughafenzug kurz vor der Einfahrt in Bukarest Gara Nord.

Auf der ersten Hälfte der rund 25-minütigen Reise fährt der Zug auf einer teilweise hochgelegten einspurigen Neubaustrecke. Diese mündet nach etwa zehn Kilometern in die Stammlinie von Bukarest nach Brasov. Hier verdüstert sich das Bild. Auf der südwestlichen Seite sind die Umrisse eines ehemaligen Güterbahnhofs erkennbar. Die riesige Fläche durchaus von der Grösse des Rangierbahnhofs Limmattal ist von Gras und Büschen überwachsen – ein trauriger Anblick.

Reise von Bukarest nach Sibiu (Hermannstadt)

Die Reise von Bukarest nach Sibiu erfolgte mit einem der beiden direkten Tageszüge. Gemäss Fahrplan verlässt der IR 1623 Bukarest um 09.55 Uhr und endet nach 340 km Fahrt fünf Stunden und 46 Minuten später um 15.41 Uhr in Sibiu. Am 6. August 2022 wurde der aus neun Wagen bestehende Zug jedoch erst um 10.20 Uhr bereitgestellt und verliess Bukarest um 10.35 Uhr. Bei der Abfahrt war der Zug sehr gut besetzt.

Blick auf den Bahnsteig mit den wartenden Fahrgästen im Bahnhof Bukarest Gara Nord..
Blick auf den Gleiskopf im Bahnhof Bukarest Gara Nord.

In Brasov wurden die elektrische Lokomotive gegen eine Diesellok ausgetauscht, und vier Wagen wurden abgehängt. Der Zug traf schlussendlich mit einer Verspätung von 75 Minuten in Sibiu ein. Unser Wagen war sauber, komfortabel und klimatisiert, und die Fahrt war angenehm. Das Reservationssystem funktionierte.

Die Eindrücke von der Fahrt zwischen Brasov und Sibiu waren deprimierend. Überwachsene und ausgedehnte Bahnanlagen zeugten von einer besseren Vergangenheit der Eisenbahn. Oft bewegte sich der Zug auf der häufig schnurgeraden einspurigen Strecke mit geschätzt höchstens 50 km/h.

Leistungsparameter von ausgewählten Strecken ab Brasov

Nachstehend eine Übersicht über die drei wichtigsten Strecken ab Brasov. Mit Ausnahme der Strecke nach Sibiu sind die Strecken zweigleisig und elektrifiziert. Die Angaben wurden dem elektronischen Fahrplan der SBB und einschlägigen Routenplanern entnommen. Die Längen der Eisenbahnstrecken wurden geschätzt.

Die Tabelle kann durch Anklicken vergrössert werden.

Beobachtungen vom Zustand der Strecken

Auf den Fahrten in Transsylvanien folgten wir gelegentlich genutzten Eisenbahnlinien. Gestossene und nicht verschweisste Schienen waren die Regel. Das Gleisbett war häufig überwachsen, und selbst Bahnübergänge von grösseren Strassen waren gelegentlich ungesichert. Die Gleislage war oft uneben, was die tiefen Geschwindigkeiten erklärt. Dazu folgende Bilder.

Gleis im Bahnhof Brasov – typisch für viele Streckengeleise.
Übergang im Bahnhof Brasov.

Bahnhöfe

Auf der Reise nutzte ich ein paar freie Minuten, um die Bahnhöfe von Bukarest, Brasov, Sibiu und Sighisoara zu besichtigen. Überrascht stellte ich fest, dass sich die ersten drei Bahnhöfe durchaus modern und gepflegt präsentieren. Sighisoara wird noch umgebaut. Trotz des dünnen Angebots an Zügen waren die Bahnhöfe belebt und verfügen über eine gute Infrastruktur. Mehr dazu mit ein paar Bildern.

Schalterhalle im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Fahrplantafel im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Anzeigetafel im Bahnhof Bukarest Gara Nord.
Zelt im Bahnhof Bukarest Gara Nord für die Beherbergung von Flüchtlingen aus der Ukraine.
Zelt im Bahnhof Bukarest Gara Nord für die Registrierung von Flüchtlingen aus der Ukraine.
Bahnhofsgebäude von Sibiu.
Innenraum des Bahnhofs von Sibiu.
Blick auf den Bahnsteig des Bahnhofs von Sibiu.
Blick auf den Bahnsteig des Bahnhofs von Sibiu unmittelbar nach der Ankunft unseres Zuges aus Bukarest.
Bahnhofgebäude von Brasov mit vorgelagerter Wartezone für Busfahrgäste.
Innenraum des Bahnhofs von Brasov.
Wandgemälde im Bahnhof von Brasov.
Anzeige im Bahnhof Brasov auf einem Wagen des Nachtzugs nach Wien.
Bahnhofgebäude von Sighisoara.
Blick auf die Bauarbeiten vor dem Bahnhof von Sighisoara mit dem behelfsmässigen Zugang zum Bahnsteig.
Blick auf den Hausperron des Bahnhofs von Sighisoara.
Blick in den Innenraum des Bahnhofs von Sighisoara. Offensichtlich konnte die Frau mit ihren beiden Kindern darin übernachten.

Kommentar

Ganz offensichtlich besteht ein gewaltiger Erneuerungsbedarf. Gemäss Berichten im Internet wird das Bahnnetz an mehreren Stellen erneuert. Eine auf 160 km/h erhöhte Höchstgeschwindigkeit soll die Reisezeiten substantiell verkürzen. Viele Anzeichen sprechen für eine Revitalisierung der Eisenbahn in Rumänien. Es bleibt die Hoffnung, dass die Strukturen und die Usanzen im Wirtschaftsleben dieses schönen Landes den Weg dafür frei machen.

Gemäss den volkswirtschaftlichen Theorien vermögen Investitionen in die Infrastruktur über Multiplikatoreffekte die nationale Wertschöpfung nachhaltig zu mehren – zumal die Kosten zum grossen Teil von der EU getragen werden.

Hinweistafel für den Ausbau einer Teilstrecke von Sighisoara in Richtung Brasov. Die Kosten für den Ausbau der gesamten Strecke belaufen sich dem Vernehmen nach auf rund EUR 1’200 Millionen.

Ein Bijou – der Bahnhof von Derry/Londonderry *

Themen

Eine Studienreise zur Geschichte von Nordirland bot in Derry/Londonderry Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher zum kürzlich renovierten Bahnhof. Dieser Bahnhof ist Endstation der Fernverbindung mit einer Länge von ca. 154 km zwischen Derry (85’000 Einwohner) und Belfast (344’000 Einwohner).

Vor einigen Jahren wurde auf dieser Website eine Übersicht über den öffentlichen Fernverkehr in Irland und Nordirland publiziert. Hier der Link zu diesem Beitrag: Bahn und Bus in Irland / Fakten und Kommentar | fokus-oev-schweiz.

Die Eindrücke vom Bahnhof von Derry waren überwältigend, wie die folgenden Bilder belegen.

Der Bahnhof von aussen

Bahnhofgebäude und Vorplatz.
Bahnhofsgebäude aus der Nähe.
Zugangsbereich von aussen.
Zugangsbereich von innen.

Innenbereich

Blick in die Halle.
Hinweistafel.
Eindruck aus der Halle auf den Eingangsbereich.
Blick auf den Wartebereich in der Halle.

Servicefazilitäten

Billettschalter für Gross und Klein.
Fahrplanaushang neben dem Billettschalter.
Künstlerischer Schmuck an einer freien Wand.
Waschanlage in der Herrentoilette.
Toilettenanlage.

Bahnsteig und Aussenbereich

Blick auf den auch für lange Züge weitgehend überdachten Bahnsteig.
Dieselbetriebener Triebwagenzug nach Belfast bei der Abfahrt.
Geschützte Wartebank auf dem Bahnsteig mit prächtig gestaltetem Windschutz (fein gelochtes Blech).
Abgrenzungsmauer – mutmasslich Fassade eines früheren Gebäudes.
Haltestelle für die Lokalbusse.
Abfahrender Ortsbus.
Hinweistafel auf die Projektträgerschaft.

Und ausserdem

Neben zahlreichen Sehenswürdigkeiten sind mir in Derry bezüglich der Infrastruktur die für Fussgänger gebaute grossartige Friedensbrücke und aufwendig gestaltete öffentliche Plätze aufgefallen. Derry hat viel zu bieten. Empfehlenswert sind die Studienreisen von Partizan Travel mit Sitz in Schierling (D). Gerne stelle ich ein paar Bilder an das Ende dieses Berichts.

Blick auf die architektonisch bemerkenswerte Friedensbrücke aus der Ferne.
Friedensbrücke aus der Nähe.
Ausführungsdetail vom aufwendig gestalteten Platz vor dem Rathaus von Derry.

Verkehrsverlagerung – der Süden legt vor

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Kurt Metz organisierte für die Schweizer Bahnjournalisten unter der Bezeichnung «Verkehrsverlagerung mit Italien und dem Tessin» eine wie immer hoch aktuelle und perfekt organisierte Studienreise. Rund 20 fachkundige Medienfachleute und Vertreterinnen und Vertreter von Transportunternehmen liessen sich vom 15. bis zum 17. Juni 2022 an mehreren Orten aus erster Hand über den Stand und aktuelle Projekte für den alpenquerenden Güterverkehr informieren.

Die Teilnehmenden an der Studienreise waren überall sehr willkommen und gelangten in den Genuss von spannenden Referaten oder eindrücklichen Besichtigungen. Darüber hinaus ermöglichten die Fahrten zwischen den einzelnen Stationen einen anregenden Gedankenaustausch zwischen den Teilnehmenden und die Vertiefung der soeben erhaltenen Informationen.

In diesem Bericht sollen die Höhepunkte der Studienreise in geraffter Form wiedergegeben werden – dies im Wissen, dass jedes Referat und jede Station einer gesonderten Berichterstattung würdig wären.

1.  Etappe – Begrüssung und Kurzpräsentationen in Altdorf / 15. Juni 2022

Um 09.00 Uhr begrüsste Kurt Metz die Referenten und die Teilnehmenden in einem Sitzungszimmer des repräsentativen neuen Bahnhofgebäudes von Altdorf.

Rückseite des Bahnhofs von Altdorf mit der Haltestelle des „Tell“-Fernbusses, mit dem ich aus Luzern angereist war. Im Hintergrund das architektonisch bemerkenswerte Dienstgebäude. Der Bau der Bahnhofgebäude von Altdorf wurde massgeblich von der Urner Kantonalbank finanziert.

Nach einigen organisatorischen Hinweisen leitete Kurt Metz zum ersten Referat über.

In Vertretung von Django Betschart, Geschäftsleiter der Alpen-Initiative, referierte Fabio Gassmann, dort Teamleiter Alpenschutz, über den Alpenschutz am Puls der Zeit. Aus aktuellem Anlass kommt einer nachhaltigen Verkehrspolitik und griffigen Klimaschutzmassnahmen eine erhöhte Bedeutung zu. Mit rund 880’000 Lastwagen im Strassentransit über die Alpen wurde die Limite von 650’000 Fahrten im alpenquerenden Güterverkehr auch 2021 verfehlt.

Mit Besorgnis wird der stagnierende oder gar sinkende Anteil der Schiene im Binnengüterverkehr sowie im Import und Export zur Kenntnis genommen. Befürchtungen verursachen auch die düsteren Aussichten für den nationalen Wagenladungsverkehr. Auch wird die Verlagerungspolitik vermehrt in Frage gestellt, wie Ausführungen von Nationalrat Walter Wobmann im Tages-Anzeiger belegen. Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Richtungsänderung der alpenquerenden Güterverkehrsströme von Süden nach Norden als Folge des Ausbaus der Häfen im Mittelmeer.

Andreas Windlinger, Leiter Kommunikation im Bundesamt für Verkehr BAV, stellt die Stossrichtungen des BAV zur Förderung des alpenquerenden Transitverkehrs vor. So soll die Strecke aus dem Raum Como nach Mailand durch Italien auf Kosten von Italien substantiell erneuert und ausgebaut werden. Mit Unterstützung durch die Schweiz soll südlich von Mailand in Piacenza ein weiterer Güterverkehrsterminal errichtet werden. In den kommenden Jahren sollen am Gotthard pro Stunde in beiden Richtungen je sechs Güterverkehrstrassen eingerichtet werden.

Das BAV ortet weiterhin ein erhebliches Potential entlang des europäischen Güterverkehrskorridor Nr. 1 zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer. Die möglichen Konsequenzen des Ausbaus der Mittelmeerhäfen für die NEAT werden aufmerksam verfolgt. Eine entsprechende Untersuchung wurde abgeschlossen.

Erfreulich ist die Verpflichtung von Italien, die Simplon-Achse in Richtung Mailand und Novara bis Ende 2028 durchgehend für Güterzüge mit vier Metern Eckhöhe ausbauen. Die Schweiz beteiligt sich mit CHF 128 Millionen an den Investitionen, wobei dieser Betrag in Tranchen entsprechend dem Projektfortschritt ausbezahlt wird.

Der nationale Wagenladungsverkehr auf der Schiene steht vor der Schicksalsfrage. Kann dieser Verkehr rationalisiert und mit Subventionen weiter betrieben werden oder droht die Einstellung? Dem Vernehmen eröffnet das BAV im Herbst 2022 eine Vernehmlassung. Die SBB halten vorläufig am Status Quo fest.

Bruno Fischer, Leiter Kombinierter Verkehr bei den SBB, berichtet über die Massnahmen von SBB Cargo beim kombinierten Binnenverkehr. Er hält fest, dass der Anteil des Wagenladungsverkehrs am Ertrag des nationalen Schienengüterverkehrs nach wie vor fast zwei Drittel ausmacht. Die SBB möchten den nationalen kombinierten Verkehr unter anderem mit der Förderung von Anschlussgeleisen, dem Ausbau von Terminals und eigenen Wechselbehältern nachhaltig fördern. Auch erhofft man sich durch die Automatisierung der Kupplung – diese ist bei den Wagen des nationalen kombinierten Verkehrs seit rund einem Jahr im Einsatz – und der Bremsprobe zusätzliche Rationalisierungseffekte.

Pascal Jenni, Chief Commercial Officer der SBB Cargo International, kommt nach einer kurzen Vorstellung von SBB CI auf aktuelle Probleme des europäischen Schienengüterverkehrs zu sprechen. Der Lokführermangel vorab in Deutschland verstärkt sich und bewirkt Zugsausfälle und Annahmesperren. Rastatt war ein einschneidendes Ereignis. Leider hat sich seither in Bezug auf die Förderung wenig getan. Das Problembewusstsein in der Politik und in der Öffentlichkeit ist gering. Zustände wie im Schienengüterverkehr wären in anderen Verkehrsbereichen undenkbar. Zwar wurde das Zulassungsverfahren für Lokomotiven durch ERA standardisiert. Unterschiedliche nationale Anforderungen und die vielen Beteiligten führen zu mehr Komplexität. Das Management in den Güterverkehrskorridoren ist unzureichend. Pascal Jenni glaubt an die Chancen des internationalen Schienengüterverkehrs und fordert mehr Kapazität, mehr Qualität, eine verstärkte Standardisierung sowie mehr fairen Wettbewerb.

Dr. Dirk Pfister, Leiter Produktmanagement und Vertrieb bei BLS Cargo, referiert über Herausforderungen und Chancen im internationalen Schienengüterverkehr. Grosse Sorgen bereitet zurzeit der enorme Anstieg der Strompreise für die Bahn und die zunehmenden Störungen auf der Schieneninfrastruktur vorab in Deutschland. So hat sich der Strompreis für die Bahnen in Deutschland innerhalb einem Jahr vervierfacht. Endlich scheint mit dem angedachten Ausbau der Eisenbahnstrecke zwischen Wörth und Strassburg eine Ausweichroute für den Europäischen Güterverkehrskorridor Nr. 1 zu entstehen. Kritisch sieht Dr. Dirk Pfister die Kapazitätsengässe und die erodierende Qualität der Infrastruktur. Das Angebot im Personenverkehr sollte auf gewissen Strecken überdacht werden, um mehr Trassen für den Güterverkehr zu gewinnen.

Andreas Hollenstein, Leiter Infrastruktur und Betrieb bei der Firma Camion Transport CT, hält fest, dass CT seit vierzig Jahren Stückgut auf der Schiene befördert. CT betreibt 15 Standorte in der Schweiz und lässt pro Nacht bis zu 130 Bahnwagen zirkulieren. Sorgen bereitet der zunehmende Mangel an Fachkräften. Täglich werden 7’500 Sendungen mit einem durchschnittlichen Gewicht von 750 Kilogramm befördert. 75 Prozent der Sendungen über grössere Distanzen werden per Bahn zwischenbefördert. CT bietet ergänzend zur Spedition zunehmend auch Dienstleistungen wie Zwischenlagerung oder die Konfektionierung der Waren an. Als führend in der Transportökologie entwickelt CT auch Vorstellungen über die Ausgestaltung der City Logistik.

Severin Bär, VR und Mitglied der Geschäftsleitung der Planzer Familienholding, informiert über aktuelle Probleme im Güterverkehr auf Schiene und Strasse. Einleitend hält Severin Bär fest, dass sich die Verlagerungspolitik trotz Mängeln bei der Infrastruktur bewährt hat. Sorgen bereiten die starke Zunahme der Staustunden auf dem Schweizer Nationalstrassennetz und die Unterbrüche bei der Schieneninfrastruktur, auch in der Schweiz. Massive Kritik übt Severin Bär am Projekt Cargo Souterrain – statt Phantasien zu huldigen würde man besser die Qualität des Cargo Surterrain nachhaltig fördern. Eine grosse Herausforderung für den Gütertransport ergibt sich durch den Trend zu immer mehr und immer kleineren Sendungen. Severin Bär plädiert für das Abschneiden von alten Zöpfen beim Wagenladungsverkehr. Ein tragfähiges Konzept für den europäischen Güterverkehr ist überfällig.

Planzer beschäftigt über 5300 Mitarbeitende an 69 Standorten, davon 59 in der Schweiz. Planzer besitzt eine Flotte von 1800 Last- und Lieferwagen, mit denen täglich bis zu 23’000 Sendungen spediert werden. Für den Transport zwischen den Standorten werden bis zu 240 Eisenbahnwagen eingesetzt. Planzer betreibt 11 Hochregallager mit einer Kapazität von 177’000 Palettplätzen. Eine Intensivierung der Strassentransporte während der Nacht wird erwogen. Planzer betreibt seit 1996 City Logistik in Zusammenarbeit mit der SBB. In Zermatt erfolgt der Gütertransport zum Endkunden neu auch mit Pferdefuhrwerken.

Daniel Schöni, Inhaber der Firma Schöni, stellt einleitend die Erfolgsgeschichte seines Unternehmens vor. Gegründet wurde die Firma 1969 mit dem Ziel, den dannzumal unzuverlässigen Güterverkehr nach Italien als Marktnische zu erschliessen. Schon früh wurde auf Huckepack gesetzt. 2005 bekannte sich Schöni zum kombinierten Verkehr. 2010 wurde mit 22’800 Aufliegern der Spitzenwert erreicht. Seither erfolgte primär aus Kostengründen eine Rückverlagerung auf die Strasse, zurzeit werden jährlich noch rund 6000 Sendungen mit der Bahn abgewickelt. Daniel Schöni präsentiert den Zerfall der Frachtgebühren anhand einer nachdenklich stimmenden Folie. Die Einführung eines zusätzlichen Blockzuges nach Italien ist äusserst nervenaufreibend und erfordert – so Daniel Schöni – den Konsum von zwei Packungen Valium.

Kostenentwicklung im Transitverkehr. Die Folie wurde den Präsentationsunterlagen von Daniel Schöni entnommen.

Daniel Schöni plädiert für mehr Objektivität und Faktentreue bei der Diskussion um die CO2-Belastung. Die deutschen Kohlenkraftwerke für die Erzeugung von elektrischer Energie sind die grössten CO2-Produzenten Europas. Wie reagieren die Bahnen, wenn die Lastwagen in absehbarer Zukunft ökologischer unterwegs sind als die Güterzüge?

2. Etappe – Besichtigung des Terminals von CT in Cadenazzo / 15. Juni 2022

Nach der Bahnfahrt durch den Gotthard Basis-Tunnel begrüsst uns Andreas Hollenstein in Cadenazzo auf dem Gelände der Firma Camion Transport zur Führung durch den bestehenden und durch die Baustelle des neu entstehenden Terminals.

Der bestehende Terminal für den Umschlag von Gütern zwischen der Bahn und den Lastwagen verfügt im Innern über ein Gleis, auf dem fünf grosse Schiebewandwagen ent- und beladen werden können. Neben dem Gebäude hat es ein Abstellgleis für fünf weitere Schiebewandwagen. Im bestehenden Terminal werden fünfzig Mitarbeitende beschäftigt.

Nach einer kurzen Führung durch den bestehenden Terminal begeben wir uns auf die Baustelle des neuen Umschlagsterminals. Der neue und bedeutend grössere im Entstehen begriffene Terminal hat eine Fläche von 32’000 m2. Er verfügt über zwei Hallengeleise für je 15 Schiebewandwagen. Die Arbeitsabläufe ermöglichen das Arbeiten in zwei Schichten. Speziell ist der baulich abgetrennte Bereich für Gefahrenstoffe. Bei den Investitionen von CHF 42 Millionen hat sich das BAV aufgrund des Güterverkehrsgesetzes an den Kosten der Gleisanlagen beteiligt.

Aussenansicht des bestehenden Terminals.
Baustelle des neuen Terminals.

Auf Anfrage führt Andreas Hollenstein aus, dass sich die Zusammenarbeit mit den übrigen Anbietern von Cargo Domizil auf den Einkauf der Transportleistungen bei den SBB reduziert hat. Sichtlich beeindruckt vom Gesehenen verabschieden sich die Besucher von Andreas Hollenstein. Offensichtlich hat die Eisenbahn im nationalen Güterverkehr durchaus eine Existenzberechtigung – und wie die Investitionen von CT zeigen – auch Entwicklungspotential.

3. Etappe – Besichtigung des Terminals von Hupac in Busto Arsizio / 15. Juni 2022

Nach der Bahnfahrt nach Luino fahren wir mit einem Bus nach Busto-Arsizio zum grossen Terminal der Firma Hupac AG, wo wir von Irmtraut Tonndorf, Director Marketing & Communication, zur Vorstellung ihres Unternehmens empfangen werden.

Die Hupac AG gehört zu 72 Prozent privaten Transportunternehmen und zu 28 Prozent Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen. Sie wurde 1967 gegründet und besitzt über 8100 Tragwagen. 2021 hat Hupac per Bahn über 1’120’000 (Strassen-) Sendungen transportiert. Hupac beschäftigt an mehreren Standorten in Europa rund 630 Mitarbeitende und hat 2021 bei einem Umsatz von CHF 682.5 Mio. einen Reingewinn von CHF 12.4 Millionen erzielt. Der Corona-bedingte Einbruch in 2020 konnte 2021 mit einem Wachstum von 10.7 Prozent teilweise wettgemacht werden. Hupac erbringt ihre Leistungen primär auf der Nord/Süd-Achse und will ergänzend den bereits bestehenden Ost/West-Verkehr mit neuen Zügen ausbauen.

Hupac AG sieht ein grosses Entwicklungspotential und wird zwischen 2021 und 2026 über EUR 500 Mio. in neue und in die Erweiterung bestehender Terminals investieren. Dank einem Wachstum von sieben Prozent soll die Anzahl Sendungen am Ende der Planungsperiode 1.6 Millionen Sendungen pro Jahr erreichen. Mit dem multinationalen EVU BoxXpress wird unter der Bezeichnung «Maritime Shuttle» ein neuer Produktionszweig für den Transport ab den Containerhäfen am Mittelmeer und an der Nordsee geschaffen. Heute werden von Norden nach Süden rund 43 Millionen TEU und in der Gegenrichtung 11 Millionen TEU transportiert. Man erwartet, dass sich die Ströme dank dem Ausbau der Häfen am Mittelmeer und der Bahninfrastruktur angleichen werden, was Hupac AG eine bessere Auslastung ihrer Kapazitäten ermöglichen soll.

Leider, so Irmtraut Tonndorf, haben sich die Probleme im internationalen Schienengüterverkehr in jüngster Zeit massiv verschärft. In der Vorwoche fielen 40 Prozent der Züge aus – im langjährigen Durchschnitt liegt diese Kennzahl bei fünf Prozent – was beim Betrieb und bei den Kunden zu grossen Schwierigkeiten führt. Nur bei einem Bruchteil der verhinderten Transporte kann auf die Strasse ausgewichen werden. Welcher unvernünftige Spediteur würde der Eisenbahn vor diesem Hintergrund verderbliche Ware anvertrauen?

Die DB hat die Probleme bestätigt und Besserung durch bessere Koordination der baulichen Massnahmen versprochen. Hupac AG verfügt bei den Eisenbahnwagen über eine Reserve von zehn Prozent und hat begonnen, eigene Lokführer für den Einsatz bei den beauftragten EVU auszubilden. Unglücklicherweise können die Züge von Hupac AG bei Störungen im deutschen Netz kaum auf französische oder österreichische Transitachsen ausweichen. So müssen bei Störungen in letzter Instanz viel zu häufig Annahmestopps für Güter verfügt werden.

Auf einem Abstecher ins Gelände des Terminals werden den Besuchern die gewaltigen Dimensionen der Anlage ersichtlich. Auf eine Fläche von 245’000 m2 befinden sich dreizehn Umschlaggeleise, elf Abstellgeleise und fünf Wartungsgeleise. Sechs Geleise stehen für Überholungen zur Verfügung. Zwölf Portalkrane ermöglichen theoretisch den Güterumschlag von 33 Zugspaaren pro Tag. Technische Gründe limitieren die Anzahl Zugspaare jedoch auf 25 Einheiten.

Noch zu vorgerückter Stunde herrscht reger Betrieb im Hupac-Terminal in Busto-Arsizio.
Einer der Portalkräne im Hupac-Terminal von Busto-Arsizio.

Marco Terranova, Managing Director von SBB Cargo Italia, erläutert die italienische Sicht eines internationalen EVU. Er beanstandet den konzeptlosen Mitteleinsatz beim Bau und Unterhalt des Schienennetzes sowie strukturelle Hindernisse durch überholte Betriebsvorschriften. Ein Ärgernis ist beispielsweise der in einigen Ländern vorgeschriebene Einsatz eines zweiten Lokführers, was die Transportkosten um einen Viertel erhöht. Die starke Erhöhung der Strompreise verteuert die Trassenkosten um etwa einen Drittel. Diese können von den EVU nicht weiterbelastet werden. Marco Terranova kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Schienengüterverkehr im Gegensatz zum Strassentransport für die Ertragsausfälle wegen Corona kaum Subventionen erhielt.

Auch Marco Terranova bemängelt die unzureichenden Absprachen innerhalb der europäischen Güterverkehrskorridoren sowie die Kapazität und Erreichbarkeit der Terminals. Sorgen bereiten in Italien auch die Betriebsvorschriften der Netzbetreiberin RFI, indem beispielsweise Pönale für zu lange Züge verhängt werden. Zudem könnte die Kapazität der Rangier- und Abstellbahnhöfe von Domodossola durch neue Vorschriften bis zu einem Drittel reduziert werden. Die Besetzung von zahlreichen Positionen im Management von RFI mit Kadermitarbeitenden aus dem Personenverkehr schlägt sich in fehlender Leistungs- und Marktorientierung nieder. Haftungsregeln bei Mängeln fehlen, und wichtige Vereinbarungen für die Leistungserbringung müssen jährlich aktualisiert. Unterschiedliche Regeln innerhalb der EU im Schienengüterverkehr wie Bremssohlen, RID, Zuglänge, Sprache und ERTMS sind zu vereinheitlichen. Der Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen den Häfen in Ligurien und dem Hinterland durch den Terzo Valico wird begrüsst, muss jedoch durch flankierende Massnahmen in den Häfen ergänzt werden. Vor allem müssen genügend Warteräume für Güterzüge im Hinterland bereitgestellt werden. Der Nutzen der Korridore wird wegen den Qualitätsmängeln in Frage gestellt. Die Bahn ist nicht (mehr) in der Lage, Sendungen nach dem «Just-in-Time»-Prinzip zu transportieren.

Der Präsident der Internationalen Vereinigung der Gesellschaften für den Kombinierten Verkehr Schiene/Strasse UIRR, Ralph-Charley Schulze, sieht ein ideales Momentum für den Ausbau des Kombinierten Verkehrs als umweltfreundliche Transportart. Leider wird der Nutzen von Förderungsmassnahmen gelegentlich durch gegenläufige Massnahmen eingeschränkt. Wie Marco Terranova fordert Ralph-Charley Schulze eine verstärkte Standardisierung im internationalen Güterverkehr. Die Gewichtsbeschränkung für die Lastwagen ist dringend beizubehalten. Erwogen werden sollte die Ausgründung der europäischen Güterverkehrskorridore in eigene Unternehmen. Ralph-Charley Schulze teilt die Meinung von Daniel Schöni bezüglich einer ganzheitlichen Betrachtung der CO2-Problematik und einer Vereinheitlichung der Messsysteme für den CO2-Ausstoss.

Die interessante Besichtigung des Terminals von Busto-Arsizio schliesst mit einem Abstecher zum eindrücklichen Umschlagsterminal der Firma Schöni. Hier werden die mit Lastwagen angelieferten Sendungen für den Weitertransport auf der Schiene auf Güterwagen verladen – mehrheitlich von Süden nach Norden.

Verladerampe des Terminals der Firma Schöni in Busto-Arisizio.
Innenraum des Terminals der Firma Schöni in Busto-Arsizio mit Konsumgütern für die Schweiz.

Busfahrt von Busto-Arsizio nach Alessandria / 15. Juni 2022

Auf der Weiterfahrt nach Alessandria ergeben sich spannende Gespräche. Der Bedarf nach einer einheitlichen Bahnsprache, wohl Englisch, wird diskutiert. Der Einsatz der englischen Sprache ist aus Sicht des Verfassers überfällig.

Auch die Vorschrift der Streckenkundigkeit für das Lokpersonal wird in Anbetracht der neuen Leitsysteme wie ERTMS in Frage gestellt. Aus Sicht eines Fachmanns sprechen Sicherheitsüberlegungen für die Beibehaltung dieses Prinzips.

Federico Rossi, Mitarbeiter von BLS Infrastruktur, dessen Referat «Ausbauperspektiven für die Simplon-Achse» aus zeitlichen Gründen ausfallen musste – die Unterlagen der Präsentation stehen in schriftlicher Form zur Verfügung – könnte die Stabilität des Netzes in Deutschland durch die Herrichtung von Nebenstrecken für den Güterverkehr und die Optimierung der Stellwerke relativ rasch und mit vertretbarem Aufwand verbessert werden. Parallel dazu müsste die Flexibilität auf den Hauptstrecken durch die Bereitstellung von Ausweichgleisen und Gleiswechselmöglichkeiten (Banalisierung) erhöht werden.

4. Etappe – Allgemeine Einführung und Besichtigung des Hafens von Genova Pra / 16. Juni 2022

Nach einer durch den Stau auf der Autobahn verzögerten Busfahrt treffen wir kurz nach zehn Uhr auf dem Hafengelände im Zentrum von Genua ein. Der Stau wurde durch ausgedehnte Sanierungsarbeiten an der Autobahn verursacht. Beim Vorbeifahren zeigten sich für hiesige Vorstellungen undenkbare Betonschäden an Tunnelwänden, Stützmauern und Brücken. Der Sanierungsbedarf ist riesig. Bemerkenswert war auch die Herkunft der grossen Lastwagen. Die langsame Fahrt ermöglichte die Feststellung der Herkunft der Fahrzeuge. Eine spontane Stichprobe von zehn hintereinander fahrenden grossen Lastwagen ergab, dass nur drei davon in Italien immatrikuliert waren. Vier Lastwagen stammten aus Portugal oder Spanien, und drei aus Polen und Rumänien.

Um 10.40 Uhr Uhr begrüsste uns Paolo Emilio Signorini, Präsident der Western Ligurian Sea Port Network Authority im Palazzo San Giorgio, dem aus dem frühen Mittelalter stammenden, prunkvollen Verwaltungsgebäude der Hafenaufsichtsbehörde.

Flüchtig aufgenommenes Bild aus dem Plenarsaal des Palazzo San Giorgio in Genua.

In einer kurzen Ansprache erwähnte Paolo Emilio Signorini die einst dominante Bedeutung des Hafens von Genua für die Schweiz und lobte die NEAT. Er führte aus, dass 60 Prozent der Anlieferungen von Gütern per Schiff in Containern oder verwandten Transportgebinden eintreffen. Die Häfen von Genua wollen den Anteil der mit der Bahn weiter beförderten Container von heute 15 auf 25 Prozent erhöhen. Zu diesem Zweck wird die Bahnerschliessung substantiell ausgebaut. Der relativ tiefe Anteil der Schiene ist primär durch die kurzen Transportdistanzen in das wirtschaftliche starke Hinterland bedingt.

Karte des Schienennetzes im Grossraum Genua. Der Verlauf der Neubaustrecken des Projekts Terzo-Valico ist schwach erkennbar. Die Karte wurde mit bestem Dank dem „Eisenbahnatlas Italien/Slowenien“ von Schweers+Wall entnommen.

Nach der Einführung durch Paolo Emilio Signorini präsentieren Mitarbeitende eine Fülle von Fakten über die Häfen in Ligurien. Die Häfen in Ligurien zählen zu den bedeutendsten Tiefseehäfen im Mittelmeer mit einer Kapazität von 2.8 Millionen TEU. Die Häfen beschäftigen über 31’000 Mitarbeitende. Dazu kommen gegen 70’000 weitere Arbeitsplätze bei Zuliefer- oder Nebenbetrieben. Die vier Häfen der Hafenbehörde erstrecken sich über eine Fläche von sieben Quadratkilometern. Die Länge der Kais mit insgesamt 30 Anlegestellen mit Portalkränen beträgt über 17 Meilen, entsprechend knapp 26 Kilometer.

Der Corona-bedingte Einbruch konnte beinahe wettgemacht werden. Neben dem Umschlag von Waren werden ergänzende Dienstleistungen wie Schiffbau und Unterhalt sowie Wartung und Entsorgung angeboten. Zudem werden mittelgrosse Yachten gefertigt, und mit über 2 Millionen Passagieren gehören die Häfen von Genua auch im Personenverkehr zu den grössten Häfen Europas. In Ligurien sind mit MSC in Genua und mit Costa Cruises in Savona zwei der weltweit grössten Redereien domiziliert.

Ein paar Zahlen dokumentieren das stürmische Wachstum des Containerverkehrs und das Gewicht der Häfen in Ligurien beim Umschlag von Containern. Insgesamt wurden 2021 in italienischen Häfen 7.2 Millionen TEU gelöscht, davon 61.5 Prozent in den Häfen von Ligurien und 19.8 Prozent an den adriatischen Häfen.

Von 2011 bis zu dem durch Corona beeinträchtigten Jahr 2021 wuchs die Anzahl der Containerzüge pro Jahr von 5155 auf 9387 Züge. Die Zunahme der per Bahn weiter beförderten Container stieg von rund 246’000 TEU auf 380’328 TEU. Der Anteil der Eisenbahn am gesamten Containerverkehr stieg von 14.6 Prozent auf 15.7 Prozent. Die meisten Container – und das mit steigendem Anteil – waren für Abnehmer im Piemont und in der Lombardei bestimmt. Wie von Paolo Emilio Signorini ausgeführt soll der Anteil der ab Genua mit der Eisenbahn weiter beförderten Container mit dem Ausbau der Bahninfrastruktur gesteigert werden, wie etwa durch den Ausbau des Streckennetzes und der Rangierbahnhöfe.

Zurzeit verkehren in der Regel nur je drei Containerzüge pro Woche nach Busto-Arsizio und nach Frenkendorf. Acht Züge fahren nach Melzo. Stark wachsend ist der Anteil von neuen EVU am Transportvolumen.

In der Diskussion erläutert Pascal Jenni die Strategie von SBB Cargo International für die Gewinnung von neuen Kunden. Leider wurden diese Bestrebungen durch Corona empfindlich behindert.

Im Anschluss an diese interessanten Präsentationen verschieben wir uns zum Hafen von Genova Pra, wo wir im Verwaltungsgebäude von Massimiliano Cozzani, Senior Manager von PSA, und seinem Team empfangen werden. Der Hafen gehört mehrheitlich zur Port of Singpore Authority PSA, der weltweit grössten Betreiberin von Häfen. Über die Häfen von PSA wurden 2021 weltweit 91.5 Mio. TEU umgeschlagen. In 28 Ländern befinden sich 53 Häfen und 60 Terminals.

Ausblick vom Verwaltungsgebäude auf die ausgedehnten Hafenanlagen von Genova Pra.

Vom obersten Geschoss des Verwaltungsgebäudes bietet sich ein guter Überblick über die imposanten Hafenanlagen. Die Fläche ist in drei Zonen unterteilt, nämlich die Ship-Side (Umschlag Schiff-Land), die Yard-Side (Lagerfläche) und die Quay-Side (Umschlag Lager-Lastwagen oder Bahn). Der überwiegende Teil der Container wird auf der Strasse weiterbefördert. An Spitzentagen erfolgen 2000 Lastwagenfahrten, im Jahresdurchschnitt sind es pro Tag rund 1800 Fahrten. Der Mangel an qualifizierten Chauffeuren hat bedrohliche Ausmasse angenommen. Pro Woche verlassen zwischen 91 und 96 Züge den Hafen von Genova Pra. Die maximale Kapazität liegt bei 120 Zügen pro Woche. Allerdings ist die Zuglänge auf 460 Meter beschränkt – statt der angestrebten Länge von 750 Metern. Das Verlagerungspotential für die Eisenbahn vorab im internationalen Güterverkehr ist gross. Man schätzt, dass der Transport von Containern aus Asien über die Häfen am Mittelmeer – anstatt über die Nordseehäfen – zu den Empfängern in Mitteleuropa zwischen 15 und 40 Prozent weniger CO2 verursacht und zudem vier bis sieben Tage weniger in Anspruch nimmt.

Zudem verfügen die Häfen am Mittelmeer im Gegensatz zu den chronisch überlasteten Häfen an der Nordsee über freie oder rasch zu erschliessende Kapazitäten. In krassem Gegensatz zu den hiesigen Vorurteilen wurden die Häfen in Ligurien seit 20 Jahren nicht mehr bestreikt. Als positiv zu werten ist, dass das allgemeine Bewusstsein über die Probleme im europäischen Güterverkehr steigt.

5. Etappe – Besichtigung des neuen Tiefseehafens Savona Vado Ligure / 16. Juni 2022

Nach der Busfahrt gelangen wir zum neuen Tiefseehafen von Vado Ligure. Dieser moderne Hafen wurde nach kürzester Bauzeit im Dezember 2019 eröffnet und verfügt über eine Kapazität für 1.1 Mio. TEU. Neben dem Containerhafen befindet sich ein weiterer neuer Hafen für den Umschlag von anderen Gütern wie Autos oder Oel. Unweit der Hafenanlagen erkennt man ein Werk der von Alstom übernommenen Bombardier AG für die Herstellung von Eisenbahnfahrzeugen.

Eisenbahnlinien im Grossraum Savona. Seit einigen Jahren ist die Neubaustrecke Richtung Ventimiglia in Betrieb. Die Karte wurde mit bestem Dank dem „Eisenbahnatlas Italien/Slowenien“ von Schweers+Wall entnommen.

An die kurze Einführung von Daniela Mossa, Commercial Manager, schliesst eine Besichtigung der Hafenanlagen an. Der Betrieb der Yard-Side erfolgt vollautomatisch. Die Container werden mit den Kränen vom Schiff auf die Ship-Side abgeladen. Von da werden sie vollautomatisch mit den Portalkränen in der Yard-Side zwischengelagert und von dort unmittelbar vor dem Abholen auf der Quay-Side deponiert, von wo aus sie mit manuell bedienten Stackern auf Lastwagen oder Eisenbahnwagen verladen werden. Die Zeit zwischen dem Eintreffen der Lastwagen und dem Beladen mit dem Container wird als GMPH bezeichnet und liegt unter 30 Minuten. Die eindrücklichen und fast hundert Meter hohen Portalkräne wurden vollständig gefertigt aus China importiert und auf das Festland verschoben. Eindrücklich sind auch Ausmasse und die Beweglichkeit der imposanten Stacker.

Imposanter und fast hundert Meter hoher Hafenkran zum Abladen der Container vom Schiff auf das Festland. Die Hafenkräne wurden in ihrer ganzen Grösse fertig montiert von China nach Vado Ligure verschifft und hier abgeladen.

Nach der Besichtigung der Hafenanlagen begrüsst uns Dr. Luigi Ghilotto, Senior Manager von Vado Ligure, und ergänzt die Ausführungen von Daniela Mossa. Die Häfen von Vado Ligure gehören der weltweit tätigen APM-Gruppe. Chinesische Investoren sind mit einer Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent an den Häfen beteiligt. Die Betreiber von Vado Ligure streben die Ansiedelung von Firmen in der weiteren Umgebung der Häfen an. Unter anderem wurden frühere Getreidesilos für die Zwischenlagerung von ungerösteten Kaffeebohnen umgenutzt. Die maximale Kapazität der Anlagen liegt bei sagenhaften 65’000 Tonnen. Weitere Kooperationen unter anderem mit Nestlé sind in Vorbereitung.

Der Anteil der Eisenbahn an den weiter beförderten Containern liegt zurzeit bei 24 Prozent und soll auf 40 Prozent gesteigert werden. Zurzeit verlassen täglich durchschnittlich fünf bis sieben Züge den Hafenbahnhof von Vado Ligure. Möglich wären zwölf Züge. Die Infrastruktur soll für die Bildung von 750 Meter langen Güterzügen ausgebaut werden. Angestrebt wird eine Kooperation mit Hupac über das Terminal von Busto-Arsizio.

Die Anlagen und die Infrastruktur hinterlassen bezüglich des Umweltschutzes und der Qualität der Arbeitsplätze einen vorzüglichen Eindruck. Der Schutz von Umwelt, Menschen und Gütern geniesst höchste Priorität. Zwischen den Betrieb der Hafenanlagen und der touristischen Nutzung der Strände von Savona ergaben sich Zielkonflikte, die gemäss den vorliegenden Informationen einvernehmlich gelöst werden konnten.

6. Etappe – Stiftung SLALA / 16. Juni 2022

Auf dem Weg vom Hotel zum Vortrag der Stiftung SLALA begegnen wir dem Geburtshaus der legendären Firma „Borsalino“.

Vor dem Abendessen stellen uns Vertreter in Alessandria SLALA vor. Diese Stiftung strebt mit grossem Engagement der Mitwirkenden die Förderung des Grossraums Alessandria für die Ansiedelung von Industrie, Gewerbe und Transportfirmen an. Sie orientieren sich dabei am Erfolg von ähnlichen Fördermassnahmen im Raum Tortona. Die in wenigen Jahren in Betrieb gehende neue Eisenbahnverbindung zwischen den ligurischen Häfen und Alessandria bietet grosse Chancen. Alessandria verfügt über eine Flächenreserve von rund 1 Mio. m2 und eine ungenutzte Abstellanlage für Güterwagen. Zudem ist Alessandria hervorragend an das italienische Schienennetz und an drei Autobahnen angebunden. Als Alternative zum Ausbau der Rangieranlagen bei den Häfen könnten von dort kürzere Güterzüge nach Alessandria geführt und hier in 750 Meter langen Zügen umformiert werden.

7. Etappe – Besichtigung von zwei Baustellen des Terzo Valico / 17. Juni 2022

Firmenschild der Firma WeBuild.

Am 17. Juni 2022 begrüsst uns Mariano Concetti, Direktor bei RFI und für das gesamte Projekt verantwortlich, in Arquata Scrivia zur Präsentation von Terzo Valico dei Giovi. Zur Gruppe der Bahnjournalisten gesellen sich je grössere Gruppen der Gesellschaft der Ingenieure des öffentlichen Verkehrs GDI und einer schweizerischen Kaderorganisation. Insgesamt nehmen über 70 Personen an der Präsentation teil.

Übersichtskarte über das Projekt „Terzo Valico dei Giovi“. Besichtigt wurden die Baustellen ADVE und OVVG/NV05.

Walter G. Finkbohner – er hat sich hinter den Kulissen sehr für unser heutiges Programm eingesetzt – übersetzt die auf Italienisch vorgetragenen Ausführungen von Mariano Concetti und seiner Projektleiter laufend auf Deutsch.

Das Projekt bezweckt den Bau einer neuen Hochleistungsstrecke zwischen Genua und der Poebene. Damit entsteht als Ergänzung zu den bestehenden beiden doppelspurigen Strecken zwischen Genua und Arquata Scrivia eine dritte Eisenbahnlinie. Zur konsequenten Trennung der Verkehrsarten wird das Projekt im Grossraum Genua mit einem für die S-Bahn bestimmten 2.5 Kilometer langen Tunnel ergänzt. Die Streckenlänge beträgt 53 Kilometer, wovon 37 Kilometer in Tunnels. Die maximale Steigung beträgt 12.5 Promille, was das Führen von 750 Meter langen Zügen mit einer Lokomotive ermöglicht. Grundsätzlich werden zwei einspurige Tunnels mit einem Querschnitt von je 73 m2 gebaut. Der Querschnitt in den doppelspurig ausgeführten Tunnelzufahrten beträgt 106 m2.

Dazu kommt eine bereits gebaute Anbindung des Hafens von Genua Pra. Das Budget für die weitgehend von der EU finanzierten Investitionen beträgt EUR 6.167 Mia, dazu kommen EUR 988 Mio. für den Knoten Genua und EUR 306 für den Anschluss des Hafens bei Genua Campobasso.

Die von den Firmen Cociv und WeBuild gebauten Strecken sollen 2026 in Betrieb genommen werden. Im Bereich von Arquate Scrivia verzweigt die Strecke in zwei Teilstrecken – eine davon führt nach Tortona und die andere in Richtung Alessandria.

Auch die Zulaufstrecken zum Terzo Valico werden mit einem enormen Mitteleinsatz ausgebaut. So wird die Strecke von Milano Rogoredo bis nach Pavia für EUR 250 Mio. durchgängig auf vier Geleise erweitert. Die Strecke von Pavia nach Tortona wird für EUR 156 Mio. erneuert und für eine Geschwindigkeit von 180 km/h hergerichtet. Im Zuge dieser Arbeiten werden Vorbereitungen für eine spätere Erweiterung auf Vierspur getroffen. Ebenfalls mit einer zweiten Doppelspurstrecke erweitert wird die topografisch anspruchsvolle Strecke zwischen Tortona und Voghera. Die Kosten dafür erscheinen mit EUR 500 Mio. vergleichsweise hoch. Alle Strecken werden für die Umstellung auf ERTMS bzw. ETCS vorbereitet.

Aus schweizerischer Sicht ist erfreulich, dass dem Vernehmen nach Abklärungen für den Ausbau der direkten Verbindung zwischen Milano Rogoredo und Monza bzw. der Anbindung der Flughäfen von Malpensa an die Fernverbindung zwischen Domodossola und Mailand im Gang sind. Auch soll die Strecke von Como nach Monza beschleunigt und ggf. mit einem dritten Gleis erweitert werden.

Nach den Präsentationen werden die Teilnehmenden mit Kleinbussen zu zwei von insgesamt zwölf Grossbaustellen befördert. Daneben wurden für den Bau sechs ausgedehnte rückwärtige Werkplätze eingerichtet.

Baustelle ADVE – Blick aus dem Tunnel auf das Verzweigungsbauwerk Richtung Tortona und Alessandria.
Baustelle ADVE – weiterer Blick auf das Verzweigungsbauwerk.
Eindruck von der Baustelle NV05.
Ein weiterer Eindruck von der Baustelle NV05.

Die Teilnehmenden werden für die Besichtigung mit neuen Schutzwesten, Schutzhelmen und Sicherheitsschuhen ausgerüstet und unterwegs mit einem reichhaltigen Apéro riche verpflegt. Dankbar und sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft und vom Gesehenen werden die Teilnehmenden am Nachmittag im Grossraum Genua verabschiedet.

Kommentar

Vorab ein grosses Dankeschön an Kurt Metz für Organisation und die Leitung der hoch interessanten Reise, den Referentinnen und Referenten für die uns gewidmete Aufmerksamkeit und die Fülle von Informationen, den Sponsoren für ihre Unterstützung, Dr. Max Ehrbar für das Lektorat und – last but not least – den Teilnehmenden für die bereichernden Gespräche unterwegs.

Ich habe davon abgesehen, den Referentinnen und Referenten diesen Beitrag zur Stellungnahme zukommen zu lassen. Ich bitte ggf. um Korrekturwünsche, die ich umgehend einarbeiten würde.

Zum Schluss zwei kritische Fragen:

  1. Ich habe in diesem Beitrag auf die Herkunft der Lastwagen auf Fahrt nach Genua hingewiesen. Ähnliche Beobachtungen habe ich in den letzten Monaten am Brenner, auf deutschen Autobahnen und auf dem Balkan gemacht. Ich frage mich, ob das Fokussieren auf eine zusätzliche Anzahl Züge aus dem Mittelmeerraum nach Norden aufgrund der Situation nicht ein viel zu bescheidenes Ziel ist und ob man sich nicht gescheiter auf eine fundamentale Stärkung des europäischen Schienengüterverkehrs konzentrieren sollte.
  2. Zweitens stellt sich die Frage, ob die Struktur und die Eigentumsverhältnisse der europäischen Güterbahnen in Anbetracht der alarmierenden Zustände im europäischen Schienengüterverkehr noch angemessen sind.