Topics
Am 12. Dezember 2022 wurde nach zehn Jahren Bauzeit der Betrieb auf der rund 60 Kilometer langen Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm aufgenommen. Der Verfasser befuhr die Strecke am 4. Januar 2023 und am 17. Januar 2023. Die Eindrücke waren überwältigend. Leider wurde der positive Eindruck durch ein paar Mängel an den Publikumsanlagen beeinträchtigt.
Erfreulich ist auch der Stand bei den Anschlussbauwerken in Wendlingen. Eines davon wird bereits genutzt, das zweite ist praktisch fertiggestellt und das dritte befindet sich in Arbeit.
Mehr über die grossartige Neubaustrecke und die Situation in Wendlingen in diesem Bericht.
Streckenverlauf
Die Neubaustrecke schliesst in Wendlingen am Neckar an die Strecke vom Flughafen Stuttgart – diese ist Bestandteil des Projekts Stuttgart 21 und befindet sich noch im Bau – an. Die Strecke steigt vom niedrigsten Punkt bei Wendlingen auf 276 Metern über Meer nach 25 Kilometern bis zum Scheitelpunkt beim Steinbühltunnel auf 746 Metern über Meer. Anschliessend sinkt die Strecke auf den nächsten 35 Kilometern ab zum Hauptbahnhof von Ulm auf 266 Metern über Meer.
30 Kilometer der total 61 Kilometern langen Neubaustrecke liegen in fünf Tunnels. Nur elf Kilometer der Strecke wurden ohne Kunstbauten errichtet. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 Km/h. Die maximale Steigung liegt abgesehen von zwei kurzen Abschnitten bei 2.5 Prozent. Die längeren Tunnels wurden mit zwei Röhren gebaut.
Die Neubaustrecke führt durch fünf Tunnels und – wohl als markanteste Bauwerke – über die beiden etwa 480 Meter langen und bis 85 Meter hohen einspurigen Filstalbücken
Etwa in der Mitte der Strecke wurde in Merklingen-Schwäbische Alb ein viergleisiger Regionalbahnhof errichtet.
Die Neubaustrecke ist mit ETCS Level 2-Signaltechnik ausgerüstet. Die Geleise liegen durchgängig auf einer festen Fahrbahn.
In Ulm mündet die Neubaustrecke direkt in den Hauptbahnhof. In Wendligen bestehen zwei Anschlüsse an die Bestandesstrecke von Plochingen nach Tübingen. Die lange umstrittene «Güterzugsanbindung» ermöglichte die vorzeitige Inbetriebnahme der Neubaustrecke vor der Fertigstellung des Projekts Stuttgart 21. Von Süden her erfolgt die Einbindung der Bestandesstrecke aus Tübingen kreuzungsfrei mit den beiden sogenannten «Wendlinger-Kurven». Die Arbeiten für die «Kleine Wendlinger-Kurve» sind praktisch abgeschlossen, während die nachträglich bewilligte «Grossen Wendlinger-Kurve» noch im Bau ist.
Die Kosten der gesamten Neubaustrecke inklusive einer neuen Brücke über die Donau bei Ulm liegen bei EUR 3.985 Milliarden. An diesen Kosten beteiligen sich der Bund mit rund 51 Prozent, die EU mit 17 Prozent, das Land Baden-Württemberg mit 28 Prozent und die Deutsche Bahn AG mit 4 Prozent.
Betriebskonzept
Zurzeit wird die Strecke in der Regel in jeder Richtung von zwei ICE und einem IRE 200 befahren. Der IRE hält stündlich in Merklingen-Schwäbische Alb. Die IC und die Regionalzüge sowie die Güterzüge verkehren weiterhin auf der Bestandesstrecke über die Geislinger-Steige.
Die ICE fahren zwischen Stuttgart und Ulm ohne Halt. Die Fahrzeit zwischen diesen beiden Städten verkürzt sich durch die Fahrt über Neubaustrecke von knapp einer Stunde auf etwas über vierzig Minuten. Die neu eingeführten IRE 200 verkehren nur zwischen Ulm und Wendlingen, wo auf die Züge des Regionalverkehrs umgestiegen werden muss.
Eindrücke von meinen beiden Fahrten
In Ulm werden das Bahnhofgebäude und der Vorplatz umgebaut. Die vielversprechenden Arbeiten sind noch im Gang. Die Bahnsteige lassen sich über die neue südliche repräsentative Fussgängerüberführung erreichen, in der Mitte durch die bestehende etwas enge Unterführung und nördlich über eine Rampe.
Wie einige der folgenden Bilder zeigen, besteht Handlungsbedarf.
Der Regionalbahnhof Merklingen-Schwäbische Alb wurde als regionaler Verkehrsknotenpunkt konzipiert. Regionalbusse fahren vom Bahnhof in die umliegenden Dörfer. Daneben verfügt der Bahnhof über rund 200 Parkplätze und zwei schmucke Gebäude. Eines der Gebäude dient als Parkhaus für Fahrräder, im anderen sind kostenlos zu benutzende Toiletten und ein kleiner Bankschalter untergebracht. Trotz dem durchwegs positiven Eindruck von den Anlagen orte ich auch in Merklingen-Schwäbische Alb Optimierungspotential.
In Wendlingen müssen die nach Stuttgart weiterreisenden Fahrgäste des IRE 200 einen relativ weiten Fussweg zur Unterführung und von hier zum Bahnsteig der Züge nach Stuttgart auf sich nehmen – glücklicherweise nur bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 im Jahr 2025.
Bilder von den Anschlusswerken bei Wendligen
Ein paar abschliessende Bemerkungen
Als Vergleichsobjekte für die Überführung in Ulm und den Bahnhof Merklingen möchte ich auf die neue Überführung im Bahnhof von Luxemburg und den Bahnhof Kühnsdorf an der Koralmbahn hinweisen. Bauten dieser Qualität wären aus meiner Sicht der grossartigen Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und dem Projekt Stuttgart 21 angemessener.
Und abschliessend verbleibt die Hoffnung, dass die lieblose Detailausführung bei den Publikumsanlagen in Ulm und Merklingen auf die bauliche Infrastruktur beschränkt bleibt und nicht beispielsweise auch bei der Technik auftritt.
tolle Fotos
„lieblos“ ist genau der Ausdruck, den ich im Zusammenhang mit der DB seit langem gesucht habe
Tolle Fotos, viele SBB Vorortsbahnhöfe sehen leider noch schlimmer aus.