Avenir Mobilité – Wettbewerb und Kooperation: Wohin steuert das schweizerische öV-System?

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Die öffentlichen Dienste – neudeutsch als Public Services bezeichnet – stehen seit längerem im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation. Dies gilt im Besonderen für den öffentlichen Verkehr. Auch in der Schweiz haben sich die oft von unterschiedlichen weltanschaulichen Standpunkten geprägten Diskussionen intensiviert.

Avenir Mobilité hat der Thematik am 22. September 2020 im Zentrum Paul Klee in Bern eine gut besuchte Dialogveranstaltung gewidmet. Gerne berichten wir hier über die unter dem Arbeitstitel «Wettbewerb und Kooperation – Wohin steuert das schweizerische öV-System» durchgeführte Veranstaltung.

Nach der Begrüssung durch Dr. Hans Werder, Präsident von Avenir Mobilité werden die rund hundert Teilnehmenden mit drei Kurzreferaten auf die Thematik eingestimmt.

«Beispiel Luftverkehr – was hat die Liberalisierung gebracht?»

Marcel Zuckschwerdt, stellvertretender Direktor beim Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL und dort Leiter der Abteilung Luftfahrtentwicklung, fasst in seinem Referat die Entwicklung des zivilen Luftverkehrs seit dem Zweiten Weltkrieg zusammen.

Wesentliche Meilensteine waren die Gründung der ICAO als Sonderorganisation der UN im Jahre 1944, verbunden mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen für die Entwicklung des Luftverkehrs. Mit der Ratifikation 1947 übernahm die Schweiz diese Bestimmungen.

Zwischen 1950 und 1970 wurde die Entwicklung der Luftfahrt auch in der Schweiz vom Staat durch ein Bündel von Subventionen, Beihilfen und Regelungen nach Kräften gefördert. So entwickelte sich die Swissair als Monopolbetrieb zu einer der weltweit führenden Luftverkehrsgesellschaften. Die Märkte wurden durch staatlich regulierte Tarife und Luftverkehrsabkommen geschützt.

Die Ära zwischen 1970 und 1990 war, ausgehend von den USA, gekennzeichnet durch eine Liberalisierung der Märkte. Die bereits 1945 gegründete IATA gewann an Einfluss. Monopole und Kartelle begannen zu wanken, und der Wettbewerb verstärkte sich. Die EU begründete zwischen 1987 und 1992 den  europäischen Luftverkehrsbinnenmarkt. Die Schweiz musste sich dem Druck von aussen beugen, setzte 1998 das Monopol der Swissair ausser Kraft und schloss 2002 im Rahmen der Bilateralen Verträge I das Luftverkehrsabkommen mit der EU ab.

Der Druck auf die Swissair stieg ab 1990 stetig. Die Swissair versuchte, ihre Position durch Kooperationen zu erhalten oder zu stärken. Leider ohne Erfolg. Sie scheiterte 1993 kurz vor dem Abschluss Alcazar, und die verzweifelte Hunter-Strategie erschöpfte die Kräfte der Swissair und führte das Unternehmen an den Rand des Abgrunds. Das Grounding im Jahr 2001 bedeutete den Konkurs des einst stolzen Unternehmens. Mit Unterstützung des Bundes entstand aus den Resten der Swissair die Nachfolgegesellschaft Swiss, die zwischen 2005 und 2007 als Tochtergesellschaft von der Lufthansa übernommen wurde.

Die Liberalisierung und damit das ungestüme Wachstum des Luftverkehrs wurden durch die ICAO durch die Schaffung von Standards ermöglicht. So wurden im Rahmen der IATA für den Betrieb, die Infrastruktur, die Flugzeuge, die Ausbildung und das Ticketings einheitliche Normen entwickelt. Unter anderem wurden gesellschaftsübergreifende Tickets und das Code Sharing eingeführt. Das Clearing wurde der IATA übertragen.

Als Folge der Liberalisierung zerfiel unter anderem das Preisgefüge. Auf stark frequentierten Strecken setzte ein starker Preiszerfall ein. Besonders bei frühzeitigen Buchungen sind die Preise sehr tief. Wer erst kurz vor dem Abflug bucht, zahlt oft ein Mehrfaches des günstigsten Preises. Einige europäische Bahnen haben die Preispolitik des Luftverkehrs übernommen, so beispielsweise DB und SNCF.

Die realen Erlöse pro Personenkilometer haben sich zwischen 1995 und 2015 halbiert. Der Kostendruck hat zu grossen und eng zusammenarbeitenden Verbünden geführt. In Star Alliance sind 26, in Sky Team 19 und in One World sind 13 Gesellschaften verbunden. Mit der Bildung dieser Verbünde verbunden ist die Nutzung von Synergien aller Art.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Liberalisierung das Wachstum und die Internationalisierung entscheidend gefördert hat. Die Luftfahrtindustrie ist auch in der Schweiz zu einem bedeutenden Wirtschaftsbereich herangewachsen. 1995 wurden in den Schweizer Flughäfen 25 Millionen Passagiere gezählt, und 2018 waren es bereits 58 Millionen Passagiere. 2018 betrug der Beitrag der Luftfahrt zum Bruttosozialprodukt der Schweiz rund CHF 30 Milliarden oder vier Prozent des BSP (Zahlen nachträglich korrigiert).

Die anfängliche Euphorie für den Luftverkehr ist einer zunehmenden Skepsis gewichen. Die negativen Auswirkungen treten zunehmend ins Bewusstsein. Der Luftfahrt weht ein steifer Wind entgegen, der Druck für die Abgeltung der negativen externen Effekte steigt. Eine Abflachung des Wachstums ist zu erwarten. Im Zuge der Internationalisierung sinkt der Einfluss des Bundes. Das heute erst teilweise realisierte Postulat des Open Sky wird sich weiter entwickeln.

Digitalisierung in der Mobilität

Corinne Vogel,  Mitgründerin und Chief Business Officer von Bond Mobility, stellt uns ihr erfolgreich gestartetes Technologie Start Up vor. Bond Mobility will durch das Sharing von E-Bikes die Mobilität in mensch- und umweltgerechte Bahnen lenken und setzt dazu stark auf neue Technologien und Prozesse.

Ausgehend von der Tatsache, dass viele Fahrten mit dem PW über weniger als zehn Kilometer erfolgen, sieht Corinne Vogel ein hohes Potential für neue Mobilitätsformen. Mit robusten, leistungsstarken und bis zu 45 km/h Stunde schnellen E-Bikes will Bond für Fahrten bis zu sechs Kilometern eine ideale Alternative zu den traditionellen Verkehrsmitteln bieten. Das Besondere an Bond ist die differenzierte Preisgestaltung, die den Verzicht auf eine aufwendige rückwärtige Logistik ermöglicht. Fahrten von wenig attraktiven Standorten sind viel günstiger als in der Gegenrichtung. So gelangen die E-Bikes durch die Benutzer zu den attraktiven Standorten, an denen ein grosse Nachfrage besteht – ein geniales und umweltfreundliches Konzept. Bond hat es geschafft, ihre Dienstleistungen mit den Angeboten von SBB und dem Berner Libero Verkehrsverbund zu verknüpfen, was einfache und effiziente verkehrsträgerübergreifende Transportketten ermöglicht. Zudem strebt Bond an, ihre Mobilitätslösung Firmen mit festen Kooperationen zur Verfügung zu stellen.

Corinne Vogel bemängelt abschliessend, dass Bond als privates Unternehmen in einigen Städten durch restriktive Vorschriften behindert wird. Zudem werden öffentlich-rechtliche Konkurrenten wie Publibike unter anderem bei der Vergabe von Standorten privilegiert.

Ausschreibungen im regionalen Personenverkehr – Erfahrungen aus Bayern

Thomas Prechtl, Sprecher der Geschäftsführung der Bayrischen Eisenbahngesellschaft BEG, kann wegen den Corona-bedingten Restriktionen nicht persönlich teilnehmen und ist auf elektronischem Weg zugeschaltet.

In der EU sind Ausschreibungen und Vergaben im öffentlichen Nahverkehr weit fortgeschritten. Das in München domizilierte Unternehmen gehört dem Freistaat Bayern und wird je zur Hälfte durch staatliche Beiträge sowie durch Billetterlöse finanziert. Die zur Verfügung stehenden Mittel und die Qualität der Leistungen sollen unter anderem durch den Wettbewerb gesichert werden. Damit sollen das Image und die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nachhaltig gefördert werden. Zudem investiert die BEG beträchtliche Mittel in den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur. Auf mehreren stillgelegten Strecken wurde der Betrieb wieder aufgenommen, und weitere Wiederinbetriebnahmen sind in Abklärung.

Die Massnahmen der BEG seit ihrer Gründung sind erfolgreich. Der Wettbewerb hat bis dato die angestrebte Wirkung erreicht. Zurzeit bestehen 83 Verträge mit Eisenbahnen, 77 von 128 Millionen Zugskilometer werden damit jährlich gefahren. BEG strebt an, bis 2023 den gesamten Personennahverkehr auf der Schiene auf der Grundlage von Vergaben abwickeln zu lassen. Im Betrachtungszeitraum wurde mit einem um 50 Prozent erhöhten Angebot die Nachfrage über 75 Prozent gesteigert. Vom Benutzerentgelt entfallen 70 Prozent auf die Infrastrukturbenutzung. Die Qualität des Angebots wird durch ein vom BEG entwickeltes Messsystem überwacht und ist in ein Bonus-/Malus-System eingebunden. Während 2008 erst acht Vertragsverhältnisse bonusberechtigt waren, waren es 2019 bereits 31 Verträge. In diesem System liegt gemäss Thomas Prechtl einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren für die Qualität des SPNV in Bayern.

Diesen Fortschritten stehen aber auch gewichtige Nachteile entgegen. So ist die Finanzierung durch den Staat schwieriger geworden. EVU sind manchmal nicht so leistungsfähig wie versprochen. Die Fahrzeugindustrie liefert die bestellten Fahrzeuge verspätet. Der Fachkräftemangel beim Betriebspersonal verschärft sich. Nettoverträge führen zu finanziellen Engpässen bei den EVU. Der erhoffte Innovationsschub ist kaum eingetreten, und die zahlreichen Schnittstellen wirken sich negativ aus. Gelegentlich ergeben sich Abstimm- und Abgrenzungsprobleme, unter anderem bei den Fahrausweisen.

Die BEG will die Stabilität und die Qualität durch ein Massnahmenpaket unter anderem aus Bürgschaften, verbindliche Personalübernahmen beim Wechsel des Auftrages, weiterer Ausbau des Bonus-/Malus-Systems, Infrastrukturausbauten und Absicherung der Erlöse der EVU weiter fördern.

Thomas Prechtl ist unsicher, ob sich die Erfahrungen und das in Bayern angewandte Verfahren auf die Schweiz übertragen lässt. Die Ausgangslage von Bayern – wo der Wettbewerb die angestrebten Ergebnisse durchaus erreicht hat – und diejenigen der Schweiz sind sehr verschieden.

Panel I

Am ersten Panel beteiligen sich Antonio Massa, CFO der Transports publics du Canton du Jura, Christian Plüss, CEO von Postauto Schweiz AG, Regula Hermann, Leiterin der Sektion Marktzugang beim BAV, Thomas Prechtl, Sprecher der Geschäftsführung der BEG, und Ueli Stückelberger, Direktor des VöV.

Antonio Massa lobt die kürzlich mit der Vergabe an Postauto abgeschlossene Ausschreibung des öffentlichen Busverkehrs im Kanton Jura. So sei es mit dem Vertrag mit Postauto mit einem jährlichen Volumen von CHF 200 Mio. gelungen, bedeutende Mehrleistungen zu erhalten, Kosten zu sparen und die Transparenz zu erhöhen.

Christian Plüss erwähnt, dass Postauto monatlich durchschnittlich an ein bis zwei Ausschreibungen teilnimmt. Man sei gewohnt, sich im Wettbewerb zu behaupten. Im Jura, wo zum ersten Mal ein gesamtheitlicher Ansatz gewählt wurde, sei es gelungen, bei gleichen Preisen und bei stabilen Löhnen zwanzig Prozent Mehrleistungen anzubieten, unter anderem dank Optimierungen beim Fahrzeugeinsatz.

Kritisch beurteilt Christian Plüss die Margen (und damit implizit das Gewinnverbot im öffentlichen Nahverkehr). Postauto vertritt eine andere Position als das BAV. Der Vertrag für den Kanton Jura, wo Postauto im vollen Risiko steht, basiert auf der vollen Kostendeckung und den aktuellen Preisen für Treibstoffe. So stellt der Vertrag in einem gewissen Sinn eine Wette auf den Dieselpreis dar. Sollte der Preis steigen, wird Postauto einen Verlust erzielen. Ist das fair? Als Replik auf die Kritik von Corinne Vogel verweist Christian Plüss auf die enormen Vorleistungen für Publibike und betont, dass diese Dienstleistung bis dato nicht kostendeckend ist.

Ueli Stückelberger stellt beim öffentlichen Verkehr den Kundennutzen als zentrale Determinante für den öffentlichen Verkehr ins Zentrum. Mit Wettbewerb lasse sich der Kundennutzen aber nicht steigern. Die Qualität des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz sei so gut, dass die Risiken bei wettbewerblichen Strukturen grösser seien als der zu erwartende Gewinn. Wettbewerb – wenn schon – dann in Form eines Ideenwettbewerbs.

Gemäss Regula Herrmann wird man bewegt, wenn man sich nicht bewegt. So haben die SOB unter Thomas Küchler vieles in einem guten Sinn angestossen und somit auch bewegt. Die Freiräume sollen gemäss der in Entstehung begriffenen Vorlage für die Reform des regionalen Personenverkehrs durch neue Elemente vergrössert werden. Die Frage nach der Gewinnberechtigung steht im Raum. Zielvereinbarungen können flankierend bei Direktvergaben berücksichtigt werden.

Christian Plüss plädiert für die Vergabe von ganzen Netzen mit Gesamtangeboten, die auch verkehrsträgerübergreifend sein können, mit Normabgeltungen und einem ausgefeilten Bonus-/Malus-System. Wesentlich sind auch klare Vergleichswerte auf der Grundlage eines einheitlichen Benchmarkings. Die Berechtigung und die Verwendung von Überschüssen sind zu diskutieren. Antonio Massa unterstützt die Forderung nach Globalvergaben.

Bei der Frage, ob und wie viel Wettbewerb angebracht sei, muss man vom aktuellen Zustand und den Erfahrungen in der Vergangenheit ausgehen. Zudem müssen die Erwartungen und die Ziele klar sein. Der Kundennutzen ist ins Zentrum der Überlegungen zu stellen – effiziente Bonus-/Malus-Systeme können als Steuerungsinstrument unterstützen.

Thomas Küchler verlangt, dass die Öffnung der Schieneninfrastruktur vor der Schaffung von wettbewerblichen Strukturen als entscheidende Voraussetzung zu gewährleisten sei. Der Hebel müsse auch beim unübersichtlichen und teilweise verzerrten Tarifsystem angesetzt werden. Wie gewährleistet man echte Multifunktionalität?

Ueli Stückelberger kontert, dass Wettbewerb die Kooperation erschweren würde, und betont den Nutzen von Zielvereinbarungen als wirkungsvolles Gestaltungselement.

Panel II

Am zweiten Panelgespräch, das von Hans Werder moderiert wird, nehmen Peter Füglistaler, Leiter BAV, Thomas Küchler, CEO SOB AG, und Vincent Ducrot, CEO SBB AG, teil. Bernard Guillelmon, scheidender CEO BLS AG, hat sich abgemeldet.

In einem kurzen Eintretensvotum beschreibt Peter Füglistaler das auf Michael Porter zurückgehende Konzept des Subventionsteichs. Dieses Konzept besagt, dass sich in einem Markt mit wenigen grossen Anbietern monopolähnliche Situationen ergeben und die kleinen Anbieter ihre Möglichkeiten optimieren. Dies ist beim schweizerischen öffentlichen Verkehr der Fall.

Vincent Ducrot beanstandet die Überregulierung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz. Es gibt zu viele und sich gelegentlich widersprechenden Kontrollinstanzen. Insbesondere bemängelt Vincent Ducrot die fehlende unternehmerische Freiheit der SBB. Was würde geschehen, wenn die SBB für den Markteintritt als Strassentransportunternehmen plötzlich 500 Tesla-Lastwagen kaufen würde?

Thomas Küchler plädiert grundsätzlich für mehr Wettbewerb. Nicht primär aus Sicht der Liberalisierung oder als Marktordnung, sondern zur Förderung von Innovationen und zur Optimierung des Gesamtsystems. Liberaler und nur aus finanziellen Überlegungen erfolgender Wettbewerb hingegen würde das bewährte System des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz zerstören.

Die Frage von Hans Werder, ob man im öffentlichen Personennahverkehr Wettbewerb zulassen soll, wird wie folgt beantwortet:

  • Peter Füglistaler begrüsst den Wettbewerb bei der Ausschreibung von Busnetzen. Beim schienengebundenen Nahverkehr ist er zurückhaltender. Der Fernverkehr basiere auf der Vergabe von Konzessionen, und im internationalen Personenverkehr müsse man zuerst Märkte schaffen.

  • Thomas Küchler erinnert daran, dass die Ausschreibung der S-Bahn St. Gallen auf eine Anregung von Benedikt Würth, heutiger Ständerat von St. Gallen, hin erfolgte.

  • Vincent Ducrot schätzt Herausforderungen. Die ehemalige Mittelthurgau Bahn MThB hat viel aufgebrochen – die Übernahme von Regionalverkehr am Bodensee durch Thurbo war ein grosser Schock für die SBB und hat zu einem Umdenken geführt.

  • Hans Werder hält Ausschreibungen als letztes Mittel für denkbar. Thomas Küchler pflichtet ihm bei und betont, dass Thurbo den Regionalverkehr sehr positiv befruchtet hat.

  • Vincent Ducrot fragt sich, welche Absichten und Ziele man mit Ausschreibungen verfolgen will.

  • Peter Füglistaler betont, dass aus strukturellen Gründen meist kein Markt vorhanden sei, und erinnert daran, dass die SOB beim Verkehr über die Gotthard Bergstrecke erst aktiv geworden war, nachdem die SBB diesen (Fern-) Verkehr trotz Gewinnen im Fernverkehr abgeben wollte.

  • Thomas Küchler begründet die Übernahme des Verkehrs auf der Gotthard Bergstrecke mit dem Verantwortungsbewusstsein der SOB für das System Eisenbahn und mit dem Dienst an der Allgemeinheit. Zudem können die seit der Übernahme der MThB vorhandenen freien Kapazitäten genutzt werden. Thomas Küchler weist auf die Unterstützung durch das Gotthard Komitee hin und erinnert sich dankbar an die Unterstützung durch das BAV. Die SOB kann den Verkehr über die Gotthard Bergstrecke 18 Prozent günstiger betreiben als ihre Vorgängerin. Dadurch profitieren die Steuerzahler und der Fiskus.

Systemveränderungen im Tarifsystem müssen beschleunigt werden. Die Übertragung der Systemführerschaft für das Tarifsystem an das BAV wurde verworfen. Bei den Partnern am System des Direkten Verkehrs bestehen Befürchtungen, etwas zu verlieren – möglicherweise als Folge der Arbeiten von EOBI (Expertengruppe Organisation Bahn Infrastruktur).

Gemäss Vincent Ducrot ist CH-Direct zu föderalistisch strukturiert. Der Spagat zwischen den Verbünden und dem nationalen System ist kaum mehr haltbar. Man muss sich bewegen, konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch. Leider sind erste Ansätze vor vier Jahren gescheitert.

Der SOB waren mit ihren innovativen Ideen die Hände sehr lange gebunden. Reine Optimierungen reichen nicht. Grundlegende Neuerungen tun not. Multimodalität und neue Anbieter für Multimodalitätslösungen stehen vor der Tür. Neue Köpfe sind gefragt, nachdem sich in der Besetzung der relevanten Gremien in den letzten Jahren nichts geändert hat.

Vincent Ducrot erinnert daran, dass Christopher Franz bei der DB mit seinem neuen Tarifsystem vor Jahren gescheitert ist. Zudem muss die Mobilität gesamtheitlich und verkehrsträgerübergreifend betrachtet werden. Unter anderem stellt sich die Frage nach dem Mobility Pricing.

Peter Füglistaler betont abschliessend, dass das Tarifsystem nicht nur für Kunden intransparent geworden ist, auch der Clearing- und Verrechnungsprozess hat eine enorme Komplexität erreicht.

Diskussionsrunde zum Panel II

Ein Teilnehmer spricht sich dafür aus, dass der Auslastungsgrad verstärkt als Messgrösse berücksichtigt werden soll.

Benedikt Würth weist darauf hin, dass beim komplexeren Finanzausgleich eine funktionierende Lösung gefunden wurde. Dies sollte auch beim Tarif- und Verrechnungssystem des öffentlichen Verkehrs möglich sein.

Es wird gefragt, ob das föderale System der Schweiz einen grossen Wurf überhaupt zulasse.

Ein Teilnehmer fordert, dass das Tarifsystem mit der Raumplanung abgestimmt werden muss. Dem Vernehmen nach hat sich ein entsprechendes System in Singapur bewährt. In einem derartigen System müsste der Staat die Sachmittel beschaffen.

Werner Stohler spricht sich dezidiert gegen die Berücksichtigung des Auslastungsgrades aus. Im Vordergrund steht das integrierte und abgestimmte Gesamtsystem.

In abschliessenden Statements weist Thomas Küchler nochmals auf die Komplexität des Gesamtsystems hin und sieht einen riesigen und vordringlichen Handlungsbedarf. Für Benedikt Würth ist das Bestellverfahren zu kompliziert. Peter Füglistaler ist zuversichtlich – man kenne die Probleme und habe die richtigen Köpfe. Das Eisen sei heiss.

Persönlicher Kommentar

  • Gemäss der aktuellen Gesetzeslage ist es verboten, im Regionalverkehr Gewinne zu erzielen. Soweit so gut. Hingegen erhalten die SBB beispielsweise vom ZVV unter gewissen Voraussetzungen Boni und somit finanzielle Anreize. Diese führen ceteris paribus in der Sparte Regionalverkehr zu einem Gewinn. Werden Vincent Ducrot und seine Kollegen in einem solchen Fall entlassen oder gar angeklagt? Und arbeiten die zahlreichen privaten Anbieter im regionalen Busverkehr tatsächlich ohne Gewinnabsichten? Das Gewinnverbot gehört abgeschafft – bei wirklichem Wettbewerb ergeben sich kaum übermässige Gewinne.

  • Viele sprechen sich gegen einen mit finanziellen Interessen begründeten Wettbewerb aus. Hingegen soll ein Ideenwettbewerb möglich sein. Sonderbar! Wenn ein EVU dem Konkurrenten durch bessere Ideen Marktanteile wegnimmt, schlägt sich das im Geschäftsergebnis der beiden Firmen nieder – der Ertrag des Siegers steigt, und der Ertrag des Verlierers sinkt. Zwar werden die Konsequenzen durch allfälligen Mehrverkehr reduziert.

    Die Ergebnisse von Sieger und Verlierer werden schon durch die Fixkosten beeinflusst. Und Mitarbeiter des Verlierers verlieren ihre Stelle oder müssen zum Sieger wechseln. Ergo – Ideenwettbewerb wirkt sich in letzter Konsequenz gleich aus wie der allgemeine Wettbewerb.

 

Die Belastung des Flugpetrols schafft keine Trendwende – weitere Schritte sind erforderlich

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Vertreter der Bahnindustrie fordern seit langem, die Treibstoffe für den Luftverkehr steuerlich stärker zu belasten, um dadurch den internationalen Eisenbahnverkehr zu fördern. Die beiden Kammern des Schweizer Parlaments haben diesem Anliegen kürzlich entsprochen und beschlossen, auf Flugtickets eine distanzabhängige und ökologisch begründete Abgabe zwischen CHF 30.- und CHF 120.- zu erheben. Fliegende in der First- und Businessklasse können noch stärker belastet werden.

De facto handelt es sich um eine Lenkungsabgabe – 51 Prozent der Einnahmen sollen an die Bevölkerung zurückfliessen, und 49 Prozent gehen in einen neu zu schaffenden Klimafonds, mit dem primär Energiesparmassnahmen im weiten Sinn und erneuerbare Treibstoffe gefördert werden. Zu den Verwaltungskosten hat sich das Parlament nicht geäussert.

Euphorie der Eisenbahnindustrie über diesen Entscheid ist unseres Erachtens verfehlt. Trotz den Lippenbekenntnissen für die Förderung des internationalen Personenverkehrs auf der Schiene gehen die Eisenbahnen bei der Verteilung der Gelder aus dem Klimafonds leer aus. Zudem sind die Abgaben zu gering, um eine wirkliche Trendwende herbeizuführen.

Vor allem aber bringen wir gemäss diesem Beitrag der Erwartungshaltung vieler Bahnfreunde gegenüber dem Luftverkehr wenig Verständnis entgegen. Man stärkt seine Position nicht, indem man den Konkurrenten schwächt, sondern indem man seine Stärken fördert. Der internationale Eisenbahnverkehr ist abgesehen von einigen attraktiven Relationen nicht konkurrenzfähig und weist gravierende Mängel auf. Höchste Zeit, die Hausaufgaben zu erledigen und die Defizite zu beseitigen.

Mängel beim internationalen Personenverkehr auf der Schiene

Tarifsystem und Fahrausweise

Im Gegensatz zum Luftverkehr, wo man in aller Regel für Reisen über Grenzen hinweg und selbst mit mehrfachem Umsteigen nur einen Fahrausweis benötigt, ist das bei der Eisenbahn in vielen Fällen nicht möglich. Zudem besteht wie David Haydock in seinem Beitrag «Split Journeys cheaper in Germany too» in Todays Railways Europe darlegt, bei den Tarifen ein eigentliches Wirrwar – der Preis für eine internationale Fahrkarte ist oft bedeutend höher als die nationalen Fahrausweise für die im jeweiligen Land zurückgelegten Teilstrecken.

Auszug aus TODAYS RAILWAYS EUROPE Nr. 288

Zu einer ähnlich unbefriedigenden Analyse gelangt Sebastian Belz in seinem Beitrag «Zugang zum internationalen Bahnreiseverkehr muss besser werden» in den GRV-Nachrichten. Er nimmt dabei Bezug auf einen früheren Artikel von Werner Stohler in der gleichen Zeitschrift. Sebastian Belz stellt sogar eine Verschlechterung der Qualität des internationalen Reiseverkehrs auf der Schiene fest und führt ein paar Ursachen an.

Auszug aus den GVR-Nachrichten Folge 116
Auszug aus den GRV-Nachrichten Folge 116

Fahrpläne und Verbindungen

Selbst bei den SBB deckt der elektronische Fahrplan Ziele, die von leistungsfähigen Regionalbahnen erschlossen werden, wie beispielsweise TreNord oder Euskotren, oft verspätet oder gar nicht ab. Wir haben dies im letzten Herbst am eigenen Leib im Rahmen einer Reise ins Baskenland erfahren. So wäre Bilbao von Zürich aus über Hendaye und Donostia mit einer etwas langen Tagesreise erreichbar gewesen – der soeben konsultierte Fahrplan der SBB weist für diese Relation selbst über Barcelona und Zaragoza keine Verbindung aus.

Ausserdem waren die SBB trotz dem regelmässigen Bekenntnis zum europäischen Fernverkehr per Eisenbahn eine der ersten Eisenbahnen, welches die Ausgabe des ehemals getrennt erscheinenden internationalen Fahrplanhefts eingestellt haben. Dafür versuchten sie, mit für so lange Distanzen ungeeigneten Zügen wie dem ETR 610 zwischen Frankfurt und Mailand Personenfernverkehr anzubieten.

Preise

Besonders auf stark frequentierten Relationen sind Preise von Bahnreisen oft bedeutend höher als beim Luftverkehr. Brian Salomon, Redaktor bei der US-amerikanischen Eisenbahnfachzeitschrift TRAINS, legt in seinem lesenswerten Beitrag «Observations from across the Pond» dar, weshalb er für eine Reise von Dublin nach Köln dem Flugzeug den Vorzug gegeben hat und nennt dafür drei Gründe «Ease of ticket purchase, time, and cost».

Auszug aus TRAINS 01/2020

Komfort

Völlig vernachlässigt werden in der Diskussion aber auch qualitative Aspekte des Reisens. Die SBB bewerben mit dem Slogan «So komfortabel wie klimafreundlich» und dem Abbild von drei europäischen Hochgeschwindigkeitszügen die Vorteile des internationalen Reiseverkehrs der Eisenbahn. Die Meinungen über den Komfort gehen weit auseinander – aber kennen die Zuständigen der SBB das Angebot der ehemaligen TEE-Züge oder der italienischen ETR 1000? Etwas mehr Bescheidenheit oder Realitätsbezug wären angesagt.

Flug- und Zugreise im direkten Vergleich

Aber die Attraktivität und der Komfort beim Reisen beginnen nicht im Zug und beschränken sich nicht auf die bereits erwähnten Aspekte. Vergleichen wir in Stichworten eine Flug- mit einer Zugreise von Zürich nach Bilbao.

Flugreise

  • Sauberes und ansprechendes Ambiente im Flughafen von Zürich-Kloten
  • Kostenlose und hygienische Toiletten in kurzen Abständen
  • Abgabe des Gepäcks beim Check-In, welches mit den Reisenden mitfliegt und versichert ist
  • Attraktive Wartezonen
  • Möglichkeit, in zollfreien Läden Einkäufe zu tätigen und je nach dem einen grösseren Betrag zu sparen
  • Abgesehen von wenigen Billigfluggesellschaften kostenlose Abgabe von alkoholfreien Getränken und Snacks während der Flüge
  • Aufenthalt und Infrastruktur auch im Umsteigeflughafen angenehm
  • Gepäck kann am Zielflughafen nach kurzer Wartezeit in Empfang genommen werden
  • Flug bei frühzeitiger Buchung bedeutend günstiger als die Bahnreise

Zugreise

  • Keine ansprechende Atmosphäre in Zürich HB, vor allem, wenn Marktstände oder Installationen für Events aufgebaut sind
  • Gepäck muss mitgetragen werden und ist im Zug einem gewissen Diebstahlrisiko ausgesetzt
  • Nach der Ankunft in Paris Gare de Lyon muss man sich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Taxi zum Gare Montparnasse verschieben und das Gepäck mitschleppen, im Stossverkehr oft nervenaufreibend
  • Fahrt mit dem TGV nach Hendaye und dort erneuter Wechsel des Bahnhofs
  • Hungergefühle können dank teuren Verpflegungsmöglichkeiten in den TGV verhindert werden
  • Zugreise auch bei frühzeitiger Buchung um ein Mehrfaches teurer als der Flug

Dieses Beispiel mag etwas künstlich erscheinen – aber es gilt auch für weniger «exotische» Destinationen.

Fazit

Der Rückstand der Eisenbahnen im internationalen Personenverkehr ist abgesehen von gewissen attraktiven Relationen objektiv gesehen gewaltig. Es ist höchste Zeit, den Trend zu brechen. Aber nicht mit billigen Schlagworten, sondern mit adäquaten und marktkonformen Leistungen. Die ständige Kritik an den tatsächlich zu billigen Preisen für das Kerosin ist nicht zielführend. Man fördere die eigenen Stärken und werde besser. Die Erfolgsaussichten sind ungewiss – aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Meridian – Qualität und Preis

Ein grosser Detailhandelskonzern der Schweiz wirbt für sein Angebot mit dem Leitspruch „Qualité & Prix“. Das mögen sich die Zuständigen von Meridian, einem in Deutschland tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen der französischen Transdev-Gruppe, auch gedacht haben. Transdev setzt beim elektrisch betriebenen Personenverkehr hauptsächlich auf FLIRT-Triebwagenzüge der Firma Stadler. Auf der bereits erwähnten Medienreise der Bahnjournalisten Schweiz „Im Osten der Schweiz viel Neues“ fuhren wir mit einem Meridian-Zug von München nach Kufstein. Die Fahrt war abgesehen von den etwas engen Abteilen in der 1. Klasse pünktlich und angenehm.

Auf der Plattform lagen Prospekte für Kunden auf, mit denen über die Tarife und die Entschädigungsregelung bei Verspätungen informiert wurden. Mehr darüber in diesem Beitrag.

FLIRT-Triebwagenzug im Bahnhof München-Ost (Foto von Paul Smith in Wikipedia)

Abgesehen vom Einsatz von FLIRT-Zügen von Stadler fällt die grosszügige und weit über den gesetzlichen Normen liegende Entschädigungsregelung bei Verspätungen auf – ein Vorbild für die kleinräumige Schweiz?

Auszug aus einem Prospekt von Meridian

Bemerkenswert sind auch die ausserordentlich günstigen Ausflugs- und Freizeit-Tickets. Diese sind im gewählten Bereich an Werktagen ab 09.00 Uhr und an Wochenenden und Feiertagen uneingeschränkt gültig.

Speziell ist auch die Kooperation mit der WESTbahn. So kann eine Gruppe von fünf Erwachsenen und drei Kindern in der ersten Klasse für EUR 143.- ab München einen Tagesausflug nach Wien unternehmen – die Fahrt mit Meridian und WESTbahn dauert nicht viel länger als mit den direkt verkehrenden und teureren Fernverkehrszügen von DB und ÖBB.

Flugbus – und die SBB?

Das Konsumentenmagazin SALDO berichtet in seiner neusten Ausgabe 7/2019, dass eine gemischte Trägerschaft aus privaten und staatlichen Firmen einen Busbetrieb eingeführt hat, der aus mehreren schweizerischen Städten die Erreichbarkeit der frühen Flugverbindungen ab Zürich-Kloten oder Basel-Mülhausen sicherstellt. Aus unserer Sicht entspricht diese Dienstleistung einem echten Bedürfnis – selbst von Stadtteilen von Zürich ist es kaum möglich, mit dem öffentlichen Verkehr die am Morgen früh startenden Flugzeuge zu erreichen. Die in der Region Zürich wohnenden und mit den letzten Flügen in Zürich landenden Personen können auch zu später Stunde meistens von Kloten aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause gelangen. Den Fluggästen, die ausserhalb des Grossraums Zürich wohnen, ist dies in der Regel aber kaum möglich – es sei denn, man treffe am Wochenende in Zürich ein und könne auf die gut ausgebautem Nachtverbindungen ausweichen.

Auszug aus der Ausgabe 7/2019 von SALDO

Ein paar Anmerkungen zu diesem Sachverhalt:

  • Weshalb musste hier ein Konglomerat aus privaten und öffentlichen Unternehmen aktiv werden?
  • Gemäss dem Versuchsbetrieb mit selbstfahrenden Bussen in der Stadt Zug oder mit der Förderung des Car Sharing versuchen die SBB, sich als Gesamtanbieter für multimodale Mobilitätsbedürfnisse zu positionieren. Weshalb haben es die SBB – allenfalls in Kooperation mit Postauto Schweiz – versäumt, mit Bussen die Erreichbarkeit der frühen Abflüge sicherzustellen oder spät landende Passagiere nach den wichtigsten Zentren zu befördern?
  • Beispielsweise mit der Aufnahme ihrer Busverbindungen in den Fahrplan und in das Tarifsystem. Wie die Fahrpreise von Flugbus zeigen, wären die SBB mit den ordentlichen Tarifen und einem zweifellos akzeptierten bescheidenen Zuschlag konkurrenzfähig gewesen.
  • Neuland hätten die SBB mit diesem Angebot kaum betreten – sie bieten mit dem Glarner Bus und dem Intercity-Bus nach München bereits heute nationale und internationale Busverbindungen an.
  • Was nicht ist, kann noch werden. Ärgerlich wäre, wenn auf den neu entstehenden Mobilitätsplattformen durchgängige Angebote ersichtlich oder gar käuflich wären, auf www.sbb.ch jedoch nicht.

Gruppenreservationen SBB – eine exzellente Dienstleistung

Im Zusammenhang mit Bergwanderungen und Skitouren tätigten wir im ersten Quartal 2019 bei den SBB einige Male Gruppenreservationen. Die über die Website der SBB oder telefonisch beim Contact Center getätigten Reservationen – teilweise mit Anschlüssen an Postautos – haben selbst bei stark belegten Zügen ausnahmslos geklappt. Die Zugbegleiter scheuten sich nicht, unrechtmässig auf den für uns reservierten Plätzen sitzende Fahrgästen auf andere Sitzplätze zu verweisen. Diese exzellente Dienstleistung ist erstaunlicherweise kostenlos.

Reservationsanschrift im Wagen

Als wir vor einigen Monaten mit einem EC mit Ziel Mailand nur bis nach Lugano fuhren, erhielten wir in entgegenkommender Weise kostenlose Reservationen für einzelne Sitzplätze. Dafür mussten diese an einem von mir bestimmten bedienten Billettschalter abgeholt werden.

Was für ein Gegensatz beispielsweise zu Frankreich. Als ich in Belfort eine Gruppenreservation für eine Fahrt ab Delle über Belfort und Besançon nach Le Locle tätigen wollte, fand der freundliche Beamte im System die schweizerischen Regionalexpresszüge von Biel nach Meroux nicht – angezeigt wurden nur die von der SNCF ab Delle Richtung Belfort geführten Züge. Beim Ausfüllen des Formulars erkundigte sich der Beamte, ob einer der Reisenden ein Mobile mit der Telefonnummer eines französischen Telefonanbieters hätte. Dies sei Voraussetzung für die Reservation. Da dies nicht der Fall war, konnte die Reservationsanfrage nicht entgegen genommen werden.

Multimodale Mobilitätsdienstleistungen – Chancen und Risiken

Ausgangslage

Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK hat am 7. Dezember 2018 das Vernehmlassungsverfahren für „Multimodale Mobilitätsdienstleistungen“ eröffnet. Mit der Vorlage sollen das Personenbeförderungsgesetz und das Eisenbahngesetz den Bedürfnissen der multimodalen Mobilität angepasst werden.

Die Auswirkungen dieser Änderungen sind unseres Erachtens in mehrfacher Hinsicht weitreichend und lassen sich im heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend beurteilen. Wichtige Aspekte sind offen und müssen durch das Bundesamt für Verkehr durch Branchenregelungen präzisiert werden.

Die vorgeschlagenen Massnahmen im Überblick

Die Schweiz verfügt unter der Bezeichnung „Direkter Verkehr“ heute über ein System, mit dem Fahrgäste verkehrsträgerübergreifend praktisch alle Transportleistungen des öffentlichen Verkehrs mit einem einzigen Fahrausweis kaufen können. Das dem Direkten Verkehr zu Grunde liegende IT-System Nova schlüsselt die Erlöse der Billette auf die einzelnen Transportunternehmen auf.

Die Vorlage schlägt vor, das Nova-System zu öffnen und Dritten unter gewissen Bedingungen als gleichberechtigte Partner wie die heute angeschlossenen Transportunternehmen den Zugang zu ermöglichen. Das würde Anbietern wie beispielsweise Uber, Mobility, Lime Bike, Google oder Rome2Rio ermöglichen, über ihre Plattformen eventuelle eigene Transportleistungen mit Fahrten des schweizerischen öffentlichen Verkehrs zu kombinieren und dafür einen einzigen Fahrausweis „mit einem Klick“ auszustellen. Speziell ist, dass die Möglichkeit auch dafür qualifizierenden branchenfremden Anbietern offen stehen soll. Die angestrebte Neuerung kann also in einem gewissen Sinn mit der Funktionsweise von Diensten wie Booking.com in der Hotellerie verglichen werden.

Vorgeschlagen wird zudem, dass die heutige unabhängige Behördenkommission SKE (Schiedskommission im Eisenbahnverkehr) zusätzliche Aufgaben erhält und die diskriminierungsfreie Öffnung von Nova überwacht. Neu würde die SKE als RailCom firmieren.

Zudem sollen die heute unterschiedlichen und strengeren Datenschutzvorschriften für die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs denjenigen für private Unternehmen angeglichen werden.

Konsequenzen

Die vorgeschlagene Regelung hat weitreichende Konsequenzen. Auf einige davon soll nachstehend näher eingetreten werden.

  • In der Wertschöpfungskette treten neue Partner auf, die eine neue Art von Dienstleistungen anbieten und dafür einen Teil des Verkaufserlöses für sich beanspruchen. Eher blauäugig ist die Erwartung des UVEK, dass sich die Vermittler nicht nur durch völlig offene Provisionen finanzieren.
  • Unseres Erachtens besteht zudem das Risiko, dass Mobilitätsdienstleister günstige Billette kaufen und diese mit zusätzlichem Ertrag in ihre Transportketten integrieren. Wir denken etwa an das Vehikel der heutigen „Gemeindetageskarten“. Denkbar ist, solche zu einem zwischen dem Einstandspreis und dem Tagespreis der offiziellen Tageskarten liegenden Preis zu verkaufen.
  • Die neuen Mobilitätsanbieter müssen sich an den Betriebskosten von Nova angemessen beteiligen. Sie müssen jedoch keine Beiträge an die bereits angefallenen Investitionen leisten, da – so das Uvek – die Nova-Plattform grösstenteils durch öffentliche Gelder finanziert wurde. Dadurch kann ein mutmasslich gewinnorientiertes Unternehmen von einer leistungsfähigen staatlichen Infrastruktur profitieren.
  • Die Transportunternehmen müssen den Verkauf ihrer Sortimente grundsätzlich diskriminierungsfrei zulassen. Dabei geht das UVEK davon aus, dass die Tarifhoheit der Transportunternehmen gewährleistet bleibt.
  • Auf der anderen Seite kritisiert das UVEK das komplexe Sortiments- und Tarifsystem der Transportunternehmen und verlangt neue und besser auf die multimodale Mobilität ausgerichtete Produkte.
  • Das UVEK nimmt an, dass durch die multimodale Mobilität die Spitzen im Verkehrsaufkommen geglättet würden, ohne dies weiter zu begründen.
  • Der Eindruck steht im Raum, dass die vorgeschlagenen technischen und organisatorischen Massnahmen die Autonomie der Transportunternehmen beeinträchtigen und die Ertragskraft aushöhlen. Besonders die kleinen Transportunternehmen können der Macht der Mobilitätsvermittler wenig entgegenhalten. Bei den grossen Transportunternehmen wie die SBB AG oder die Postauto AG trifft dies weniger zu. Sie können dem Angebot der Mobilitätsvermittler eigene Plattformen entgegen stellen, so, wie es die grossen Hotelketten wie beispielsweise IBIS gegenüber den Buchungsplattformen aktuell tun.
  • Problematisch ist ausserdem, dass wichtige Aspekte der vorgeschlagenen Regelung unklar sind und das BAV die Regelungslücken durch Branchenregelungen schliessen kann. Unseres Erachtens ist es jedoch rechtsstaatlich fragwürdig, wenn ein Bundesamt derart weitreichend legiferieren kann. Kritisch zu hinterfragen ist auch die vorgeschlagene Erweiterung der Befugnisse der RailCom, damit in gewissen Fällen der Rechtsweg über Zivilgerichte unterbunden wird.
  • Mit grosser Wahrscheinlichkeit stellt die Regelung bereits im aktuellen Umfeld einen beträchtlichen Liberalisierungsschritt dar. Sollten die Verkehrsmärkte in der Schweiz dem aktuellen Trend folgend weiter liberalisiert werden, beispielsweise durch eine weitere Öffnung der nationalen Personenfernverkehrsmärkte für Fernbusse, würde sich die Position der Eisenbahn spürbar verschlechtern.
  • Im kleinen Grenzverkehr mit dem benachbarten Ausland, so etwa im Grossraum Genf, könnten multimodale Verkehrslösungen für Kunden effiziente Alternativen bieten. Dies dürfte im Gegenzug den Ausbau der Infrastruktur oder die Schaffung von effizienten Angeboten des öffentlichen Verkehrs erschweren oder verhindern.
  • Im internationalen Personenverkehr wird die Stellung der staatlichen Eisenbahnunternehmen durch die Transparenz des Angebots auf zahlreichen Relationen geschwächt. Das sei am Beispiel Zürich-München veranschaulicht. Auf der multimodalen Mobilitätsplattform werden alle Reisemöglichkeiten und deren Preise dargestellt, wie DB/SBB, des „privaten“ EVU Alex, Flixbus, Luftverkehr – oft günstige Angebote, die vielen Reisenden nicht geläufig sind.
  • Analoges gilt für die Relation Singen – Stuttgart. Wer reist inskünftig mit einer Fernverkehrsfahrkarte der DB AG, wenn er die Reise im gleichen IC/IRE-Zug mit einem viel günstigeren Baden-Württemberg-Ticket unternehmen kann?

Abschliessende Bemerkungen

Zusammenfassend ergibt sich das Bild einer weitreichenden Neuerung mit unklaren Konsequenzen. Bemerkenswert ist, dass andere Länder und Städte die Problematik schon vor Jahren erkannt, dezidiert in Angriff genommen und innovative Lösungen eingeführt haben. Hervorzuheben ist Helsinki.

In der Schweiz wurden durch einzelne Transportunternehmen verschiedene Innovationen im Ticketing eingeführt. Manche davon beschritten ohne ein übergreifendes nationales Konzept eigene Wege. Führung und Koordination fehlten. Möglicherweise hätte das BAV viel früher koordinierend und steuernd eingreifen können.

Auffallend ist, dass in der Vernehmlassungsgrundlage die Problematik aus verschiedenen Sichten beleuchtet wird – nicht jedoch aus Kundensicht.

Geisterbahn?

Ausgangslage

Am Donnerstagabend fuhren wir zu viert mit dem Regional Express von Chur nach Zürich HB. Der Chur um 21.14 Uhr verlassende und in Zürich HB um 22.48 Uhr eintreffende RE 5088 war nach Aussage eines anderen Mitreisenden an diesem Abend überdurchschnittlich gut besetzt. Gemäss meinen Schätzungen waren etwa ein Drittel der Sitzplätze belegt.

Beobachtungen und Folgerungen

Auf der gesamten Fahrt von über anderthalb Stunden Dauer sahen wir keine einzige Mitarbeiterin oder Mitarbeiter der SBB – weder im Zug noch auf allen um diese Tageszeit nicht mehr besetzten Bahnhöfe. Das stimmte nachdenklich. Folgendes:

  1. Der RE ist entgegen seinem Namen ein Fernverkehrszug. Fahrzeit und Länge der Strecke sind beträchtlich. Angebote wie RE auf der Relation Chur-Zürich decken sich nicht mit dem immer wieder kolportierten Anspruch der SBB auf Kundenfreundlichkeit und Servicequalität.
  2. Noch problematischer sind die Sicherheitsaspekte. Was geschieht, wenn einem Fahrgast im Zug etwas zustösst, oder sich auf der Strecke ein Unfall ereignet? Im letzteren Fall – wir haben auf unserer Website über ein Ereignis auf der Gotthard Bergstrecke berichtet – sind vor allem die betroffenen Fahrgäste die Leidtragenden.

Und noch ein paar Überlegungen zur Sicherheit

  1. Bei neuen Bauvorhaben werden immense Beträge für den Bau und den Betrieb von Sicherheitseinrichtungen aufgewendet. Im Gegenzug werden stehende Fahrgäste in den Zügen zum Gotthardbasistunnel in Arth-Goldau oder Bellinzona aus dem Zug gewiesen. Auch fahren Tag für Tag Tausende von Fahrgästen in Zügen wie dem eingangs erwähnten RE.
  2. Wo bleibt da die Logik? Nun, Sicherheit ist ein immer teurer werdendes öffentliches Gut. Man kann sich damit beispielsweise als Politiker profilieren oder als Unternehmer ökonomisch profitieren. Koste, was es wolle!
  3. In letzter Konsequenz hemmt und verteuert das unseres Erachtens übersteigerte Sicherheitsdenken auch Neuinvestitionen. Im Ist-Zustand werden wie gezeigt grosse Risiken stillschweigend akzeptiert, während die Sicherheitsanforderungen bei neuen Projekten ausufern.
  4. Abschliessend ein Beispiel: In den Tunnels der Neubaustrecken in Deutschland kreuzen sich Züge mit Geschwindigkeiten von 300 Kilometern pro Stunde. Seit der Eröffnung im Jahr 1882 haben sich im „alten“ und engen Gotthardtunnel Reisezüge und Güterzüge gekreuzt – Tunnels über 15 Kilometer Länge dürfen heute aber nicht mehr doppelspurig ausgeführt werden, sondern es sind zwei einspurige Tunnels mit aufwendigen Querverbindungen zu bauen.