Vincent Ducrot im Gespräch

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Am 2. Dezember 2022 empfing Vincent Ducrot, CEO der SBB AG, etwa dreissig Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz in Bern zu einer Präsentation mit anschliessender Diskussions- und Fragerunde.

Gerne widmen wir diesen Bericht dem spannenden und gehaltvollen Anlass am Hauptsitz der SBB AG. Die Unterlagen der Präsentation können über diesen Link heruntergeladen werden: Präsentation Ducrot

Präsentation

Nach der kurzen Einführung durch Jürg Grob, Leiter & Chefredaktor Newsroom der SBB, referiert Vincent Ducrot über aktuelle und künftige Herausforderungen an die SBB. Hier ein paar Highlights des packenden Referats:

  • Die SBB sind das Rückgrat der Mobilität der Schweiz. Tag für Tag bewegen die SBB die Schweiz – Menschen und Güter. Als bedeutender Immobilienbesitzer unterhalten die SBB zudem rund 3’500 Gebäude und vermieten an Dritte hochwertige Flächen an besten Lagen. Von zentraler Bedeutung sind der Betrieb und der Unterhalt eines Schienennetzes von 3’265 km.
Leistungsspektrum der SBB (Diese Grafik sowie die übrigen in diesem Bericht wurden mit dem besten Dank an die SBB AG der Präsentation von Vincent Ducrot entnommen).
  • Die Strategie 2030 der SBB setzt auf Evolution statt Revolution. Der Fokus liegt auf der Bahn als pünktliches, zuverlässiges und sicheres Transportunternehmen. Kundenbedürfnisse müssen viel besser antizipiert werden – vom führenden Anbieter eines erstklassigen Service Public von Menschen für Menschen. Die SBB wollen in ihrem Kerngeschäft weiterwachsen. Mit Effizienz und Wirtschaftlichkeit sollen nachhaltige Mehrwerte realisiert werden.

  • Grosse Herausforderungen stellen sich im personellen Bereich. Bis 2030 treten vierzig Prozent der Mitarbeitenden der SBB in den Ruhestand. Die Rekrutierung und die Ausbildung der neuen Mitarbeitenden geniessen höchste Priorität. Erfreulicherweise konnten die Engpässe beim Lokpersonal eliminiert werden, angespannt ist die Situation derzeit jedoch noch im Raum Genf. Zurzeit absolvieren 380 Personen die Ausbildung zur Lokführerin oder zum Lokführer. Im laufenden Jahr bewarben sich gegen 5’000 Personen für diese anspruchsvolle Ausbildung.
  • Vincent Ducrot berichtet in einem kurzen Überblick über das erste Halbjahr 2022 bei den SBB. Im Personenverkehr wurden wieder mehr als eine Million Reisende pro Tag befördert. Dabei wurde eine Verlagerung zu Fahrten ausserhalb der Hauptverkehrszeiten und mit Einzelbilletten verzeichnet. Daraus ergaben sich höhere Erträge pro Personenkilometer und eine gleichmässigere Verteilung der Transportleistungen im Tagesablauf, was sehr positiv zu würdigen ist. Die Kundenzufriedenheit blieb anhaltend hoch. Auch die Pünktlichkeit wurde geringfügig verbessert, wobei regionale Unterschiede zu beobachten sind. Der nach dem Auslaufen der Corona Epidemie zu verzeichnende Aufschwung beim Güterverkehr hat sich verlangsamt. Trotz diesen erfreulichen Entwicklungen im betrieblichen Bereich musste aufgrund von Corona sowie durch steigende Energiekosten, höhere Zinsen, grössere Lagerbestände und der Inflation ein Halbjahresverlust verzeichnet werden.
  • Bei der Umsetzung der Sparanstrengungen befinden sich die SBB auf Kurs. Sie finanzielle Lage bleibt wegen des wirtschaftlichen Umfelds anspruchsvoll. Unbedingt zu vermeiden ist eine weitere Erhöhung der Verschuldung, unter anderem wegen den steigenden Zinsen, und damit die mit dem Bund vereinbarten strategischen Ziele erreicht werden können. Auch das Cash Management bleibt anspruchsvoll. So traten bei der Liquidität in den letzten Monaten gelegentlich Engpässe auf. Derzeit läuft die Vernehmlassung zum Stabilisierungspaket des Bundes, mit dem die durch die Corona-Pandemie verursachten Defizite der SBB ausgeglichen werden.
  • Ein besonderes Augenmerk gilt der Bahn als robustes Unternehmen, das pünktlich, sicher und zuverlässig unterwegs ist. Die Fülle der Baustellen erfordert mehr Reserven beim Fahrplan. Leider ist die Verfügbarkeit des Rollmaterials nicht in allen Landesteilen zufriedenstellend. Betriebsunfälle selbst bei langjährigen Mitarbeitenden erfordern, dass die Arbeitssicherheit weiterhin im Fokus bleibt.
  • Im zu Ende gehenden Jahr wurden mehrere Grossanlässe wie etwa das MOVA, das Bundeslager mit über 30’000 Pfadfinderinnen und Pfadfinder im Goms, sowie das 175-jährigen Jubiläum der Schweizer Bahnen, dank dem grossen Einsatz des Personals, erfolgreich bewältigt. Der Nutzen der Aktion «OneSBB» zur Förderung der innerbetrieblichen Zusammenarbeit ist unverkennbar.

  • Besondere Herausforderungen stellen sich bei der Stromversorgung. Die SBB ist der grösste Verbraucher von elektrischer Energie in der Schweiz und stellt als fünftgrösster Produzent zwischen 90 und 95 Prozent des Stroms selber her. Als Systemführerin erarbeiten die SBB zusammen mit der Branche und dem Bundesamt für Verkehr Konzepte, um einer möglichen Mangellage beim Strom zu begegnen. Immerhin ist eine gewisse Entspannung bei der Stromversorgung zu erkennen. Dass kürzlich in den Nachstunden Verbraucher für den Konsum von elektrischer Überschussenergie entschädigt wurden, zeigt, wie turbulent der Markt ist.
  • Das Umfeld bleibt auch mittel- und langfristig anspruchsvoll. Bahn 2050, der Güterverkehr, das Tarifsystem, das Kundeninformationssystem, der Fahrplan und der Ausbauschritt 30/35 sind grosse Herausforderungen für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden.
  • Sorgen bereitet der Erneuerungsbedarf. Vom technisch erforderlichen Erneuerungsbedarf von 230 Kilometern Geleisen pro Jahr können zurzeit nur 180 Kilometer erneuert werden. Dieser Sachverhalt führt zu einer Zunahme des aufgestauten Erneuerungsbedarfs von 50 Kilometern pro Jahr. Daraus können sich mittelfristige Beeinträchtigungen der Fahrplanstabilität durch zusätzliche Unterhaltsarbeiten  und mittel- und langfristig  durch Langsamfahrstellen wegen Baustellen, ergeben. Finanzielle Mittel sind dank dem Bahninfrastrukturfonds BIF zwar vorhanden, hingegen fehlen interne Ressourcen und Baufenster. Im zu Ende gehenden Jahr befanden sich 22’000 Bauvorhaben (inkl. Unterhaltsmassnahmen) in Arbeit oder wurden abgeschlossen.
  • Die Ausbauprojekte werden oft durch eine Zunahme der Administration empfindlich gehemmt. Das zu beachtende Regelwerk wird ständig komplexer. Der Aufwand für Studien und Abklärungen hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht. Das bindet in hohem Masse personelle Ressourcen und führt zu weiteren Verzögerungen. Vincent Ducrot ergänzt seine Ausführungen mit einem Überblick über die grossen Ausbauprogramme.
  • Gegenwärtig wird mit dem BAV eine Botschaft 2026 des Bundesrates erarbeitet. Im Vordergrund stehen die Konsolidierung des Ausbauschrittes 30/35, die Konsolidierung des Angebotskonzepts 2035, Massnahmen wegen dem Verzicht auf das bogenschnelle Fahren sowie zukünftige, weitere Ausbauschritte.
  • Auch für die Zukunft des Güterverkehrs werden unter dem Begriff «Suisse Cargo Logistics» Überlegungen angestellt. Der Ausbauschritt 2035 verspricht beim Güterverkehr mehr Tempo und Kapazität. Leistungsfähige Terminals für den kombinierten Verkehr und Cityhub-Umschlaganlagen sollen die zukünftige Nachfrage im Güterverkehr befriedigen. In den Metropolitanräumen sollen die verschieden Güterströme durch die Citylogistik effizient gebündelt werden. Zurzeit wird in der Schweiz intensiv über die Zukunft des Einzelwagenladungsverkehr EWLV debattiert. Die Zukunft dieser nicht kostendeckend zu betreibenden Dienstleistung ist ungewiss. Die SBB setzen sich dezidiert für den EWLV ein, erwarten aber von der öffentlichen Hand inskünftig eine finanzielle Unterstützung.
  • Grosse Erwartungen bestehen an die vom Bund zu formulierenden Ziele und Stossrichtung in der «Perspektive Bahn 2050». Die SBB legen besonderen Wert auf eine konsequente Ausrichtung auf die Kunden- und Nachfragesicht und den Ausbau der Bahn auch auf lange Distanzen im nationalen Verkehr und im Verkehr mit Europa. Auf kurzen Distanzen setzt man unter anderem auf komplementäre Systeme und neue Angebotskonzepte.

Diskussion

Während knapp einer halben Stunde tritt Vincent Ducrot kompetent und faktenkundig auf Fragen und Bemerkungen der Anwesenden ein.

  • Die SBB sind Eigentümerin der Twindexx-Triebwagenzüge. Auf das bogenschnelle Fahren in Kurven auf Basis der Neigetechnik wird verzichtet. Der grösste Teil der bestellten Züge ist im Einsatz. Probleme mit den Fahrmotoren werden behoben. Die Mängelbehebung durch den Hersteller wird wegen der Vielzahl der Unterlieferanten erschwert und verzögert. Grössere Anpassungen an den Drehgestellen werden geprüft. Die SBB glauben weiterhin an den Twindexx. Die Störungsanfälligkeit wurde signifikant gesenkt. Die Messzahl «Mean distance between incidents» (MDBI) – Laufleistung eines Zuges zwischen zwei Störungen – hat den hohen Wert von über 21’000 Kilometern erreicht.
  • Fragen und Kritik am Angebot im grenzüberschreitenden Regionalverkehr wie beispielsweise Delle-Belfort oder Mendrisio-Varese-Malpensa entgegnet Vincent Ducrot mit dem Hinweis, dass Verbesserungen nur von den betroffenen Regionen gefordert und durchgesetzt werden können.
  • Auf Forderungen, im Grossraum Zürich auf Grossprojekte des Ausbauschritts 30/35 zu Gunsten von einfacheren Lösungen zu verzichten, tritt Vincent Ducrot mit dem Hinweis, dass diese längst beschlossenen Projekte nicht Sache der SBB wären, nicht ein.
  • Auf die Frage nach der Meinung der SBB zu den von Prof. Matthias Finger in seinem Buch «SBB – was nun» aufgeworfenen Grundsatzfragen bezüglich der Rolle der SBB hält Vincent Ducrot fest, dass der SBB zunehmend eine ausführende Rolle zugewiesen wird. Der Einfluss der Politik und der Verwaltung ist gewachsen, obschon Prof. Matthias Finger eine in vielen Aspekten zutreffende Analyse vorgelegt hat.
  • Im Vergleich mit dem benachbarten Ausland wendet die Schweiz mit jährlich über CHF 4 Mia. relativ zum gesamten Streckennetz gesehen viel mehr in den Unterhalt und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur auf als in benachbarten Ländern. Deutschland investiert pro Jahr etwa EUR 8 Mia., und Frankreich rund EUR 3 Mia. Lobende Erwähnung finden die Anstrengungen in Italien für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur.
  • Der Freizeitverkehr soll verstärkt gefördert werden. Der bestehende Taktfahrplan soll dafür an freien Tagen mit zusätzlichen Angeboten ergänzt werden. Unter anderem könnten Trassen für Güterzüge an freien Tagen für den Personenverkehr umgenutzt werden.

  • Vincent Ducrot nimmt Bezug auf eine Veranstaltung in Basel im Zusammenhang mit der gewünschten Durchmesserlinie und verlangt, dass vor Ausbauten Angebotskonzepte zu entwickeln sind.

  • Die Kritik an der zu späten Orientierung der SBB in diesen Tagen bezüglich des Streiks bei den ÖBB ist berechtigt. Vincent Ducrot spricht sein Bedauern aus und versichert, dass die Lehren aus der Panne gezogen wurden.

  • Auf kritische Fragen bezüglich dem von den SBB kommunizierten MDBI-Wert von 12’000 Kilometern und einem internen Papier antwortet Vincent Ducrot, dass sehr wohl detaillierte Angaben vorliegen und publiziert werden. Problematisch und Gegenstand von Abklärungen ist die Tatsache, dass der MDBI-Wert nicht nur zwischen den verschiedenen Typen von Fahrzeugen, sondern selbst unter den gleichen Typen unterschiedlich ist.
  • Die langen Wartezeiten von Zügen im Bahnhof Luzern wird moniert. Das führt zu längeren Reisezeiten. Der Votant fordert von den SBB mehr Anstrengungen im Nachtzugverkehr. Vincent Ducrot verweist auf die bestellten Nachtzüge der ÖBB und betont, dass Nachtzüge kaum kostendeckend betrieben werden können. Die ÖBB erhalten für den Nachtzugverkehr vom Staat finanzielle Beihilfen. Auch hält Vincent Ducrot die Qualität des aktuellen Nachtzugsverkehrs aufgrund von persönlichen Reiseerfahrungen für verbesserungsfähig. Ein Durchgangsbahnhof in Luzern wäre sinnvoll – der Entscheid liegt beim Parlament.

  • Im Austausch an die Diskussion wird Vincent Ducrot auf den unterschiedlichen Ausbaustandard bei den SBB und Privatbahnen hingewiesen – dies am Beispiel von Bauvorhaben der RhB und der TPF. Während Privatbahnen tolle Projekte verwirklichen können, dominiert bei den SBB Schmalhans. Vincent Ducrot betont, dass die Zuteilung der Mittel für Investitionsvorhaben Sache des BAV ist. Angesprochen auf die fehlende Verbindung zwischen Châtel-St. Denis und Vevey und deren wünschbare Wiederherstellung führt Vincent Ducrot aus, dass das ehemalige Trasse teilweise überbaut wurde, und bezeichnet die Einstellungsverfügung aus dem Jahr 1969 als einen Fehler.

Abschluss und Dank

Gerne schliessen wir diesen Bericht mit dem besten Dank an unsere Gastgeber, Vincent Ducrot und Jürg Grob, für den tollen Anlass. Die Gastfreundschaft, die reichhaltigen Informationen und die offene Frage- und Diskussionsrunde waren beeindruckend.         

Synonym für den Aufschwung – kunstvolle Wendeltreppe in der Empfangshalle des Hauptsitzes der SBB.

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