Viel Licht und Schatten nördlich der Schweiz (ergänzt)

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Kurt Metz organisierte unter dem Titel «Versorgung der Schweiz aus Norden auf der Schiene» eine weitere ausserordentlich gehaltvolle Veranstaltung für die Bahnjournalisten Schweiz. Am Vormittag des 16. September 2024 wurden die Teilnehmenden in Muttenz an einer Fachtagung mit zahlreichen Referaten über den Stand und die Probleme des Schienengüterverkehrs aus Norden in die Schweiz informiert.

Im zweiten Teil der Veranstaltung fand eine intensive zweitägige Studienreise zu den Häfen von Duisburg und Hamburg statt. Neben einer Übersicht über die ausgedehnten Hafenanlagen lag der Fokus bei dieser Reise auf der Erschliessung der Häfen mit der Eisenbahn.

Dieser Bericht beschränkt sich aus Platzgründen auf die Fachtagung in Muttenz. Über den Inhalt und den Ablauf der Studienreise folgt demnächst ein separater Beitrag.

Fachtagung Muttenz

 Eröffnung der Tagung und Begrüssung

Kurt Metz begrüsst in Muttenz um 09.15 Uhr 25 Gäste und sieben Referenten. Nach einem kurzen Überblick über den Ablauf der Tagung leitet Kurt Metz zu den Referaten über. Leider musste sich Peider Trippi – er hätte über die Strecke zwischen Wörth und Lauterbourg referiert – krankheitsbedingt abmelden. Die Unterlagen seiner Präsentation stehen den Teilnehmenden in elektronischer Form zur Verfügung.

Mit Ausbauten in Basel mehr Güter auf die Schiene

Als Gesamtkoordinator ist Thomas Staffelbach bei den SBB für den Standort Basel zuständig. Er weist auf die enorme Bedeutung der Region Basel für den nationalen und internationalen Güterverkehr hin. Für den Schienengüterverkehr wird bis 2040 ein Wachstum von 20 Prozent prognostiziert.

Gute Ausgangslage für den Güterverkehr im Raum Basel.
Leistungsdaten und mittelfristiges Potential für den Schienengüterverkehr im Raum Basel.

Dieses Wachstum setzt einige grössere Projekte voraus. Als Beispiel beschreibt Thomas Staffelbach die Profilerweiterung der Zufahrt aus dem Elsass für 4-Meter-Züge. Das Plangenehmigungsdossier wurde Ende 2023 beim Bundesamt für Verkehr eingereicht. Die Arbeiten am rund CHF 120 Millionen teuren Projekt sollen Mitte 2025 aufgenommen und Ende 2029 abgeschlossen werden. Die engen Platzverhältnisse und ökologische Auflagen stellen höchste Anforderungen an alle Beteiligten.

Profilanpassungen auf der Zufahrt aus dem Elsass. Ein gestreckter Tunnel von der Landesgrenze nach Muttenz wäre die bessere und umweltgerechtere Lösung – wie zum Beispiel in Innsbruck.

Die Leistungsfähigkeit der Zufahrten im Norden durch Frankreich und Belgien ist ergänzend substantiell zu erhöhen. Dies betrifft unter anderem den Ausbau der heute einspurigen und nicht elektrifizierten Strecke von Wörth nach Lauterbourg. Das Parlament hat den Bundesrat bereits 2020 aufgefordert, für den Ausbau der Zufahrten aus Norden mit Belgien und Frankreich einen Staatsvertrag abzuschliessen.

In einer kurzen Diskussion regt ein Votant an, statt dem Ausbau der relativ kurzen Strecke auf dem Gebiet der Stadt Basel einen gestreckten Güterzugstunnel zwischen der Landesgrenze und Muttenz zu bauen, und verweist auf entsprechende Beispiele in Österreich.

Die Rolle von BLS Cargo AG für die Versorgung der Schweiz

Boris Boskovic ist bei der BLS Cargo AG für das Produktmanagement und den Vertrieb in Belgien und auf der West-Ost-Relation zuständig. Nach einer kurzen Vorstellung der BLS Cargo AG und ihrer wichtigsten Kunden tritt Boris Boskovic auf aktuelle Probleme beim Schienengüterverkehr in den von ihm betreuten Märkten hin.

Profil der BLS Cargo AG.

Grosse Sorgen bereiten die instabilen und mutmasslich stark steigenden Trassenpreise vor allem in Deutschland. Trassenpreise sind ein bedeutender Kostenfaktor und müssen für mittel- und langfristige Planungen und Investitionen planbar sein.

Trassenpreise Deutschland und deren mutmassliche Entwicklung bis 2026.

Die Situation auf den Zufahrten zur NEAT aus Norden bleibt besorgniserregend. Das Krisenmanagement wird zum Courant normal. Oft sind die offerierten Ausweichrouten für einen qualitativ guten Güterverkehr kaum ausreichend oder führen zu langen Umwegfahrten.

Situation der Infrastruktur in Deutschland.

Abschliessend äussert sich Boris Boskovic zu aktuellen verkehrspolitischen Fragen. Die BLS Cargo AG fordert eine konsequente buchhalterische Trennung von Ganzzug- und Einzelwagenladungsverkehr. Quersubventionen oder die einseitige Bevorzugung eines dieser Verkehre sind zu unterlassen. BLS Cargo AG als Ganzzugbetreiberin misst der digitalen automatische Kupplung (DAK) nur eine geringe Bedeutung zu. Zudem ist die langfristige Finanzierung der Ausbreitung der DAK und von anderen grossen Projekten wie etwa die Einführung von ERTMS nicht sichergestellt.

Digitale automatische Kupplung aus der Sicht der BLS Cargo AG.

Die Rolle der Behörden – so Boris Boskovic – sollte sich darauf konzentrieren, die Interoperabilität zu verbessern und nationale Barrieren abzubauen, statt punktuell einzelne Marktsegmente des Schienengüterverkehrs zu fördern.

Aktuelle Lage und Probleme des Schienengüterverkehrs

Pascal Jenny, Chief Commercial Officer bei der SBB Cargo International AG, stellt einen Überblick über die Leistungsdaten von SBB Cargo International AG an den Anfang seiner Ausführungen.

Profil der SBB Cargo International AG.

Anschliessend beschreibt Pascal Jenny die schwierige Situation der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Besonders die zunehmende Reglementierung des Schienengüterverkehrs bereitet Sorgen und führt oft zu einer Aufblähung der Administration und von Prüfprozessen. Davon bleibt der Strassentransport weitgehend verschont. Bestellte Trassen müssen beispielsweise auch beim Ausfall eines Zuges bezahlt werden, Benützungsgebühren auf der Strasse fallen nur an, wenn der Lastwagen tatsächlich fährt. 

Zusammenfassend hält Pascal Jenny fest, dass die Schiene gegenüber der Strasse benachteiligt wird, und schliesst sein Referat mit einem Forderungskatalog.

Forderungen der SBB Cargo International AG.

In einer kurzen Diskussionsrunde bestätigt Guido Schoch die zunehmende Reglementierung als Gefahr. Auch die SBB Cargo International AG benötigt für ihren Verkehr die DAK nicht.

Turbulente Zeiten für den Schienengüterverkehr

Bernhard Kunz, Mitglied des Verwaltungsrates der Hupac AG, zeichnet ein düsteres Bild von der Lage auf dem Rhine-Alpine-Korridor. Der Qualitätsabfall hat seit 2016 dramatische Ausmasse angenommen. Trotzdem sind die Kosten für die Güterbahnen weitaus stärker gestiegen als beim Strassentransport. Dieser Sachverhalt hat eine Rückverlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Strasse bewirkt. Leider hat sich der Trend im ersten Semester 2024 fortgesetzt.

Qualität auf dem Nord/Süd-Korridor.
Paradox: Trotz sinkender Qualität und Rückgang der Nachfrage höhere Kosten für die Schiene.
Verlagerung unter starkem Druck. Rückverlagerung auf die Strasse zeichnet sich ab.

Von den gemäss Bernhard Kunz wichtigsten drei Forderungen der Hupac AG wurden in den Verlagerungsbericht 2023 nur die Forderungen (1) nach zusätzlichen Puffergeleisen und (2) dem Ausbau der linksrheinischen Zufahrten aufgenommen. Der Wunsch nach einer wirkungsorientierten finanziellen Unterstützung im mittleren Bereich auf Distanzen um 500 Kilometer blieb aussen vor. Bernhard Kunz stellt sich dezidiert gegen eine einseitige Förderung des kombinierten Verkehrs auf Distanzen unter 500 Kilometern zu Lasten der längeren Entfernungen.

Forderung der Hupac AG – keine Förderung der kurzen Distanzen auf Kosten der längeren.
Terminalprojekte der Hupac AG südlich der Schweiz.

Auch der Ausbau der Strecke zwischen Metz und Strasbourg könnte zusätzlichen Verkehr generieren. Leider hat dieses Anliegen in Frankreich keine Priorität. Denkbar wäre, dass die Schweiz die Mittel aus dem noch nicht begonnenen Ausbau von Basel Nord für die erwähnte Strecke in Elsass-Lothringen verwenden würde.

Ertüchtigung der Strecke von Wörth über Lauterbourg nach Strasbourg. Ausbau des Korridors von Belgien über Metz nach Basel.
Terminalprojekte der Hupac AG südlich der Schweiz.

Erfreulich ist, dass während der Streckensperrung in Rastatt mit vereinten Kräften über 400 Güterzüge über die Strecke zwischen Wörth und Lauterbourg umgeleitet wurden. Ein gutes Omen, so Bernhard Kunz am Ende seiner Ausführungen, für die Zukunft.

Ein gutes Omen für die Zukunft. Aber weshalb ist diese Ausweichroute erst so spät in den Fokus der EVU und der Politik gelangt?

Die Situation aus der Sicht der Bertschi AG

Trotz der schwierigen Situation, so Ueli Maurer als Verantwortlicher für das internationale Netzwerk bei der Bertschi AG, bleibt sein Unternehmen zuversichtlich. Nach einem kurzen Überblick über die Bertschi AG erläutert Ueli Maurer laufende oder kürzlich abgeschlossene Projekte seines Unternehmens.

Das Bild bleibt aber weiterhin düster. Der seit 1990 zu verzeichnende dynamische Aufschwung des UKV ist nach Corona drastisch eingebrochen, und zwar sowohl bezüglich der Anzahl Sendungen als auch bei der Transportleistung. Der Einbruch ist gemäss Ueli Maurer auf die anhaltenden Qualitätsprobleme, auf die Kostensteigerungen und auf die wirtschaftliche Abkühlung zurückzuführen.

Profil der Bertschi AG.
Taucht da ein Riese auf? Eindrückliches Projektportfolio der Bertschi AG.
Die Verkehrsverlagerung zurück auf die Strasse ist im Gang. Aber auch die Rezession trägt das Ihre dazu bei.

Die Aussichten für eine Trendwende in den kommenden Jahren sind ungünstig. Die zahlreichen Streckensperrungen in Deutschland stimmen wenig zuversichtlich und stellen die Eisenbahnen vor gewaltige Herausforderungen. Die Umleitungen haben höhere Kosten und längere Fahrzeiten zur Folge. Der Klärungsbedarf ist erheblich. Auch der Verlauf von einigen Grossprojekten in Deutschland stimmt wenig zuversichtlich, dass alle Projekte fristgerecht und in guter Qualität abgeschlossen werden.

Streckensperrung auf dem deutschen Schienennetz bis 2030.
Risikobeurteilung der Generalsanierung des deutschen Schienennetzes.

Rückblick Umleitung Wörth-Lauterbourg-Strasbourg

Peider Trippi hat den Umleitungsverkehr über die Strecke von Wörth über Lauterbourg nach Strasbourg intensiv verfolgt. Seine Bilanz und sein Ausblick sind durchzogen.

Leider kann Peider Trippi seine Würdigung dieser Umleitung krankheitsbedingt nicht vortragen und hat uns deshalb seine Präsentationsunterlagen freundlicherweise als PDF-Datei zur Verfügung gestellt. Mit diesem Link kann man auf die Präsentation von Peider Trippi zugreifen: Umleitung Wörth-Lauterbourg-Strasbourg.

Profil der MEV Independent Railway Services

Tommaso Di Benedetto, Direktor der MEV Schweiz AG, beschliesst den Reigen der spannenden Referate mit einem Überblick über sein Unternehmen. Nach einem kurzen Überblick über sein Unternehmen, einem Tochterunternehmen der TEX-Holding, beschreibt er das Leistungsspektrum der MEV.

Profil der MEV AG.

MEV ist heute nicht nur in der Lage, bei Bedarf einem EVU mit seinen über hundert Lokführerinnen und Lokführern auszuhelfen, sondern kann ganze Strecken übernehmen und ergänzend anspruchsvolle konzeptionelle Aufträge ausführen. Lokführerinnen und Lokführer von MEV sind sowohl international als auch im innerschweizerischen Verkehr im Einsatz – und zwar sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr sowie bei Normal- und Meterspurbahnen. Insgesamt beschäftigt MEV rund 1’200 Mitarbeitende.

Einsatzmöglichkeiten für das Lokpersonal der MEV AG.

Bemerkenswert ist, dass MEV Lokführerinnen und Lokführer nicht nur für die eigene Verwendung, sondern auch für andere Bahnen ausbildet. Für die Ausbildung setzt MEV ein selbst entwickeltes modernes Lernsystem ein, das auch von Kunden gemietet werden kann.

Angebot der MEV AG für die Aus- und Weiterbildung von Lokführerinnen und Lokführern.

Auf Anfrage beziffert Tommaso di Benedetto den Stundenansatz für eine Lokführerstunde zwischen CHF 120.- und CHF 140.-, während die Kosten für eine Lokführerausbildung für Kandidaten ohne Vorbildung zwischen CHF 100’000.- bis CHF 120’000.- liegen. Die Kosten für Quereinsteigende sind etwa ein Drittel tiefer. Absolventen der auf eigene Rechnung ausgebildeten Lokführerinnen und Lokführer müssen sich bei der MEV für drei Jahre verpflichten. Bei vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses sind die Kosten der Ausbildung pro rata-temporis zurückzuzahlen.

Wie einleitend festgehalten, übernimmt MEV gemäss dieser Übersicht auch anspruchsvolle konzeptionelle Aufträge und verfügt über alle dazu erforderlichen Berechtigungen und Nachweise. Beeindruckend ist des Weiteren der Kundenstamm von MEV.

Überblick über das breite Dienstleistungsangebot der MEV AG.

Abschliessende Bemerkungen

Nach zweieinhalb Stunden schliesst Kurt Metz die spannende Fachtagung und bedankt sich bei den Referenten für die interessanten Referate. Nach der Tagung bestand die Möglichkeit, mit den Referenten über ihre Ausführungen zu diskutieren oder für eine Besichtigung in den Geschäftsräumen der MEV.

Gerne schliesse ich mich dem Dank von Kurt Metz an. Zudem bedanke ich mich für die zur Verfügung gestellten Präsentationsunterlagen, denen die in diesem Bericht verwendeten Grafiken entnommen wurden.

2 Gedanken zu „Viel Licht und Schatten nördlich der Schweiz (ergänzt)

  1. Warum wundert mich diese katastrophale Entwicklung auf der Bahninfrastruktur im Norden der Schweiz nicht? Die Ausführungen der Referenten widerspiegeln genau das was ich schon vor über 20 Jahren befürchtete, als die Schweiz mit dem Bau der NEAT begonnen hat. Jetzt wo die NEAT betriebsbereit und voll operativ ist, hinken unsere Nachbarn im Norden immer noch hinten her. Daran Schuld ist aber auch die EU, die vor gut 30 Jahren ein Weissbuch über dringliche Verkehrskorridore in der EU rausgab, seither aber nichts oder nicht viel auf die Reihe brachte! Die gleiche EU zeigt aber weiterhin immer mit dem Finger auf die Schweiz, satt ihre Hausaufgaben zu erledigen! Die Bahninfrastruktur in Deutschland widerspiegelt eigentlich auch die finanzielle Situation der EU: Knapp vor dem Kollaps! Und schon zu meiner Zeit bei der BLS Cargo von 1997 bis 2003 hatte ich solche Umleitungsrouten für den SGV verlangt! Wo sind diese heute? Wer hat hier wohl geschlafen bis heute? Meine Befürchtungen von damals bewahrheiten sich heute bitterlich! Es fehlt überall an eindeutigem politischem Willen etwas zu verändern!

    • Lieber Herbert

      Vielen Dank für Deinen Kommentar und für Dein Interesse an unserer Website. Darf ich dazu Folgendes anmerken?

      1. Die NEAT steht doch als ziemlich unvollendetes Werk im Raum. Zahlreiche längere Zufahrten in der Schweiz entsprechen zeitgemässen Ansprüchen an den Schutz von Mensch und Umwelt nicht. Ich denke beispielweise an die Strecke von Biasca über Claro, Arbedo, Bellinzona und Giubiasco an den Fuss des Ceneri – als Bestandteil eines wichtigen europäischen Güterverkehrskorridors.

      2. Das ist nur eines von zahlreichen Beispielen. Etwas überspitzt könnte man sich fragen, ob die NEAT (1) wirklich eine europäische Güterverkehrsachse oder (2) ein Instrument zur Verhinderung des LKW-Transits durch die Schweiz ist.

      3. Anlass genug, sich mit den Gegebenheiten im eigenen Land zu auseinanderzusetzen und sich nicht ständig über die Probleme bei den ausländischen NEAT-Zufahrten zu ärgern. Sie sind bei genauem Hinsehen südlich der Schweiz genauso unbefriedigend wie nördlich.

      Nochmals besten Dank für Deinen Kommentar und weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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