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Bei Aufenthalten in der Region Greyerz stellten wir eine intensive Bautätigkeit an der Eisenbahninfrastruktur fest. So kürzlich auch im Rahmen einer Wanderung von Châtel-St-Denis nach Montbovon. Dies war Anlass, in diesen Tagen einige der abgeschlossenen und laufenden Projekte zu besichtigen – und auf unserer Website darüber zu berichten.
Die Projekte zeichnen sich durch eine ausserordentliche Grosszügigkeit aus. Das führt zu kritischen Fragen – auch solche staatspolitischer Natur.
Châtel-St-Denis
Vor der Inbetriebnahme der neuen Bahnhofanlagen mussten die Züge im alten Bahnhof von Châtel-St-Denis die Fahrtrichtung ändern. Früher verkehrten von Châtel-St-Denis über Saint-Légier direkte Züge nach Vevey. Diese rund acht Kilometer lange Bahnlinie wurde 1969 stillgelegt und abgebrochen. Das dem Kanton Freiburg gehörende Transportunternehmen Gruyères-Fribourg-Morat GFM stellt seit der Umstellung den Busbetrieb sicher. Mit der Übernahme der Freiburger Verkehrsbetriebe im Jahr 2000 firmierte die GFM zu Transports Publics Fribourgeoise TPF um. Zwischen Palézieux verkehren über Châtel-St-Denis halbstündlich Regionalzüge nach Bulle. Ab Bulle fahren die Züge stündlich nach Montbovon.
Gerne halte ich meine Eindrücke auf den folgenden Bildern fest und verweise auf die Kommentare bei den Aufnahmen.
Montbovon
Montbovon als Knotenpunkt liegt an der von den „Golden Pass-Expresszügen“ der MOB befahrenen Strecke von Montreux nach Zweisimmen. Diese weitgehend dem touristischen Verkehr dienenden Züge verkehren stündlich. Montbovon ist ein kleines Dorf und zähle 2004 265 Einwohner. Von Montbovon fährt jede Stunde ein Regionalzug über Gruyères (Greyerz) nach Bulle. Besonders an schönen Tagen ist die Nachfrage zwischen dem historischen Städtchen Greyerz und Bulle sehr hoch.
In Montbovon steigen höchst spärlich Fahrgäste aus oder um. Dem Bahnhof angegliedert ist ein kleines Depot der MOB.
Nachstehend eine kommentierte Bildreportage.
Wenige Fahrminuten oberhalb Montbovon liegt die weitab vom kleinen Dorf gelegene Haltestelle von Les Sciernes. Perfekt hergerichtet, aber ich habe bei meinen Besuchen dort ausser uns noch nie Fahrgäste aus- oder einsteigen gesehen.
Bulle
Bulle hat sich in den letzten Jahren als Folge des Baus der Nationalstrasse A12 dynamisch entwickelt und präsentiert sich heute als modernes Zentrum. Im Grossraum Bulle sind mehrere Industriebetriebe angesiedelt. Bis vor einigen Jahren verkehrten zwischen Fribourg und Bulle über die Autobahn direkte Schnellbusse mit einer Fahrzeit von etwa einer halben Stunde. Der Busverkehr wurde zugunsten von Regionalexpress-Zügen aufgegeben. Diese Züge halten nur in Romont. Jeder zweite Zug verkehrt, abgesehen von den Randstunden, von Fribourg weiter nach Bern – wenige Minuten vor den Interregio-Zügen der SBB, und entlastet so in den Stosszeiten die IR der SBB.
Bemerkenswert – und zu Fragen Anlass bietend – sind jedoch die Verlegung und der Abbruch des vor etwas mehr als zwanzig Jahren grundlegend erneuerten Bahnhofs von Bulle. Dieser nahe beim Ortszentrum gelegene Bahnhof hat mich bei früheren Besuchen durch seine Modernität und seine Kundenfreundlichkeit beeindruckt. Die direkt zur grosszügigen und repräsentativen Busstation – die Rückwand ist auf einer Länge von rund 100 Metern mit einem grossen Wandgemälde verziert – führende Unterführung ist auf beiden Enden mit Rolltreppen und mit grosszügigen Treppen ausgestattet.
Broc Fabrique
In Broc Fabrique befinden sich ein attraktives und stark frequentiertes Museum von Nestlé sowie eine noch aktive Schokoladefabrik von Nestlé. Broc Fabrique war mit Bulle mit einer schmalspurigen Eisenbahnlinie verbunden, auf der in der Regel jede Stunde ein Regionalzug verkehrte. Diese Strecke diente bis vor wenigen Jahren auch der Zulieferung von Rohstoffen für die Schokoladenproduktion und dem Transport der Fertigprodukte.
Diese ausserhalb von Bulle von der Strecke nach Montbovon abzweigende Zweigstrecke ist rund 5 Kilometer lang und wird gegenwärtig auf Normalspur ausgebaut. Das macht wegen den östlich von Bulle entstehenden neuen Siedlungen und der Weiterführung der Züge aus Romont nach Broc zwar durchaus Sinn. Auffallend ist jedoch, dass auf der neuen Normalspurstrecke kein Güterverkehr angedacht ist und Bulle von den SBB trotz den zahlreichen Gewerbebetrieben als Bedienpunkt für den Güterverkehr aufgegeben wird.
Spange von Romont nach Vuisternes-devant-Romont
Die bestehende Strecke führt ausserhalb von Romont in einem grossen Bogen nach Vuisternes-devant-Romont. Die Streckengeschwindigkeit liegt etwa bei 100 km/h. Nun soll die grosse und schutzwürdige Mulde ausserhalb von Romont zur Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h und zur Verkürzung der Reisezeit um drei Minuten mit einer knapp ein Kilometer langen Talbrücke durchquert werden. Die budgetierten Kosten für dieses Bauwerk betragen über CHF 72 Mio. und werden vollständig vom BIF, dem Bahninfrastrukturfonds der Schweiz, getragen. Beiträge des Kantons Freiburg sind nicht vorgesehen.
Kommentar
Natürlich sind die Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur in der Region Greyerz und der Ersatz des Rollmaterials zu befürworten. Ich halte den Ausbaustandard und gewisse Projekte wie die Spange von Romont jedoch für übertrieben. Und ob der Ersatz eines relativ neuen, gut funktionierenden und modernen Bahnhofs wie Bulle sinnvoll ist, bleibe dahingestellt.
Ausserdem wurden meines Erachtens mit dem Verzicht auf den Wiederaufbau der Eisenbahnverbindung zwischen Châtel-St-Denis und Saint-Légier (und weiter nach Vevey) die Interessen des Kantons Freiburg über diejenigen der Schweiz gestellt. In der Agglomeration Vevey-Montreux wohnen über 70‘000 Menschen. Wurden mit Mitteln des BIF über die Bedürfnisse der Eisenbahn hinaus nicht einfach Standortpolitik und Wirtschaftsförderung betrieben?
Und ist es gerecht, wenn im Greyerzerland für letztlich doch überschaubare Fahrgastzahlen zwischen CHF 600 Mio. und CHF 700 Mio. in den Ausbau der Bahninfrastruktur investiert werden, während im Kanton Zürich an vielen Orten auf den Bahnhöfen unzumutbare Zustände bestehen? Man vergleiche beispielsweise Montobovon mit Zürich-Wollishofen oder Wallisellen – auch letztere beiden wurden in den letzten Jahren umgebaut und weisen sehr viel höhere Passagierzahlen auf.
Und abschliessend – aber nicht zu guter Letzt – was will SBB Cargo in der Schweiz überhaupt noch befördern, wenn die Region Bulle vom Güterverkehr abgehängt wird?
Die Hoffnung lebt!
Unter der Leitung von Vincent Ducrot – er war zwischen 2011 und 2018 Generaldirektor der TPF – entwickelte sich dieses Unternehmen offensichtlich prächtig. Ein gutes Omen für die SBB, denn Vincent Ducrot übernahm am 1. April 2020 als CEO die Leitung unserer Staatsbahn.
Quellenhinweise
Die Bilder stammen vom Verfasser. Die Kartenausschnitte wurden mit dem besten Dank dem „Eisenbahnatlas Schweiz“ von Schweers+Wall oder der Landeskarte der Schweiz entnommen. Das Bild und die Karte der Talbrücke bei Romont wurden aus der Website der TPF kopiert. Trotz sorgfältiger Recherche besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Wenn wir bedenken, dass vor rund fünfzig Jahren der Weiterbestand des GFM-Schmalspurnetzes im Greyerzerland ernsthaft auf dem Prüfstand war und wir befürchten mussten, dass es ihm gleich ergeht wie der CEV-Strecke Châtel-St-Denis – St-Léger (- Vevey), dessen Aufhebung 1969 aus heutiger Sicht ein gravierender Fehler war, dann ist es doch sehr erfreulich, dass weiterhin in die Bahn investiert wird.
Ob dabei punktuell mit etwas arg grosser Kelle angerichtet wird, darf man sich allerdings schon fragen, wenn wir uns die dem Bericht angefügten Bilder zu Gemüte führen.
Es sind eben Investitionen in die Nachhaltigkeit, so darf man zumindest hoffen.
Heute scheint die Halbwertszeit bei neuen Bauten ohnehin stark reduziert.
Sehr bedauerlich, dass Nestlé als Inhaberin der Schokoladenfabrik Broc ihre Gütertransporte nicht zurück auf die Schiene verlegen will, nachdem die Fabrik normalspurig erreichbar sein wird. Da müsste von Seiten der Behörden mehr Druck und / oder bessere Anreize bestehen. Vielleicht besinnt man sich in den Chefetagen noch um? Die Parallelität zwischen Autobahn und Schiene zwischen Bulle und Châtel-St-Denis hat den MIV in diesem Bereich starken Auftrieb verschafft, obwohl es dort regelmässig auch zu Rückstaubildungen kommt. Ein Wiederaufbau einer direkten und schnellen Bahnverbindung Vevey – Châtel-St-Denis, ev. mit neuer, teilweise unterirdischer Trassierung rechts der Veveyse ab dem Pont du Fenil talwärts könnte massgeblich zur Entlastung des regen Strassenverkehrs in diesem Abschnitt beitragen. Der Bus stockt bei der Einfahrt nach Vevey immer wieder mal. Mit der Verlegung des Bahnhofs von Châtel an den westlichen Ortsrand wurden leider bezüglich einer Bahnrenaissance auf dieser Vebindung erschwerende Bedingungen geschaffen, da offenbar niemand diese Option in Betracht gezogen hat. Die interkantonale Kooperation FR – VD im Bereich Schienenverkehr scheint nicht über alle Zweifel erhaben zu sein, obwohl genau diese Zusammengehörigkeit am traditionellen Fête des Vignerons in Vevey (letztmals 2019) immer sehr emotionsgeladen zelebriert wird, u.a. mit dem mythischen Anstimmen der welschen „Nationalhymne“ des Ranz-des-Vaches mit dem unverwechselbaren Lioba-Refrain, deren Ursprung bekanntlich in der engeren Region Bulle liegt. Wünschen wir den flotten TPF-Zügen möglichst zahlreiche und zufriedene Fahrgäste! Aus dem von den nichtfriburgischen Romands früher gerne etwas abschätzig bewerteten „Pays noir“ ist längst eine aufblühende und vitale Region geworden. Vive la Gruyère!
Lieber André
Vielen Dank für Dein Interesse an unserer Website und für Deinen Kommentar. In der Tat erlebte das Greyerzerland in den letzten zwanzig Jahren einen enormen Aufschwung, wohl auch dank der Autobahn A12.
Ich bin bezüglich dem Ausbau der Eisenbahninfrastuktur mit Dir einer Meinung. Der Verzicht auf die Wiederherstellung der kantonsübergreifenden Eisenbahnverbindung zwischen Châtel-St. Denis und Vevey zeigt aber auch, wie stark kantonale Interessen dominieren. Da hätte das BAV intervenieren müssen.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Freude an unserer Website.
Herzliche Grüsse
Ernst Rota