10’000 Boeing B-737 – und die SBB?

Vorbemerkungen

In der neusten Ausgabe von TRAINS wurde berichtet, dass der Rumpf des 10’000. Boeing B 737-Jets mit der Eisenbahn von Wichita im Bundesstaat Kansas nach dem rund 3’000 Kilometer entfernten Werk in Renton im Bundesstaat Washington befördert wurde. Hier der Auszug aus TRAINS:

Triebfahrzeuge bei den SBB

Der kurze Bericht machte mich stutzig. Das zehntausendste Flugzeug vom gleichen Typ?

Erst kürzlich entdeckte ich in Sargans zwei abgestellte Twindexx-Triebzüge. Vor wenigen Tagen berichtete SRF, dass ein Giruno-Triebzug im Gotthard Basis-Tunnel eine Geschwindigkeit von 275 km/h erreicht habe. Bei Bombardier wurden in drei verschiedenen Ausführungen total 62 Twindexx-Züge bestellt – von dem von Stadler Rail eigens für die SBB entwickelten Giruno 29 Züge.

Die Fahrzeugpalette der SBB für den Fernverkehr wächst. Nachstehend eine möglicherweise unvollständige Übersicht über das im Fernverkehr eingesetzte Rollmaterial. Dazu kommt, dass die Ausrüstung der Triebfahrzeuge (ETCS) teilweise unterschiedlich ist.

  • Giruno
  • Twindexx
  • ETR 610
  • ICN
  • IC DS mit Re 460
  • EW IV-Pendelzüge mit Re 460
  • vier- und sechsteilige KISS
  • Pendelzüge mit EW II und Re 420
  • EW IV-Züge mit Re 420 nach Destinationen in Deutschland
  • Nachtzüge nach Deutschland und Österreich, in der Regel mit Re 420
  • von ausländischen Bahngesellschaften 2 Typen von TGV, Railjet und ICE
  • also mindestens 12 verschiedene Fahrzeuge

Im S-Bahn und Regionalverkehr ist die Vielfalt etwas geringer, nämlich

  • vier- und sechsteilige KISS
  • DS-Züge von Siemens
  • DS-Züge der ersten Generation
  • Flirt
  • GTW
  • Domino
  • Einsatzzüge mit sechs DS und zwei Re 420

Im Güterverkehr kommt SBB Cargo mit weniger Typen aus, nämlich

  • Re 420/421/430
  • Re 620
  • Re 474
  • Re 482
  • Re 484
  • Diesellokomotiven

Nicht enthalten in den obigen Zahlen sind Rangierlokomotiven und Spezialfahrzeuge, Triebfahrzeuge von „Privatbahnen“ und historische Lokomotiven.

Und was das bedeutet

Die breite Vielfalt von Triebfahrzeugen mag die Hersteller von Modelleisenbahnen und Eisenbahnromantiker erfreuen – die Eigentümer von Modelleisenbahnen wegen der Belastung des Budgets möglicherweise etwas weniger.

In der betrieblichen Realität wirkt sich die Vielfalt aus folgenden Gründen aber negativ aus.

  • Die Bedienung und das Fahrverhalten der Triebfahrzeuge ist unterschiedlich.
  • Die Lokomotivführer müssen in der Regel für jedenTyp geschult werden. Wer nicht über die notwendige Ausbildung verfügt, darf die entsprechende Lokomotive nicht fahren.
  • Für jede Lokomotive muss eine umfassende Dokumentation bereit gestellt werden.
  • Auch bei der Wartung und dem Unterhalt sind für jeden Typ ein spezielles Know How, Ersatzteile und teilweise Spezialinstrumente erforderlich.
  • Die Entwicklungs- und Inbetriebsetzungskosten müssen oft auf eine vergleichsweise kleine Fahrzeugflotte umgelegt werden.

Diese Vielfalt ist teuer. Abzuklären wäre, ob diese Aspekte bei der Beschaffung des jeweiligen Triebfahrzeugtyps hinreichend berücksichtigt wurden.

Auch für die Fahrgäste sind von der Vielfalt betroffen. Fast bei jedem Zug müssen sich die Fahrgäste beim Einsteigen anders orientieren.

Blick ins Ausland

Wie sieht es bei ausländischen Eisenbahnen aus? Unterschiedlich!

Ziehen wir für den Vergleich die ÖBB heran! Hier ist die Vielfalt bedeutend geringer. Abgesehen von mit Diesel betriebenen Fahrzeugen sieht man im Personenfernverkehr, und zwar sowohl für den nationalen und internationalen Verkehr, und im Güterverkehr praktisch nur noch Lokomotiven der Typen

  • 1142 (nur noch wenige im Einsatz)
  • 1044 (nur noch wenige im Einsatz)
  • Vectron (nur Güterverkehr)
  • Taurus, in verschiedenen Ausprägungen, auch für den internationalen Personenverkehr nach Deutschland, Italien, Schweiz, Tschechien und Ungarn
  • wenige ICE-T Triebwagenzüge

Im Regional- und S-Bahnverkehr kommen im dominierenden elektrischen Betrieb folgende Fahrzeuge zum Einsatz:

  • Talent-Triebzüge, in verschiedenen Ausprägungen
  • Desiro-Triebwagenzüge, in zwei Ausprägungen
  • ältere 4020-Triebwagenzügen
  • in der Regel mit 1044-Lokomotiven, seltener mit 1142-Lokomotiven, motorisierte Pendelzüge
  • in den Metropolitanräumen meist von Taurus-Lokomotiven geführte DS-Züge.

Im dieselbetriebenen Verkehr werden im Personen- und im Güterverkehr hauptsächlich folgende Fahrzeuge eingesetzt:

  • Desiro-Triebwagen
  • zweiteilige Triebwagenzüge
  • 5047-Einzeltriebwagen
  • 2016-Lokomotiven
  • 2043- und 2143-Lokomotiven

Kommentar

Auf europäischer Ebene ist die Vielfalt noch viel grösser. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht dürfte ein enormes Einsparungspotential vorliegen. Es wäre interessant, dieses zu kennen. Kundinnen und Kunden sowie Steuerzahlende wären dankbar, wenn das Einsparungspotential auch ausgeschöpft würde.

Bemerkenswert ist der Sachverhalt, dass die Vielfalt der eingesetzten Lokomotiven im stark liberalisierten und dem Wettbewerb ausgesetzten Güterverkehr im Vergleich zum Personenverkehr ungleich geringer ist.

Und – last but not least – lassen sich aus der Vielfalt in der Schweiz Rückschlüsse auf die strategische Weitsicht der Unternehmensleitung und der Eigentümerschaft ziehen?

Das im Personenfernverkehr eingesetzte Rollmaterial weist aus betrieblicher Sicht bedeutsame Unterschiede auf – Züge ohne Neigetechnik, Züge mit passiver Neigetechnik und Züge mit aktiver Neigevorrichtung, und diese erst noch in zwei verschiedenen Ausprägungen.

Mit der passiven Neigetechnik der Twindexx-Züge strebte man unter anderem an, die Fahrzeit zwischen Bern und Lausanne und zwischen St. Gallen und Zürich auf eine Stunde zu reduzieren und so auf Streckenneubauten zu verzichten. Ich erachte dieses Konzept als nicht zukunftstauglich. Es wird zwischen St. Gallen und Zürich infolge der dichten Streckenbelegung mittelfristig nicht funktionieren. Der Fahrplan im Personenfernverkehr zwischen St. Gallen und Zürich ist bereits heute wirr – recht eigentlich entgleist. Die DS-Züge stellen den schnellen Intercity-Verkehr sicher, und die stark motorisierten und für bogenschnelles Fahren gebauten Intercity-Neigezüge folgen ein paar Minuten später für den langsameren Verkehr. Eigentlich kaum zu glauben.

Das Konzept ist aber auch Ausdruck von Geiz und Kurzsichtigkeit, indem die schweizerische Verkehrsinfrastruktur sowohl für die Strasse als auch für die Schiene im europäischen Vergleich immer weiter zurück fällt.

Abschliessend noch ein paar Bemerkungen zur Einsatzfähigkeit der Triebwagenzüge im Fernverkehr. Die SBB haben in Zusammenarbeit mit den Herstellern schmerzlich bewiesen, dass sie die ETR 470- und ETR 610-Triebwagenzüge nie mit der notwendigen Qualität betreiben konnten. Und nun kommen demnächst zwei völlig neue Typen von Triebwagenzügen zum Einsatz – einer davon mit mehrjähriger Verzögerung und einer enorm problembehafteten Inbetriebsetzungsphase. Man wird sehen – aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

 

5 Gedanken zu „10’000 Boeing B-737 – und die SBB?

  1. Typenvielfalt bei der Eisenbahn, könnte man bei der Fliegerei kopieren?

    Die Investitionszyklen in der Aviatik scheinen viel kürzer zu sein als bei der Eisenbahn. Der Kostendruck ist vielleicht noch höher und niemand kann sich leisten mit ineffizienten Fliegern zu produzieren. Somit ist in den letzten zwanzig Jahren die Typenvielfalt verschwunden, Airbus und Boeing beherrschen den Markt, auf dem Flughäfen gibt es eine Monotonie von nur noch wenigen Flugzeugtypen.

    Noch sind nicht viele Jahre vergangen seit jede Staatsbahn nach Gusto «ihre» Loks und Wagen bestellte. Dasselbe galt auch bei den Verkehrsbetrieben, jede Schweizer Tramstadt hatte exklusive Wünsche fürs eigene Rollmaterial. Doch die Zeiten ändern sich auch hier und die Industrie bietet standardisierte Produkte ab Katalog, ähnlich Airbus & Co.

    Fairerweise muss man zugestehen, die SBB begannen bald nach dem Krieg mit der Beschaffung von «Einheitswagen» in grossen Serien und der erfolgreichste war der auch heute noch sehr beliebte EW IV der SBB. Leider wurde die Flotte aufgespalten, ein Teil der Wagen ist tauglich für 200 Kilometer Geschwindigkeit pro Stunde, die andern nicht. Aehnliches geschah bei den Lokomotiven, als Muster für eine Grossserie stehen die Re 4/4 II-Loks.

    Der Ansatz zur Typenreduktion und Vereinheitlichung war und ist da, wurde aber nicht wirklich konsequent umgesetzt. Wird der Kostendruck diese Zielsetzung in naher Zukunft entschieden voranbringen?

    Willi Rehmann, Pro Bahn NWCH, Binningen

    • Sehr geehrter Herr Rehmann

      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für das Interesse an unserer Website. Darf ich dazu Folgendes anmerken:

      1. Darf ich auf meinen eigenen Kommentar und die darin vorgenommenen Richtigstellungen bzw. Ergänzungen hinweisen?

      2. Wie in meinem Beitrag erwähnt, ist die Standardisierung der Lokomotiven in dem dem Wettbewerb und der Internationalisierung viel stärker ausgesetzten Schienengüterverkehr viel weiter fortgeschritten.

      Nochmals besten Dank und weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

  2. Sehr geehrte Leserinnen und Leser

    Darf ich – unter anderem Bezug nehmen Reaktionen aus Ihrem Kreis – eine Relativierung anbringen? Die Boeing B737 wird seit über 50 Jahren produziert. In der Folge sind zahlreiche Verbesserungen erfolgt. Hier zwei Auszüge aus Zuschriften:

    Ihre Ausführungen zur B737 sind interessant und bedenkenswert, allerdings nicht ohne Weiteres auf die Bahn übertragbar. Die B737 wurde bzw. wird in 9 technisch weitgehend unterschiedlichen und nur beschränkt kompatiblen Versionen gebaut. Demnächst kommt die neue und abermals völlig überarbeitete B737MAX in 5 Versionen in den Verkehr. Ausser dem äusseren Erscheinungsbild und dem Rumpfquerschnitt ist so gut wie nichts konstant geblieben. Das betrifft auch die Ersatzteillager, die Ausbildung und Lizenzierung des Personals und so weiter. Der Unterschied zur Situation bei den SBB ist also nicht so gross wie er scheint.

    Verworren jedoch ist die Situation bei der Infrastruktur, konkret bei der Bahnsicherung. Während sich die SBB weiterhin mit Leittechnik verschiedener Hersteller (zum Teil auf der gleichen Hauptstrecke), mit einer völlig chaotischen ETCS-Migration und mit unzähligen Schnittstellen herumschlagen, ersetzen die norwegischen Staatsbahnen auf ihrem ganzen Netz von 4000 km konsequent alles durch ein uniformes ETCS-System.

    Ich habe in den letzten Jahren ausgedehnte Bahnreisen in Österreich und in den Randgebieten der benachbarten Staaten unternommen. Mit Ausnahme der Relation Graz – Selzthal – Innsbruck bin ich ausschliesslich mit Railjet gefahren, und zwar sowohl von Prag nach Breclav oder von Györ nach Wien. Auch in die Schweiz oder nach München fahren von Wien aus nur Railjet. Vor einer Woche beobachtete ich in Ulm den von einer Taurus-Lokomotive gezogenen EC Klagenfurt – Dortmund. In Österreich sieht man sowohl vor Personenfern- als auch vor Güterzügen praktisch nur noch Taurus-Lokomotiven.

    Vielen Dank für Ihr Interesse

    Freundliche Grüsse

    Ernst Rota

  3. Sehr geehrter Herr Rota

    Was hat Leittechnik mit ETCS zu tun?

    Ihre Aussage:

    Verworren jedoch ist die Situation bei der Infrastruktur, konkret bei der Bahnsicherung. Während sich die SBB weiterhin mit Leittechnik verschiedener Hersteller (zum Teil auf der gleichen Hauptstrecke), mit einer völlig chaotischen ETCS-Migration und mit unzähligen Schnittstellen herumschlagen, ersetzen die norwegischen Staatsbahnen auf ihrem ganzen Netz von 4000 km konsequent alles durch ein uniformes ETCS-System.

    Stimmt keineswegs und ist unkorrekt.

    Es gibt verschiedene Versionen von Baseline-Modulen, was aber kein Problem darstellt. Zudem liegen die Versionen nicht in der Macht der SBB, sondern auf der Lieferantenseite (Thales, Alcatel, Bombardier).

    Also, bitte in Zukunft besser nachfragen und nicht global vom hören sagen etwas Schreiben.

    • Sehr geehrter Herr Brügger

      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.

      Die von Ihnen beanstandeten Ausführungen wurden der Zuschrift eines Lesers entnommen, der sich seit vielen Jahren intensiv mit Fragen des Verkehrs beschäftigt.

      Als Nichtfachmann – die Diskussion ergab sich aus unserem Beitrag über die Vielzahl der von den SBB im Personenverkehr eingesetzten Triebfahrzeuge – kann ich die Richtigkeit der Aussagen nicht beurteilen. Ich werde mich jedoch um Klärung bemühen.

      Nochmals besten Dank und weiterhin viel Freude an http://www.fokus-oev-schweiz.ch.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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