Die Schweizer Bahnindustrie in Nordamerika & Eisenbahnen in Nordamerika

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Die Bahnjournalisten Schweiz und Partner luden am 8. März 2018 Journalisten und Medienschaffende zu einer interessanten Veranstaltung über die Schweizer Bahnindustrie in Nordamerika ein. An dem von Kurt Metz organisierten Anlass wurden von kompetenten Referenten aus erster Hand zahlreiche aktuelle Themen angeschnitten und viel Wissen vermittelt.

Gerne fassen wir nachstehend den Inhalt der von Kurt Metz perfekt konzipierten und moderierten Veranstaltung zusammen, wobei wir uns, der Zielsetzung von fokus-oev-schweiz entsprechend, auf Themen aus dem Eisenbahnwesen konzentrieren.

Die Präsentationen der nachstehend beschriebenen Referate, denen die meisten Grafiken entnommen wurden, und weitere Angaben zur Veranstaltung stehen über folgenden Link zur Verfügung: https://www.kurtmetz.ch/mittelpunkt/events/bahnindustrie-nordamerika/

An engeren Bahnthemen Interessierte können sich auf die Lektüre der Referate von Norwin K. Voegeli, Kurt Metz und Stefan Basler beschränken.

Am Ende dieses Berichts befinden sich Wikipedia entnommene Informationen über die unter dem Begriff „Buy America“ erlassenen Importrestriktionen der USA für Transportmittel.

Svein Vatslid, CEO von Amberg Technologies

Sven Vatslid, seit November 2017 CEO von Amberg Technologies, eröffnete als Gastgeber die Veranstaltung und stellte die 1981 aus der Amberg Engineering AG entstandene faszinierende Unternehmensgruppe kurz vor. Aufgeteilt in vier Geschäftsbereichen, erbringt die Amberg-Gruppe weltweit hochwertige und innovative Lösungen für die Eisenbahn und den Tunnelbau. Dabei kooperiert Amberg mit über dreissig Vertriebspartnern.

Norwin K. Voegeli, Präsident & CEO von United Rail

United Rail Inc. wurde von Norwin K. Voegeli 2012 geründet. Der Hauptsitz befindet sich in Florida. Daneben unterhält United Rail zur Erschliessung des kanadischen Marktes eine Tochtergesellschaft in Toronto. United Rail verfügt über einen eindrücklichen Kundenstamm und vertritt in Nordamerika eine Reihe von namhaften europäischen Firmen.

Norwin K. Voegeli war ab 2005 bis zur Gründung von United Rail für Siemens Nordamerika tätig. United Rail erbringt hauptsächlich folgende Dienstleistungen:

  • Vertretung von international tätigen Anbietern von Eisenbahn- und Verkehrstechnik in den USA und in Kanada
  • Beratung und Unterstützung beim Markteintritt von europäischen Anbietern in den USA und in Kanada
  • Bereitstellung von Systemen und Dienstleistungen wie beispielsweise „Sentinel Solutions“
  • Spezifische Beratung und Unterstützung im Zusammenhang mit den unter „Buy America“ zusammengefassten Restriktionen für den Import von Produkten in die USA

Norwin K. Voegeli legt anhand der folgenden beiden Folien die überraschenden Dimensionen der Eisenbahn in Nordamerika dar. Nach wie vor ist das nordamerikanische Eisenbahnnetz das weltweit grösste.

Der amerikanische Eisenbahnmarkt ist gemäss der nachstehenden Grafik geprägt durch zahlreiche Besonderheiten, die sich stark von den Verhältnissen in Europa unterscheiden.

Der US-Eisenbahnmarkt weist ein hohes Wachstumspotential auf. In den letzten Jahren wurden mit steigendem Trend jährlich über USD 40 Milliarden investiert, wie die folgende Grafik zeigt.

Norwin K. Vögeli beschreibt die spezifischen Anforderungen, mit denen europäischen Firmen beim Markteintritt in Nordamerika konfrontiert sind, wie folgt:

Abschliessend erläutert Norwin K. Voegeli die Dienstleistungen von United Rail sowie die komplexen Anforderungen, die aus „„Buy America“ resultieren. Freihandel sieht anders aus.

Alfred Schmid, Swissrail Industry Assiciation

Alfred Schmid stellt die Branchenorganisation Swissrail vor. Swissrail sind zwei Drittel der rund 150 Schweizer Eisenbahnindustriefirmen angeschlossen. Die Schweizer Eisenbahnindustrie beschäftigt über 38‘000 Mitarbeiter und setzt jährlich rund CHF 9 Milliarden um. Der Exportanteil ist nicht bekannt.

Swissrail vertritt die Anliegen der Schweizer Eisenbahnindustrie im In- und Ausland und unterstützt die Mitglieder mit vielfältigen Dienstleistungen. Unter anderem unterhält Swissrail Kontakte zur Politik, insbesondere zu den Verkehrskommissionen der eidgenössischen Räte.

Alfred Schmid bezeichnet das Beschaffungswesen in der Schweiz – oft zum Leidwesen der heimischen Firmen – und im Gegensatz zu Nordamerika als sehr offen und transparent.

Kurzpräsentationen

Pierre Knellwolf, Sales Manager der Arthur Flury AG, bezeichnet das 1920 gegründete Unternehmen als Nischenplayer. Unter anderem mit innovativen Komponenten für Fahrleitungen von Eisenbahnen ist die in Deitingen Solothurn domizilierte Firma weltweit tätig. Arthur Flury AG beschäftigt 105 Mitarbeitende und verfügt über 30 Vertretungen im Ausland. 60 Prozent der ausschliesslich in der Schweiz gefertigten Produkte werden exportiert. Arthur Flury AG beliefert auch Amtrak mit eigens für die USA produzierten Trennsystemen. Diese zeichnen sich im Vergleich zu den Produkten für den europäischen Markt durch eine massivere Bauweise aus. Die Restriktionen durch „Buy America“ erschweren den Export in die USA und bedingen Kooperationen mit amerikanischen Unternehmen.

Adrian Andermatt, Verkaufsleiter bei RUF Telematik AG, stellt nach einer kurzen Präsentation der RUF Unternehmensgruppe, Fahrgastinformationssysteme seines Unternehmens vor. Weltweit werden in über 2‘300 Fahrzeugen Fahrgäste mit RUF-Informationssystemen informiert. Projekte sind auch in den USA am Laufen. RUF beschränkt sich auf Informationssysteme für Triebwagenzüge und Untergrundbahnen. Adrian Andermatt sieht sein Unternehmen in einem stark wachsenden Markt dank seinen innovativen Produkten sehr gut positioniert.

Alfred Schmid, Vizedirektor der Zoppas Industries, präsentiert seine Firma als weltweit tätigen Anbieter von Heizsystemen. Der Hauptsitz befindet sich in Italien. Daneben verfügt Zoppas Industries über Betriebsstätten auf der ganzen Welt. Weltweit werden über 8‘000 Mitarbeitende beschäftigt. Rund zehn Prozent des Umsatzes entfällt auf Heizsysteme für Eisenbahnwagen. Heizsysteme von Zoppas Industries sind auch in Triebzügen von Stadler installiert. Zurzeit erneuert das Unternehmen die Heizsysteme der Züge von MTA, der Untergrundbahn von New York. Alfred Schmid tritt am Ende seiner Ausführungen vertieft auf dieses Projekt ein.

Johannes Winter, Head of Operations bei Doppelmayr/Caraventa, bezeichnet urbane Seilbahnsysteme als wirtschaftliche und betriebssichere Alternativen zu herkömmlichen Transportsystemen im öffentlichen Nahverkehr. In mehreren Städten Nordamerikas haben sich Seilbahnsysteme bewährt, so in Las Vegas, Toronto, Mexiko und Portland. Bei Frequenzen bis zu 6‘000 Personen pro Stunde und über Distanzen bis zu sechs Kilometern sind Seilbahnsysteme substantiell günstiger als schienengebundene Transportmittel. Doppelmayr/Caraventa tritt auch als Betreiber der von ihr gelieferten Seilbahnsysteme auf. Die Restriktionen von „„Buy America“ waren auch für Doppelmayr/Caraventa als weltweit führenden Herstellerim von Seilbahnsystemen herausfordernd.

Überraschendes und Ermutigendes im öffentlichen Nahverkehr im Westen der USA

Kurt Metz, Bahnjournalisten Schweiz, berichtet über die von ihm im Oktober 2017 veranstaltete Studienreise durch vier Staaten an der Westküste der USA. Besucht wurden die Metropolitanräume von Seattle, Portland, Sacramento, Salt Lake City und Umgebung sowie von San Francisco.

Die Hälfte der Bevölkerung der USA lebt in neun Staaten, in deren Ballungsgebieten der öffentliche Verkehr oft einen guten Stand erreicht hat. Eindrücklich sind die in mehreren Volksabstimmungen beschlossenen Ausbaupläne in Seattle, wo zwischen 2017 und 2039 sagenhafte USD 53,85 Milliarden in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs investiert werden. Diese enormen Beträge werden ausschliesslich vom Bundesstaat Washington und ohne Subventionen durch die Zentralregierung aufgebracht.

Bedeutende Ausbauten sind auch in Portland Oregon erfolgt. Kurt Metz bezeichnet das dortige Transportsystem aus einem Mix von Verkehrsmitteln als effizient, einfach und innovativ.

Erfreuliches kann Kurt Metz auch aus Sacramento berichten. Die USD 64,2 Milliarden teure Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen San Francisco und Los Angeles ist tatsächlich im Bau. Weitere Ausbauten sind vorgesehen.

Stadler Rail Inc. baut gegenwärtig in Salt Lake City eine grosse Produktionsstätte. Von diesem relativ zentral in den USA gelegenen Werk soll der nordamerikanische Markt erschlossen werden. Triebzüge von Stadler Rail sind bereits in mehreren Städten der USA unterwegs. Von der Caltrain Regionalbahn wurden 16 KISS-Züge bestellt. Diese leistungsfähige Bahn im Süden von San Francisco wird gegenwärtig elektrifiziert.

Die Skigebiete Snowbird & Altamount in der Umgebung von Salt Lake City sollen für USD 2,5 Milliarden durch eine schmalspurige Zahnradbahn erschlossen werden. Als regionaler Produzent und dank der in der Schweiz bewährten Fahrzeugtechnik rechnet sich Stadler Rail zu gegebener Zeit gute Chancen für die Lieferung des Rollmaterials aus.

Zusammenfassend zeigt sich Kurt Metz beeindruckt von den Fortschritten und weist auf das riesige Potential des öffentlichen Personennahverkehrs in den USA hin. Hier die letzte Seite seiner Präsentation:

Gleisgeometrie und Messtechnik von Amberg

Stefan Basler, Marketing- und Verkaufschef von Amberg Technologies AG, führt die Anwesenden in die Geheimnisse der Gleisgeometrie ein. Typische Parameter eines Geleises sind Spurweite, Überhöhung, Stationierung, Verwindung, Krümmung sowie Position und Höhe. Wenig erstaunlich ist, dass in Europa unterschiedliche Standards und Messpunkte angewendet werden. Wird an der unteren oder der oberen Schiene oder gar in der Mittelachse gemessen?

Vor der Vorführung eines über CHF 250‘000.- teuren und relativ einfach aussehenden Messgeräts auf einem benachbarten Gleis im Freien stellt Stefan Basler die Firma Amberg Technologies, ihr Angebot und ihre Geschäftsfelder kurz vor.

Amberg Technologies AG ist weltweit führend in der Entwicklung von Messsystemen für den Tunnelbau und die Eisenbahnen. Über 1‘100 Systeme von Amberg sind in über 50 Ländern im Einsatz. Amberg arbeitet weltweit mit über 30 Distributionspartnern zusammen.

Abschliessend wird den Teilnehmenden ein Messgerät vorgeführt. Dabei ist zu erfahren, dass eine grössere Anzahl von Messgeräten auch in China im Einsatz steht und dass die Lage der Geleise auf Hochgeschwindigkeitsstrecken in China auf 0,15 Millimeter genau – ich habe nachgefragt – justiert wird.

 

US-Importrestriktionen „Buy America“ (Quelle: Wikipedia)

„Buy America“ bezeichnet Vorgaben für Transportunternehmen in den USA, in erster Linie im Lande hergestellte Fahrzeuge zu kaufen. Lieferungen aus dem Ausland unterliegen Grenzwerten und andere Restriktionen, die gelegentlichen Veränderungen unterliegen.

Das „Buy America“-Programm hat einen Vorläufer im ähnlich klingenden „Buy America-Act“ von 1933. Damals waren staatliche Unternehmen verpflichtet worden, bevorzugt inländische Produkte zu kaufen. Seit 1983 unterliegen auch private Unternehmen den Bestimmungen von „Buy America“, sofern sie staatliche Beihilfen erhalten. Dies ist praktisch bei allen Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs der Fall.

Im Zuge von Handelsabkommen, insbesondere aufgrund des nordamerikanischen Wirtschaftsraums NAFTA, können Regelungen des „Buy America“-Programms nicht oder nur teilweise gelten. Dies gilt insbesondere für Importe aus Kanada.

Im Zuge der Finanzkrise von 2007 beschloss man unter anderem, die Anteile der amerikanischen Wertschöpfung an Importen für den Transportsektor zu erhöhen. Bei Fahrzeugen – insbesondere für die Eisenbahn – müssen ab 2016 60 Prozent der Wertschöpfung in den USA erfolgen. Ab 2018 erhöht sich der Anteil auf 65 Prozent und ab 2020 auf 70 Prozent. Ausnahmen sind möglich, sofern durch die Vorschriften von „Buy America“ das Produkt um mehr als 25 Prozent verteuert wird, oder eine Beschaffung von qualitativ gleichwertigen Produkten von amerikanischen Herstellern nicht möglich ist.

Ausländische Hersteller reagieren auf die „Buy America“-Anforderungen meist so, indem sie die Montage sowie die Herstellung der Karosserie in einem Werk in den USA vornehmen und für andere Komponenten eine Ausnahmegenehmigung einholen.

 

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