Ein Tick besser – ein Tick flexibler / Innovationen beim Personenverkehrsangebot der SBB

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Im Rahmen der von Kurt Metz am 30. April 2024 organisierten interessanten und gehaltvollen Fachtagung «Wachstumsmarkt Freizeit- und Ferienverkehr» kamen die Teilnehmenden in den Genuss eines spannenden Referats über den Stand der Angebotsplanung im Geschäftsbereich Personenverkehr der SBB.

Unter dem Titel «Ein Tick besser, ein Tick flexibler» informierte David Henny über Veränderungen beim Mobilitätsverhalten sowie über aktuelle Reisetrends.

Die Entwicklung bei den SBB belegen, dass die jüngsten Anstrengungen der Transportunternehmen, den Modalsplit im öffentlichen Freizeit- und Ferienverkehr zu erhöhen, zu greifen beginnen. Mehr dazu in diesem Bericht.

Mobilitätsverhalten und Reisetrends

Ausgangslage

Erstaunlicherweise liegt der Zeitaufwand, den Menschen in der Schweiz täglich für die Mobilität aufwenden, seit einigen Jahren konstant bei 90 Minuten – und dies trotz neuen Arbeitsformen und geändertem Einkaufsverhalten. Das belegt, dass mehr Zeit für den Freizeit- und Ferienverkehr aufgewendet wird.

Das Zeitbudget für die Mobilität liegt konstant bei 90 Minuten pro Tag. (Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Natürlich haben die Restriktionen durch Covid diese Entwicklung beschleunigt. Der Trend zum geänderten Mobilitätsverhalten hat bedingt durch die technologische Entwicklung schon früher eingesetzt, wie die folgenden Grafiken zeigen. Ein Indiz für die Verlagerung vom Berufs- zum Freizeitverkehr könnte auch der Rückgang bei den Generalabonnementen sein.

Verlagerung vom Pendler- zum Freizeitverkehr.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Auswirkungen auf den öffentlichen Personenverkehr

Die Auslastung der Züge und Busse unter der Woche ist gleichmässiger geworden. Die Spitzenbelastung während den Hauptverkehrszeiten hat abgenommen. Auch der Anteil des Werktags- am Gesamtverkehr ist gesunken.

Die Spitzenbelastung während den Hauptverkehrszeiten hat abgenommen.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Das geänderte Verkehrsverhalten schlägt sich auch in den Frequenzen der einzelnen Strecken nieder. So haben beispielsweise die Personenfahrten zwischen Bern und Zürich um fast Prozent abgenommen, dafür aber auf den Strecken in die Tourismusgebiete zugenommen. Diese Verlagerung wird noch akzentuiert, indem die mit der Bahn zurückgelegten Reisen 2023 neue Höchstmarken erreicht haben.

Veränderungen auf ausgesuchten Korridoren.
(Tabelle mit Daten von David Henny vom Verfasser erstellt).

Die Gesamtnachfrage hat sich zwischen 2019 und 2023 kaum verändert. Hingegen hat sich die Nachfrage vom Pendler- auf den Freizeitverkehr verlagert. In der Westschweiz sind die Veränderungen weniger ausgeprägt. Das sehr hohe Wachstum auf der Gotthardachse wird auf den Ausbau des Angebots nach der Inbetriebnahme des Ceneri Basistunnels zurück geführt.

Massnahmen der Transportunternehmen

Die SBB und die übrigen Transportunternehmen in der Schweiz haben den Trend erkannt und wollen mit neuen Angeboten den Modalsplit im Freizeit- und Ferienverkehr weiter erhöhen.

Visionen der SBB zur Förderung des Freizeit- und Ferienverkehrs.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Am Grundfahrplan wird festgehalten. Aber das Angebot soll mit Zusatzzügen ausgebaut werden. Zudem sollen flexible Zugläufe möglichst viele von der Norm abweichende Direktverbindungen ermöglichen. So verkehren bereits heute einzelne Fernverkehrszüge am Wochenende aus der Westschweiz nicht mehr in die Ostschweiz, sondern nach Chur. Auch die neueren IC-Verbindungen wie etwa die IC 61 und IC 81 belegen diesen Paradigmenwechsel.

Erfolgreich umgesetzte kurzfristige Massnahmen.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Neben diesen erfolgreich umgesetzten Massnahmen sehen die SBB sowohl kurzfristig als auch längerfristig weiteres Potential, das sie in den kommenden Jahren gezielt erschliessen wollen.

Kurzfristig realisierbares Potential.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).
Optionen für die weitere Förderung des Freizeitverkehrs.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Ein konkretes Beispiel

David Henny ergänzt seine Ausführungen mit einer Graphik zur Belegung des IC1 – Zürich-Bern – und diskutiert die Lösungsansätze. Bei einzelnen Zügen können noch weitaus stärkere Verlagerungen auftreten, wie sich am Beispiel eines sehr stark belasteten Fernverkehrszuges mit einem hohen Anteil an Pendlern zeigt.

Veränderungen bei der Belegung des IC 1 zwischen Bern und Zürich.
(Auszug aus der Präsentation von David Henny).

Kommentar

Neben der SBB haben auch andere Transportunternehmen die Zeichen der Zeit erkannt und schon vor einigen Jahren innovative Angebote entwickelt. Ich denke dabei etwa an die SOB, welche mit dem Treno Gottardo ein erfolgreiches und vom Markt gut aufgenommenes Produkt anbietet.

Die Stausituation an den Wochenenden auf den in die Tourismusgebiete führenden Nationalstrassen wie etwa die N2, die N3, die N6 oder die N9, zeigen ein hohes Potential für den öffentlichen Freizeit- und Ferienverkehr.

Abschliessend möchte ich auf zwei Aspekte hinweisen: Vieles, was heute angedacht oder bereits angeboten wird, war vor vielen Jahren Realität. Ich denke etwa an die zahlreichen Sonderzüge aus der Ost- und Nordwestschweiz ins Wallis. Ausgestattet mit Speisewagen und Bern umfahrend.

Aber «nur» zusätzliche Züge werden es nicht richten. Neue Angebote und Dienstleistungen müssen ergänzend eingerichtet werden. Dazu zählen unter anderem Verpflegungsangebote und die bezahlbare Beförderung von Reisegepäck. Beispielsweise sind die aktuellen Kosten des Transports des Reisegepäcks (Koffer, Skiausrüstung) für eine Familie von Zürich nach Schuls/Scuol höher als die Billettkosten. Dazu kommt das oft mühsame Bringen und Abholen an die nur noch wenigen Gepäckschalter.

Und noch ein Wort zum internationalen Ferien- und Freizeitverkehr. Ich bezweifle, dass direkte Züge aus der Schweiz nach London der Weisheit letzter Schluss sind. Viel zweckmässiger wären beispielsweise rasche Regionalexpresszüge aus dem Tessin nach Malpensa – analog den in dichter Folge aus der City von Mailand zum Flughafen verkehrenden «Malpensa-Expresszügen» – möglicherweise durch die Führung jedes zweiten RE80 von Locarno über Lugano nach Malpensa statt nach Chiasso. Die aktuelle Reisezeit der S10 von 95 Minuten zwischen Lugano und Malpensa ist nicht attraktiv. Manchmal liegt das wahre Gute so nahe!

2 Gedanken zu „Ein Tick besser – ein Tick flexibler / Innovationen beim Personenverkehrsangebot der SBB

  1. Nur der Schienenverkehr kann den umweltstörenden Flugverkehr drosseln.
    In Europa brauchen wir die Langstreckenzüge, inkl Nachtzüge. OeB ist dabei.
    CH – London, CH – Barcelona, CH – Napoli ist vorhanden (ab Milano)
    Lugano-Malpensa wird z.Zt ausgebaut und verkürzt (bei Gallarate).
    Tessin ist noch von der restlichen Schweiz abgeschnitten. Wir brauchen eine interne alpine Verbindung im Sinne eines alpinen Verkehrkreuzes: Martigny – Chur (FO) / Bern – Locarno (Grimsel.Bedretto) für die nationale Kohäsion wie wir ein Verkehrkreuz GE – St Margrethen / Basel – Chiasso für die europäische Integration brauchen.

    • Sehr geehrter Herr Klaue

      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.

      Folgendes:

      1. Ob direkte Fernreisezüge aus der Schweiz ins Ausland mit einer Fahrzeit von mehr als vier Stunden tatsächlich sinnvoll sind, möchte ich offen lassen.

      2. Erfreut nehme ich von Ihrer Forderung nach einem Ausbau der Nord/Süd-Verbindung von Basel nach Chiasso Kenntnis. Für mich ein überfälliges Anliegen.

      3. Nicht teilen kann ich Ihre Forderung nach einer Ost/West-Transversale durch die Schweiz als europäische Achse. Vom Osten her hat es zu wenig Potential. Zudem besteht von Basel über Mülhausen eine sehr schnelle Verbindung nach Südwestfrankreich oder Spanien.

      4. Ich habe keine Kenntnis von einem Ausbau der Strecke von Lugano nach Malpensa. Neu gebaut wurde vor einigen Jahren die Verbindung von Mendrisio nach Varese. Leider hat es die Schweiz (noch?) nicht geschafft, hier ein marktfähiges Angebot zu schaffen.

      5. Sinnvoll wäre eine Verbindung von Malpensa 2 nach Norden mit Anschluss an die bestehende Strecke von Mailand nach Domodossola im Raum Somma Lombardo (meines Wissens stehen entsprechende Vorschläge im Raum).

      Nochmals vielen Dank für Ihren Kommentar und weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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