Zuckerrübenernte 2018 – Bankrotterklärung für SBB Cargo

Vorbemerkungen

Seit einigen Monaten steht fest, dass die Firma Schweizer Zucker den Auftrag für die umfangreichen Schienentransporte von Zuckerrüben zu ihren beiden Zuckerraffinerien nicht mehr an die SBB, sondern an private Eisenbahnverkehrsunternehmen erteilt hat. Dieser Sachverhalt ist aus unserer Sicht recht eigentlich eine Bankrotterklärung von SBB Cargo. Zudem stellen sich ökonomische, ökologische und entwicklungspolitische Fragen. Mit diesem Beitrag legen wir den Fokus auf einige Aspekte dieser Problematik.

Hintergrund

In der Schweiz wird in grossem Ausmass Zuckerrüben angebaut. 2017 wurden rund 1,546 Mio. Tonnen Zuckerrüben geerntet. Zusätzlich wurden vor allem aus Deutschland knapp 140‘000 Tonnen Zuckerrüben importiert. Alle Zuckerrüben wurden etwa zu sechzig Prozent in Aarberg und zu 40 Prozent in Frauenfeld zu knapp 300‘000 Tonnen Kristallzucker verarbeitet.

Der Transport dieser enormen Mengen erfolgt auf Schiene und Strasse. Der Modal Split schwankte. In der Regel transportierten Strasse und Schiene je etwa die Hälfte der Tonnage. Angaben zu den Tonnenkilometern liegen nicht vor.

Im Jahr 2017 wurden auf der Schiene rund 790’000 Tonnen Zuckerrüben transportiert. Das entspricht über vier Prozent der gesamten Transportmenge von SBB Cargo im Wagenladungsverkehr von 30,8 Millionen Tonnen.

Bis 2017 erfolgte der Bahntransport durch SBB Cargo. Für den Transport der grossen Mengen in wenigen Wochen musste auch SBB Cargo Eisenbahnwagen von ausländischen Bahnen dazu mieten.

Zucker Schweiz als Eigentümerin der beiden Zuckerfabriken hat den Auftrag für den Transport der Zuckerrüben für 2018 ausgeschrieben. Den Zuschlag erhalten haben für den Transport der Zuckerrüben nach Aarberg die Sersa Group und für denjenigen nach Frauenfeld die Swiss Rail Traffic. Der Importverkehr wird durch die Chemoil, ein Tochterunternehmen der SBB AG, sichergestellt. Da kein eigentliches Eisenbahnverkehrsunternehmen EVU, hat Chemoil die Transportaufträge an verschiedene EVU untervergeben.

Die 2018 mit dem Transport beauftragten Firmen werden mehrere Verladestationen von der Schiene auf die Strasse nicht mehr benutzen. Dadurch steigt der Anteil der Transportleistung auf der Strasse zu Lasten der Schiene markant.

Weder die Sersa Group noch die Swiss Traffic Inc. verfügen über genügend eigenes Personal, Lokomotiven, Eisenbahnwagen oder Container. Die fehlenden Ressourcen sowie Zusatzleistungen wie Rangierdienste, müssen bei verschiedenen Anbietern, unter anderem bei SBB Cargo, dazu gemietet werden. Der administrative Aufwand für die Sicherstellung der Transporte dürfte enorm sein. Für weitere Angaben verweisen wir auf den Beitrag „Zuckerrübenkampagne 2018“ von Stephan Frei in der Ausgabe 11/2018 der Fachzeitschrift „Eisenbahn Amateur“

Das führt zu kritischen Grundsatzüberlegungen und Fragen, auf die wir am Ende dieses Beitrages eintreten. Vorab jedoch ein paar Bilder mit Kommentar zu Detailaspekten.

Verladestationen im Beringer Feld

Im Zuge des Ausbaus und der Elektrifizierung der deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Erzingen (Baden) und Schaffhausen wurden in drei Bahnhöfen die bestehenden Anlagen für den Verlad von Zuckerrüben auf die Bahn neu angeschlossen. Wir schätzen den Aufwand für die entsprechenden Anpassungen auf über CHF 15 Mio. (Anschlussgeleise und Weichen, Spurwechsel, Sicherungsanlagen etc.).

Dazu eine Serie von eher deprimierenden Bildern über die Gegebenheiten vor Ort. Was denken unsere Partner von der Deutschen Bahn, welche einen Teil dieser Investitionen mit finanziert haben? Eigentlich müssten die DB den SBB die ihnen ausfallenden und erwarteten Trassengebühren in Rechnung stellen!

Überblick über die Verladeanlage Wilchingen-Hallau

Behältnisse in Wilchingen-Hallau

Stumpengleis in Wilchingen-Hallau (man beachte die moderne Weiche mit Handbetrieb)

Seilzug für den Vorschub von Güterwagen in Wilchingen-Hallau

Antrieb für die Vorschubanlage in Wilchingen-Hallau

Überblick über die Verladeanlage in Neunkirch

Ansicht der Verladeanlage in Neunkirch

Detail von der Verladeanlage in Neunkirch mit nicht mehr verwendeten Übergangsblechen zwischen der Rampe und den Güterwagen

Einer der zahlreichen nutzlosen Spurwechsel, hier ausserhalb von Neunkirch (man entschuldige das verschwommene Bild)

Überblick über die Verladeanlage von Beringen

Nahansicht der Verladeanlage von Beringen

Verladeanlage in Beringen

Steuerung der Verladeanlage von Beringen

Umschlag von Zuckerrüben zwischen Dielsdorf und Niederhasli

Zwischen Dielsdorf und Niederhasli lagern auf einem Feld Tausende von Tonnen von Zuckerrüben. Da der Feldweg von schweren Lastwagen kaum befahren werden kann, nehmen wir an, dass in der Nacht der Strom in der Fahrleitung abgeschaltet wird und die Zuckerrüben mit Förderbändern auf Güterwagen verladen werden.

Ob diese Zuckerrüben während der Nacht von den berühmten Heinzelmännchen verladen werden?

Kommentar und Anschlussfragen

Nachstehend möchten wir uns zu verschiedenen Aspekten des Sachverhalts äussern und diesen in einen grösseren Zusammenhang stellen.

  1. Wie bereits erwähnt, dürfte der Anteil der Transportleistung in Tonnenkilometern auf der Strasse zu Lasten der Schiene und zu Lasten der Umwelt erheblich ansteigen.
  2. Der administrative Aufwand für die erwähnten Drittfirmen dürfte in jedem Fall erheblich gewesen sein. Da es sich um private Firmen handelt, gehen wir davon aus, dass die Firmen trotzdem einen Gewinn erzielen werden (oder dies mindestens anstrebten).
  3. Die Frage steht im Raum, weshalb SBB Cargo als angeblich umweltfreundlicher Carrier nicht in der Lage war, sich den langjährigen Auftrag durch eine Offerte zu Grenzkosten zu sichern. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass private Anbieter trotz einem erheblichen Vorbereitungsaufwand auf Vollkostenbasis günstiger produzieren als der Platzhirsch SBB Cargo zu Grenzkosten. Ein für SBB Cargo vernichtender Befund!
  4. Vor einigen Tagen hat Markus Fischer vom SEV an einem Symposium zum Thema „Endlich – die SBB sucht Lösungen für Kunden“ referiert. Welche Kunden hatte Markus Fischer wohl im Fokus?
  5. Die Privatisierung der Güterverkehrssparte der SBB AG ist überfällig. Nur so kann der Schienengüterverkehr in der Schweiz seine Existenz auf längere Zeit sichern und ausbauen und damit – nota bene – zumindest die Arbeitsplätze der unteren Chargen von SBB Cargo erhalten.
  6. Und wir erwarten, dass Arbeitnehmerorganisationen wie der SEV gewährleisten, dass die Mitarbeiter und Hilfskräfte der privaten Eisenbahnunternehmen zu den gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen arbeiten wie ihre Kollegen von SBB Cargo. Der SEV hat diese Anforderung bei den Löhnen der ausländischen Lokomotivführer im Gütertransit durch die Schweiz schliesslich auch gestellt.

Und ausserdem

  1. Vor einem Monat haben wir in der Filiale Landquart zehn Kilogramm Schweizer Zucker für CHF 5.- gekauft – das Kilogramm zu 50 Rappen. Coop bietet zurzeit in seinen Filialen vier Kilogramm Zucker zu CHF 2.80 an. Der Preis pro Tonne Zuckerrüben liegt in der Grössenordnung von CHF 50.-. Wir gehen davon aus, dass die Preise der Detailhändler nicht kostendeckend und erheblich subventioniert sind. Zudem ist Produktion von Zucker enorm energieintensiv. Dieser Sachverhalt ist zur Sicherung der Einkommen der Schweizer Bauern vertretbar. Nicht akzeptabel ist aus ökonomischen und ökologischen Gründen die Tatsache, dass über 150‘000 Tonnen Zuckerrüben durch halb Europa transportiert und in der Schweiz zu Zucker verarbeitet werden.
  2. Und es stellt sich weiter die Frage, weshalb man in unserem Lande, koste was es wolle Überschusszucker herstellt, statt dies – wenn überhaupt – in den für die Produktion weit besser geeigneten Entwicklungs- und Schwellenländern tut und dort Arbeitsplätze sichert. Eine der Folgen dieser Fehlentwicklung ist, dass statt Zucker Asylanten den Weg zu uns finden!

Und zum Abschluss

Die Stadt Zürich hat vor einigen Jahren durchgesetzt, dass in einer Wohn- und Ausgehzone eine bestehende Getreidemühle zur grössten derartigen Anlage in der Schweiz mit einem 118 Meter hohen Silo gebaut werden konnte. Der frühere Silo war lediglich 40 Meter hoch. Kein einigermassen menschengerechter Busbahnhof oder gar ein Kongresszentrum, aber eine Getreidemühle musste es sein! Die Getreidezüge müssen auf einem eigens dafür bestimmten Gleis durch den halben Stadtkreis 5 gezogen werden. Ob es im Sinne der Erfinder war, dass die Getreidezüge – wie dies am 27. September 2018 der Fall – von einem privaten Carrier nach Zürich gefahren werden und im HB Zürich auf die Weiterfahrt warten müssen, bleibt offen.

6 Gedanken zu „Zuckerrübenernte 2018 – Bankrotterklärung für SBB Cargo

  1. Zuckermühle Rupperswil gibt Geleiseanschluss auf (LKW’s olé!)

    Lieber Ernst

    Dieser Sachverhalt hat natürlich keinen Zusammenhang mit der normalen Rübenkampagne,
    scheint mir aber sehr unschön. Zucker ist sehr schwer und deshalb teilweise
    bahntransportaffin. Die Info über Rupperswil war in der SER Eisenbahnrevue
    notiert. Vom Zug aus kann man den ‚Tatbestand‘ sehr gut feststellen.

    Liebe Grüsse
    W.

  2. Also Folgendes kann ich mit 100% Sicherheit sagen:

    1. Die Zuckerrüben auf dem Bild an den Geleisen bei Niederhasli/Dielsdorf wurden mit dem LKW nach Frauenfeld transportiert wie Tausende weitere Tonnen aus dem Zürcher Unterland.

    2. Auch mussten mehrmals als Ersatz für ausgebliebene Züge oder weil zu wenige Wagen geliefert wurden, LKW eingesetzt werden.

    3. Bei den Getreidetransporten weiss ich, dass der Schienenverkehr mehr schlecht als recht funktioniert. Vor zwei Jahren waren in Niederhasli leere Getreidewagen abgestellt – gemäss den SBB wegen Nichtgebrauch – und mehrere grosse Getreidehändler suchten verzweifelt nach Wagen für dringende Getreidetransporte. Auch damals mussten LKW einspringen, um das bereits für Bahnwagen bereitgestellte Getreide auf der Strasse zu befördern.

    4. Entweder soll die liebe Bahn etwas flexibler werden oder dann bei den Aufträgen bei welchen Flexibilität gefordert ist – wie eben bei Landwirtschaftlichen Produkten, bei denen wetterabhängig teilweise sehr viel Flexibilität erforderlich ist – die Finger davon lassen. Dies gilt aus meiner Sicht sowohl für die SBB Cargo als auch für die privaten Bahndienstleister.

    • Sehr geehrter Herr M.

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren Kommentar.

      Ich war so frei, vor der Freigabe ein paar redaktionelle Anpassungen vorzunehmen, und danke Ihnen für Ihr Verständnis.

      Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an unserer Website

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

  3. Lausig: Der Artikel ist so schwach recherchiert, dass dem Schurnalischt sogar entgangen ist, dass die Bahnanlage in Beringen dem Deutschen Staat gehört:
    http://www.linkfang.de/wiki/Basel_Badischer_Bahnhof
    Zitat: Zusammen mit den anderen im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehenden Bahnhöfen auf Schweizer Staatsgebiet (Riehen, Riehen Niederholz, Thayngen, Neuhausen Bad Bf, Beringen Bad Bf, Neunkirch und Wilchingen-Hallau) gehört er zu den letzten Bahnhöfen, die sich nach der Bahnreform in Deutschland noch in unmittelbarem Bundesbesitz befinden.
    Fazit: Der Artikel ist der Strom nicht wert, der er zum anzeigen verbraucht!

    • Sehr geehrter Herr Heldtson

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren Kommentar.

      Darf ich dazu folgendes anmerken:

      1. Unser Beitrag bezog sich weder auf die Eigentumsverhältnisse an den Eisenbahnanlagen noch auf technische Details, sondern auf den Transport von bahnaffinen Massengütern.

      2. Die Eisenbahninfrastruktur wurde vor wenigen Jahren gemeinsam von Deutschland und der Schweiz durch den durchgehenden Ausbau auf Doppelspur zwischen Neuhausen am Rheinfall und Erzingen (Baden) und die Elektrifizierung auf einen sehr hohen Stand gebracht.

      3. Dabei wurden bei mehreren Bahnhöfen neue mechanische Stellwerke gebaut. Ich hatte Gelegenheit, mit einem Monteur über seine Arbeit zu sprechen. Unter anderem moderne Betonweichen angetrieben mit Drähten!

      4. Gewiss haben Sie Ihr Bundesministerium für Verkehr auf diesen bemerkenswerten Sachverhalt hingewiesen.

      Ich danke Ihnen nochmals für Ihren Beitrag und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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