Chaostage bei den SBB & Appell an den SEV

Vorbemerkungen

Gemäss der Ausgabe der Neuen Zürcher-Zeitung vom 18. November 2017 werden die SBB zurzeit von einer Pechsträhne verfolgt. Neben Baustellen und Streckenunterbrüchen – erneut auch in Luzern – nennt Paul Schneeberger Probleme bei der Einführung von SOPRE, dem neuen System für die Personaldisposition, als Störungsursache. Rund neunzig Prozent der Systemanfragen sollen zum Zeitpunkt des Berichts normal funktionieren. Oder anders ausgedrückt – jede zehnte Anfrage funktioniert nicht. Und das bei einem System am Herzen des Bahnbetriebs.

Erschreckend aber ist folgender und anschliessend kurz kommentierter Bericht über das Verhalten des Lokomotivführers eines Regionalzugs in Beinwil, der dem eingangs erwähnten Artikel der NZZ entnommen wurde:

Kommentar

  1. Man stelle sich vor, Bauarbeiter würden ihre Arbeiten kurz vor dem Ende des Einbringens von Beton in eine Betondecke mit dem Hinweis auf das Ende der zulässigen Höchstarbeitszeit einstellen, nachdem ein Kran vorübergehend ausgefallen war.
  2. Oder der Landwirt, der trotz aufziehendem Gewitter und vor den letzten zwei Fuhren das Einbringen von Getreide einstellt, weil seine Arbeitszeit abgelaufen ist.
  3. Dazu kommt, dass der zitierte Lokomotivführer keinen schweren Güterzug im Schneesturm und bei Dunkelheit beispielsweise über die Gotthard-Bergstrecke zu führen hatte, sondern einen einfacher zu bedienenden leichten Triebwagenzug auf der Seetalbahn. Zudem dauert die Fahrt von Beinwil nach Lenzburg knapp dreissig und diejenige von Beinwil nach Emmenbrücke etwa 45 Minuten. Glücklicherweise befand ich mich nicht in diesem Zug.
  4. Das Verhalten des Lokomotivführers in der schwierigen Situation der SBB ist für mich völlig unverständlich. Von Kundenfreundlichkeit keine Spur. Die wirklich Leidtragenden sind die Fahrgäste im gestrandeten Zug.
  5. Das Verhalten erinnert mich an die französischen Kollegen des Lokomotivführers, welche trotz dem Streckenunterbruch in Rastatt zum Schaden von Europa und der Güterbahnen gestreikt haben.
  6. Arbeitsrechtlich können dem Lokomotivführer vom Arbeitgeber wahrscheinlich keine Vorwürfe gemacht werden. Die Reglemente sind wohl eindeutig. Da wird sich kein Vorgesetzter mit Kritik die Finger verbrennen wollen.
  7. Gegebenenfalls könnte man die Weisungen etwas flexibilisieren. Die Frage, weshalb der Disponent oder der Lokomotivführer nicht VOR Antritt der Fahrt reagiert haben, ist offen.
  8. Wünschenswert wäre auch, dass die Arbeitnehmerorganisationen oder die Kollegen das Verhalten ihres Kollegen monieren.
  9. Und last but not Least ein Rückblick auf meine Militärdienstzeit. Im Allgemeinen werden die Ruhezeitvorschriften der Chauffeure in der Armee zu Recht peinlich genau eingehalten. Aber ich habe in kritischen Situationen auch Abweichungen von dieser Vorschrift erlebt und dabei Folgendes festgestellt: Je besser der Korpsgeist in einer Einheit war, desto eher war ein Chauffeur zu einer Zusatzleistung bereit. Herrschte in einer Einheit jedoch Missstimmung, verweigerten die Chauffeure mit dem Hinweis auf die Ruhezeitvorschriften die zusätzliche Leistung.
  10. Überträgt man diese Erfahrungen auf den berichteten Sachverhalt, müsste man auf ein schlechtes Betriebsklima beim zuständigen Personal schliessen. Es bleibt die Hoffnung, dass die leitenden Stellen der SBB dem Sachverhalt die nötige Beachtung schenken.
  11. Und Last but not Least – leider häufen sich analoge Ereignisse gemäss diesem Bericht auch in Österreich Lokführer Probleme bei den ÖBB.

Der Bericht in der Neuen Zürcher-Zeitung steht über diesen Link zur Verfügung 
NZZ 2017_11_17 Chaostage SBB

2 Gedanken zu „Chaostage bei den SBB & Appell an den SEV

  1. Mit SOPRE wurde ein neues Planungstool für die Disposition des Lokpersonals eingeführt, welches (1) eine Produktivitätssteigerung durch Optimierung, (2) eine Effizienzsteigerung, (3) eine Erhöhung der Zuverlässigkeit sowie (4) eine Vereinfachung der Planungsprozesse zum Ziel hatte.

    Diese Erwartungen wurden definitiv nicht erfüllt, denn dem Lokpersonal fehlen wesentliche Informationen für die zuverlässige Erfüllung seiner Aufgaben, was zu Verspätungen und Zugsausfällen führt.

    Auch bei Mitarbeitern von der Lenkung verursacht SOPRE grosse Probleme, da alle Systeme softwaretechnisch miteinander verbunden wurden. Die geringste Änderung eines Prozesses generiert automatisch Folgeanpassungen mit gravierenden Folgen für die Disposition, die während dem laufenden Betrieb manuell korrigiert werden müssen. Das sich hier Fehler einschleichen können, lässt sich nicht abstreiten. Wo Menschen arbeiten, können auch Fehler passieren. SOPRE lässt jedoch zu, dass Regelungen des AZG und der AZGV in den Dienstplänen verletzt werden.

    Weiter gelten bei der SBB eindeutige Vorschriften, wie sich das Personal zu verhalten hat, wenn während der Schicht eine Verletzung des AZG oder der AZGV droht. Die Mitarbeiter der SBB und anderen Transportunternehmen müssen die Bestimmungen nach AZG und AZGV in jedem Fall einhalten, da die Vorschriften Gesetzescharakter haben. Dabei besteht absolut kein Spielraum. Die SBB hat im Fall „Beinwil“ dem Lokführer bestätigt, dass er richtig gehandelt habe. Daraus erkennt man, dass die SBB das AZG und AZGV ernst nehmen und NULL Toleranz duldet.

    Das Personal weiss, dass die grösste Gefahr bei der Arbeit belastende Gedanken sind, welche von der Arbeit ablenken. Die Sicherheit und der Selbstschutz haben höchste Priorität, für die Eisenbahn und die Kunden.

    Trotz hoch motiviertem Personal lässt das System SOPRE kein zuverlässiges Arbeiten mehr zu. Ein Ende von Frustrationen und Stress ist nicht in Sicht, da die grosse Herausforderung noch vor dem Personal liegen: bis jetzt konnten viele Unzulänglichkeiten mit der Erfahrung kompensiert werden.

    Ab Fahrplanwechsel beginnen zusätzlich auch Thurbo und TILO mit dem Planungssystem SOPRE einzuteilen. Es ist also Möglich, dass es solche Szenarien auch in Zukunft geben kann.

    Mit zunehmender Sorge betrachte ich den Machbarkeitswahn der Digitalisierung, deren smarte Versprechungen in einem so eklatanten Missverhältnis zu den Ergebnissen stehen.

    Ich bin ganz klar der Meinung: Die Sicherheit ist das oberste Ziel der Bahn und kommt sehr weit vor der Pünktlichkeit – gegebenenfalls auch durch Beendigung der Fahrt an einem geeigneten Ort, was für die Kunden zwar lästig und ärgerlich ist, aber immer noch viel sicherer als bei einer Weiterfahrt einen Unfall zu riskieren!

    • Sehr geehrter Herr Baebi

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren ausführlichen Kommentar.

      Als Kunde und Bahnfreund bleibt mir die Hoffnung, dass die Probleme bald behoben werden.

      Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Freude an unserer Website.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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