Ende der Flachbahn Illusion?

Im „Schweizer Jahrbuch für Verkehr 2016“ äussert sich Kurt Metz in seinem lesenswerten Beitrag „Paradigmenwechsel im kombinierten Verkehr durch die Schweizer Alpen“ zum Ausbau des Verladeangebots und zu den sich abzeichnenden Änderungen der Güterströme aus Fernost durch die Alpen. Letztere dürften für die NEAT erhebliche Auswirkungen haben. Mehr dazu in diesem Beitrag.

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Güterverkehr / Umkehr der Verkehrsströme

In den letzten Jahren wurde der Suezkanal für die Durchfahrt der grössten heute verkehrenden Containerschiffe mit einer Kapazität von 18‘000 Containern erweitert. Zudem werden mehrere Häfen im Mittelmeer für den leistungsfähigen Umschlag der mit diesen Riesenschiffen transportierten Container ausgebaut. Die neue Route verkürzt die Seefahrt aus dem fernen Osten nach Europa gegenüber der traditionellen Route über das Kap der guten Hoffnung nach Europa um 4‘500 Kilometer oder um fast eine Woche.

Mit dem Bau einer neuen doppelspurigen Strecke von Genua in die Poebene – Terzo Valico – werden die notwendigen Kapazitäten für den Weitertransport dieser Container auf der Schiene geschaffen. Die entsprechenden Arbeiten sind weit fortgeschritten. In Planung ist des Weiteren eine für den Güterverkehr bestimmte südliche Umfahrungslinie von Mailand. Diese ermöglicht einen raschen und umweltschonenden Güterzugsverkehr Richtung Verona und Brenner. Notabene eine eigentliche Flachbahn. Metz rechnet auch mit einer Verkürzung der Transportdauer von den Häfen bis zum Bestimmungsort zwischen zwei und drei Tagen. Der Bau einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke von Treviglio nach Venedig schafft zudem freie Trassen auf der bestehenden Strecke von Mailand nach Verona.

Bedeutsam ist zudem, dass die italienische Zollverwaltung die Güter bereits auf hoher See vorverzollt und nur noch einen „One-Stop-Shop“ ermöglicht. Auch die Arbeitsmentalität in den italienischen Umschlaghäfen hat sich substantiell erhöht. So wurde beispielsweise im Hafen von La Spezia seit über zwanzig Jahren nie mehr gestreikt.

Ein echter Paradigmenwechsel!

Auswirkungen für die Schweiz

Die neuen Gegebenheiten werden sich auf mittlere Sicht erheblich auf die Schweiz und Mitteleuropa auswirken. Auswirkungen, auf die wir unzureichend vorbereitet sind. Unter anderem wird sich zeigen, dass die NEAT trotz den vollmundigen Anpreisungen von Süden nach Norden für die zu erwartenden grossen Verkehrsströme keine Flachbahn ist. Man denke an die Strecke von Domodossola nach Brig oder die Ausfahrt aus dem Rangierbahnhof Chiasso nach Balerna.

Fragwürdig vor diesem Hintergrund ist auch der geplante Ausbau des Rheinhafens in Basel. Der Umschlag von den Containern in Rotterdam von den Meerschiffen auf Rheinschiffe, deren Fahrt rheinaufwärts bis nach Basel und hier Umschlag zu den Bestimmungsorten in der Schweiz dürfte erheblich an Bedeutung verlieren. Gemäss Metz beträgt die Distanz zwischen Genua und Zürich 420 km und von Rotterdam nach Zürich 840 km. Zudem entfällt beim Transport ab Genua im Vergleich mit der angedachten Route über den Rhein ein zeitraubender Umlagevorgang.

Forderungen an die Verkehrspolitik

Der ohnehin umstrittene Ausbau des Rheinhafens in Basel Nord ist vorbehaltlos in Frage zu stellen. Gemäss der NZZ vom 19. September 2016 soll der Anteil der ab Basel ins Landesinnere beförderten Container von 10 auf 50 Prozent erhöht werden – in Anbetracht der kurzen Distanzen von Basel beispielsweise ins Birrfeld oder nach Spreitenbach eine ambitiöse und kritisch zu hinterfragende Annahme. Honi soit qui mal y pense! Zudem soll der Ausbau des Rheinhafens mit CHF 100 Mio. aus dem BIF mitfinanziert werden. Abgesehen davon schwächt der Schiffstransport den europäischen Ferngüterverkehr auf der Schiene.

Ausserdem haben grosse Fuhrunternehmen den Bau eines eigenen Umschlagterminals in Basel von den Schiffen auf Lastwagen angekündigt. Der Verdacht, dass mit dem Bau von Basel Nord Hupac AG und ihren Aktionären auf Kosten des Steuerzahlers unredliche Vorteile zugeschanzt werden. Ob Dr. Benedikt Weibel als Verwaltungsratspräsident der Port of Switzerland hier eine ähnliche Rolle ausübt wie bei der privaten Westbahn AG, welche die ÖBB ausschliesslich auf ihrer Paradestrecke zwischen Salzburg und Wien konkurrenziert und zudem mit der Westbus AG auf der Strasse Personentransport betreibt?

Schlussbemerkungen

Zu viele Unklarheiten stehen im Raum. Ein Marschhalt und eine vorbehaltlose Neubeurteilung sind angezeigt. Vor allem drängt sich ein Weiterausbau der NEAT mit leistungsfähigen Zufahrten aus der Lombardei zum Südportal des Gotthardbasistunnels auf. Auch im Norden ist von Basel nach Flüelen eine ausschliesslich für den Güterzugsverkehr reservierte Aus- und Neubaustrecke notwendig. Da es sich um einen europäischen Güterverkehrskorridor handelt, müsste sich die EU an den Kosten massgeblich beteiligen.

Ist es wirklich sinnvoll, In Basel mehrere CHF 100 Mio. in den Ausbau eines kaum notwendigen Hafens zu stecken? Sinnvoller wäre, die Mittel in die Fertigstellung der NEAT zu investieren.

Anzumerken ist auch, dass die Eisenbahnverbindungen zwischen China und Europa für den Güterverkehr ausgebaut werden sollen. Dies kann für den Transport hochwertiger Güter sowohl Fluggesellschaften als auch die Schifffahrt konkurrieren.

Man bedenke ferner, dass die mögliche Umfahrung der Schweiz durch den Brenner und weiter östlich liegende Achsen infolge von ausbleibenden Deckungsbeiträgen des Transitverkehrs an die enormen Kosten der Neat nicht in unserem Interesse liegen kann.

Der Auszug aus dem Jahrbuch steht über diesen Link als PDF-Datei zur Verfügung: jahrbuch-2016-paradigmenwechsel-transitverkehr

Ein Gedanke zu „Ende der Flachbahn Illusion?

  1. Die Infragestellung der alpenquerenden Schweizer Gütertransitpolitik durch die vorliegende Studie ist hoch interessant, wenn auch in ihren zentralen Aussagen nicht unbedingt ganz neu. In Anbetracht der zumindest seit der Finanzkrise 2008 herrschenden weltpolitischen und globalen wirtschaftlichen Unsicherheiten scheint mir jegliche Prognose für die zukünftige Verkehrsentwicklung auf Wasser, Schiene und Strasse reichlich spekulativ. Behaupten lässt sich vieles, Belege liefern ist schon schwieriger. Wie wird sich z.B. China als billiger Massenproduktionsstandort enwickeln? Anzeichen, dass sich dies bald ändern wird, sind nicht zu übersehen. Kehrt die Industrieproduktion gar nach Europa zurück? Fabrikjobs von China zurück in die USA holen, wie Trump verspricht?
    Funktioniert dies wirklich? Welches wären die Folgen? Viele Fragen – wenig Antworten.
    Ein Reflexionshalt , wie in der Studie gefordert, ist zweifellos sinnvoll; doch heisst dies bezüglich Verlagerungspolitik auch auf halbem Wege stehen zu bleiben. Die NEAT ist ein unfertiges Produkt mit noch unbekannten Auswirkungen. Die Gefahr einer Ostumfahrung der Schweiz via Brenner ist real, war aber vorhersehbar. Wenn nun die Italiener endlich ihre Güterbahnen Richtung Norden zügig ausbauen ist dies grundsätzlich zu begrüssen. Ob allerdings Genua dereinst den Hafen Rotterdam spürbar konkurrenzieren wird, ist eine offene Frage und hängt von vielen Faktoren ab, die zum Teil ausserhalb Europas bestimmt werden. Wer garantiert z.B., dass der Suezkanal eine sichere Schifffahrtsroute bleiben wird und Europa damit nicht erpressbar wird? Ich erinnere an die Suezkrise 1956. Welche Auswirkungen hat die Energiewende, falls diese einmal Tatsache werden sollte, auf die Brennstofftransporte weltweit und bei uns?
    Der von den Promotoren der Hafenentwicklung prognostizierte Zuwachs beim Conainterumschlag in den Basler Häfen beruht auf Annahmen, deren Richtigkeit schwer zu belegen sind. Auf Vorrat bauen kann Weitsicht bedeuten, enthält aber auch das gewaltige Risiko auf überdimensionierten, teuren Infrastrukturen sitzen zu bleiben. Das darin investierte (Steuer)Geld hätte veilleicht woanders grösseren Nutzen erbracht. Die Fragen bleiben.

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