Erlösanteile der ersten und zweiten Klasse bei den SBB

Ausgangslage

Gelegentlich werden Stimmen laut, die die Abschaffung der ersten Klasse anregen, weil sie angeblich in der Produktion zu teuer und unrentabel sei. Dieser Behauptung sei hier nachgegangen.

Erlössituation

Laut Geschäftsbericht 2013 der SBB lag der Anteil der Erste-Klasse-Passagiere bei 20%. Die Gesamterlöse aus Fahrscheinverkäufen lagen bei 3.2 Mrd. CHF. Die Tarife der ersten Klasse liegen um 75% höher als bei der zweiten Klasse. Aus diesen Angaben lassen sich die Erlösanteile beider Klassen berechnen:

Erlösanteil 1  Klasse (Formel) Copy_Page_1

Aufgelöst nach der Unbekannten X erhält man:
X=(3.2 Mrd.CHF)/((0.8+0.2*1.75) )= 2.783 Mrd. CHF (2)
Durch Einsetzen des Ergebnisses aus (2) in Gleichung (1) erhält man die Erlösanteile der beiden Klassen:
Klasse: E_(1.Kl)=0.20*1.75*X=0.974 Mrd.CHF, Anteil 30.4%
Klasse: E_(2.Kl)=0.80*X=2.226 Mrd.CHF,Anteil 69.6%
Würden die SBB auf die erste Klasse verzichten, so würde sich der Umfang der Erlöse aus Passagierfahrten um mindestens 417 Mio. CHF reduzieren. „Mindestens“, wenn alle Ersteklassepassagiere auf die zweite Klasse umsteigen würden. Es ist aber anzunehmen, dass nicht Wenige auf das Auto umsteigen würden. Damit reduzieren sich die Einnahmen zusätzlich.

Kostensituation

Auf der anderen Seite sind die Mehrkosten für die erste Klasse anzugeben. Mehrkosten ergeben sich vor allem aus dem Fahrzeug. Die Kapitalkosten, die Reinigungs- und Wartungskosten, sowie die Energiekosten und die Kosten der Schienenbenutzung eines Ersteklassewagens sind praktisch identisch mit denjenigen eines Zweiteklassewagens. Hingegen ist der Sitzraum im Ersteklassewagen pro Sitzplatz um etwa 43% grösser (EW4)und damit die Zahl der Sitzplätze etwa 30% geringer. Die angeführten Kosten müssen demnach durch die kleinere Anzahl Sitzplätze geteilt werden und liegen damit um 43% höher. Allenfalls müssen die Kosten für Lokführer ebenfalls klassenabhängig gewichtet werden.
Die übrigen Kosten, etwa für die stationären Anlagen, Billettautomaten, Verkaufspersonal und die Schienenbenutzungsgebühren (ohne Abnutzungs- und Energiekomponente) sind hingegen gleich wie bei der zweiten Klasse.
Unter dem Strich dürften die Mehrkosten der ersten Klasse beim Fernverkehr bei gleicher Auslastung in beiden Klassen etwa im Bereich von 30% liegen (EW4). Zur Erinnerung: die Mehrerlöse liegen bei plus 75%.

Diese Zahlen gelten für den Fernverkehr. Im Nahverkehr liegen die Verhältnisse noch ungünstiger. Bei den üblichen modernen Nahverkehrsfahrzeugen, etwa dem FLIRT, dem KISS und den GTW’s ist der Platzangebot der ersten Klasse nur noch marginal grösser als in der zweiten Klasse. Beim FLIRT und beim KISS der SBB werden vier Sitze pro Reihe eingebaut (wie in der zweiten Klasse). Beim GTW lautet das Verhältnis 4:5. Die Sitzabstände im FLIRT sind einheitlich 1.80 Meter, beim KISS sind es in der ersten Klasse 2.0 Meter und in der zweiten Klasse 1.70 Meter. Beim GTW sind es einheitlich 1.65 Meter. Der Raum pro Sitzplatz ist beim GTW in der ersten Klasse noch 25% höher als in der zweiten Klasse, beim FLIRT 20% und beim KISS noch 15%. Hier bewegen sich die Mehrkosten für die erste Klasse bestenfalls im Bereich von 15-20% beim Wagenmaterial
Für die SBB sind Ersteklassepassagiere also ein gutes Geschäft.

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Softfacts

Aus Sicht des Passagiers wird die erste Klasse gewählt, weil mehr Platz, bessere Sitze, eine gediegenere Atmosphäre und weniger Lärm vorhanden sind. Die gediegenere Atmosphäre wird oft getrübt, wenn SBB-Personal mit Werkstattkleidern sich in der ersten Klasse niederlässt. Hier sollten die SBB eine klare Trennlinie ziehen: entweder Werkstattkleider und zweite Klasse oder Zivilkleidung und erste Klasse.
Der Lärm ist ein Kapitel für sich. Im Nahverkehr fehlen beim KISS im Oberdeck die Trenntüren. Der meist recht grosse Lärm der zweiten Klasse (z.B. Schüler) dringt daher ungehindert in den Passagierraum der ersten Klasse. Bei den GTW wurden bei den neueren Modellen Trenntüren eingebaut. Die Abschlusswände weisen jedoch gegen die Decke einen Spalt auf, der den Lärm ungehindert durchlässt. Von zusätzlichen Annehmlichkeiten, wie etwa Gratiszeitungen und Getränke wie im Ausland, kann der reiche Schweizer nur träumen. Ich benutze auf meinen Fahrten von Sargans nach Zürich oft den Railjet. Dort wurden anfänglich in der ersten Klasse sowohl Zeitungen als auch Getränke und ein kleiner Snack gereicht. Dann hörte der Spass plötzlich auf. Ich erkundigte mich bei der Zugbegleiterin bekam die (etwas ungnädig formulierte) Antwort: auf den SBB Strecken sei dies nicht mehr gestattet.
Aus Sicht des EVU wird angeführt, dass die erste Klasse schlecht ausgelastet sei. Wenn das stimmt (was ich bezweifle), müsste die Gefässgrösse angepasst werden. Ein EW4-Pendelzug auf der Strecke Zürich-Chur besteht in der Regel aus 5 B-Wagen und 3 A-Wagen plus Speisewagen. Wenn die Ersteklassewagen tatsächlich schlecht ausgelastet sind, müsste man einen Ersetklasswagen weniger beistellen. Ein Passagieranteil von 20% in der ersten Klasse deutet allerdings nicht auf eine zu geringe Nachfrage nach dieser Klasse hin. Im Ausland ist es bedeutend weniger. In Österreich beispielsweise sind nur etwa 5% über alle Zugsgattungen Ersteklassepassagiere, wobei anzumerken ist, dass in Österreich nur die Fernverkehrszüge überhaupt die erste Klasse anbieten. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass dies sehr lästig ist, wenn 90% der Züge keine erste Klasse aufweisen.
Nach eigenen Beobachtungen habe ich den Eindruck, dass die erste Klasse an Wochenenden deutlich weniger belegt ist als an Arbeitstagen. Auch da könnte mit etwas Fantasie und Flexibiltät eine adäquate Lösung angeboten werden, indem ein 1. Klasse Wagen am Wochenende auch für Passagiere der zweiten Klasse frei gegeben würde.

2 Gedanken zu „Erlösanteile der ersten und zweiten Klasse bei den SBB

  1. Vielen Dank für den interessanten Artikel. Darf ich dazu folgenden Kommentar anbringen:
    1. Im Prinzip hat die 1. Klasse zwei unterschiedliche Funktionen.
    2. Im Berufsverkehr bietet die 1. Klasse mehrzahlenden Passagieren auch in stark besetzten Zügen einen Sitzplatz in einer ruhigen und gepflegten Umgebung, während die Fahrgäste in der 2. Klasse eng sitzen und gelegentlich auch stehen müssen. Der Komfort des Sitzplatzes der 1. Klasse ist hier eher sekundär. Zudem hält sich der Mehrpreis des Abonnements im Rahmen.
    3. Im Fernverkehr ist es anders. Da erwartet der Fahrgast bei längeren Fahrten in Anbetracht der beträchtlichen Mehrkosten des Billetts in 1. Klasse einen komfortableren Sitzplatz und mehr Raum in einem gehobenen Ambiente. (Ich abstrahiere vom Berufsverkehr in Fernzügen über grössere Distanzen wie St. Gallen-Zürich, Luzern-Zürich, Bern-Zürich, etc.).
    4. Problematisch ist, dass die Verkehrsunternehmen für beiden Kundengruppen immer mehr das gleiche Rollmaterial anbieten. Zudem bieten viele Schweizer Fernzüge ins Ausland in der 1. Klasse schlichtweg keinen erstklassigen Komfort. Das gilt primär für die ETR 470.

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