Gedanken zum Buch „Ein Plan für die Bahn“

1. Vorbemerkungen

Einleitend danke ich Herrn Dr. Paul Schneeberger für das aktuelle und fundierte Buch „Ein Plan für die Bahn“. Mit dem Buch hat der Autor einen wichtigen und wertvollen Beitrag an die Diskussion über den weiteren Ausbau des schweizerischen Bahnnetzes vorgelegt.

Als aufmerksamer Beobachter der Entwicklung der Eisenbahn teile ich die Besorgnis von Dr. Paul Schneeberger. Als nicht hinreichend für die Stärkung der Eisenbahn in der Schweiz erachte ich jedoch den im Buch präsentierten Lösungsansatz. Ich halte die Vorschläge von Dr. Paul Schneeberger für zu technokratisch und wichtige Aspekte ausser Acht lassend.

2. Umfeld

  1. Ich glaube immer mehr Parallelen zwischen der Landwirtschaftspolitik und der Politik im öffentlichen Verkehr erkennen zu können. Wie in der Landwirtschaft nimmt die Inzidenz der staatlichen Fördermittel immer stärker ab. Der öffentliche Verkehr ist zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor mit zahlreichen Nutzniessern geworden. Dadurch werden die Bedürfnisse und das Interesse von Kunden und Steuerzahlern beeinträchtigt. Die Eigeninteressen der Leistungserbringer, der Politik und der Medien haben überhand genommen und sind der Effizienz abträglich.
  2. Die für wirkliche Ausbauten des Schienennetzes zur Verfügung stehenden Mittel sind bedeutend geringer als angenommen wird. Martin Stuber hat in seinem Beitrag „Die Weichen richtig stellen“ in der Ausgabe 4/2017 des Info Forum von Pro Bahn Schweiz dargelegt, dass die Mittel des BIF ab 2037 nur noch für Wartung und Unterhalt ausreichen werden. Man kann FABI mit Fug als Etikettenschwindel bezeichnen, angemessener wäre gewesen, von FUBI zu sprechen – „U“ für Unterhalt.
  3. Dazu kommt, dass der BIF gemäss den Ausführungen in Abschnitt a. zahlreichen Ansprüchen genügen soll. Unlängst habe ich von einem Insider erfahren, dass die Investitionen für die Grimselbahn auch dem BIF entnommen werden sollen.
  4. Erschwerend kommt dazu, dass die Umweltverbände und Kundenorganisationen vielfach politisch argumentieren oder von den Interessen der Transportunternehmen oder der Arbeitnehmerorganisationen geprägt sind.

3. Handlungsbedarf

a. Vorbemerkungen

Ich halte aus ökologischen und ökonomischen Überlegungen den gezielten Ausbau der Eisenbahninfrastruktur und die Erhöhung des Anteils des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz für überfällig. Dies setzt tiefgreifende Massnahmen auf vielen Ebenen voraus.

b. Gesellschaft

Von zentraler Bedeutung ist die Stärkung der gesellschaftlichen Positionierung des öffentlichen Verkehrs im Allgemeinen und der Eisenbahn im Speziellen. Meines Erachtens hat sich die Position vor allem der SBB im gesellschaftlichen Kontext massiv verschlechtert. Man analysiere nur die Lebensläufe der SBB Generaldirektoren Hans Eisenring, Benedikt Weibel und Andreas Meyer und ziehe die Schlüsse – der Trend zeigt nach unten. Ein weiteres Indiz ist auch die abnehmende Belegung der ersten Klasse ausserhalb der Hauptverkehrszeiten und im Regionalverkehr.

Des Weiteren haben die SBB die Faszination für die Jugend verloren. Das ist leider ein weltweites Phänomen. Die Anzahl Seiten des Katalogs des Spielzeughauses Franz Carl Weber widmete Spielzeugeisenbahnen in seiner letzten Ausgabe nur noch eine knappe Seite. In meiner Jugend waren es zehn Seiten.

Die SBB sind oder wirken technologisch nicht mehr innovativ. Sie strahlen keine Modernität mehr aus.

Die zunehmende Spitzenbelastung in den Hauptverkehrszeiten zeigt, dass die Eisenbahn und der öffentliche Verkehr nur noch mangels vernünftiger Alternativen benutzt werden und im schlechten Sinn des Wortes zum Massenverkehrsmittel geworden sind.

c. Ansatz

Alle Bestrebungen für den Ausbau der Eisenbahn zur Wiedererlangung ihrer früheren Bedeutung müssen unter Beachtung der unter b. beschriebenen Aspekte erfolgen. Selbstverständlich müssen – wie von Paul Schneeberger dargelegt – Verkehrs- und Raumplanung ungleich besser aufeinander abgestimmt werden. Auch Betriebskonzepte sind zu überprüfen und zu optimieren.

Sehr wichtig wäre weiter, die Rolle der Eisenbahn bei der Erschliessung in der Fläche kritisch zu hinterfragen. Untersuchungen in Österreich haben gezeigt, dass der Bus für die Verkehrserschliessung in dünner besiedelten Regionen bei besserer Erschliessungsqualität ökonomisch und ökologisch vorteilhafter ist.

Ich plädiere deshalb für klare Richtwerte und/oder Kriterien, unterhalb denen der Bahn- auf Busbetrieb umgestellt werden muss. Nur so lassen sich die für einen nachhaltigen Ausbau der Eisenbahninfrastruktur erforderlichen Mittel sicherstellen. Eine unbefangene Grundsatzdiskussion ist angezeigt.

d. Ausbaubedarf

Die Qualität des nationalen Fernverkehrsnetzes fällt gegenüber unseren Nachbarstaaten laufend zurück. Eine Fahrzeit von knapp vier Stunden für die rund 360 Kilometer lange Bahnreise zwischen St. Gallen und Genf ist untragbar. Das nicht umgesetzte Konzept der Neuen Hochleistungstransversalen NHT steht weiterhin wegweisend im Raum. Die Entflechtung des Schnellverkehrs von den übrigen Verkehrsarten dürfte die Kapazität der bestehenden Anlagen substantiell erhöhen.

Von ebenso grosser Bedeutung ist die Elimination der unzähligen und unsäglichen Schwachstellen im bestehenden Netz. Ich verweise auf unsere früheren Analysen. Die Engpässe limitieren die Kapazität des bestehenden Netzes, erschweren ein bedarfsgerechtes Angebot und gefährden die Stabilität des Betriebs.

Ausserdem wird der Bedarf nach einem wirklich umweltgerechten und leistungsfähigen Güterverkehrskorridor durch die Schweiz verdrängt. Das Führen von Güterzügen von Basel durch das Mittelland über Olten nach Spiez und weiter über den Simplon nach Italien ist ökologisch unsinnig. Die überfällige Wiederbelebung des europäischen Schienengüterverkehrs hätte eine starke Zunahme des Transitgüterverkehrs zur Folge.

e. Metropolitanräume

Des Weiteren orte ich in den Metropolitanräumen – vor allem, aber nicht nur in Zürich – einen gewaltigen Handlungsbedarf. Die Funktionalität der isoliert im Raum stehenden Glattal- und Limmattalbahn wird überschätzt. Die Anbindung des Bezirks Affoltern und die Erschliessung des Sihltals sind unzureichend. Man analysiere die zahlreichen und von mehreren Endhaltestellen ausgehenden Postautoverbindungen westlich von Zürich.

f. Strukturen

Auch in struktureller Hinsicht besteht ein grosser Klärungs- und Handlungsbedarf. Dies betrifft die Art der Leistungserbringung, Struktur und Eigentumsverhältnisse der Verkehrsunternehmen, das Tarifsystem sowie die Marktordnung und die Leitungsfunktion.

Zahlreiche Verkehrsunternehmen erbringen ihre Leistungen entweder als Leistungspaket für einen Auftraggeber wie Verbünde und staatliche Gemeinwesen oder direkt für Fahrgäste. Diese Doppelspurigkeit ist nicht trivial und konfliktträchtig.

Heute bestehen in der Schweiz neben dem Zürcher Verkehrsverbund über zwanzig Tarifverbünde. Diese sind gelegentlich unzureichend aufeinander abgestimmt. Anzunehmen ist, dass die Abstimmung und der Betrieb des Systems aufwendig sind und erhebliche personelle Ressourcen beanspruchen. Ein schweizweiter Verkehrsverbund könnte Vorteile bieten und wäre vertieft zu prüfen.

Die gemischtwirtschaftliche Regelung des Regionalverkehrs ist kritisch zu hinterfragen. Der Bund sollte ausgehend von einheitlichen Kriterien den Grundbedarf auch in den Kantonen sicherstellen und finanzieren. Kantone oder Gemeinde wären frei, über den Grundbedarf hinausgehende Leistungen zu bestellen und auch zu bezahlen.

Und zu guter Letzt stellt sich auch die Frage, ob und wieweit private Unternehmungen als Anbieter von Transportleistungen auch im Personenverkehr auf der Schiene zuzulassen sind. Bereits heute erbringen zahlreiche private und gewinnorientierte Unternehmungen auch im Regionalverkehr Leistungen. Unzureichend vorbereitete Manöver wie die jüngst erfolgte Ausschreibung von Fernverkehrskonzessionen durch den Bund sind zu unterlassen. Sie stiften mehr Schaden als Nutzen.

4. Vorgehen

Der im Buch vorgeschlagene Abgleich der Eisenbahnplanung mit der Raumplanung ist nicht hinreichend. Ebenso kritisch sehe ich in unserem föderalen System Ideenwettbewerbe.

Ich halte einen viel breiteren und alle Stakeholders einbeziehenden Ansatz wie seinerzeit bei der Erarbeitung der Gesamtverkehrskonzeption sowie den Einbezug aller Verkehrsträger für angezeigt. Auch die Leistungsfähigkeit des Nationalstrassennetzes ist punktuell zu erhöhen. Zudem sollte man bezüglich der langfristigen Entwicklung der Schweizer Flughäfen Klarheit schaffen. Nur so lässt sich eine rationale und breit abgestimmte Verkehrsplanung konzipieren.

5. Schlussbemerkungen

Nicht eingetreten bin ich auf die Frage, ob ein weiteres Wachstum der Bevölkerung in unserem Land als dominantem Treiber für den Ausbau der Infrastruktur überhaupt wünschbar ist.

Mit Zustimmung von Dr. Paul Schneeberger darf ich den Brief im Wortlaut publizieren. Sie finden den Brief über diesen Link: Gedanken Schneeberger 2018_09_10. Das Kopfbild wurde dem 1977 publizierten Schlussbericht der Gesamtverkehrskonzeption Schweiz entnommen.

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