’20 Minuten‘: „Die Bahn verliert – die Zukunft gehört der Strasse“

Am Freitag, 12. Februar 2016, publizierte 20 Minuten einen provokativen Artikel zur Zukunft der Eisenbahn. Rahel Landolt, die Autorin des Artikels, basiert auf Aussagen des bekannten Wirtschaftsprofessors, Rainer Eichenberger, die in der „Weltwoche“ publiziert wurden. ETH-Dozent Peter de Haan, pflichtet Eichenberger im Grossen und Ganzen bei.

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Nun, Papier ist geduldig. Man könnte diese simplifizierenden Aussagen ad acta legen, wenn nicht Folgendes wäre:

  1. 20 Minuten ist die weitaus meist gelesene Tageszeitung der Schweiz. Besonders die elektronische Ausgabe orientiert sich stark an dem, was die Leser lesen wollen – in dieser Form eine neuartige Form des Journalismus. Man kann davon ausgehen, dass viele Leser von 20 Minuten wie Prof. Eichenberger denken.
  2. Die Annahme von Prof. Eichenberger, dass sich selbst regulierende oder selbst fahrende Autos die Attraktivität des motorisierten Individualverkehrs MIV steigern würde, ist gewagt. Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamtes für Strassen, hat an der ersten Tagung von „Avenir Mobilité / Zukunft Mobilität“ am 4. Februar 2016 in Worblaufen überzeugend dargelegt, dass die Automatisierung und die zunehmende Reglementierung des MIV die Attraktivität des Autos reduzieren werden.
  3. Prof. Eichenberger lässt ausser Acht, dass die Wahl des Verkehrsmittels erheblich von emotionalen Motiven bestimmt wird. Wenn sich stark motorisierte Luxuskarossen gleich schnell bewegen können wie günstige Kleinwagen und die Freiheit des Fahrens entfällt, kann man ebenso so gut auf den komfortablen öffentlichen Verkehr ausweichen.
  4. Aber hier liegt die Krux des öffentlichen Verkehrs – im besonderen jedoch die Angebotsgestaltung der SBB. Mit dem abnehmenden Komfort in den Zügen, dem Rückgang der Servicequalität in allen relevanten Aspekten und dem Zerfall vieler Publikumsanlagen geraten die SBB dort, wo Wahlfreiheit beim Verkehrsmittel besteht, immer rascher ins Hintertreffen. Das zeigt sich unter anderem darin, dass die Verkehrszunahme nur noch in den Spitzenzeiten erfolgt und die Auslastung der Züge über den Tagesverlauf immer ungleichmässiger wird. Es ist der Führung der SBB anzulasten, dass sie diesen unheilvolle Trend entweder nicht erkannt hat oder nicht brechen kann.

Hier geht’s zum etwas ausführlicheren Artikel, wie er in der elektronischen Ausgabe von 20 Minuten publiziert wurde: 20_Minuten 2016_02_12 Die Bahn verliert Internet

2 Gedanken zu „’20 Minuten‘: „Die Bahn verliert – die Zukunft gehört der Strasse“

  1. Bei zweifelhaften Progonosen dieser Art ist höchste Vorsicht geboten, denn sie basieren zu sehr auf Technologiegläubigkeit und Absolutheit. Die Frage, wo dereinst all diese vielen zusätzlichen Blechkarrossen abgewanderter Bahnkunden auf unserem heute schon übervollen Strassennetz Platz finden sollen, bleibt ebenso offen wie die generelle Sinnfrage. Werden nach kalifornischem Vorbild bald zehnspurige Autobahnen durch den Agglobrei des zersiedelten Mittellandes, durch Hügel und in enge Alpentäler geschlagen? Verkommt die Schweiz, früher für ihre schöne Landschaften bekannt, noch mehr zur Betonwüste? Ist unsere Komfortsüchtigkeit und Bequemlichkeit diesen unsinnig hohen Preis wert? Wohin steuern wir?
    André Guillaume, Binningen

    • Sehr geehrter Herr Guillaume
      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren Kommentar.
      Ich teile Ihre Bedenken vollumfänglich. Nur schreitet die masslose Überbauung unseres Landes in raschem Tempo fort.
      Auf der anderen Seite verschlechtert sich der Modal Split in Anbetracht a) der Bevölkerungszunahme, b) der Verstädterung und c) der immer längeren Arbeitswege laufend zu Ungunsten des öffentlichen Verkehrs. Dort, wo echte Wahl des Verkehrsmittels möglich ist, entscheiden sich immer mehr Leute für das Auto.
      In Anbetracht der fehlenden echten Innovationen, der sinkenden Servicequalität, der engen Platzverhältnisse in vielen Fernzügen, der Preissteigerungen und dem Niedergang der Infrastruktur nicht weiter erstaunlich.
      Ohne ein Umdenken und einen Investitionsschub dürfte sich der Trend nicht brechen lassen. Dazu kommen die zunehmenden sinnlosen Überangebote, das Selbstbedienungsladen BIF und das Festhalten an überholten Betriebsstrukturen.
      Es gibt viel zu tun – packen wir es an.
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

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