Avenir Mobilité / Verhaltensökonomie & Mobilität

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Bis vor wenigen Jahren war die Ökonomie vom Menschenbild des „Homo Oeconomicus“ geprägt. Man ging davon aus, dass Menschen sachlich und rational entscheiden würden. Dieses Konzept ist vor allem seit dem bahnbrechenden Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann, überholt worden. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bewegt sich heute in Verbindung mit der Psychologie und der Soziologie immer stärker in Richtung der sogenannten Verhaltensökonomie.

Avenir Mobilité hat sich am 27. Juni 2018 in einer weiteren attraktiven Veranstaltung mit der Fragestellung beschäftigt, ob und wieweit die Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie bei der Planung und der Realisierung der Mobilität überhaupt berücksichtigt würden. Hier das Programm:

Inputreferate

Die zahlreichen Teilnehmenden wurden vor der Plenumsdiskussion mit Inputreferaten in die Thematik eingeführt.

Dr. Nicole Mathys, Leiterin Sektion Grundlagen beim Bundesamt für Raumentwicklung ARE

Nicole Mathys wies einleitend auf die zentrale Bedeutung der Mobilität für unsere Volkswirtschaft hin. 2014 wurden in der Schweiz pro Kopf rund CHF 10‘000.- für die Mobilität aufgewendet. Nur ein Teil der Kosten werden von den Nutzern verursachungsgerecht getragen. Auf der anderen Seite stiftet der Verkehr aber auch vielfältigen Nutzen.

Sorgen bereitet das ungehemmte Wachstum der Mobilität. So rechnet das ARE bis 2040 mit einem Wachstum des öffentlichen Verkehrs von 52 Prozent, während der Langsamverkehr um 22 Prozent und der der motorisierte Individualverkehr um 20 Prozent zunehmen würden. Unklar sind die Auswirkungen der technologischen Innovationen im Verkehr. Das ARE vertritt die Auffassung, dass die Mobilität zu billig sei, was zu falschem Verkehrsverhalten führe. Zudem müsse das Verkehrsverhalten der Menschen besser ergründet werden.

Prof. Dr. Matthias Sutter, Direktor am Max Planck-Institut und Dozent an den Universitäten Innsbruck und Köln

Matthias Sutter beschreibt den einleitend skizzierten Paradigmenwechsel in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und erläutert die Tragweite der neuen Erkenntnisse. So wird beispielsweise das Verhalten von Menschen oft stärker von anderen Menschen als von ökonomischen und rationalen Überlegungen beeinflusst. Matthias Sutter fordert einen fundamentalen Paradigmenwechsel bei der Gestaltung der Mobilität.

Gerhard Fehr, CEO von Fehr Advice & Partners AG

Gerhard Fehr bestätigt als Experte für angewandte Verhaltensökonomie die Ausführungen von Matthias Sutter. Es gelte, die Motive für das Verkehrsverhalten viel genauer zu ergründen. Ein wichtiges Instrument in der Verhaltensforschung seien Experimente. Die Konzeption von effizienten Verkehrssystemen setze voraus, dass die Ursachen und die Zusammenhänge des menschlichen Verhaltens hinlänglich berücksichtigt würden.

Dr. Reto Dubach, alt Regierungsrat und ehemaliger Präsident der Metropolitankonferenz Zürich

Reto Dubach weist auf die eminente Wichtigkeit des Brechens der Verkehrsspitzen hin. Verkehrsspitzen verursachen enorme Kosten und sind nur mit enormen Kosten überhaupt zu beseitigen. Reto Dubach ortet vor allem bei Ausbildungsstätten und in der Verwaltung ein grosses Potential für die Glättung der Verkehrsspitzen. Das Potential liegt beim öffentlichen Verkehr zwischen 15 und 30 Prozent und beim Individualverkehr noch etwas höher zwischen 15 und 35 Prozent. Der erwartete Nutzen vor allem beim Individualverkehr ist enorm, indem das Staurisiko bis zu 75 Prozent gesenkt werden könnte.

Reto Dubach sieht Handlungsbedarf vor allem durch Aufgabe von Gewohnheiten, sozialen Rahmenbedingungen und bei der Unternehmenskultur, und weist auf die wichtige Vorbildfunktion der öffentlichen Hand hin. Die Reduktion könne durch organisatorische Massnahmen und die vertiefte Beachtung von verhaltensökonomischen Erkenntnissen erreicht werden. Sensibilisierung sei der Reglementierung vorzuziehen.

Plenumsdiskussion

Nach der Pause diskutieren die Referenten die Problematik vor dem Plenum. Dr. Daniel Müller-Jentsch, Ökonom und Senior Fellow bei Avenir Suisse, erweitert den Kreis und betont einleitend, dass auch Preismodelle für die Steuerung der Nachfrage ihre Berechtigung hätten. Er weist dabei auf die Hotellerie und den Luftverkehr. So hat sich das Mobility Pricing als Lenkungsinstrument zur Verkehrssteuerung durchaus bewährt. Im Gegensatz dazu verleiten Flat Rate-Preissysteme wie beispielsweise das Generalabonnement zu übermässigem Konsum. Daniel Müller-Jentsch fordert eine verstärkte Berücksichtigung verhaltensökonomischer Erkenntnisse bei der Gestaltung des Verkehrs. Heute werde oft zu stark am Menschen vorbei geplant.

In der Diskussion weist Nicole Mathys darauf hin, dass in der Datenbank des ARE die Präferenzen von 60‘000 Personen als Grundlage für die Simulation des Verkehrsverhaltens erfasst seien. Auch sie betont den Nutzen von Experimenten.

Erstaunlicherweise hätten Ereignisse wie die unfallbedingte Totalsperrung des Bahnhofs Luzern unzählige Menschen zu einer – wohl vorübergehenden – Änderung des Verkehrsverhaltens bewogen. Auf den daraus gewonnenen Erkenntnissen könnte aufgesetzt werden.

Dr. Hans Werder schloss die Tagung mit dem Appell für einen Paradigmenwechsel bei der Verkehrsplanung. Umdenken tut Not – allerdings müssten die Entscheidungen fundiert erfolgen und nicht auf vermuteten Annahmen über das menschliche Verhalten basieren.

Kommentar

Zusammenfassend eine hoch aktuelle und zum Nachdenken anregende Veranstaltung. Eine Vertiefung der Thematik im Hinblick auf die Fragen, (a) welche Motive das Verkehrsverhalten tatsächlich beeinflussen und (b) wie und durch wen die Verhaltensänderung bewerkstelligt werden könnte, wäre sinnvoll und nützlich.

2 Gedanken zu „Avenir Mobilité / Verhaltensökonomie & Mobilität

  1. Hier ein sicher nicht wissenschaftlicher Kommentar.
    Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Jahrelang wurden wir auf Arbeitsbeginn zwischen 7.00 und etwa 8.30 trainiert, was auch zu ähnlich gleichen Schluss bei der Arbeit führt und in beiden Fällen gibt es Verkehrsspitzen.
    Und am Wochenende? Samstag und Sonntag sind heilige Kühe! Somit ist auch der Ausflugsverkehr gebündelt.
    Und bei den Ferien wird von den Hotels gern der Gästewechsel am Samstag angestrebt!
    Nach meiner Meinung liegt der Ball bei Industrie und Fremdenverkehr!

    • Sehr geehrter Herr Hallas

      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.

      Ergänzend zu Ihren Ergänzungen möchte ich darauf hinweisen, dass das Bahnfahren in unseren Ländern dann am günstigsten ist, wenn am meisten Menschen befördert werden. Dies ist beispielsweise beim Fliegen oder im Tourismus nicht der Fall.

      Vor vielen Jahren fuhr ich mit der Bahn von New Haven nach New York. Während der Rushhour kostete der Einzelfahrschein USD 12.-, sonst USD 9.60.

      Ich wünsche Ihnen alles Gute und weiterhin viel Freude an unserer Website

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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