Signalsicherheit

Zur Zugsicherung auf dem Netz der SBB

Das Bahnnetz der Schweiz verfügt über ein veraltetes Zugsicherungssystem, das ein Überfahren eines Halt zeigenden Hauptsignals in weiten Teilen nicht verhindert. Zwar wird das bestehende System in den nächsten Jahren auf moderne Komponenten umgerüstet, jedoch in weiten Teilen ohne Erhöhung des Sicherheitslevels. Österreich ist da voraus. Der Autor fordert, alle Hauptsignale so aufzurüsten, dass ein Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals technisch zwingend verhindert wird.

 Die Grundform dieses Artikels basiert auf einer Studie, die der Autor zusammen mit Jean-Pierre Bäbi, Steinen, schon am 26.3.2013 im Auftrag des Zentralvorstandes von ProBahn Schweiz an das BAV gerichtet hatte. Die vorliegende Fassung wurde durch die aktuellen Entwicklungen der letzten zwei Jahre ergänzt. Er endete mit der Forderung an das BAV, alle Signalpunkte so aufzurüsten, dass ein sicherer Zugbetrieb möglich wird. Die neuesten Unfälle in Granges-Marnand   und Rafz unterstreichen die Aktualität dieser Forderung. Es sei auch auf einen Artikel in der Schweizer Eisenbahn-Revue 3/2015 verwiesen, wo BLS und SOB in etwa den gleichen Standpunkt vertreten. Bei diesen beiden Bahnen sind bereits 70 resp. 92 aller Hauptsignale zugsicherungstechnisch sicher.

Sicherheit Bahnhof Baden

Österreich macht es vor

In der Schweiz ereigneten sich auf dem Netz der SBB in den vergangenen Jahren mehrere Kollisionen zwischen Zügen, die ihre Ursache in der Nichtbeachtung von Signalen hatten. Dies zeigt auf, dass das Zugsicherungssystem der SBB nicht in allen Fällen die grösstmögliche Sicherheit bietet. Dies ist umso erstaunlicher, als die SBB auf anderen Gebieten der Sicherheitstechnik (ETCS L2, BLZ, Gefahrenüberwachungsanlagen etc.) führend sind. Aus Kostengründen rüsten die SBB nur jene Signalpunkte auf, die einem erhöhten Risiko ausgeliefert sind. Man nimmt damit bewusst in Kauf, dass an den anderen Signalpunkten Kollisionen passieren können. Ein Vergleich mit den ÖBB zeigt, dass die SBB diesbezüglich nicht ganz auf dem neusten Stand der Technik sind. Dort sind so gut wie alle Signale so ausgerüstet, dass ein unerlaubtes Überfahren von Lichthaupt- und Schutzsignalen nicht möglich ist oder dass der Zug in der Regel noch vor Erreichen des Gefahrenpunktes zum Stillstand kommt.

Stand der Signaltechnik in der Schweiz

Das Rückgrat des Zugsicherungssystems in der Schweiz bildet immer noch das nunmehr 80-jährige System „Signum“ der Firma Integra. Ab dem Jahre 1990 wurde das verbesserte System „ZUB“ eingebaut. Beide Systeme zählen zu den sogenannten punktförmigen Sicherheitssystemen. Während beim System „Signum“ das Nichtbeachten eines Vorsignals erst durch eine Zwangsbremsung am Hauptsignal abgefangen wird (und damit viel zu spät), stösst beim System „ZUB“ ein auf Warnung stehendes Vorsignal auf dem Fahrzeug eine Bremskurvenberechnung an, die eingreift, wenn der Lokführer zu wenig oder gar nicht bremst (dieses System entspricht in etwa dem deutsch-österreichischen System PZB 60). In der einfachen Version hat das System aber noch eine Sicherheitslücke. Der Lokomotivführer kann sich beim Unterschreiten einer Geschwindigkeit von 40 km/h aus der Überwachung befreien und ab da auf eigene Verantwortung weiterfahren. Überfährt er das geschlossene Hauptsignal, so wird der Zug zwar zwangsgebremst, kommt aber erst nach dem Hauptsignal zum Stillstand. Diese Befreiungsmöglichkeit ist notwendig, weil der Bremsrechner ja die Stellung des Hauptsignals nicht erkennen kann und den Zug auf ewige Zeiten festhalten würde. Im Gegensatz zum System Signum ist aber die Geschwindigkeit viel kleiner, so dass der Restbremsweg ab dem Hauptsignal geringer ausfällt. Man nennt den Abstand vom Hauptsignal zum Gefahrenpunkt den Durchrutschweg. Wenn der Durchrutschweg länger als der Bremsweg ist, erfolgt keine Kollision. Die Einfachversion von „ZUB“ (und PZB) ist also sicher, sofern der Durchrutschweg vor dem Gefahrenpunkt entsprechend lang ist. In den sehr engen räumlichen Verhältnissen der Schweiz können oft keine genügend langen Durchrutschwege vorgesehen werden.

Hier hilft nun die verbesserte Version von „ZUB“ mit Schleife oder ETCS L1 mit Loop. Sie überwacht den Zug bis zum Stillstand. Damit der Zug nach dem Öffnen des Hauptsignals wieder freigegeben werden kann, wird ab ca. 200 m vor dem Hauptsignal bis zum Hauptsignal eine Kabelschleife (der sogenannte Loop) eingebaut. Dieser übermittelt kontinuierlich Informationen an die Lokomotive, u.a. eben auch die Stellung des Hauptsignals. Damit kann der Zug wieder anfahren, sobald das Hauptsignal öffnet. Bei dieser Konzeption wird der Zug auf alle Fälle vor dem Hauptsignal gestoppt. Das System hat nebenbei auch den Vorteil, dass ein Abfahren gegen ein geschlossenes Ausfahrsignal verhindert wird, sofern beim System ETCS L1 eine zusätzliche Balise verbaut wird.

Derzeit sind etwa 3200 Hauptsignale mit „ZUB“ und Schleife ausgerüstet. Weitere 1700 Signalpunkte werden im Zuge des Einbaus von ETCS L1 mit Loop aufgerüstet. Die anderen ca. 6100 Hauptsignale haben nur das „Signum“.

Warum nicht gleich „auf tutti“?

Derzeit rüsten die SBB das ganze Signalsystem auf das modernere Signalsystem „ETCS L1“ um. Diese Umrüstung erhöht allerdings nicht die Sicherheit, sondern es erfolgt im Wesentlichen nur ein Ersatz der alten Komponenten durch ETCS-Komponenten ohne Erhöhung  der Funktionalität. Hier plädiert der Autor für Schweiz ein entschlosseneres Vorgehen. Es sollen alle Signalpunkte auf Bremskurvenüberwachung mit Loop aufgerüstet werden. Damit hätte man die volle Signalsicherheit und Kollisionen wie in den vergangenen Jahren wären obsolet.

Es sei allerdings angemerkt, dass das beschriebene System bei Bremsversagen ein Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals nicht verhindern kann. Da können nur noch Entgleisungsvorrichtungen helfen. Auch Rangierfahrten werden durch das beschrieben System nicht sicherer.

Kostenrahmen

Das kostet natürlich Geld. Die SBB rüsten derzeit weitere 1700 Signalpunkte mit dem Loop auf. Damit verbleiben immer noch etwa 6100 Signalpunkte mit verminderter Zugsicherheit. Die Aufrüstung dieser 1700 Signalpunkte soll 50 Millionen Franken kosten. Das wären dann pro Signalpunkt 30’000 Franken. Die Aufrüstung der restlichen 6100 Signalpunkte würde also etwa 180 Mio. Franken kosten. Das sollte uns die Sicherheit eigentlich wert sein.

Man könnte es noch etwas billiger haben. Das deutsch-österreichische Signalsystem „PZB“ entspricht etwa dem „ZUB“ und kennt den sogenannten 500-Hz-Magneten. Dieser wird etwa 250 Meter vor dem Hauptsignal eingebaut und beschränkt die Geschwindigkeit des Zuges bis zum Hauptsignal auf 25 km/h. Auch dieses System kann das Überfahren eines geschlossenen Hauptsignals nicht ganz verhindern, erreicht aber wegen der sehr geringen Geschwindigkeit einen sehr kurzen Restbremsweg. Man könnte dies beim System „ETCS L1“ ebenfalls einbauen. Aus betrieblichen Gründen ist das Konzept jedoch unbefriedigend, da der Lokführer beim Öffnen des Hauptsignalsignals weiterhin mit Schleichgeschwindigkeit bis zum Hauptsignal weiter fahren muss.

Mit früherer Umstellung hätte man viel Geld sparen können

Seit 1985 passierten auf dem Netz der SBB gegen 100 Kollisionen durch „Signalfälle“. Wenn man pro Kollision einen Schaden von 1-2 Mio. Franken annimmt, so resultiert daraus eine Schadenssumme von 100-200 Mio. Franken, also etwa die Grössenordnung der Aufrüstungskosten. Es ist zudem stossend, dass man allein Italien im Rahmen des 4-Meter-Korridors 230 Mio. Franken schenkt, aber für die umfassende Erhöhung der Signalsicherheit im Inland kein Geld frei machen will.

5 Gedanken zu „Signalsicherheit

  1. Ein grosses Dankeschön für den interessanten und hoch aktuellen Artikel sowie die umfangreichen Recherchen. Dazu folgende Bemerkungen:
    1. Es ist zweckmässig, die Kosten für die Erhöhung der Sicherheit in einen grösseren Rahmen zu stellen.
    2. Die Frage, ob der a-fonds-perdu Beitrag der Schweiz an die Kosten des angestrebten Ausbaus der Luino-Linie – die Linie dient weitestgehend schweizerischen Interessen – das geeignete Vergleichsobjekt ist, kann offen bleiben.
    3. Hingegen soll der Betrag von CHF 180 Mio. mit den Kosten der rund 170 hochwertig ausgerüsteten Querschlägen zwischen den beiden Röhren des Gotthard Basistunnels verglichen werden. Ich schätze die Kosten pro Querschlag auf über CHF 5 Mio. – ergo kosten die Querschläge zusammen über CHF 850 Mio. und damit rund fünf Mal mehr als die von Max Ehrbar veranschlagten Kosten für die Erhöhung der Signalsicherheit. Dabei ist das Risikoprofil bei den erwähnten 6’100 Gefahrenpunkten weitaus höher als in den richtungsgetrennten und eine perfekte Fahrbahn aufweisenden Röhren des Gotthard Basistunnels.

  2. Tödlicher Zugunfall: Keine Streckenfreigabe

    Bei einem Zusammenstoss zwei Personenzüge ist am Mittwoch den 6. Mai 2015 nördlich von Graz ein Lokführer getötet worden, acht weitere Personen wurden verletzt. Der getötete Lokführer dürfte keine Streckenfreigabe gehabt haben.
    Der Unfall ereignete sich gegen 10.15 Uhr etwa 100 Meter nach der Haltestelle Waldstein bei Übelbach (Bezirk Graz-Umgebung) in Richtung Deutschfeistritz in einem kleinen, schwer zugänglichen Waldstück: Auf dem eingleisigen Streckenabschnitt stiessen zwei Züge der Steiermärkischen Landesbahnen frontal zusammen.
    Den Rettungskräften habe sich ein erschreckendes Bild geboten, sagte Bezirksfeuerwehrkommandant Gerhard Sampt: „Es war ein sehr erschreckendes Bild: Passagiere sind im Inneren des Zuges schwer verletzt herumgelegen, und nach der ersten Erkundung haben wir dann den eingeklemmten Lokführer gefunden, der zu diesem Zeitpunkt nicht ansprechbar war.“ Der Lokführer erlag wenig später seinen Verletzungen, bestätigte Helmut Wittmann, der Geschäftsführer der Steiermärkischen Landesbahnen, am Unglücksort: „Wir haben einen Mitarbeiter verloren.“
    Bei dem getöteten Lokführer handelt es sich um einen jungen Mann aus der Region. Er sei die Strecke mehrmals täglich gefahren, so Wittmann, der sich tief betroffen zeigte: „So etwas will sich ein Geschäftsführer nur in seinen ärgsten Alpträumen vorstellen.“
    Ausserdem wurden acht weitere Personen – darunter zwei Kinder – verletzt: Eine 60-Jährige befindet sich in Lebensgefahr und wurde wie der zweite Lokführer – er erlitt laut ÖAMTC „nicht allzu schwere Verletzungen“ – ins Spital geflogen.
    Als Unfallursache wird menschliches Versagen angenommen. Der verunglückte Lokführer dürfte ersten Vermutungen zufolge nicht auf den Gegenzug gewartet haben. Laut Geschäftsführer Wittmann wird die regionale Strecke an der Unfallstelle eingleisig geführt, ein Kreuzungsbereich zum Ausweichen schliesst an. Die Sicherung der Stelle wird von einem Fahrdienstleiter in Weiz übernommen, der per Telefon die Freigabe für einen der beiden Lokführer gibt, während der andere zu warten hat. Im vorliegenden Fall hätte der Zug Richtung Deutschfesitritz offenbar in der Haltestelle Waldstein bleiben müssen.
    Ein Fahrgast habe Wittmann erzählt, dass noch jemand an der Haltestelle zugestiegen sei, dann setzte sich die Garnitur in Bewegung. Etwa 70 bis 100 Meter nach der Haltestelle kam es zur Kollision, der Zug könnte daher noch nicht schnell unterwegs gewesen sein. Der Gegenzug fuhr mit maximal 50 km/h – eine höhere Geschwindigkeit ist an der Stelle nicht erlaubt.
    Laut Wittmann begegnen sich die beiden Züge auf der Strecke nur ein-, zweimal pro Tag, im Schnitt verkehrt pro Stunde ein Zug durch Waldstein. Rund 800 Personen fahren täglich auf der Strecke. Für die Sicherung der Lokalbahn ist die telefonische Freigabe ohne Lichtanlage rein rechtlich ausreichend. Kommt kein Anruf oder gibt es Zweifel, müssten die Lokführer in jedem Fall warten, betonte der Landesbahnen-Chef.
    Alle Gespräche zwischen Fahrdienstleiter und Lokführer werden aufgezeichnet, müssten aber erst ausgewertet werden. Ersten Angaben des Fahrdienstleiters zufolge war bis zur Kollision alles planmässig verlaufen. Das Landeskriminalamt Steiermark nahm Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen unbekannt auf.

    Meine Gedanken dazu:
    Diese Strecke ist keinesfalls mit einem Zugbeeinflussungssystem versehen und ist mit keiner Abfahrverhinderung ausgerüstet.
    Solchen Strecken sind in der Schweiz schon lange nicht mehr zugelassen, denn mind. beim Halt zeigenden Signal wird der Zug zwangsgebremst.
    Diese Strecke und die technik dort ist ganz sicher veraltet und nicht mehr zweckmässig.

  3. Gemäss der Ankündigung an der Generalversammlung der Rhätischen Bahn AG vom 5. Juni 2015 führen die RhB zurzeit ZSI 127 ein. Zwischen Grüsch und Malans wurde ein Versuchsbetrieb eingerichtet. Wie ausgeführt, hat das Bundesamt für Verkehr BAV den RhB die Systemführerschaft für die meterspurigen Schmalspurbahnen in der Schweiz zugewiesen. Dies erstaunt, da ZSI 127 gemäss Wikipedia seit längerem bei der SBB-nahen Zentralbahn und bei den BOB im Einsatz ist. Nachstehend der Link zum Beitrag in Wikipedia:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Zugsicherung_Schmalspur_(Schweiz)

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