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In diesem Beitrag möchten wir ein paar allgemeine Überlegungen zu den beanstandeten überhöhten Abgeltungszahlungen von Bund und Kanton Bern an die BLS AG anstellen. Der Betrag von CHF 39,7 Mio. für die Periode von 2011 bis 2018 wurde nachträglich in der Jahresrechnung 2018 verbucht – CHF 8,2 Mio. wurden über die Abgeltungszahlungen 2018 gebucht, der Rest von CHF 31,5 Mio. wurde direkt dem Eigenkapital belastet.
Beginnen möchten wir mit einigen grundsätzlichen Feststellungen.
I Vorbemerkungen
- Das System des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz ist hoch komplex. Neben der durch das förderalistische System bedingten Regelungsdichte und der Vielfalt der Entscheidungsträger nehmen Öffentlichkeit, wirtschaftliche Interessen, Arbeitnehmerorganisationen und Medien in einem sehr hohen Mass Einfluss auf den öffentlichen Verkehr – ein vielschichtiges und von ständigen Wechselwirkungen geprägtes Netzwerk.
- Die Aktiengesellschaften in ihrer reinen Form sind definiert a.) durch das Beschränken der Haftung für die Eigentümer auf das eingesetzte Kapital und als Folge durch das Einbinden der Allgemeinheit als Risikoträger und b.) durch das Gewinnstreben.
- Die Ausgründung von staatlichen Leistungen der Grundversorgung in Aktiengesellschaften – selbst wenn diese als spezialgesellschaftliche AG definiert sind – in dem im ersten Abschnitt skizzierten Umfeld begründet unseres Erachtens einen konfliktträchtigen und kaum aufzulösenden Widerspruch. Zudem wird die Führbarkeit des komplexen Systems des öffentlichen Verkehrs zu Lasten der Qualität erschwert.
II Zur Problematik der Abgeltungszahlungen
- In den letzten Jahren wurden neben der BLS AG auch andere Transportunternehmen mit dem Vorwurf von zu hohen Abgeltungszahlungen konfrontiert. Diese Vorwürfe waren teilweise gerechtfertigt. Die bei allem Respekt in einen grösseren Kontext zu stellenden und vergleichsweise tiefen Beträge führten besonders bei der Post AG als Eigentümerin der Postauto AG zu einem veritablen Erdbeben.
Aus unserer Sicht wurde besonders bei der Post das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem die bis dato erfolgreiche Führung der vom Strukturwandel äusserst stark betroffenen Post ausgewechselt wurde und sich die zuständige Departementsleiterin, perfekt sekundiert von ihrem Parteikollegen, damit aus der Verantwortung stahl.
Man bedenke, abgesehen von der – wenn überhaupt – marginalen Auswirkung auf die vom Ergebnis abhängigen Boni für die oberste Führung hat sich niemand persönlich bereichert. Zudem handelt es sich schlussendlich um eine in der Summe ergebnisneutrale Verschiebung zwischen staatlichen Entitäten.
Mit den zu hohen Abgeltungen wurden dem Vernehmen nach bei Postauto der Freiraum für innovative Projekte wie die selbstfahrenden Postautos in Sion finanziert und weitere Reserven gebildet. In diesem Zusammenhang möchten wir auf das WLAN in den Postautos hinweisen – eine willkommene Dienstleistung für Fahrgäste in den gelben Bussen. Hier hat Postauto die meisten schweizerischen Transportunternehmen weit hinter sich gelassen.
Dazu kommt, dass zahlreiche private Busunternehmen in der Schweiz im Auftrag der Kantone öffentlichen und fahrplanmässigen Busverkehr betreiben – irrig der Gedanke, dass diese Unternehmen nicht gewinnstrebig agieren?
Zu bedenken ist ferner, dass die konzessionierten staatlichen Transportunternehmen sowohl abgeltungsberechtigte als auch nicht abgeltungsberechtigte Leistungen anbieten, wie das Beispiel des abgeltungsberechtigten Regionalverkehrs und des „gewinnberechtigten“ Fernverkehrs zeigt. Die Zuweisung des unternehmensinternen Fixkostenblocks auf diese beiden Bereiche – und damit die Höhe der Ergebnisse der Unternehmensbereiche – bleibt immer einer gewissen Willkür unterworfen. - Die medial in die Nähe von Staatskrisen gerückten Verfehlungen bei den betreffenden Transportunternehmen gehen unseres Erachtens direkt auf die einleitenden Feststellungen zurück. Dazu kommen wohl auch parteipolitisch und persönlich motivierte Abrechnungen.
- Und zum Schluss sei auf die ungelöste Frage des Wettbewerbs hingewiesen. Alle reden von Wettbewerb, und viele lehnen ihn insgeheim ab – vor allem aber fehlen allgemeine und akzeptierte Vorstellungen, wie er ausgestaltet werden soll. Dabei zeigen sich am Beispiel des Personenverkehrs in einigen Ländern sowie beim Schienengüterverkehr in Europa durchaus positive Auswirkungen des Wettbewerbs bei der Eisenbahn.
III Handlungsbedarf
- Eine Grundsatzdiskussion drängt sich auf. Wir orten vielfältigen Handlungsbedarf, damit derartige dem Ansehen des öffentlichen Verkehrs abträglichen Vorfälle inskünftig verhindert werden können.
- Leider verfügen auch wir über kein Patentrezept. Wir sehen zwei Handlungsmaximen, nämlich a.) die Rückführung der Transportunternehmen in staatliche Anstalten und die Aufgabe des Wettbewerbs oder b.) die Schaffung von wirklichen Wettbewerbsstrukturen. Für nicht zielführend halten wir den Ausbau von Aufsicht und Kontrolle. Das führt nur zu noch mehr Bürokratie. Abbau, nicht Erhöhung der Komplexität ist das Gebot der Stunde.
Es kann doch nicht sein, dass der Erlass der rechtlichen Grundlagen, die Bestellung der Leistungen, deren Entgelt und vor allem die Kontrolle in einer Hand vereint sind.
Zu überprüfen ist insbesondere auch die Corporate Governance der SBB AG und die wirkliche Feststellung ihres unternehmerischen Freiraums. Prof. Mathias Finger hat in seinem Buch „SBB – was nun?“ eine Auslegeordnung der Probleme vorgenommen. - Persönlich favorisieren wir ein stark auf den Wettbewerb ausgerichtetes System. Der Bund definiert auf der Grundlage von klaren und anerkannten Bestimmungsfaktoren landesweit das Angebot des öffentlichen Verkehrs – so, wie er es beispielsweise bei der Post tut – und stellt die Infrastruktur zur Verfügung. Also die Strassen und das Schienennetz. Die Tarifhoheit geht an eine staatliche Stelle über.
Dieser fliessen alle Einnahmen aus den Transporterlösen zu. Daraus resultieren unter anderem ein einheitlicher nationaler Verkehrsverbund und substantielle Einsparungen durch den Abbau des obsolet gewordenen administrativen Überbaus.
Der Bund definiert im Rahmen seines neuen Auftrags den Fahrplan und schreibt alle Transportleistungen aus. Er kann dabei verschiedene Auflagen wie beispielsweise die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen erlassen.
Kantone und Gemeinden können über das schweizweit definierte Angebot hinausgehende Transportleistungen definieren und bezahlen. Sie haben dafür Anrecht auf die zusätzlich erzielten Erlöse.
In letzter Konsequenz führt diese tiefgreifende Umstrukturierung zu einer konsequenten Trennung von Infrastruktur und Betrieb, wie sie sich de facto im Schienengüterverkehr auch in der Schweiz durchgesetzt und gemäss unserer Wahrnehmung bewährt hat.