DB Arriva unter Dauerbeschuss

Topics

Die Meldungen über den Verkauf von DB Arriva jagen sich. Gemäss einem Beitrag in der Ausgabe 290 von „Today’s Rail Europe“ will die DB AG die Bemühungen für den Verkauf ihrer Tochtergesellschaft in diesem Jahr fortsetzen. Die Internetausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bestätigt diesen Sachverhalt und schreibt, dass die DB einen vollständigen Verkauf von Arriva auf einen Schlag anstrebe. Allfällige Interessenten sollen ihre Angebote bis zum 3. Mai 2020 entweder an die Citigroup oder an die Deutsche Bank abgeben.

Auszug aus Today’s Railways Europe

Damit findet ein seit längerem anhaltendes Trauerspiel um DB Arriva in einer schwierigen Zeit sein Ende. Der Flurschaden ist gewaltig. Die letzten Monate offenbaren auf mehreren Ebenen erschreckende Führungsschwäche und Konzeptlosigkeit. Ein Abbild der deutschen Verkehrspolitik? Die Frage, ob und wieweit die Verwerfungen des Brexits zum Malaise beigetragen haben, ist müssig.

Dazu ein paar Bemerkungen:

DB Arriva

Arriva PLC ist ein 1938 gegründetes britisches Verkehrsunternehmen. Durch verschiedene Übernahmen wuchs Arriva um die Jahrtausendwende zu einem der führenden Busbetreiber in Grossbritannien.

2010 erwarb die DB AG für EUR 1,9 Milliarden Arriva für die angestrebte Expansion in Europa. In den folgenden Jahren expandierte das neu als DB Arriva firmierende Unternehmen in Europa und erwarb zahlreiche Bus- und Eisenbahnunternehmen. Investitionen und Zukäufe erhöhten den Buchwert von DB Arriva auf rund EUR 4,0 Milliarden.

DB Arriva im Vergleich mit DB Regio und DB Fernverkehr (2017)

Heute ist DB Arriva in 14 Ländern tätig. Nachstehend zwei Auszüge aus dem Geschäftsbericht 2018 der DB AG.

Länder und Aktivitäten von DB Arriva
Abschluss 2018 von DB Arriva

Aktuelle Lage

Die Verschlechterung der Ertragslage in den letzten Jahren und die steigende Schuldenlast der DB AG führten zu Abklärungen, ob sich die finanzielle Lage des Konzerns durch den Verkauf von Tochtergesellschaften verbessern liesse. Im Fokus standen DB Schenker und DB Arriva. Die Diskussionen liessen aber auch Rückschlüsse auf eine unklare Unternehmensstrategie zu.

Die Analyse der Meldungen vorab in den deutschen Medien in 2019 führt zu einem erratischen Befund. Widersprüchliche Meldungen folgten in rascher Folge. Dem Vernehmen nach wurde auch ein Börsengang von DB Arriva erwogen.

Die nebulöse Zukunft von DB Arriva führte im Unternehmen offensichtlich zu einer Verunsicherung. Qualitätsmängel häuften sich. Die Zufriedenheit von Auftraggebern und Fahrgästen sank. Sie kulminierten in der Drohung, der DB Arriva den Auftrag an das Eisenbahnunternehmen Northern, welche den Regionalverkehr in Nordengland betreibt, vorzeitig zu entziehen. Auch in Tschechien wächst die Unzufriedenheit.

Kommentar

Ob unter diesen Umständen potentielle Käufer bereit sind, für DB Arriva einen angemessenen Preis zu bezahlen, steht in den Sternen. Nicht bemessen lässt sich der Schaden durch die Bindung von Management Kapazität im Zusammenhang mit DB Arriva – Ressourcen, die man zweckmässiger für die Behebung der Probleme bei der DB AG eingesetzt hätte.

Die Corporate Governance hat auf der strategischen und operativen Ebene versagt. Vor zehn Jahren begann man mit dem Aufbau eines europaweit tätigen Personentransportunternehmen mit über 55‘000 Mitarbeitenden und heute gibt man das Ganze auf. Die zunehmenden Qualitätsprobleme in einigen Unternehmen von DB Arriva stellen in überdies die Kompetenz von Politik und Unternehmen in Frage, ein Eisenbahnunternehmen zu führen.

Fazit ist, dass die Entwicklung nur Verlierer zeitigt, nämlich:

  • die DB AG, welche DB Arriva kaum zum Buchwert verkaufen kann und dadurch dem Vernehmen nach einen milliardenschweren Verlust realisieren muss
  • Verunsicherung auch bei der DB AG selbst, da der Abgang von DB Arriva wohl zu einem Abbau im Overhead führt – über die Hälfte des aktuellen Personalbestandes der Sparte Personenverkehr der DB AG entfällt auf DB Arriva
  • Unstimmigkeiten im Vorstand der DB AG durch den Abgang von Alexander Doll, CFO, und seit 2018 auch verantwortlich für den darbenden Güterverkehr
  • frustrierte und verunsicherte Mitarbeiter bei DB Arriva und ihren Tochtergesellschaften, was zu Abgängen und einem weiteren Qualitätsverlust führt
  • weiterer Rückgang der Kundenzufriedenheit und Imageverlust für den öffentlichem Verkehr
  • Schwächung der Bereitschaft für einen gesunden Wettbewerb im öffentlichen Verkehr
  • Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit gegenüber der Corporate Governance der DB AG und der deutschen Verkehrspolitik, mit negativen Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr

Keine falschen oder voreiligen Schlüsse

Nicht statthaft wäre, die Verwerfungen bei DB Arriva reflexartig und unbedacht auf den Wettbewerb oder auf Privatisierungen zurückzuführen. Das folgende Diagramm zeigt beispielsweise den Niedergang von British Rail zwischen 1948 und 1995 und den eindrücklichen Zuwachs des englischen Personenverkehrs auf der Schiene nach der Privatisierung.

Personenverkehr auf der Schiene in England nach der Verstaatlichung und der Privatisierung

Zudem entwickelt sich Kéolis, ein ähnlich ausgerichtetes französisches Unternehmen und mehrheitlich im Besitz der SCNF prächtig.

 

Güterzug am Gotthard entgleist – Krisenmanagement der SBB ein Fiasko

Am Freitag, 18. Dezember 2015, fuhr ich mit dem Interregio 2336 von Bellinzona Richtung Norden. In den beiden Wagen der 1. Klasse befanden sich vier Passagiere. Im eleganten Panoramawagen waren wir zu Zweit. In den vier Wagen der 2. Klasse reisten rund 35 Fahrgäste. Der pünktlich abfahrende Zug hielt kurz vor 18.30 Uhr im Bereich des aufgelassenen Bahnhofs von Bodio überraschend an. Nach einem längeren Unterbruch verkündeten die Zugbegleiter, die Weiterfahrt des Zuges verzögere sich aus technischen Gründen um ein paar Minuten. Etwas später erfuhren die Fahrgäste, der Zug könne infolge der Entgleisung eines Güterzuges seine Fahrt nicht fortsetzen, und weitere Informationen würden folgen.

Ich wandte mich an einen der beiden Zugbegleiter und bat ihn um weitere Angaben. Der freundliche Herr telefonierte intensiv mit einer Stabsstelle in Bern. In den folgenden Minuten jagten sich die Szenarien. Von der Rückführung des Zuges bis zum Verlassen des Zuges wurde gesprochen. Gegen 19.10 Uhr wurden die Passagiere gebeten, sich in den hintersten Wagen zu begeben, um von dort auf den ehemaligen Bahnsteig von Bodio hinüber zu steigen. Die Zugbegleiter halfen den teilweise betagten Passagieren beim Aussteigen.

Bodio Zug

Anschliessend warteten wir vor dem schwach beleuchteten Bahnhofgebäude auf weitere Instruktionen. Nach längeren Telefonaten baten die Zugbegleiter die Passagiere, sich in ein benachbartes Restaurant zu begeben und dort auf Kosten der Bahn etwas zu sich zu nehmen. Des Weiteren wurde mitgeteilt, dass wir mit einem Extrabus weiter befördert würden.

Bodio Bhf

Ich wartete mit zwei anderen Passagieren vor dem Restaurant und sah, dass um 20.11 Uhr der reguläre Bahnersatzbus Richtung Norden fahren würde. Kurz nach 20.00 Uhr verliessen die Mitreisenden den Gasthof und stiegen in den regulären Bus nach Airolo ein. Nach einer Fahrt von 15 Minuten traf der Bus in Faido ein. Da bot sich uns ein sagenhaftes Bild. Bilder, wie man sie sonst nur aus den Medien kennt.

Faido 2

Über hundert Fahrgäste von anderen Zügen warteten dort im ebenfalls dunklen Bahnhofgebäude. Immerhin hatten ein paar guten Seelen den Fahrgästen warme Getränke besorgt. Auf dem Bahnsteig stand ein leerer Interregio Zug, die Lokomotive war bereits umgespannt. Gemäss dem Fahrplan hätte um 20.42 Uhr ein IR in Faido Richtung Norden abfahren müssen. Die Bus- und Bahnmitarbeiter diskutierten, was zu tun sei. Weitere Telefonate nach Bern folgten. Niemand wusste Rat. Eine Führung war nicht erkennbar. Hilflosigkeit war angesagt.

Faido 1

Um 20.45 Uhr setzte unser Bus seine Fahrt Richtung Airolo weiter, wo er kurz nach 21.00 Uhr eintraf. In Airolo warteten Hunderte von Passagieren in völliger Dunkelheit auf die Weiterreise. Mehrere Personen versuchten, in unseren Bus zu gelangen. Mit dem Hinweis, es handle sich um einen regulären Bus mit vielen Zwischenhalten, konnte man die oft verzweifelten Menschen von ihrem Vorhaben abhalten. Uns boten sich traurige Bilder – einige der Passagiere warteten seit rund drei Stunden. Auch in Airolo waren weder Führung oder – im Gegensatz zu Faido – noch Fürsorge erkennbar.

Unsere Gruppe begab sich zum Fahrsteig. Ein freundlicher Bahnmitarbeiter kündigte an, dass um 21.18 Uhr ein direkter Zug nach Zürich fahren würde. Um 21.15 Uhr fuhr aus Süden eine Doppelkomposition eines Neigezuges mit total 14 Wagen ein. Einsteigen durfte man aber nicht. Dafür folgten innert fünf Minuten drei sich völlig widersprechende Lautsprecherdurchsagen. Um 21.30 Uhr fuhr der besagte Interregio von Faido her kommend ein. Wir bestiegen den neu Richtung Basel fahrenden Zug und erreichten um 22.40 Arth-Goldau. Dort stiegen die meisten Mitfahrer um. Nach kurzer Wartezeit fuhr der erwähnte ICN ein, mit dem wir Zürich kurz nach 23.30 Uhr erreichten.

Hier in Stichworten eine kurze Würdigung des Erlebten:

  1. Das Notfallszenario wirkte völlig hilflos. Nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die sichtlich bemühten Mitarbeitenden der Bahn wirkten desinformiert und waren sichtlich überfordert – eine Führung fehlte schlichtweg. Chaos herrschte.
  2. Die Frage steht im Raum, was bei einem ernsthafteren Ereignis oder bei den für diese Jahreszeit sonst üblichen klimatischen Verhältnissen – Kälte und Schnee – geschehen wäre.
  3. Weshalb hat man nicht einen der leeren Züge nach Airolo geführt und dort den wartenden und frierenden Passagieren als Warteraum zur Verfügung gestellt?
  4. Freitag, 18. Dezember 2015, war in anzunehmender Weise einer der reisestärksten Tage Richtung Süden – Wochenendverkehr und Weihnachtsferien.
  5. Einmal mehr zeigte sich die Problematik der zwischen Bellinzona und Arth-Goldau nicht mehr besetzten Bahnhöfe. Bei den SBB wird viel von Kundenfreundlichkeit gesprochen. Wahrscheinlich würden das Management besser ergründen, was der Begriff beinhaltet, und entsprechend handeln.

Weit unten im Berg befindet sich der Gotthard Basis-Tunnel. Aus Sicherheitsgründen wurde zwischen den beiden einspurigen Tunnels im Abstand von 375 m ein aufwändig eingerichteter Verbindungsstollen gebaut – geschätzte Kosten pro Stollen rund CHF 6,0 Mio. Bei etwa 170 Einheiten Investitionen von etwa CHF 1 Mia. Bei einem Kostensatz von 4 Prozent für Zinsen, Abschreibungen und Unterhalt also CHF 40 Mio. pro Jahr. Würde man nun die Bahnhöfe von Biasca, Faido, Airolo, Göschenen und Wassen zwischen 06.00 Uhr und 22.00 Uhr mit je einem Mitarbeiter besetzen, würde dies zu jährlichen Betriebskosten von CHF 3,0 Mio. führen (20 Personaleinheiten à CHF 150’000.- pro Jahr). Der Gewinn an Sicherheit – verstanden als Produkt von maximaler Schadenhöhe und Eintretenswahrscheinlichkeit – wäre ungleich höher. Gesteigert würden auch die Servicequalität und die Ordnung an den genannten Bahnhöfen.