European Metropolitan Network – und die Schweiz?

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Die Deutsche Bahn AG hat im Juni 2023 ein Konzept für den Ausbau des europäischen Schnellverkehrs zwischen den grossen Zentren publiziert. Unter der Bezeichnung «Metropolitan Network – A strong European railway for an ever closer union» wird ein Netzwerk aus heutigen, sich im Bau befindlichen oder möglichen Strecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgeschlagen. In diesem Beitrag treten wir auf das Konzept ein.

Die Ausführungen werden mit ein paar Anmerkungen zum Anschluss bzw. zum Beitrag der Schweiz an das vorgeschlagene Netzwerk ergänzt.

Metropolitan Network

Das Konzept wurde im Auftrag der DB von der Firma «PTV Group GmbH» mit Hauptsitz in Karlsruhe erarbeitet. Neben dem Vorschlag für das Netz wird für die einzelnen Metropolitanräume das Potential von Hochgeschwindigkeitsverbindungen simuliert. Michael Peterson, DB-Vorstand für den Personenfernverkehr, hält eine Verdreifachung des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs für möglich.

Vorgeschlagenes HGV-Netzwerk (Auszug aus der Studie).

Das Konzept geht gemäss der Pressemitteilung der DB von folgenden Fakten oder Annahmen aus:

  • Angebunden an das Netz werden alle 230 Metropolitanregionen und grossen Städte von Europa mit über 250’000 Einwohner.
  • In den so definierten Räumen leben sechzig Prozent der europäischen Bevölkerung, die in den Genuss von mindestens stündlichen Verbindungen kommen sollen.
  • Zentral ist die Infrastruktur. Das heutige HG-Netz von 11.300 Kilometern soll bis 2050 auf rund 32.000 Kilometer erweitert werden.
  • Das deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz würde bis 2050 auf gut 6.000 Kilometer wachsen.
  • Explizit erwähnt in der Pressemitteilung wird als europäisches Land einzig Polen (!), dessen Hochgeschwindigkeitsnetz sich von heute 224 Kilometer auf knapp 3.000 Kilometer verfünfzehnfachen würde.
Nutzen des HGV-Netzwerks (Auszug aus der Studie).
Erschliessung von Prag als bedeutender osteuropäische Metropole. Diese Berechnung erfolgte für alle Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten (Auszug aus der Studie).
Legende zu obigem Schema (Auszug aus der Studie).

Aufgefallen bei der Studie ist Folgendes:

  • Bemerkenswert ist, dass die Studie nicht von der EU-Kommission, sondern von einer zwar bedeutenden Staatsbahn geordert und publiziert wurde.
  • Auffallend ist auch, dass die Studie von einem deutschen Unternehmen stammt – einem Land, das den Personenverkehr in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat. Ein fachkundiger Beobachter schätzt den Nachholbedarf für die Sanierung des deutschen Schienennetzes auf EUR 88 Milliarden. Dazu kommt, dass die Deutsche Bahn AG zurzeit mit EUR 33 Milliarden verschuldet ist.
  • Gemäss den uns vorliegenden Informationen war das Engagement der im Bericht aufgeführten Partnerbahnen eher mässig.
  • Eigentlich ist es müssig, über die Motive der Auftraggeber zu spekulieren. Ist man mit dem Wirken der EU-Kommission in dieser wichtigen Sache unzufrieden, oder will man sich in Anbetracht von Spekulationen in der Öffentlichkeit über eine Aufspaltung des DB-Konzerns als tatkräftiges Unternehmen profilieren?
  • Speziell ist auch, dass in Anbetracht des belasteten Verhältnisses zwischen den beiden Staaten ausgerechnet auf Polen verwiesen wird. Sind den Verfassern der Studie die ehrgeizigen Ziele von Polen für die Schaffung eines leistungsfähigen nationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes nicht geläufig?

Immerhin hat die Studie auf das enorme Potential des europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs hingewiesen. Unsicher ist aus unserer Sicht, ob das Konzept aus der Werkstatt eines europäischen Hegemons der Sache wirklich zuträglich ist. Wie dem auch sei – hoffen wir, dass die Studie als einer der berühmten steten Tropfen den Stein tatsächlich höhlt.

Die Schweiz und der europäische Hochgeschwindigkeitsverkehr

Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie war Anlass, die Rolle der Schweiz in diesem Kontext zu überdenken. Beunruhigt hat der weisse Fleck im Zentrum von Europa. Dabei führen wichtige potentielle Korridore durch unser Land. Ich denke dabei etwa an die Relation Frankfurt-Milano oder Stuttgart-Milano. Ist man sich hierzulande dessen bewusst?

Lage der Schweiz (Auszug aus der Studie).

Die Schweiz sucht zwar den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und hat für die erste Phase des Anschlusses 2003 einen Verpflichtungskredit von CHF 1,090 Milliarde genehmigt. Der Bundesrat hat diesen Kredit in zwei Schritten auf CHF 1,195 Milliarden erhöht. Interessant – aber wenig verheissungsvoll für die Zukunft – ist, wie diese Mittel verwendet wurden.

Verwendung der Mittel des „HGV-Kredits“ (Tabelle wurde vom Verfasser mit Daten aus Wikipedia erarbeitet).

Weniger als ein Drittel der Investitionen vermögen eine Wirkung in Bezug auf den Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz zu entfalten. Mit dem überwiegenden Teil wurden mehrheitlich überfällige nationale Ausbauten finanziert.

Und wie stellt sich die Schweiz ihren Beitrag an ein leistungsfähiges europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz vor? Auch steht die Frage im Raum, welchen Beitrag die Tunnels der NEAT für den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr leisten können. Machen wir uns nichts vor! Indem bis zu 300 Stundenkilometer schnelle Hochgeschwindigkeitszüge von der Magadinoebene durch den Ceneri Basistunnel mit maximal 230 Stundenkilometern nach Lugano hochdonnern, um anschliessend in einer kurvenreichen und stark belasteten Strecke im Mischverkehr nach Chiasso und Como herunterzufahren? Und unterwegs natürlich in Basel, Luzern oder Zürich sowie in Arth-Goldau und Bellinzona Halt gemacht zu haben!

Ein grosser Wurf – Como Camerlata RFI

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Bei Fahrten von Lugano nach Mailand mit dem Regionalexpress 80 fällt auf, dass der Zug kurz nach der Abfahrt im Bahnhof Como San Giovanni nach etwa vier Kilometern in einem völlig neuen Bahnhof – Como Camerlata RFI – bereits wieder hält. Auf einer Reise Richtung Lecco musste ich vor ein paar Tagen in diesem Bahnhof in den Bahnersatzbus nach Molteno umsteigen.

Die Eindrücke waren überwältigend – auf grüner Wiese wurde ein moderner und kundenfreundlicher Verkehrsknotenpunkt geschaffen. Mehr über den Bahnhof von Como Camerlata RFI, die strategische Bedeutung dieser Investition und ein paar Hintergrundinformationen in diesem Bericht.

Lage von Como Camerlata. Die Länge der Bahnstrecke zwischen Como San Giovanni und Como Camerlata RFI beträgt ca. vier Kilometer. Der Bahnhof von Como Camerlata RFI ist auf dieser Karte noch nicht eingezeichnet. Er befindet sich bei der Überführung der Strasse über die Bahnlinie von RFI und neben dem Bahnhof von Como Camerlata FNM. (Auszug aus der Landeskarte der Schweiz).

Hintergrundinformationen

Von Como aus führen zwei Bahnlinien nach Mailand. Die von der Staatsbahn RFI betriebene Strecke mit Fern-, Regional- und Güterverkehr führt über Monza entweder nach Milano Centrale oder nach Milano Porta Garribaldi bzw. nach Milano Lambrate. Die zweite Strecke wird von Ferrovienord FNM betrieben und führt von einem unscheinbaren Bahnhof im Stadtzentrum von Como über Saronno nach Milano Cadorna.

Die Regionalzüge werden auf beiden Strecken von TreNord betrieben. Trenitalia und Ferrovia Nord Milano haben 2009 für den Regionalverkehr dieses Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Die Zuständigkeit für die Infrastruktur ist weiterhin getrennt, indem für das Netz von Trenitalia Rete Ferroviaria Italiana RFI und für das Netz von FNM die Infrastrukturgesellschaft von FNM Ferrovienord zuständig sind.

Diese Kooperation und enorme Investitionen in das Rollmaterial und die Infrastruktur – hier vor allem der Bau der Durchmesserlinie «Passante» unter dem Stadtzentrum von Mailand – haben den Nah- und Regionalverkehr im Grossraum Mailand enorm beflügelt. Man darf von einem epochalen Umbruch sprechen.

Vor der Jahrtausendwende bestanden zwischen den beiden Bahnen kaum Synergien. Die Infrastrukturen und das Tarifsystem waren völlig getrennt. An einigen Orten hatte es zwei Bahnhöfe. Diese befanden sich wie in Varese in unmittelbarer Nachbarschaft, etwas weiter voneinander entfernt wie in Laveno-Mobello oder sehr weit auseinander wie beispielsweise in Como. Der 1.2 Kilometer lange Fussweg zwischen Como S.G. und Como Lago Nord beansprucht wegen den zahlreichen Strassenübergängen fast zwanzig Minuten.

Regionalverkehrsangebot zwischen Como und Mailand

Zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi besteht an Werktagen zwischen 05.13 Uhr und 22.49 Uhr Halbstundentakt. Etwa jeder zweite Zug startet bereits in Chiasso, und jeder zweite Zug wird über Milano Porta Garibaldi hinaus nach Rho weitergeführt. Die Fahrzeit zwischen Como S.G. und Milano Porta Garibaldi beträgt 62 Minuten. Die S11 umfährt Milano Centrale. Reisende nach Milano Centrale müssen in Monza in einen Zug nach Milano Centrale umsteigen. Ergänzend steht Reisenden von Como S.G. der von TILO betriebene Regionalexpress RE80 zur Verfügung. Diese stündlich verkehrenden Züge von Locarno aus sind auch in Italien sehr beliebt und führen mit wenigen Halten nach Milano Centrale.

Auch zwischen Como Nord Lago und Milano Cadorna besteht an Werktagen Halbstundentakt. Die Reisezeit liegt ebenfalls bei 62 Minuten. Daneben verkehren in den Hauptverkehrszeiten zwei schnelle Verbindungen mit einer Reisezeit von 55 Minuten.

Beide Verbindungen erfreuen sich einer starken Nachfrage. Auf zahlreichen Fahrten erhielt ich den Eindruck, dass die Züge über Saronno eher besser frequentiert sind. Quantitative Zahlen liegen mir jedoch nicht vor.

Kommentar

Mit Como Camerlata RFI wurde ein weiterer bemerkenswerter Meilenstein in der Kooperation zwischen RFI und Ferrovienord realisiert, indem eine effiziente Verbindung zwischen den beiden Bahnsystemen geschaffen wurde. Aber nicht nur das – Camerlata Nord RFI ist ideal an das städtische Bussystem angebunden. Zudem steht den Kunden der Bahn eine grosszügig bemessene und gut an das Strassennetz angebundene Park and Ride-Anlage zur Verfügung. Beeindruckend sind aber auch die architektonische Gestaltung und die Kundenfreundlichkeit der Anlagen. Da steigt man gerne ein oder um!

Plan der Lage der beiden Bahnhöfe und ihrer Umgebung. Der rot eingezeichnete Verbindungsweg misst etwa 140 Meter. (Quelle: Google Maps).

Bildbericht

Die folgenden Bilder entstanden auf dem Weg vom Bahnhof Como Camerlata RFI zum Bahnhof Como Camerlata FNM. Wer das berühmte „Haar in der Suppe“ sucht, findet es bei der ungenügenden Entfernung des Unkrauts und bei einigen Ausführungsmängeln. Diese beinträchtigen den positiven Gesamteindruck kaum.

Bahnhof Como Camerlata RFI

Blick von der Mitte des Bahnsteigs nach Norden.
Blick von der Mitte des Bahnsteigs auf den Aufgang.
Blick von der Unterführung unter der Hauptstrasse auf die geschützte Passerelle. Das rosa Gebäude hinter der Passerelle gehört nicht zum Bahnhof. Man beachte die überdachten Zugänge.
Detailansicht von der Passerelle.
Blick auf den Lift zur Passerelle. Im Hintergrund sind die Bushaltestelle und die Besucherparkplätze erkennbar.
Ein weiterer Blick auf die Bushaltestelle und die dahinter liegenden Abstellplätze für Fahrräder.
Detailansicht vom Zugang zum Lift auf die Passerelle.
Ausführungsdetail vom Zwischenpodest der Treppe zur Passerelle.
Ein weiteres Detail – das untere Ende der Treppe und die Entsorgungsstation.
Blick vom Verbindungsweg zurück auf die Passerelle.

Park and Ride-Anlage

Blick auf einen Teil der schätzungsweise 150 Parkplätze der Park and Ride-Anlage.
Unterführung mit abgetrenntem Fussweg von der Park and Ride-Anlage zum Bahnhof.

Verbindungsweg zwischen den beiden Bahnhöfen

Blick vom Bahnhof Como Camerlata RFI auf den etwa 140 Meter langen Verbindungsweg zum Bahnhof Como Camerlata FNM.
Hinweistafeln etwa in der Mitte des Verbindungsweges.
Blick aus der Unterführung unter der Bahnlinie der FNM auf den Verbindungsweg,

Bahnhof Como Camerlata FNM

Blick in die Unterführung unter dem Bahnhof Como Camerlata FNM. Man beachte die verwendeten Baumaterialien für den Boden (Natursteinplatten) und die Wände (Keramikplatten).
Zugang aus der Unterführung zum Lift auf den Mittelperron.
Blick auf das gepflegte Bahnhofgebäude von Como Camerlata FNM.
Blick vom Ende des Hausperrons auf die beiden Bahnsteige. Auf der rechten Seite befinden sich weitere rund hundert Parkplätze für Bahnkunden.
Detailansicht auf das Bahnhofgebäude. Man beachte die Ausführungsdetails und die Sauberkeit.

Abschliessende Bemerkungen

Das abschliessende Bild steht stellvertretend für TreNord: „Gleich und doch unterschiedlich“. Die Gestaltung der Bahnhöfe von RFI und Ferrovienord und damit das Corporate Design weichen erheblich voneinander ab. Gelegentlich besteht der Eindruck, dass zwischen den beiden Gesellschaften ein Architekturwettbewerb im Gang ist, wer den schönsten Bahnhof baut. Wie dem auch sei – Nutzniesser dieses unterstellten Wettstreits sind die Benutzer, die von schönen und kundenfreundlichen Bahnhöfen profitieren können. Gegebenheiten, von denen Kunden im Grossraum Zürich nur träumen können.

Bildschirme auf dem Verbindungsweg zwischen den beiden Bahnhöfen.

SwissRailvolution – GV 2023 / Referat Guido Schoch

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In diesem Beitrag berichte ich über die Generalversammlung 2023 von SwissRailvolution und das daran anschliessende Referat von Guido Schoch «Bahnstrategie statt Giesskanne – Schluss mit dem Bahnausbau im Blindflug».

Mit Spannung warten die Anwesenden nach der Pause auf das Referat von Guido Schoch. Die hohen Erwartungen, das sei vorweggenommen, werden nicht enttäuscht.

Doch zuvor zur Generalversammlung: SwissRailvolution ist ein Verbund von Organisationen, der sich kraftvoll für einen gezielten Ausbau des Fernverkehrs im schweizerischen Eisenbahnnetz einsetzt. Damit soll das Bahnnetz modernisiert und Voraussetzungen für die Erhöhung des Anteils der Eisenbahn am Modalsplit geschaffen werden.

Generalversammlung

François Pointet, Mitglied der Grünliberalen Partei und 2019 von den Stimmenden des Kantons Waadt als Nationalrat gewählt, eröffnet die Generalversammlung im Kommissions-Zimmer 3 des Bundeshauses in Bern mit einer kurzen Grussadresse. Er vertritt Filippo Lombardi, ehemaliger Präsident des Ständerates und heutiger Stadtrat von Lugano, der sich kurzfristig entschuldigen musste. François Pointet postuliert eine bessere Anbindung der Schweiz an das europäische Eisenbahnnetz und einen Ausbau des grenzüberschreitenden S-Bahnverkehrs.

Nach den Ausführungen von François Pointet führt Guido Schoch, Vizepräsident von SwissRailvolution mit sicherer Hand durch die Generalversammlung.

Im Verlauf der Generalversammlung erteilt Guido Schoch das Wort Tobias Imobersteg, Generalsekretär von SwissRailvolution, und bedankt sich einleitend bei ihm für sein grosses Engagement. In seinem Bericht als Generalsekretär erläutert Tobias Imobersteg drei grosse Herausforderungen für die Schweizer Bahnen, nämlich a) eine zeitgemässe Trassenführung, b) eine Erhöhung des Modalsplits als Antwort auf die Klimakrise und c) Sicherstellung des Gleichgewichts zwischen den Landesteilen und innerhalb der Regionen.

Tobias Imobersteg freut sich über die stärker werdende Präsenz von SwissRailvolution in der Presse und in den Sozialen Medien.

In einem kurzen Tour d’Horizon kritisiert Tobias Imobersteg einige Aspekte der schweizerischen Verkehrspolitik, weist aber auch auf erfreuliche Entwicklungen im Parlament hin. So wurde die Motion «Verkehrskreuz Schweiz» von den Räten am 12. Dezember 2022 mit grossen Mehrheiten überwiesen. Kritisiert werden hingegen die mangelnde Koordination zwischen Ausbau von Güter- und Personenverkehr, die unzureichende Abstimmung der Raumplanung mit der Verkehrsplanung sowie die angekündigte Tariferhöhung der Preise des öffentlichen Verkehrs auf Ende 2023. Die Tariferhöhung ist das Ergebnis einer Fehlplanung des Bundes, die den Bau von den für den Fernverkehr rentable Neubaustrecken vernachlässigt hat. Tobias Imobersteg hat ausgerechnet, dass eine 20 Meter breite Neubaustrecke auf 400 Kilometer Länge nur 800 Hektaren Land benötigen würde, wobei der ausgebildete Geograf ergänzt, dass durch die Zersiedlung jedes Jahr mindestens 1’500 Hektaren Land verloren gehen. Dank ihrer verdichtenden Wirkung könnte eine schnellere Bahn auch dazu beitragen, diese Zersiedlung einzudämmen. Auf Kritik stösst auch der Fahrplanentwurf 2025 vorab für die Westschweiz, der wohl ebenfalls auf fehlende Neubaustrecken zurückzuführen ist.

Mit Besorgnis weist Tobias Imobersteg anhand dieser Graphik auf die Tatsache hin, dass der Anteil des nationalen Personenverkehrs auf der Schiene seit 2010 kaum mehr zunimmt. Das ist nicht zuletzt aus ökologischen Gründen fatal. Tobias Imobersteg weist ergänzend darauf hin, dass die Bevölkerung in der Schweiz zwischen 2000 und 2010 um 600’000 Personen gewachsen ist – von 2011 bis 2019 hat sich das Wachstum mit 800’000 Personen fortgesetzt.

Die Tabelle wurde mit dem besten Dank der Präsentation von Tobias Imobersteg entnommen.

Im Anschluss an die interessanten Ausführungen von Tobias Imobersteg nehmen die Anwesenden von der Jahresrechnung 2022 Kenntnis und genehmigen sie aufgrund des einwandfreien Testats der Rechnungsrevisoren. Auch das Budget für 2024 findet Zustimmung.

Unter Varia äussern sich die Anwesenden in einer kurzen und intensiven Diskussionsrunde zu verschiedenen Aspekten der schweizerischen Verkehrspolitik und zu aktuellen Entwicklungen. Einige Votanten äussern sich besorgt über die Zukunft des schweizerischen Eisenbahnnetzes, das an mehreren Orten an die Grenze der Leistungsfähigkeit stösst.

Nach etwa 40 Minuten schliesst Guido Schoch die Generalversammlung und leitet zur Pause über.

Referat von Guido Schoch

Guido Schoch bei seinem packenden Referat. (Das Bild wurde von Tobias Imobersteg zur Verfügung gestellt. Besten Dank).

Einleitend erläutert Guido Schoch die CO2-Emissionen der verschiedenen Verkehrsmittel. Insgesamt verursacht der Verkehr 32 Prozent aller Treibhausgasemissionen in der Schweiz. 73 Prozent davon werden vom motorisierten Individualverkehr MIV und nur 0,2 Prozent von der Eisenbahn verursacht. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen des Verkehrs setzt eine Verlagerung vom MIV zum öffentlichen Verkehr voraus. Oder, wie Peter Füglistaler am 13. September 2022 bei SwissRailvolution ausgeführt hat «Die Bahn leistet dank effizienter Nutzung ihrer Stärken einen grossen Beitrag zum Klimaziel 2050 und stärkt den Lebens- und Wirtschaftsstandort Schweiz.».

Ziele und Perspektiven Bahn 2050. Diese Tabelle wurde mit dem besten Dank den Präsentationsunterlagen von SwissRailvolution entnommen.

Leider, so Guido Schoch, erfüllt das Konzept «Bahn 2050» diese Erwartungen nicht. Trotz enormen Investitionen von über CHF 20 Milliarden wächst der Anteil des öffentlichen Verkehrs bis 2050 nur um 3 Prozentpunkte. Das ist fatal. Was läuft da falsch? Guido Schoch bemängelt, dass die Planung nicht aus Sicht der Kunden, sondern aus derjenigen der Infrastruktur erfolgt. Statt wie bei Bahn 2000 aus den Kundenbedürfnissen ein Angebotskonzept zu erarbeiten und den Ausbau erst dann zu planen, folgt Bahn 2050 dem Prinzip «Wer hat noch nicht, wer will noch mehr?»

Die sich daraus ergebenden konzeptlosen Ausbauten erzielen keine Wirkung, sondern führen zu einem teuren regionalen Flickwerk. Vor allem kann die Fahrplanstabilität nicht gewährleistet werden, und wie das Beispiel des Bahnhofs Lausanne zeigt, ergeben sich bei Schlüsselprojekten gravierende Verzögerungen. Guido Schoch erläutert diesen Missstand an Projekten wie dem Zimmerbergtunnel II oder dem Lötschbergbasistunnel. Eine weitere Verschlechterung verheisst die Überarbeitung des Angebotskonzepts 2035.

In der Perspektive Bahn 2050 sieht das BAV die Stossrichtung auf der Weiterentwicklung der Bahn auf kurzen und mittleren Distanzen. Dazu ein Auszug aus der oben erwähnten Präsentation von Peter Füglistaler. Dabei liegt der Fokus auf den Anzahl Wege pro Tag.

Stossrichtung Bahn 2050.

Guido Schoch widerspricht diesem Ansatz vehement. Die Umweltbelastung hängt nicht von der Anzahl Wege, sondern von den zurückgelegten Personenkilometern ab. Die vom BAV vorgeschlagenen Ausbauten, die sich primär auf kurze und mittlere Strecken konzentrieren sollen, basieren also gemäss Guido Schoch auf falschen Messwerten. Falsche Kennzahlen führen zu falschen Schlussfolgerungen.

Aussagen, wie der Fernverkehr gefördert werden soll, sind im besten Fall nebulös. Die Angst des BAV, dass Investitionen in die Beschleunigung des Fernverkehrs nur zu Mehrverkehr führt, ist unbegründet. Guido Schoch führt als Beispiel die Zunahme der Fahrgäste nach der Eröffnung des Gotthardbasistunnels an: 70 Prozent des Mehrverkehrs ist auf Umsteiger vom Auto auf die Bahn zurückzuführen. Dem Klima wird am wirkungsvollsten mit der Verlagerung beim internationalen Verkehr vom Auto und vom Flugzeug zur Bahn geholfen – und dieses Postulat setzt eine Beschleunigung des Fernverkehrs voraus. Dieser Sachverhalt wird selbst vom BAV im Bericht zu Bahn 2050 anerkannt.

Wirkung von Bahn 2050.

Guido Schoch belegt mit konkreten Beispielen die positive Wirkung von drastischen Fahrzeitverkürzungen auf wichtigen europäischen Korridoren sowie in den Basistunnels der NEAT.

Reisezeiten aus der Schweiz zu Zielen im Ausland.

Eindrücklich ist der Vergleich mit wichtigen Fernverkehrsverbindungen in der Schweiz. Geradezu ernüchtern ist die Verlangsamung der Reisen von der Schweiz nach Zielen im Ausland. Mit Ausnahme der Fahrt nach Paris sind die Reisezeiten aus der Schweiz nach wichtigen europäischen Zentren länger geworden.

Reisezeiten aus der Schweiz ins Ausland.

Guido Schoch befürchtet, dass sich einige Ausbauten von Bahn 2050 als Fehlinvestitionen erweisen werden. So wird das Fehlen eines langfristigen Fahrplankonzepts bemängelt. In mehreren Städten der Schweiz werden teure Tiefbahnhöfe geplant, wobei Vorstellungen für den Ausbau der Fernverkehrsverbindungen fehlen.

Der Tunnel Aarau-Zürich im Überblick.

Auf vehemente Kritik stösst die Tatsache, dass das von namhaften Experten erarbeitete Konzept «Bahn 2000 plus» – eine Neubaustrecke von Olten/Roggwil nach Zürich-Altstetten – vom BAV nicht einmal geprüft wurde, und dafür ein problematischer und extrem teurer Tunnel zwischen Aarau und Zürich vorgeschlagen wird. So würden die West/Ost- und Nord/Süd-Fernverkehrszüge auch weiterhin durch den stark belasteten Knoten Olten fahren.

Das Konzept Bahn 2000+ im Überblick.

Dabei sind gemäss Guido Schoch Neubaustrecken häufig billiger als der Ausbau bestehender Strecken: Der komplette Ausbau von Zürich-Olten wird am Ende mehr kosten als eine Neubaustrecke. Zudem ist die Beeinträchtigung des bestehenden Angebots während der Bauphase weitaus geringer.

Neubaustrecken sind oft billiger als der Ausbau bestehender Strecken.

Guido Schoch fasst am Ende seines Referats die Forderungen von SwissRailvolution für den zukünftigen Ausbau des schweizerischen Eisenbahnnetzes in folgenden Thesen zusammen:

  1. Es braucht eine langfristige Angebotsstrategie. Diese ist auf der Basis von Kundenbedürfnissen zu erarbeiten und in Form eines Fahrplans in einem Angebotskonzept zu konkretisieren. Erst dann ist der Ausbau der Infrastruktur zu planen.

    In diesem Zusammenhang weist Guido Schoch auf den stagnierenden Modalsplit nach dem Auslaufen der Impulse des «Bahn 2000-Effektes» hin.

  2. Die Politik und das BAV müssen endlich erkennen, dass man Überlegungen zum Angebot vor die Infrastrukturplanung stellen muss.

    Das Risiko, dass sich das Angebot auf der Schiene nach dem Ausbauschritt 2035 trotz immenser Investitionen auf vielen Relationen verschlechtert, steht im Raum.

  3. SwissRailvolution empfiehlt als Zielwert für die Planung der zukünftigen Eisenbahninfrastruktur eine Verdoppelung des Modalsplits der Eisenbahn von heute knapp zwanzig auf vierzig Prozent.

  4. Aufgrund der Tatsache, dass die Fahrzeit von Tür zu Tür das wichtigste Kriterium bei der Wahl des Verkehrsmittels ist, fordert SwissRailvolution ein «Verkehrskreuz Schweiz» mit Schnellfahrstrecken von Grenze zu Grenze, und das am europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden ist.

  5. Diese Schnellfahrstrecken werden auf den Bestandesstrecken Kapazitäten für den Lokal- und Regionalverkehr sowie für den Güterverkehr freisetzen. Zudem dürften sie durch die Trennung der Verkehrsarten die Stabilität des Betriebs fördern.
Forderungen von SwissRailvolution.

Kommentar

Die Bemühungen von SwissRailvolution verdienen uneingeschränkte Unterstützung. Endlich setzen sich erfahrene Fachleute und weitsichtige Politiker kraftvoll für die Modernisierung des schweizerischen Normalspurnetzes ein.

Dennoch sind die Vorschläge von SwissRailvolution meines Erachtens nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für die Stärkung der Eisenbahn in der Schweiz. Es braucht weitere Massnahmen, wie etwa folgende:

  1. Beseitigung der zahlreichen und empfindlichen Schwachstellen im schweizerischen Normalspurnetz. Wir haben vor einigen Jahren mit Experten einen Katalog der Schwachstellen erarbeitet.
  2. Ausbau der grossen Knotenbahnhöfe und deren Anbindung an den öffentlichen Regional- und Lokalverkehr auf Schiene und Strasse. Und, in der Folge: Leistungssteigerung und Qualitätsverbesserung des öffentlichen Verkehrs in den Metropolitanräumen.
  3. Modernisierung des Tarif- und Billettsystems. In der Schweiz gibt es rund 20 heterogene Tarifverbünde und nur einen einzigen wirklichen Verkehrsverbund. Dieser administrative Moloch ist aus der Welt zu schaffen. Wir halten ein nationales Gesetz, wie dies etwa in Österreich der Fall, ist für die Reglementierung der Verkehrsverbünde für überfällig.
  4. Analyse und Neukonzeption der Corporate Governance des Systems des schweizerischen öffentlichen Verkehrs. Prof. Dr. Matthias Finger hat in seinem Buch «SBB – was nun?» eine präzise Analyse der Schwächen des Ist-Zustandes und Szenarien für die Organisation der Mobilität in der Schweiz vorgelegt.
  5. Die Investitionen in den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur sind nicht betriebswirtschaftlich, sondern volkswirtschaftlich zu begründen. Die betriebswirtschaftliche Argumentationsweise lässt unter anderem den nicht quantifizierbaren Nutzen ausser Acht und führt zu Fehlschlüssen.
  6. Konzeption der Nord/Süd-Verbindung – der weitere Ausbau der NEAT – aus europäischer und nicht aus nationaler Sicht. Dieses Postulat soll am Beispiel eines weiteren Ausbaus der NEAT im Tessin konkretisiert werden: Auf die diskutierte Neubaustrecke von Lugano nach Chiasso ist zu verzichten. Dafür braucht es eine Neubaustrecke vom Südportal des Gotthard-Basistunnels bei Pollegio entlang der Autobahn A2 zu einem neuen Fernbahnhof am südlichen Stadtrand von Bellinzona. Und ab hier bzw. ab Giubiasco einen direkten Tunnel à Niveau nach Chiasso oder Como.
  7. Erkenntnis, dass zur Erreichung dieser Ziele enorme Mittel und fundamentale Veränderungen notwendig sind. Auch ist ein erhöhter Realitätsbezug vonnöten. Beim Ausbauschritt 2035 handelt es sich de facto um eine Beseitigung von Altlasten und nur ansatzweise um einen Schritt in die Zukunft.

Ich wage keine Prognose, ob unser Land noch in der Lage ist, in Anbetracht der sich auch in anderen Bereichen öffnenden Finanzierungslücken diese gewaltigen Investitionen zu stemmen. Ich denke etwa an die Landesverteidigung, wo zur Erfüllung der «Zwei Prozent-Limite am BSP» jährlich zehn Milliarden CHF zusätzlich aufgewendet werden müssten. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Schotter, Kies und Sand – eine spannende Entdeckungsreise in den Kanton Uri

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Steine, Kies und Schotter – spannende Einblicke in wichtige Rohstoffe und effiziente Produktionsverfahren. Dies die wichtigsten Erkenntnisse aus einer Studienreise der Bahnjournalisten Schweiz in den Kanton Uri. Unter der Leitung von Lorenz Degen nutzen am 10. Mai 2023 ein Dutzend Mitglieder die Gelegenheit zum Besuch der Firmen Hartsteinwerk Gasperini AG in Attinghausen und Arnold & Co. AG in Flüelen.

Mehr über diese interessante Studienreise in diesem Bericht.

Firma Hartsteinwerk Gasperini AG

Um 10.15 Uhr begrüssten uns Michela Gasperini, Geschäftsführerin, und Peter Müller, Betriebsleiter, auf dem Betriebsgelände der Firma Hartsteinwerk Gasperini AG in Attinghausen. Für die Führung durch den eindrücklichen Steinbruch Eielen wurden zwei Gruppen gebildet.

Die Firma Gasperini wurde 1926 gegründet und wird heute in vierter Generation von Michela Gasperini geführt. Im Zuge einer Nachfolgeregelung wurde die Mehrheit am Unternehmen 2019 von der schweizweit tätigen Firma KIBAG AG übernommen. Gasperini beschäftigt zurzeit 21 Mitarbeitende und ist in der Region als Arbeitgeberin sehr geschätzt.

Im ersten Teil der Führung erläuterte uns Peter Müller die Organisation des Steinbruchs. Aus erstklassigem Quarzsandstein werden hochwertige Schotter, Splitte und Sande hergestellt. Der Schotter von Gasperini wird schweizweit eingesetzt und zählt wegen seiner Härte und Abreibfestigkeit zur absoluten Spitzenklasse der hiesigen Produkte.

Gasperini produziert in der Regel jährlich zwischen 40’000 und 70’000 Tonnen Bahnschotter – in Spitzenjahren sogar 100’000 Tonnen. Der Schotter wird mit Lastwagen zum benachbarten Bahnhof Altdorf transportiert und dort über die Verladeanlage auf Bahnwagen verladen. Im Gegensatz zu früher, wo mit einem Zug bis zu 800 Tonnen Schotter transportiert wurden, ist heute die Maximallast pro Zug wegen dem Mangel einer geeigneten Rangierlokomotive auf 400 Tonnen beschränkt. Infolge dieser Beschränkung erfolgen Lieferungen ins Tessin aber auch in der Deutschschweiz vermehrt mit Lastwagen.

Neben dem Schotter werden jährlich bis zu 160’000 Tonnen Edelsplitt, Sand und Strassenkoffer produziert. Die Produkte von Gasperini werden wegen ihrer hohen Qualität weit über die Standortregion hinaus eingesetzt.

Nach dieser interessanten Einführung erfolgt eine Besichtigung des eindrücklichen Abbaugebiets. Die Fahrt mit einem geländetauglichen Personenwagen führt über bis zu 35 Prozent steile Rampen zum obersten Abschnitt des Steinbruchs rund 280 Meter über dem Talgrund. Die Felsbrocken werden nach der Sprengung mit gewaltigen Dumpern zu den Steinbrechanlagen hinuntergefahren. Beladen erreichen die Dumper ein Gewicht von bis zu 52 Tonnen. Hoch oben erläutert uns Peter Müller die Felsformationen und den Ablauf der Abbauarbeiten. Die Sprengungen erfordern viel Knowhow und werden von der Firma Gasser Felstechnik AG ausgeführt.

Blick vom Werkgelände auf das Abbaugebiet und die Verladeanlage. (Dieses und die die weiteren Bilder wurden abgesehen von zwei Ausnahmen vom Verfasser mit dem Smartphone aufgenommen).
Blick vom oberen Ende des Steinbruchs auf das rund 270 Meter tiefer liegende Werkgelände.
Blick auf die nächste Abbauetappe mit den bereits gebohrten Löchern für das Einbringen des Sprengstoffs. Man erkennt leicht, mit welcher Behutsamkeit die Sprengung erfolgen muss.
Zur Bearbeitung zwischengelagertes Rohmaterial.

Im zweiten Teil der Führung stellt uns Armando De Col die Fertigungsschritte von den bis zu einer Tonne schweren Felsbrocken zu den Endprodukten her. Armando De Col arbeitet seit über fünfunddreissig Jahren bei der Firma Gasperini und ist mit den Produktionsprozessen und dem Material bestens vertraut. Die grossen Felsbrocken werden in einer ersten Phase mit einem riesigen Steinbrecher (Vorbrecher) in kleinere Brocken zertrümmert. Anschliessend werden diese Brocken je nach der Art des Endproduktes in einer anderen Halle weiter gebrochen und in verschiedene Fraktionen ausgesiebt. Der Bahnschotter wird vor dem Verlad noch gewaschen.  

Bei diesen lärmigen und staubigen Verfahren hat der Gesundheitsschutz der Arbeitenden eine sehr hohe Bedeutung – die Anlagen werden wöchentlich vom Staub befreit.

Die eingesetzten Steinbrecher stammen grösstenteils von der Firma Emil Gisler AG im benachbarten Seedorf. Unter dem Markenname Gipo AG konstruiert dieses Unternehmen weltweit eingesetzte Steinbrecher und Aufbereitungsanlagen der Spitzenklasse. Diese Firmengruppe darf die Bezeichnung «Hidden Champion» wohl zu Recht in Anspruch nehmen.

Mächtige Bagger bringt das Rohmaterial zum Vorbrecher.
Blick von oben auf den Vorbrecher. Mit dieser Anlage können für die nächsten Bearbeitungsschritte bis zu 1 m3 grosse Brocken zertrümmert werden.
Seitenansicht der Vorbrecheranlage.
Die Vorbrecheranlage auf dem Transport von der Firma Emil Gisler AG im benachbarten Seedorf zum Standort auf dem Werkgelände der Firma Gasperini. (Das Bild wurde mit bestem Dank der Website der Firma Gasperini AG entnommen).
Blick auf die Einlassöffnung der Vorberecheranlage. Man beachte für den Grössenvergleich die Hand des Maschinenführers am rechten Bildrand.
Steinbrecher für den nächsten Bearbeitungsschritt.
Steinbrecher für einen weiteren Bearbeitungsschritt.
Filter- und Reinigungsanlage für das gebrochene Material.
Förderanlage zum Silo.
Armando de Col erläutert zwei Besuchern die Qualitätsmerkmale von Schotter. Der gewaltige Schotterberg dokumentiert die hohe Lieferbereitschaft der Firma Gasperini AG.

Der feine Imbiss im Anschluss an die eindrückliche Betriebsbesichtigung bot willkommene Gelegenheit zur Vertiefung der erhaltenen Informationen. Kurz vor 13.00 Uhr bedankte sich Lorenz Degen bei Michela Gasperini und Peter Müller für den eindrücklichen Besuch und die grosszügige Gastfreundschaft.

Firma Arnold & Co. AG

Kurz vor 16.00 Uhr begrüsst uns Matthias Steinegger beim Hafen Flüelen zur Besichtigung der Firma Arnold & Co. AG. Matthias Steinegger lässt es sich als Betriebsleiter nicht nehmen, uns sein Unternehmen persönlich vorzustellen. Die Firma Arnold & Co. AG besteht seit etwa 120 Jahren und wird als traditionsbewusstes Familienunternehmen in vierter Generation von Nachkommen der Gründerfamilie geführt. Dank erstklassigen Produkten und einer umsichtigen Geschäftspolitik kann sich Arnold & Co. AG neben Grossunternehmen wie KIBAG oder Holcim AG auf dem Markt behaupten.

Nach einer kurzen Vorstellung des Unternehmens und seiner Geschichte fahren wir mit einem Ledischiff zur Baggeranlage neben dem Reussdelta. Die eindrückliche Anlage wiegt 1’000 Tonnen und verarbeitet den Aushub aus dem an dieser Stelle rund 60 Meter tiefen See zu Sand und Kies in verschiedenen Körnungen. Die maximale Kapazität der eindrücklichen Anlage beträgt 2’500 Tonnen pro Tag. Die Jahresproduktion liegt bei rund 300’000 Tonnen Sand und Kies. Zum Vergleich: Die Reuss lagert gemäss der Ausgabe 2016, Heft 2, der Zeitschrift «Wasser Energie Luft» jährlich durchschnittlich etwa 56’000 m3 Geschiebe im Urnersee ab. Im Katastrophenjahr 1987 waren es sogar weit über eine Million Tonnen.

Nach der Reinigung des Aushubs vom See werden Sand und Kies – dieser in drei Korngrössen – getrennt und auf Ledischiffe verladen und auf dem Seeweg zu den Kunden transportiert. Die Produkte geniessen bei den weiterverarbeitenden Unternehmen dank ihrer Qualität und ihrer Beschaffenheit einen ausgezeichneten Ruf.

Nach der kurzen Einführung werden die Besucher durch das fast 20 Meter hohe Baggerschiff geführt und können vor Ort die verschiedenen Verarbeitungsschritt verfolgen. Die Anlage wird mit Unterwasserleitung mit elektrischem Strom versorgt. Der Strom wird auf dem Festland von einer Spannung von 15’000 Volt auf noch 4’500 Volt transformiert. Die Konzession für den Abbau wird vom Kanton Uri jeweils für 25 Jahre vergeben. Arnold & Co. AG ist seit drei Perioden Inhaberin dieser Konzession.

Baggerschiff V mit zwei Ledischiffen vor dem Massiv des Rophaien auf dem Urnersee. (Das Bild wurde mit bestem Dank der Website der Firma Arnold & Co. AG entnommen).
Eindruck von den gewaltigen Dimensionen des Baggerschiffs. Hinten auf dem Bild die Kommandobrücke.
Blick auf den Förderschacht, in dem zwei von Maschinisten gesteuerte Baggerschaufeln ständig Rohmaterial vom Seegrund auf das Baggerschiff fördern.
Blick auf das soeben geförderte Rohmaterial vor dem ersten Verarbeitungsschritt.
Blick auf die Filteranlage für mittelgrosses Kies.
Nahansicht vom Kies auf der Filteranlage. Man beachte die Sauberkeit des Materials.
Verlad von Sand auf das Ledischiff. Der Sand wird wegen seiner Beschaffenheit von den Handwerkern sehr geschätzt.
Auf der anderen Seite wird das Kies entsprechend seiner Korngrösse getrennt auf das Ledischiff verladen.

Nach etwa dreissig Minuten gelangen wir mit dem Schiff zurück an den Ausgangspunkt und zum nächsten Höhepunkt unserer Visite. Beim Frachthafen können wir den Entladevorgang eines Zuges mit Ausbruchmaterial aus der zweiten Röhre des Gotthardstrassentunnels verfolgen. Das mit dem Zug aus Göschenen herangeführte Ausbruchmaterial wiegt rund 1’000 Tonnen und wird mit leistungsfähigen Förderanlagen innert einer Stunde über ein Zwischenlager auf das daneben liegende Ledischiff abgeladen. Täglich können bis zu sieben Züge entladen werden – die 7’000 Tonnen Ausbruch entsprechen der maximalen Tagesleistung der Tunnelbohrmaschine.

Wir fahren mit einem voll beladenen Ledischiff zum eigens für den Ablad des Ausbruchs geschaffenen Dock. Unter dem Wasserspiegel sind am Dock grosse Tücher angebracht, die einen kontrollierten Ablad gewährleisten und eine Ausbreitung der feinen Teile im Wasser minimieren. Beeindruckt verfolgen die Besucher, wie sich eine nach der anderen Kammer entleert. Der behutsame Entladevorgang hinterlässt fast den Eindruck, dass sich das Material aus dem Innern des Gotthards gegen das Versenken im See wehren würde.

Mit dem leeren und nun weit aus dem Wasser ragenden Schiff fahren wir zurück ans Ufer. Auf der Rückfahrt zum Hafen weist Matthias Steinegger auf die künstlichen Inseln mit Aushub aus dem Gotthardbasistunnel hin. Diese bieten willkommenen Schutz für Fauna und Flora. Insgesamt wurden 3.5 Mio. Tonnen Ausbruch aus dem Gotthardbasistunnel im See deponiert. Als umweltbewusstes und nachhaltiges Unternehmen besteht zwischen Arnold & Co. AG mit den Umweltorganisationen ein gutes Einvernehmen.

Eindrückliche Siloanlage der Firma Arnold & Co. AG neben dem Bahnhof Flüelen.
Ausbruchmaterial aus dem Gotthard Strassentunnel wird abgeladen. Bei Annahmeverzögerungen werden hohe Konventionalstrafen fällig.
Ledischiff für den Abtransport des Ausbruchmaterials.
Ausbruchmaterial auf dem Ledischiff kurz vor der Abfahrt des Schiffs.
Entladestelle für das kontrollierte Versenken des Ausbruchmaterials.
Ausbruchmaterial beim träge erfolgenden Absenkvorgang.
Die letzten Reste des Ausbruchmaterials unmittelbar vor dem Ende des kammerweise erfolgenden Absenkvorgangs.
Matthias Steinegger erläutert den Teilnehmenden Details zu den aufgeschütteten Inseln.

Bei der Ankunft im Hafen lädt uns Matthias Steinegger noch auf dem Schiff zu einem Apéro ein. Dabei erhalten wir weitere interessante Informationen über das Unternehmen. So produziert Arnold & Co. AG jährlich auch zwischen 50’000 und 80’000 m3 Beton und Mörtel. Hergestellt werden gegen 130 verschiedene Beton- und Mörtelarten. Bemerkenswert ist, dass der Zement in Altdorf von den Silowagen der SBB auf LKW verladen wird und für die kurze Distanz auf der Strasse zum Betonwerk gelangt. Flüelen wird seit einigen Jahren von SBB Cargo nicht mehr bedient.

Kurz vor 17.30 Uhr bedankt sich Lorenz Degen bei Matthias Steinegger für die spannende Präsentation der Firma Arnold & Co. AG, worauf sich die beeindruckte Delegation zum Bahnhof Flüelen begibt, um von dort die Rückreise anzutreten.

Abschliessende Bemerkungen

Auch von meiner Seite ein grosses Dankeschön an Lorenz Degen für die eindrückliche Studienreise sowie an die besuchten Firmen für den freundlichen Empfang und die packenden Betriebsbesichtigungen. Beeindruckend, mit welchem Qualitätsbewusstsein und Fachwissen vermeintlich einfache Materialien wie Schotter, Kies und Sand hergestellt werden.

Renens liegt in der Schweiz. Wirklich!

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Sylvain Meillasson veranstaltete für die Bahnjournalisten Schweiz am 12. April 2023 unter der Bezeichnung «Romandie: Mobilitätschampions» eine spannende und reichhaltige Studienreise in die Westschweiz. Die anfängliche Skepsis gegenüber der ambitionierten Bezeichnung der Studienreise löste sich im Verlauf des Tages rasch im Nichts auf.

Von den zahlreichen Höhepunkten der Reise beeindruckte vor allem der umgebaute Bahnhof von Renens. Leider war die Zeit für die Besichtigung dieser grossartigen Infrastruktur am 12. April 2023 zu knapp. Ich holte bei den SBB ergänzende Informationen ein und reiste am 17. Mai 2023 für eine intensive Besichtigung des Bahnhofs erneut nach Renens.

Mehr über das noch nicht vollständig abgeschlossene Projekt und die Erklärung für die sonderbar anmutende Überschrift in diesem Bericht – Staunen ist angesagt!

Überblick über das Projekt

Das Bevölkerungswachstum im Westen von Lausanne und der nachfragegerechte Ausbau des öffentlichen Verkehrs bewirkten eine erfreuliche Zunahme der Auslastung des Bahnhofs von Renens. Die bestehenden Anlagen vermochten den Ansturm kaum mehr zu bewältigen und genügten den Bestimmungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes nicht mehr.

Die 2015 begonnenen Arbeiten sind bezüglich der Anlagen der SBB praktisch abgeschlossen. Noch im Gang sind die Arbeiten für die neue Stadtbahn der «Transports Publics Lausannois» (TL) vom Bahnhof Renens ins Zentrum der Stadt Lausanne. Dies Arbeiten beinhalten im Wesentlichen den Bau einer rund 5 Kilometer langen zweigleisigen Tramlinie T1, substantielle Anpassungen am Strassennetz und den Bau der Endhaltestelle für T1 im Bahnhof von Renens. Das Projekt wird mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn T1 Ende 2024 abgeschlossen.

Gemäss einem Auszug aus einer Beschreibung der SBB erfolgten im Bahnhof von Renens folgende Arbeiten:

  • Renovation des historischen Bahnhofgebäudes und Neugestaltung des Vorplatzes.
  • Verbreiterung der bestehenden Unterführung mit besseren Zugängen zu den Perrons mit Rampen und gut zu begehenden Treppen.
  • Verlängerung der Perrons auf 420 Meter Länge und Verbreiterung der Perrons 2 und 3.
  • Anhebung aller Perrons auf 55 cm für einen stufenfreien Zugang zu den Zügen
  • Anpassung des Gleiskopfs.
  • Bau neuer und längerer Perrondächer sowie Anpassung des Mobiliars und der Beleuchtung.
  • Sanierung des historischen Daches von Perron 1.
  • Koordination der Arbeiten mit der Stadt Renens beim Projekt «Rayon Vert» (Bau einer neuen Passerelle zur innerstädtischen Verbindung über den Geleisen), mit Zugängen zu den Perrons und zur Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1.

Die Kosten der baulichen Massnahmen der SBB einschliesslich der Hälfte der Anpassungen an den Geleisen wurden bei Baubeginn mit einer Bandbreite von 20 Prozent auf CHF 172 Mio. geschätzt. Die Finanzierung erfolgt über eine vom Bund finanzierte Leistungsvereinbarung mit den SBB. Die Bauabrechnung mit den genauen Kosten ist zurzeit noch pendent.

Verlauf der bisherigen Arbeiten

Zusammenfassend darf bisher von einem erfolgreichen und termingerechten Verlauf des anspruchsvollen Projekts gesprochen werden. Besonders hervorzuheben ist die konstruktive und proaktive Zusammenarbeit mit den Behörden der Stadt Renens, die sich auch mit den drei anderen betroffenen Gemeinden Chavanne, Crissier und Ecublens abgesprochen hatte. Trotz den intensiven Arbeiten gelang es, den Betrieb auf einer der verkehrsreichsten Eisenbahnlinien der Schweiz ohne nennenswerte Probleme aufrecht zu erhalten.

Besondere Herausforderungen bildeten die Steuerung der Passagierströme während den Arbeiten und die Abstimmung mit den übrigen Akteuren in der Umgebung des Bahnhofs (Bau eines neuen Gebäudes über der Endhaltestelle der neuen Strassenbahn T1, Erweiterung einer Strassenunterführung östlich des Bahnhofs und Einbindung des Trasses für die zukünftige Tramlinie nach Lausanne).

Dank einer effizienten Steuerung des Projekts wurden positive Erkenntnisse für die Baustellenlogistik gewonnen. Auch liessen sich aus der integrierten Planung Schlüsse für die Lenkung der Personenströme bei zukünftigen Grossprojekten ziehen.

Bauteile

Nachstehend einige Bilder, aufgenommen am 17. Mai 2023 mit einem Smartphone.

Bahnhofgebäude und Vorplatz

Bahnhofgebäude mit verkehrsfreiem Vorplatz.
Sitzbänke und Schutzdächer auf dem Bahnhofvorplatz.

Unterführung

Eindruck von der grosszügigen Unterführung.
Rampe aus der Unterführung auf einen Bahnsteig. Man beachte die zurückhaltende Werbeflächen und das Fehlen von Ladengeschäften.
Blick in eine verhältnismässig flache und helle Rampe.
Aus weissen Gestein gefertigte Stufen vor den Podesten oder dem Treppenabgang. Auch die Steigung der Treppe ist viel geringer und weniger gefährlich als beispielsweise in Winterthur oder Zürich-Oerlikon.
Blick von oben auf eine Rampe. Das begehbare Dach oberhalb der Lampe ist aus blauem Glas. Man beachte die Holzkonstruktion am Geländer, an die sich wartende Fahrgäste anlehnen können.

Passerelle

Zugang auf die Passerelle vom Bahnhofvorplatz her – mit Treppe und Rolltreppe.
Seitlicher Aufgang mit Treppe und Rolltreppe auf das Zwischenpodest der Passerelle.
Oberes Ende des Aufgangs vom Bahnhofplatz her auf die Passerelle. Zusätzlich zur Treppe und zur Rolltreppe steht den Fahrgästen ein grosszügiger Lift zur Verfügung.
Blick in die Passerelle. Man beachte die Sitzbänke und den Pflanzenschmuck. Hier sitzt man gerne.
Blick auf den Zugang zu einem der Lifte von der Passerelle zu den Bahnsteigen.
Von der Passerelle aus führen auch Treppen und Rolltreppen zu den Bahnsteigen.
Blick von der Stadtseite auf den Zugang zur Passerelle.
Blick von der Stadtseite auf die Passerelle.
Blick auf die Passerelle aus südöstlicher Richtung. Im Vordergrund die Planie für die Geleise der Strassenbahn T1 nach Lausanne.
Eindruck von einem Bahnsteig mit grosszügig gestaltetem Dach mit einer Dachhaut aus blauem Glas.
Eindruck eines wartenden Fahrgastes auf einem Bahnsteig. Im Hintergrund die Passerelle.
Aufgang vom Bahnsteig auf die Passerelle. Die Passerelle ist vollständig überdacht und seitlich mit Glaswänden geschützt.
Blick auf den Bahnsteig 1 mit dem in die neue Dachkonstruktion integrierten historischem Perrondach.
Blick auf die Haltestelle der Stadtbahn nach Lausanne Flon. Eine Fahrt mit dieser Bahn und ein Rundgang durch das Hochschulgelände, das durch die Stadtbahn erschlossen ist, mit zahlreichen architektonischen Meisterwerken ist sehr zu empfehlen.
Blick auf die Haltestelle der Stadtbahn nach Lausanne Flon. Man beachte die künstlerisch geschmückten Säulen des neu gebauten Bürogebäudes.
Blick auf das Trasse der zukünftigen Strassenbahn T1 ins Zentrum von Lausanne.

Kommentar

Aus Sicht eines aufmerksamen Benutzers des öffentlichen Verkehrs im Grossraum Zürich kehrt man tief beeindruckt und mit etwas Neid auf Renens zurück – besonders, wenn man den Vergleich mit kürzlich umgebauten oder bestehenden Publikumsanlagen in der Region Zürich zieht. In Renens eingehauste Übergänge, lange Perrondächer oder grosszügige Übergänge und Unterführungen!

Das gelungene Bauwerk und die wunderbare Überführung sind für mich ein schlagender Beweis für die erwähnte konstruktive Zusammenarbeit der SBB mit der Stadt Renens. Kein Vergleich mit den Überführungen in Bellinzona, über die wir auf unserer Website berichtet haben. Offensichtlich wurde dort eine grosse Chance vertan, gemeinsam mit der Stadt Bellinzona für die Öffentlichkeit und für die Fahrgäste eine funktional und städtebaulich überzeugende Lösung zu verwirklichen. Und nur wenig positiver fällt der Vergleich mit den Verhältnissen in Zürich-Oerlikon aus, wo zwei kaum Gemeinsamkeiten aufweisende unmittelbar nebeneinander liegende grosse Personenunterführungen gebaut wurden – eine durch die SBB, die andere von der Stadt Zürich.

Und beim Umsteigen in Lausanne entdeckt – eine hygienische und einladende Wasserbezugsstelle für Fahrgäste. Klein – aber in der Wirkung gross!

Im steifen Gegenwind – GV 2023 der Hupac AG

Topics

Hupac AG berichtete am 4. Mai 2023 im Hotel Mariott in Zürich im Rahmen der Bilanz-Medienkonferenz über den Geschäftsgang in 2022 und nahm eine Lagebeurteilung des Unternehmens und seiner Märkte vor. Zudem wurde über die Situation an den Südhäfen informiert und Anforderungen von Hupac AG an die Verkehrspolitik postuliert.

Trotz einiger Lichtblicke zeigte sich, dass Hupac AG wegen dem sich verdüsternden Umfeld ein eisiger Wind entgegen weht. Mehr über die informative Veranstaltung in diesem Bericht.

Geschäftsjahr 2022 und Rahmenbedingungen / Hans-Jörg Bertschi, Präsident des Verwaltungsrates

2022 war Hupac AG mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Trotz grossen Anstrengungen wurden die Ziele für das vergangene Geschäftsjahr wegen den Mängeln bei der Bahninfrastruktur und der sich in der zweiten Jahreshälfte verschlechternden Konjunktur nicht ganz erreicht. Mit CHF 668.5 Mio. lag der Umsatz rund zwei Prozent unter dem Vorjahreswert von CHF 682.5 Mio. Entsprechend sank das Jahresergebnis um 39 Prozent von CHF 13.0 Mio. auf noch CHF 7.6 Mio.

Auszug aus der Präsentation der Hupac AG für die Medienkonferenz 2023. Auch die übrigen Graphiken wurden mit dem besten Dank an die Hupac AG dieser Präsentation entnommen.

Erfreulich ist, dass der Anteil des Schienengüterverkehrs im alpenquerenden Transit durch die Schweiz mit 74 Prozent konstant blieb. Seit dem Höchststand im Jahr 2000 mit 1.4 Mio. Lastwagenfahrten wurden 2022 noch etwa 800’000 Fahrten verzeichnet.

Nach einem verheissungsvollen Geschäftsgang im ersten Quartal 2022 mit einem Umsatzplus von zehn Prozent gegenüber 2021 verdüsterte sich das Umfeld mit zunehmender Tendenz gegen das Jahresende hin. Neben einer Abschwächung in den Kernmärkten schlugen steigende Energiekosten und desaströse Qualitätsprobleme auf dem deutschen Eisenbahnnetz auf den Umsatz durch. Im Sommer fielen auf den Zulaufstrecken in Deutschland bis zu 20 Prozent der Züge aus und zwangen Kunden, Sendungen auf die Strasse zu verlagern.

Gegenüber der Konkurrenz konnte Hupac AG den Anteil von etwa 50 Prozent im alpenquerenden Transitverkehr halten. Gesamthaft jedoch stagniert die Verlagerung des Güterverkehrs durch die Alpen. Ab Mitte Jahr waren Rückverlagerungseffekte auf die Strasse erkennbar. Trotz der Abnahme des Schienengüterverkehrs hat sich dessen Qualität nicht verbessert. 

Hupac AG hat den Umsatzrückgang mit verschiedenen Massnahmen abgefedert. So wurden Kosteneinsparungen vorgenommen und einzelne Stellplätze auf ihren Ganzzügen an Dritte verkauft. Ganzzüge erreichen die Gewinnschwelle erst ab einer Ladequote von achtzig Prozent. Teilweise hat Hupac AG auch ganze Züge an Dritte «verkauft». Infolge der tiefen Pegelstände auf dem Rhein wurden im Gegenzug Frachten von der Rheinschifffahrt übernommen.

Die hohen Preise für Energie wirkten sich besonders im Industriesektor der europäischen Wirtschaft negativ aus. Die Aussichten des sekundären Bereichs haben sich besonders gegenüber dem Dienstleistungssektor stark zurückgebildet. So erwarten die Unternehmen der chemischen Industrie in Deutschland im laufenden Jahr einen Umsatzrückgang von zwölf Prozent.

Trotz dem widrigen Umfeld glaubt Hupac AG an die Zukunft und hält an der Unternehmensstrategie fest. 2022 wurden die Investitionen in den Wagenpark und die Informatik erhöht. Mit dem italienischen Infrastrukturbetreiber RFI wurde ein Joint Venture für den Bau eines Grossterminals auf dem Gelände des Güterbahnhofs Milano Smistamento abgeschlossen.  Effiziente Terminals – so Hans-Jörg Bertschi – sind für den langfristigen Erfolg des kombinierten Verkehrs von entscheidender Bedeutung.

Sorgen bereiten der Hupac AG die auch in den kommenden Jahren anhaltenden Streckensperrungen auf der deutschen Zufahrtsstrecke zur NEAT. 2024 wird die Strecke bei Rastatt für weitere sieben Wochen vollständig gesperrt, und zwischen 2025 bis 2029 sind beim Rhein-Alpin-Korridor während insgesamt vier Monaten weitere Vollsperrungen vorgesehen. Und das auf einer der wichtigsten europäischen Güterverkehrsachsen!

Finanzielles Ergebnis und Personalentwicklung / Benedetta Masciari, CFO

Benedetta Masciari erläutert den Jahresabschluss 2022 der Hupac AG. Der Fünfjahresvergleich relativiert das Ergebnis des Geschäftsjahres 2022 im Mehrjahresvergleich.

Trotz der unsicheren Zukunft wurden 2022 hohe Investitionen von CHF 475 Mio. getätigt – der Grossteil davon in neues Rollmaterial und in Terminals.

Auch der operative Cash Flow knüpft mit Ausnahme des ausserordentlichen Geschäftsjahres 2021 wieder an die vor Corona erreichten Werte an.

Die zuversichtliche Einschätzung der zukünftigen Entwicklung äussert sich auch bei der wachsenden Mitarbeiterzahl. 2022 wuchs der Personalbestand um 49 Personen, und im laufenden 2023 sollen weitere 30 Mitarbeitende eingestellt werden. Ende 2022 beschäftigte Hupac AG 677 Mitarbeitende.

Betriebliche Entwicklung und Ausblick / Michael Stahlhut, CEO

Michael Stahlhut informiert über die Entwicklung in den einzelnen Korridoren. Insgesamt wurden 2022 rund 1.104.000 Strassensendungen transportiert. Das entspricht gegenüber dem Vorjahr einem Rückgang von 1,8 Prozent. Ein Rückgang in den klassischen drei wichtigsten drei Korridoren konnte durch das Wachstum im Südost- und im Südwestkorridor nur teilweise kompensiert werden. Der Verkehr mit den Häfen war gelegentlich durch Stausituationen handicapiert.

Michael Stahlhut sieht für Hupac AG ein grosses Potential für Transporte aus Spanien und von den Häfen in Ligurien. Nicht zuletzt der 2026 in Betrieb gehende Terzo Valico-Tunnel zwischen Genua und der Poebene soll im Verkehr mit den ligurischen Häfen einen Aufschwung bewirken.

Anhaltende Sorgen bereiten die Zustände auf den Zufahrtsachsen aus dem Norden. Der Knoten Köln erweist sich zunehmend als Flaschenhals. Theoretisch stehen zwischen Rotterdam und Mailand rund 50 Bypässe zur Verfügung. Einige davon müssten jedoch zuerst für den Mehrverkehr ausgebaut werden. In vielen Fällen ist das kurzfristig kaum möglich.

Grosse Hoffnung wird auf den Ausbau der Strecke zwischen Wörth und Strassburg gesetzt, die sich mit einem vergleichsweise geringen Mittelaufwand ertüchtigen liesse. Angestrebt wird, in naher Zukunft stündlich einen Güterzug über diese Strecke und weiter durch das Elsass nach Basel zu führen.

Eher kritisch präsentieren sich die Aussichten für das laufende Jahr. Dem teilweise bereits verzeichneten Rückgang wird ab 2023 mit einem Stabilisierungsprogramm begegnet. Dieses soll a) das Netzwerk erhalten, b) die Rückverlagerung auf die Strasse verhindern und sich c) Hupac AG mit weiteren strategischen Investitionen noch besser für die Zukunft rüsten.

Mit Unterstützung des Bundesamtes für Verkehr soll das Terminal in Milano Smistamento mit Investitionen von CHF 110 Mio. unter anderem für 750 Meter lange Güterzüge erweitert werden. Heute können nur 620 Meter lange Güterzüge zusammengestellt werden. Wie von Hans-Jörg Bertschi erwähnt, beteiligt sich auch die italienische Infrastrukturbetriebsgesellschaft Rete Italiana Ferroviaria (RFI) an diesen Investitionen.

Grosse Anstrengungen werden auch auf den Ausbau der Datenplattform KV4.0 für den kombinierten Verkehr gelegt. Diese von der Firma DV Intermodal in Frankfurt entwickelte IT-Lösung soll den Datenaustausch unter allen Beteiligten in Echtzeit ermöglichen und so die Disposition und die Überwachung des kombinierten Verkehrs wirkungsvoll unterstützen.

Entwicklung Südhäfen / Bernhard Kunz, Mitglied des Verwaltungsrates

Bernhard Kunz erwartet eine partielle Verlagerung des Gütertransits durch die Schweiz von der Nord-Süd- in die entgegengesetzte Richtung. Die Häfen in Ligurien wurden in den letzten Jahren stark ausgebaut, und der Terzo Valico-Tunnel als wichtige Infrastruktur wird die Erschliessung der Häfen mit der Eisenbahn substantiell verbessern. Der Güterumschlag über die Mittelmeerhäfen nach Europa anstatt über die Häfen an der Nordsee verkürzt die Transportdauer von Sendungen aus dem Fernen Osten um bis zu fünf Tage. Man geht davon aus, dass die Güterströme aus dem Fernen Osten nach Zielen südlich von Mannheim mittelfristig primär von Süden nach Norden verlaufen. Diese Entwicklung begünstigt gemäss Bernhard Kunz neben der Poebene die Schweiz, das Elsass und Süddeutschland.

Der Anteil der Schiene an den Gütertransporten aus dem Hafen von Hamburg liegt über 50 Prozent, derjenige von Rotterdam ins Hinterland beträgt 45 Prozent. Die entsprechenden Werte liegen bei den italienischen Häfen bei höchstens 25 Prozent – das Potential für die Schiene ist gross. Zudem gerät die Binnenschifffahrt wegen den sich häufenden Tiefwasserständen auf dem Rhein zunehmend unter Druck. Der Süden, so Bernhard Kunz, ist bereit.

Verkehrspolitische Forderungen / Hans-Jörg Bertschi, Präsident des Verwaltungsrates

Hans-Jörg Bertschi erläutert die Qualitätsprobleme auf dem Nord-Süd Korridor. Stabilität und Qualität sind elementare Voraussetzungen für die Sicherung der Verkehrsverlagerung und für weiteres Wachstum. Der drohenden Rückverlagerung von Teilen des Güterverkehrs auf die Strasse  soll mit a) Qualitätsverbesserungen beim internationalen Schienengütertransit durch die Alpen, b) finanzielle Unterstützung des kombinierten Verkehrs bis zum wirtschaftlichen Wiederaufschwung, c) Weiterführung der Rollenden Autobahn bis 2028 und d) besseres Management der Lieferketten durch einen verstärkten Einsatz der IT, begegnet werden.

In einem breiten Tour d’Horizon hält Hans-Jörg Bertschi folgendes fest:

  • Die Kommunikation der Probleme auf der politischen Ebene ist unzureichend. Seit einigen Jahren fanden auf Ministerebene keine Gespräche mehr zur Lösung der Probleme statt.
  • Italien verzeichnete von 2020 bis 2022 als eines der wenigen europäischen Länder ein Exportwachstum.
  • Die Probleme auf der Schieneninfrastruktur beginnen in Deutschland eigentlich erst nördlich von Karlsruhe. Südlich läuft der Verkehr im Allgemeinen zufriedenstellend.
  • Hans-Jörg Bertschi fordert für die Bahnen eine Abfederung der hohen Stromkosten.
  • Auch liegen die Trassenpreise in der Schweiz für den Güterverkehr erheblich über dem europäischen Niveau. Zudem sollen diese in Deutschland gesenkt werden. Eine Reduktion der schweizerischen Trassenpreise ist überfällig. Entsprechende Initiativen sind im Gang.
  • In der EU sollen die Ansätze für die Maut für einen durchschnittlich beladenen LKW pro Kilometer von EUR -.20 auf EUR -.40 verdoppelt werden. Der Vergleichswert der LSVA liegt bei CHF 1.-. In Deutschland beträgt der Anteil von Drittfirmen am UKV zwei Drittel, die DB AG bewältigt noch knapp ein Drittel. SBB Cargo International ist in Deutschland nach der DB AG der grösste Carrier im UKV.

Zusammenfassend gibt das folgende Schaubild die wichtigsten verkehrspolitischen Forderungen der Hupac AG wieder:

Diskussion und Fragen

Ein Votant stellt anhand der Steigung von zwei Prozent auf der südlichen Zufahrt zum Simplon Tunnel die Frage, ob die Bezeichnung «Flachbahn» gerechtfertigt ist. Bernhard Kunz entgegnet, dass diese Steigung auch für schwere Güterzüge dank den leistungsstarken Lokomotiven unproblematisch ist.

Aus dem Publikum wird die zuversichtliche Einschätzung der Machbarkeit der Verbindung von Wörth nach Strassburg in Frage gestellt. Vincent Ducrot hat sich kürzlich bei einer Veranstaltung dazu sehr skeptisch geäussert. Ein Votant kennt die Verhältnisse der Strecke bestens und weist unter anderem auf die zahlreichen ungesicherten Bahnübergänge und Ortsdurchfahrten hin.

Ein Votant weist auf fehlende direkte Verbindung von Milano Smistamento zur Strecke von Monza nach Chiasso hin und plädiert infolge der Trassenknappheit zwischen Milano Greco Pirelli und Seregno für eine dem Güterverkehr vorbehaltene Neubaustrecke zwischen Bivio-Rosales und Milano Smistamento. Er befürchtet, dass das Fehlen dieser Verbindung zu einer Abwanderung von Güterverkehr von der Gotthard- zur Brennerachse führen könnte. Nicht zuletzt deshalb, weil die Inbetriebnahme der Neubaustrecke von Brescia nach Verona zu freien Trassen auf der Bestandesstrecke führt.

Relation Bivio Rosales – Milano Smistamento (Auszug aus dem Eisenbahnatlas Italien-Slowenien von Schweers+Wall).

Kommentar

Kurz vor dem Mittag schliesst Hans-Jörg Bertschi die Bilanz-Medienkonferenz 2023 der Hupac AG. Die Referate und die vorliegenden Informationen lzeigen, dass Hupac AG für die zukünftigen Herausforderungen gut aufgestellt ist und von einem engagierten Team geführt wird.

Nachtrag

Der renommierte Bahnjournalist, Kurt Metz, prognostiziert in seinem Beitrag vom 4. Mai 2023 in der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) für Hupac im laufenden Jahr einen Rückgang des Verkehrsaufkommens zwischen 10 und 15 Prozent. Mögen sich die konjunktureller Bedingungen derart verbessern, dass dieses Szenario nicht eintritt.

VAP Forum Güterverkehr – aktuell und gehaltvoll!

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Der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP) widmete das «Forum Güterverkehr» vom 20. April 2023 der Multimodalen Güterverkehrslogistik. Etwa hundert interessierte Personen folgten den spannenden Referaten und den beiden Podiumsdiskussionen. Daneben boten die Pausen und der Stehlunch die Möglichkeit, die Thematik zu vertiefen und weitere Fragen des Schienengüterverkehrs zu diskutieren.

Mehr über diese gehaltvolle Veranstaltung in diesem Beitrag.

Begrüssung durch Dr. Frank Furrer, Generalsekretär VAP

Nach der Begrüssung eröffnet Dr. Frank Furrer die Veranstaltung und gibt einen kurzen Überblick über das Programm.

Detailprogramm des Forums. Das Referat von Florian Schimandl fiel leider aus. (Quelle: VAP).

Dr. Frank Furrer stellt einleitend fest, dass die in Europa und in der Schweiz angestrebte Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene trotz einem enormen Mitteleinsatz nicht erreicht wurde. Im Gegenteil – der Anteil des UKV am Modalsplit des Güterverkehrs ist seit der Jahrtausendwende gesunken und liegt zurzeit etwa 20 Prozent unter den Erwartungen.

Die EU hat ihre Erwartungen für die Periode von 2005 bis 2050 vor diesem Hintergrund angepasst. Im Weissbuch 2011 der EU war für die Periode von 2005 bis 2030 ein Zuwachs von 60 Prozent vorgesehen, und von 2005 bis 2050 war ein Wachstum von 87 Prozent geplant. In Anbetracht dieser Entwicklung wurden die Mengenziele per 2030 gesenkt, im Gegenzug per 2050 jedoch erhöht.

Die Erreichung dieser ambitiösen Ziele erfordert gewaltige Investitionen. Die Strategie 2020 beziffert den zusätzlichen Investitionsbedarf für den Schienengüterverkehr in Europa auf EUR 100 Milliarden – pro Jahr! Dr. Frank Furrer hält fest, dass für die angestrebte Verlagerung von den Staaten und von der Branche viel abverlangt wird.

Multimodalität – zur Revision des Güterverkehrsgesetzes / Dr. Peter Füglistaler, BAV

Dr. Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamtes für Verkehr BAV, fasst die Vorgeschichte und den Ablauf der Vernehmlassung des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für den Schweizer Gütertransport zusammen. Während der Eingabefrist vom 2. November 2022 bis zum 24. Februar 2023 wurden 103 Stellungnahmen eingereicht. Der Bundesrat wird dem Parlament im Herbst 2023 eine Botschaft unterbreiten.

In der Vernehmlassung wurden für die Zukunft des nationalen Schienengüterverkehrs zwei Varianten unterbreitet. Die Variante 1 enthält sechs Massnahmen, während sich die Variante 2 auf vier Massnahmen beschränkt.

Massnahmen der beiden Varianten. (Auszug aus der Präsentation von Dr. Peter Füglistaler).

Ein Teil dieser Massnahmen bezieht sich direkt oder indirekt auf die Multimodalität. Beide Varianten sollen die Förderung multimodaler Transportketten stärken und die Nutzung der Angebote im Schienengüterverkehr verstärken. Als Ansätze für die Förderung der Multimodalität stehen bei der Variante 1 a) eine Reduktion des administrativen Aufwandes für die Verlader, b) die Ausweitung der Förderung auf Verlade- und Umschlaggeräte, c) Verbilligungsbeiträge für den Verlad auf die Schiene und d) bessere Berücksichtigung der Infrastrukturen des Gütertransports in der Raumplanung.

Der Schienengüterverkehr ist für die Multimodalität unverzichtbar. Bei dessen Förderung kommt der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) eine grosse Bedeutung zu. Diese soll die Produktivität des Schienengüterverkehrs erhöhen und ist Grundlage für die Digitalisierung des gesamten Schienengüterverkehrs.  Vorschläge sehen vor, MODI, die öffentliche Mobilitätsdateninfrastruktur des Bundes, auf den Güterverkehr auszuweiten und so dessen Effizienz zu steigern.

Multimodalität – Bedürfnisse der Wirtschaft / Sara Udvari, IKEA

 Sara Udvari, Category Managerin Logistics bei der IKEA Supply AG, betont den Stellenwert der Nachhaltigkeit bei den logistischen Prozessen von IKEA. Was für Kunden gut ist, gilt auch für das Unternehmen IKEA. In der Periode von 2017 bis 2030 werden ambitiöse Ziele angestrebt. So soll der CO2-Ausstoss beim Warentransport um 70 Prozent und bei der Lagerung sogar um 80 Prozent reduziert werden. Man ist, so Sara Udvari, bei IKEA auf gutem Weg, diese Ziele zu erreichen.

Diese Ziele sollen unter anderem durch a) die Ablösung der fossilen Energie durch Elektrizität, b) Effizienzsteigerungen und c) die Unterstützung der Lieferanten erreicht werden. Der Anteil von intermodal durchgeführten Transporten wurde gegenüber 2017 um einen Drittel erhöht und macht heute 46 Prozent aus. IKEA legt grosses Gewicht auf eine faktenbasierte Ermittlung des CO2-Fussabdrucks.

Multimodalität – Bedürfnisse der Wirtschaft / Rainer Deutschmann, Migros Genossenschafts-Bund

Migros, so Rainer Deutschmann, Leiter der Direktion Sicherheit und Verkehr beim Migros Genossenschafts-Bund (MGB), will als grösstes Detailhandelsunternehmen der Schweiz, auch bei der Nachhaltigkeit der Logistik führend sein. Multimodalität ist bei der Migros seit vielen Jahren üblich. Neben dem nachhaltigen Einsatz der traditionellen Verkehrsmittel werden mit Cargo Souterrain und mit dem autonomen Fahren auch neue Technologien geprüft.

Migros ist heute der bedeutendste Kunde von SBB Cargo und befürwortet die Eigenwirtschaftlichkeit des Schienengüterverkehrs. Nicht abgelehnt werden befristete Subventionen für Modernisierungen, wie etwa die DAK oder die Förderung der Multimodalität. Eine nachhaltige Förderung der Multimodalität setzt aber grundlegende Veränderungen beim Schienengüterverkehr voraus.

Rainer Deutschmann plädiert für Cargo Souterrain (CST). CST befindet sich bereits in der Realisierungsphase. Die Planung wird verfeinert, und an zahlreichen Stellen sind Sondierbohrungen im Gang. Auch an der Planung der Hubs wird gearbeitet. Neben dem Warenumschlag sollen die Hubs auch die Zwischenlagerung von Waren ermöglichen.

Beim Strassentransport verfolgt Migros einen «Multi-Tech-Ansatz». Mit einem auf der Route basierenden Instrument wird bestimmt, ob elektrisch oder konventionell angetriebene LKW zum Einsatz kommen. Im Rahmen eines Pilotprojektes wird ein mit Wasserstoff angetriebener LKW getestet.

Multimodalität – Bedürfnisse der Wirtschaft / Titus Bütler, Schweizerische Post

Titus Bütler, Leiter Transporte der Schweizerischen Post, betont die Wichtigkeit der Schienengütertransporte für sein Unternehmen. Zurzeit setzt die Post zwischen den Verarbeitungszentren täglich 15 Züge mit Briefen und 45 Züge mit Paketen ein. Leider sank der Anteil des Anteils der Schiene an der beförderten Menge in den letzten Jahren stetig. Rund 95 Prozent der Züge verkehren pünktlich.

Der überwiegende Teil der Transporte erfolgt auf der Ost-West-Achse. Aber auch für Transporte ins Wallis und in den Kanton Tessin sowie nach Samedan und Schuls setzt die Post auf die Schiene.

Titus Bütler ortet beim Schienengütertransport Optimierungspotential. Er fordert a) eine Angleichung der Geschwindigkeit der Postzüge an diejenige der Personenzüge des Fernverkehrs, b) Gleichberechtigung bei der Trassenzuteilung, c) eine Erhöhung der Pünktlichkeit und d) günstige Frachtpreise. Eine grosse Bedeutung misst die Post auch der DAK als Mittel für die Effizienzsteigerung des Schienengüterverkehrs bei.

Zurzeit testet die Post gemeinsam mit der Firma Hugentobler einen elektrisch angetriebenen LKW. Trotz den hohen Anschaffungskosten von rund CHF 800’000.- liegen die Kosten pro Tonnenkilometer unter denjenigen der Eisenbahn.

Multimodalität – Modernisierung des schweizerischen und europäischen Gütertransports – Jürgen Mayer-Gyomlay, VAP

Jürgen Mayer-Gyomlay, VAP, bezeichnet die Multimodalität als einmalige Chance für den Schienengüterverkehr. Er hat sich aufgrund von Informationen der International Union of Wagon Keepers (UIP) – einer bereits 1950 gegründeten europäischen Vereinigung von über 250 Besitzern von total 234’00 Güterwagen – intensiv mit der Multimodalität auseinandergesetzt.

Jürgen Meyer-Gyomlay ist überzeugt, dass die Schiene als Rückgrat des Güterverkehrs den angestrebten Marktanteil nur mit einer kraftvollen Transformation erreichen kann. Einen wesentlichen Beitrag liegt in der Erhöhung der multimodalen Transporte.

Die Zukunft ist digital. Sie ermöglicht a) Effizienz- und Qualitätsverbesserungen beim Betrieb, b) eine bessere und nachhaltigere Nutzung der Infrastruktur, c) Optimierungen beim Rollmaterial und bei der Infrastruktur sowie d) die Generierung von Kundennutzen durch raschere und präzisere Informationen.

Die ambitiösen Ziele, so Jürgen Meyer-Gyomlay, setzen einen gesamtheitlichen, grenzüberschreitenden Ansatz und einen kraftvollen und konzentrierten Mitteleinsatz aller Mitwirkenden und Betroffenen voraus.

Podiumsdiskussion I

Nach einer kurzen Pause treffen sich die Referentin und die Referenten zu einem von Dr. Jens Engelmann moderierten Podiumsgespräch, das im zweiten Teil für Fragen aus dem Publikum geöffnet wird.

Dr. Peter Füglistaler weist darauf hin, dass grosse Teile des Schienengüterverkehrs bereits heute multimodal sind. Er betont, dass der Wagenladungsverkehr vor der Schicksalsfrage steht. Beim Variantenentscheid des Güterverkehr-Gesetzes (GVG) stehen nicht nur betriebswirtschaftliche Fragen aus Sicht der SBB zur Diskussion, sondern auch volkswirtschaftliche Überlegungen und die Werterhaltung der von den Kunden getätigten Investitionen in ihre Anlagen.

Die Interessen der schweizerischen Post, so Titus Bütler, konzentrieren sich vorab auf Ganzzüge. Rainer Deutschmann verlangt grundlegende Veränderungen beim Schienengüterverkehr und neigt zur Variante 1 des Bundesrates. IKEA setzt beim Schienengüterverkehr praktisch nur Wechselbehälter ein.

Die freie Verkehrsmittelwahl gilt in der Schweiz auch beim Gütertransport. Die Feinverteilung in der Fläche ist und bleibt dem Strassentransport vorbehalten. Die Ablösung der LSVA durch eine CO2-Abgabe wird geprüft. Die Notwendigkeit der DAK ist unbestritten. Auch wird die Forderung nach einem gesamtheitlichen und koordinierten Ansatz einhellig geteilt.

Zukunft der Logistik / Dr. Matthias Prandstetter, AIT

Dr. Matthias Prandstetter, Thematic Coordinater Integrated Transport beim Austrian Institute of Technology (AIT), setzt sich mit der Zukunft der Logistik und deren Umstellung auf Klimaneutralität auseinander. Er fordert rasches Handeln, das sich nicht nur auf die Umstellung auf E-Mobilität vor allem bei LKW beschränken darf. Dr. Matthias Prandstetter sieht die Notwendigkeit von alternativen Logistiklösungen. Entscheidend sind a) die Etablierung der Eisenbahn als echte Alternative, b) eine massive Verbesserung der Qualität des Schienengüterverkehrs, c) günstigere Preise, d) Vermeidung unnötiger Verkehre und e) Strukturierung des Transportsystems analog der Architektur des Internets durch flexible Routen.

Dr. Matthias Prandstetter schliesst mit der Forderung, dass die Zuverlässigkeit des Schienengüterverkehrs auf das Niveau des Personenverkehrs zu heben ist.

Bundesgesetz über die Mobilitätsdateninfrastruktur des Bundes / Monika Zosso, BAV

Monika Zosso hat die Co-Leitung der Sektion Direktionsgeschäfte im BAV inne und ist gleichzeitig Leiterin des Projekts «Daten für ein effizientes Mobilitätsdaten» des Bundes. Monika Zosso bezeichnet Mobilitätsdaten als systemrelevante Infrastruktur. Der Bund will über ein Bundesgesetz für Mobilitätsdaten MODIG diese Infrastruktur schaffen und der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Damit sollen a) Mobilitätsbedürfnisse individuell und nachhaltig befriedigt, b) Mobilitätsangebote gezielter geplant und besser ausgelastet, c) Infrastrukturen effizienter betrieben und genutzt und d) Innovationen gefördert und die Abhängigkeit von privaten Anbietern reduziert werden. Der Zeitplan sieht vor, MODIG und die Mobilitätsdatenbank MODI nach erfolgtem Rechtssetzungsprozess 2026 in Kraft zu setzen.

Struktur von MODI. (Auszug aus der Präsentation von Monika Zosso).

Private und öffentliche Datenquellen sollen in Echtzeit Daten an die nationale Datenvernetzungsinfrastruktur NADIM senden. Die entsprechenden Daten basieren auch auf dem Verkehrsnetz Schweiz, von dem aus auch eine Schnittstelle zu NADIM besteht. Daten aus NADIM  stehen öffentlichen und privaten Nutzern für die Weiterbearbeitung zur Verfügung. Dabei handelt es sich etwa um Mobilitätsanbieter, Webdienste, Schulen und die öffentliche Hand.

Die Daten müssen als Open Data neutral, zuverlässig, kostenlos und in einwandfreier Qualität verfügbar sein. Offen blieb für den Verfasser a) durch wen und wie die Datenlieferanten entschädigt werden, b) wer die Investitionen und die Betriebskosten dieser komplexen Infrastruktur trägt und c) welche Investitionen bei den Endbenutzern erforderlich sind.

Im Rahmen der Revision des Güterverkehrsgesetzes wird erwogen, MODIG als verkehrsträgerübergreifendes Gesetz auf den Güterverkehr auszuweiten. Die Vernehmlassung bei den Transportunternehmen der öffentlichen Hand und bei staatlichen Stellen hat die Wünschbarkeit dieser Erweiterung mit grosser Mehrheit bejaht. Unklar blieb, ob und wie NADIM auch für den Strassentransport geöffnet werden soll.

NADIM könnte im Güterverkehr in vielen Bereichen eingesetzt werden. So beispielsweise bei der Planung von Transportketten, beim Störungsmanagement, für Frachtenbörsen, bei der City Logistik und für Verkehrssimulationen.

KV4.0 – Digitale Datendrehscheibe des Kombinierten Verkehrs / Christoph Büchner, DX Intermodal

Christoph Büchner, Co-Direktor bei DX Intermodal, weist einleitend auf die teilweise desaströse Qualität des kombinierten Verkehrs in Deutschland hin. Lediglich 15 Prozent der Sendungen treffen pünktlich, das heisst innerhalb einer Stunde nach der vereinbarten Zeit, beim Empfänger ein. Die durchschnittliche Verspätung der Sendungen beträgt 24 Stunden.

KV4.0 soll als Datendrehscheibe massgeblich zur Qualitätsverbesserung des kombinierten Verkehrs beitragen. Durch das Sammeln und Zurverfügungstellen von Daten soll die Transparenz über die Laufwege und die Standorte der Sendungen geschaffen werden. Dies mit dem Ziel, Störungen frühzeitig zu erkennen, die Disposition beim Empfänger zu erleichtern und die Störungsbehebung unter anderem durch Umleitungen zu erleichtern.

So gesehen bestehen zwischen KV4.0 und NADIM funktionale Ähnlichkeiten. Zu prüfen wäre, ob KV4.0 anstelle von NADIM auch für den Schienengüterverkehr in der Schweiz eingesetzt werden könnte. Zumal, dass gewisse Funktionen oder Meldungstypen von KV4.0 bei mehreren Akteuren in Deutschland bereits eingesetzt werden. Dem Vernehmen nach werden Netzstörungen der DB AG bereits an KV4.0 übermittelt.

Podiumsdiskussion II

Auch die zweite Podiumsdiskussion mit der Referentin und den Referenten am Nachmittag wird von Dr. Jens Engelmann moderiert. Die mit den Mobilitätsdatenplattformen verfolgten Absichten werden vorbehaltlos begrüsst. Man will damit entsprechenden Aktivitäten von internationalen Internetgiganten zuvorkommen.

Es stellt sich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der verschiedenen staatlichen und privaten Bestrebungen sowie nach dem Business Case. Wo und durch wen werden Vergangenheitsdaten gespeichert, und wie werden die Wagenhalter einbezogen? Weiter werden der Datenschutz und die Datensicherheit angesprochen.

Ein interessanter Ansatz besteht auch darin, dass sich die Waren ihren Weg vom Sender zum Empfänger mit intelligenten Algorithmen verkehrsträgerübergreifend «selber» suchen. Dadurch würde die Effizienz des Güterverkehrssystems durch die gleichmässigere Auslastung der Verkehrsträger erhöht.

Schlusspunkt und Verabschiedung / Dr. Frank Furrer

Dr. Frank Furrer fasst die Ergebnisse des Forums kurz und prägnant zusammen. Güterverkehr auf der Schiene ist keine überholte Beförderungsart, sondern ein wertvolles Instrument für einen nachhaltigen und hochwertigen Gütertransport. Allerdings bestehen grosse Zweifel, ob die aktuellen Strukturen des Güterverkehrs zukunftsträchtig sind. Dr. Frank Furrer beantwortet diese Frage indirekt mit der Forderung nach einem tiefgreifenden Redesign des Schienengüterverkehrs – auf nationaler und internationaler Ebene. Zudem sollten andere Verkehrsträger des Güterverkehrs aus Effizienzgründen in NADIM eingebunden werden.

Mit dem besten Dank an die Referentinnen und Referenten und die Teilnehmenden schliesst Dr. Frank Furrer das ergiebige und anregende Forum Güterverkehr.

Ein Strohhalm namens DAK

Topics

Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) geniesst gegenwärtig eine weit über die Fachkreise hinausgehende Aufmerksamkeit. Sie wird von ihren Befürwortern euphorisch begrüsst und als das Mittel für die Stärkung des innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Güterverkehrs bezeichnet.

Kann die DAK diesen hohen Erwartungen gerecht werden? Mehr darüber in diesem Beitrag!

Rückblick

Automatische Kupplungen sind im Güterverkehr ausserhalb Westeuropas seit Jahrzehnten im Einsatz. Sie beschleunigen das Rangieren, ermöglichen viel höhere Zuglasten und nutzen die Geleise im Vergleich mit Wagen mit Schraubenkupplungen bedeutend weniger ab. Allerdings beschränken sich die meisten automatischen Kupplungen auf das reine Verbinden oder Trennen der Züge und haben keine zusätzlichen Funktionen wie das Führen von Druckluft für das Bremsen der Wagen, die Versorgung der Wagen mit Strom oder elektronischen Daten. Automatische Kupplungen an Triebwagen für den Personenverkehr nehmen diese Funktionen bereits heute sehr wohl war, aber müssen keine oder nur geringe Zugkräfte auffangen.

Einsatz von automatischen Kupplungen weltweit, mit Angabe des Jahres der Einführung (Quelle: BMDV).

Die Bestrebungen, europaweit eine automatische Kupplung einzuführen, sind nicht neu. Bereits 1970 wurde an der europäischen Verkehrsministerkonferenz die Einführung einer automatischen Kupplung der Bauart AK69e/Intermat beschlossen, und zwar in West- und Osteuropa. Die Umsetzung dieses Beschlusses scheiterte 1973 an der Weigerung der europäischen Verkehrsminister, die dazu erforderlichen riesigen Investitionen zu subventionieren. Als Folge dieses Beschlusses zog sich Frankreich zurück und setzte auf den TGV.

Die europäischen Güterbahnen streben mit der Digitalen automatischen Kupplung (DAK) aus dem Stand heraus einen Quantensprung an. Sozusagen die Genese des berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Die DAK soll nicht nur Güterwagen mechanisch verbinden, sondern auch Druckluft-, Strom- und Datenleitungen. Darüber hinaus soll die DAK das automatische Rangieren bzw. das Verbinden oder Trennen von Güterwagen ermöglichen. Unter der Bezeichnung «DAC4EU» läuft gegenwärtig ein von mehreren europäischen Bahnen und Wagenbesitzern getragenes Grossprojekt zur Einführung der DAK. Der Steuerungsausschuss «European DAC Delivery Programme» (EDDP) hat als leitendes Gremium das Konzept der Scharfenberg-Kupplung als Basis für die DAK festgelegt. Die erste Version dieser Kupplung wurde bereits 1903 entwickelt.

Zum ersten Mal hat die Deutsche Bahn einen völlig neuen Kupplungsmechanismus für ihre Güterwagen präsentiert. Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) beschleunigt das Zusammenstellen von Güterzügen. Bild und Text wurden mit dem bestem Dank der Website von DB Cargo entnommen.

Die Scharfenberg-Kupplung Typ 10 ist unter anderem bei den TGV-, ICE- und Thalys-Hochgeschwindigkeitszügen im Einsatz. Als Pionierunternehmen hat SBB Cargo AG im Mai 2019 im nationalen kombinierten Verkehr einen Versuchsbetrieb mit einer DAK aufgenommen. Dazu wurden 100 Wagen und 25 Lokomotiven mit der «Voith-Cargo Flex»-Kupplung, einer Weiterentwicklung der Scharfenberg-Kupplung des Typs 10, ausgerüstet.

Kritik

 Das gewählte Vorgehen wird von erfahrenen Fachleuten aus der Wissenschaft und der Praxis kritisiert. So haben Prof. Dr. mult. Bernd H. Kortschak und Dipl. Ing Peter Molle am 5. April 2022 an der 47. Fachtagung «Moderne Schienenfahrzeuge» scharfe Kritik geübt. Beanstandet werden unter anderem die zu schnelle Konzentration auf einen einzigen Kupplungstyp, die zu hohe Störungsanfälligkeit, die fehlenden Betriebsversuche mit grossen Anhängelasten und die Komplexität der gewählten Kupplung. Der Auszug aus dem «Sonderheft Tagungsband» der Zeitschrift ZEV Rail steht über diesen Link zur Verfügung: ZEV 2022 DAK Kortschak Molle

Dazu kommt, dass gemäss dem Jahrbuch 2012 der schweizerischen Verkehrswirtschaft, Seite 25, eine Analyse von ETH und SBB gezeigt hat, «dass die Mehrkosten einer vollkompatiblen automatischen Kupplung über den gesamten Lebenszyklus hinweg nicht durch Produktivitätsgewinne kompensiert werden können».

Noch pessimistischer sieht es ein kritischer Beobachter, der den laufenden Massnahmen eine Alibifunktion unterstellt und ein Scheitern befürchtet. Erstaunlich ist, dass das «Deutsche Bundesministerium für Digitales und Verkehr» BMDV die Entwicklung der DAK mit nur gerade EUR 13 Millionen unterstützt. Bemerkenswert ist auch, dass die Redaktion der GRV-Nachrichten in einer Stellungnahme zu einem kritischen Beitrag über die Entwicklung der DAK die Meinung vertritt, dass aus europaweiter Warte «eine mangelnde Komptabilität kein absolutes Ausschlusskriterium sein muss.» – nota bene der DAK!

Folgerungen

Meinung gegen Meinung. Ich kann die Erfolgsaussichten der laufenden Bestrebungen für die Einführung der DAK nicht beurteilen. Mir scheint, dass wichtige europäische EVU nicht an der Entwicklung beteiligt sind. Zudem erscheint der administrative Überbau beträchtlich.

Ich teile die meines Erachtens überhöhten Erwartungen bezüglich des Potentials einer europaweit eingesetzten DAK als Mittel für die Wiederbelebung des europäischen Schienengüterverkehrs nicht. Die DAK ist höchstens eine Voraussetzung unter mehreren. Um mehr Güter auf die Schiene zu bringen, sind andere und weitreichendere Massnahmen erforderlich. Dazu zählen meines Erachtens hauptsächlich folgende Massnahmen:

  1. Substantielle Erhöhung von Zuverlässigkeit und Servicequalität. Zurzeit gelten nur 15 Prozent der Güterzüge in Deutschland als pünktlich und erreichen so ihr Ziel mit weniger als einer Stunde Verspätung. Neben den gewaltigen Verspätungen war Hupac 2022 mit zahlreichen Zugsausfällen konfrontiert.

  2. Wiedergewinnung von hochwertigen oder zeitkritischen Gütern wie beispielsweise Früchte und Gemüse durch eine qualitativ einwandfreie sprich pünktliche Transportleistung.

  3. Angleichung der Geschwindigkeit der hochwertigen Güterzüge an diejenigen der Personenzüge. Das erfordert eine Reduktion der Geschwindigkeit der Reisezüge auf gemeinsam befahrenen Strecken wie beispielsweise in den neuen Alpentunnels und die gleichzeitige Entwicklung von neuen Güterwagen für höhere Geschwindigkeiten – idealerweise für Geschwindigkeiten von 160 Km/h.

    Im Tunnel unter dem Ärmelkanal fahren die Personenzüge und die Shuttlezüge gleich schnell – nicht aber auf den von den Personenzügen mit bis über 300 Km/h befahrenen Zulaufstrecken. In der Schweiz ist es salopp ausgedrückt umgekehrt – in den langen Basistunnels verkehren die Personenzüge doppelt so schnell wie die Güterzüge. Das kostet wertvolle Trassen.

  4. Gleichbehandlung von Personen- und Güterverkehr bei der Zuteilung und Überwachung von Trassen. Grenzüberschreitende Festlegung und Sicherung von Trassen auch für den Güterverkehr. Güterzügen mit hochwertiger oder verderblicher Fracht sind gegenüber Personenzügen zu privilegieren und müssen auch bei Streiks geführt werden.

  5. Trennung von Personenfern-, Personennah- und den Güterverkehr in den Metropolitanräumen, gegebenenfalls sogar durch den Bau von neuen Strecken.

  6. Wahrheitsgetreue Kommunikation von Politikern, Bahnen und Medien an die Öffentlichkeit und die Stimmbürger. So wurde der Bau der NEAT überwiegend mit der Güterverkehrsverlagerung begründet. Auch die bewährte Lok 2000 wurde anfänglich dem Vernehmen nach mit der Traktion von Güterzügen im alpenquerenden Güterverkehr beschafft. Heute dienen beide Investitionen vorab dem Personenverkehr.

    Wichtig ist auch ein Paradigmenwechsel für den Nutzen des Schienengütertransports. Güter sollen nicht aus ökologischen Argumenten auf die Schiene verlagert werden, sondern weil der Transport zuverlässig, wesensgerecht, sicher und kostengünstig erfolgt. Der so erzielte Mehrverkehr verbessert den Modalsplit zugunsten der Schiene und trägt so wirkungsvoll zum Schutz der Umwelt bei.

  7. Kostensenkungs- und Rationalisierungsmassnahmen bei den staatlichen Güterbahnen. Der Marktanteil der nichtbundeseigenen Güterbahnen in Deutschland am innerdeutschen Schienengütertransport von inzwischen über 50 Prozent legt den Handlungsbedarf schonungslos offen. Das gleiche gilt auch für die Schweiz, belegt durch das Beispiel des EVU Rail Care von Coop oder der eindrückliche Aufstieg des EVU Widmer Rail Service (WRS). Einem innovativen Quereinsteiger aus der Gesundheitsbranche gelingt es, der Staatsbahn Marktanteile abzugewinnen!

  8. Deshalb müssen die europäischen Güterbahnen in wenigen und europaweit tätigen – und idealerweise privaten – Güterbahnen wie in Nordamerika fusioniert werden.

    Dazu müsste sich auch die Schweiz bewegen. EVU wie BLS Cargo AG oder SBB Cargo International AG müssen endlich zusammengelegt werden oder in einen grossen europäischen Carrier aufgehen.

    Konsequenzen dieser Zusammenlegung wären unter anderem a) grenzüberschreitende Güterzüge ohne Grenzaufenthalt, b) die Verkleinerung von ausgedehnten Grenzbahnhöfen und c) administrative Vereinfachungen durch den Übergang des Managements der Güterverkehrskorridore von Behörden an das jeweilige EVU.

Der Schienengüterverkehr kann in seiner Gesamtheit seine so dringend notwendige Revitalisierung nur auf europäischer Ebene schaffen – davon wird auch der wesensgerecht ausgelegte nationale Schienengüterverkehr profitieren. Um die Aufwuchsfähigkeit zu erhalten – und nur darum – muss der nationale Wagenladungsverkehr erhalten bleiben. Auch wenn er dafür vorübergehend auf Subventionen angewiesen ist.

Konklusion

Es gilt – wie gezeigt – zahlreiche und gewichtigere Probleme zu lösen als sich auf die DAK zu konzentrieren. Durch die starke Fokussierung auf die DAK – und die Möglichkeit ihres Scheiterns – geht viel Zeit verloren. Es wäre der Revitalisierung des europäischen Schienengüterverkehrs zuträglicher, wenn DB Cargo, SBB Cargo zuerst die Hausarbeiten erledigen würden, wie beispielsweise die Förderung von Qualität und Pünktlichkeit.

Man kann es nie genug wiederholen, es braucht ein dezidiertes und koordiniertes Handeln aller Beteiligter auf europäischer Ebene. Und dafür stehen die Sterne schlecht! Wie soll es der Alte Kontinent schaffen, ein effizientes Güterverkehrssystem heranzubilden, wenn es nicht einmal gelingt, eine einheitliche europäische Armee zu schaffen. Und dies trotz den hohen Ausgaben der einzelnen Staaten für die Verteidigung.

Fachmedienkonferenz 2023 Stadler Rail / FLIRT H2

Topics

Am 16. März 2023 folgten knapp zwei Dutzend Mitglieder der Bahnjournalisten Schweiz der Einladung von Stadler Rail AG zur Fachmedienkonferenz 2023. Nach einem ausführlichen Überblick über den Geschäftsgang von Stadler wurde über technische Entwicklungen informiert. Nach den überaus interessanten Präsentationen bot sich Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Werkhallen am Standort Bussnang. Am Nachmittag folgten die Besichtigung und eine Probefahrt mit dem eigens für einen Betreiber in San Bernardino im Süden von Kalifornien produzierten und mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb motorisierten Flirt-Triebwagenzug.

Begrüssung durch Gerda Königsdorfer, Head of Group Communications von Stadler Rail AG

Gerda Königsdorfer, oberste Kommunikationsverantwortliche, begrüsst über 20 Medienfachleute zur Fachmedienkonferenz 2023 und zur Testfahrt mit dem Flirt H2. Sie bedankt sich fürs Kommen und für das Interesse an Stadler Rail. Im Anschluss an drei Referate haben die Teilnehmenden die Möglichkeit zu einem Werkrundgang und – am Nachmittag – zu einer Testfahrt mit dem Flirt H2, dem mit Wasserstoff angetriebenen Flirt für die San Bernardino County Transport Authority (SBCTA), eine Stadt in Südkalifornien bei Los Angeles.

Stadler Rail AG heute – Referat von Markus Bernsteiner, Group CEO

Markus Bernsteiner informiert über wesentliche Ereignisse bei Stadler. Die Firma blickt auf eine eindrückliche Expansionsphase zurück. Auftragseingang und Auftragsbestand haben 2022 neue Rekordstände erreicht. Mit Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer wurde der Verwaltungsrat von Stadler Rail AG weiter gestärkt.

Bestellungen 2022 und Bestellungsvorrat.

Markus Bernsteiner erläutert die von Stadler bearbeiteten Marktsegmente und die entsprechenden Fahrzeuge. Bemerkenswert sind die Erfolge mit der Lokomotive EURO9000, der stärksten sechsachsigen Lokomotive.

Anschliessend erläutert Markus Bernsteiner die globalen Märkte für Triebfahrzeuge. Die Zielmärkte von Stadler haben ohne China ein jährliches Volumen von rund CHF 26 Milliarden. Mit einem Umsatz von CHF 3.2 Milliarden beträgt der aktuelle Marktanteil von Stadler rund 13 Prozent – eine stolze Leistung für das relativ junge Unternehmen.

Strategische Märkte Stadler.

Eindrücklich ist auch das verhältnismässig dichte europaweite Netz von Servicestandorten. Stadler sucht die Nähe zu den Kunden. Dies ist unter anderem ein Beweis für die Servicequalität von Stadler für die eingesetzten Produkte.

Service Standorte von Stadler Rail.

Besonders stolz ist Stadler auf den Erfolg der Sparte Signaltechnik. In nur fünf Jahren wuchs dieser Bereich von fünf auf 600 Mitarbeitende, die an mehreren Standorten beschäftigt sind. Das von Stadler entwickelte «Guardia»-System für die ETCS-Infrastruktur in Fahrzeugen wurden von mehreren europäischen Eisenbahnaufsichtsbehörden homologisiert.

Produkte im Segment Signalling.

Innovation und Wachstum – Referat von Dr. Ansgar Brockmeyer, stv. Group CEO

Dr. Ansgar Brockmeyer erläutert den Nutzen der Eisenbahn als umweltfreundlichstes terrestrisches Transportsystem. Besonderes Augenmerk widmet Stadler der Förderung der Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge – unter dem Begriff der Dekarbonisierung vor allem dem Ersatz des Dieselantriebes durch umweltfreundlichere Antriebe. Anhand einer Folie zeigt Dr. Ansgar Brockmeyer das CO2-Einsparpotential der verschiedenen Antriebsarten. Überraschend tief ist mit 26 Prozent das Einsparpotential von Wasserstoff-Brennstoffantrieben, dies im Gegensatz zu 77 Prozent bei batteriebetriebenen Triebwagenzügen.

Potentiale der Dekarbonisierung.
Gesamteffizienz von Antriebskonzepten.

In Anlehnung an die bewährten GTW-Triebwagenzüge werden neu auch bei Flirt zwischen die Wagen Module mit Bestandteilen der Antriebstechnik, die sogenannten «Power-Pack», eingereiht. Diese bieten Raum für die neuartigen Energiequellen, seien es Batterien oder die Wasserstoff-Brennstoffzellen. Am Nachmittag bietet sich Gelegenheit zu einer Besichtigung und Fahrt mit einem H2-betriebenen Flirt.

Dr. Ansgar Brockmeyer beendet seine Ausführungen mit einem Überblick über die von Stadler angebotenen umweltfreundlichen Antriebssysteme und bereits damit ausgerüstete Fahrtzeuge. Bemerkenswert ist das Faktum, dass 2022 mehr Fahrzeuge für Stadtbahnen und Strassenbahnen bestellt wurden als traditionelle Vollbahn-Triebwagenzüge.

Auftragseingang 2022 nach Produktsegmenten.

Präsentation TINA – Präsentation von Dirk Schillings, CTO LRV

Dirk Schillings, CTO des Bereichs Light Rail Vehicles LRV, erläutert die Entstehungsgeschichte der Strassenbahn TINA (Total Integrierter Niederflur-Antrieb), einem neuen Verkaufserfolg von Stadler. 2017 wurde bei Stadler in Anbetracht der unsystematischen Angebotspalette von Strassenbahnen die Notwendigkeit einer Systematisierung und Vereinheitlichung erkannt. In der Folge wurde in rekordkurzer Zeit mit TINA ein völlig neues und vielfältig einsetzbares Drehgestell entwickelt, das in verschiedenen Ausprägungen und mit modularen Wagenkästen erhältlich ist.

Kennzahlen TINA.

Mit diesem Drehgestell ausgerüstete Strassenbahnfahrzeuge wurden vom Markt sehr gut aufgenommen, wie die bereits eingegangenen festen Bestellungen von 191 Fahrzeugen eindrücklich belegen. Die neuen Fahrzeuge zeichnen sich a) durch Kundenfreundlichkeit – komplett barrierefreier Boden, grosse Panoramafenster, etc. – b) Wartungsfreundlichkeit und c) übersichtliche, grosszügige und sichere Führerkabine aus.

Absatzerfolg 2022 TINA.

Rundgang durch das Werk Bussnang

Nach diesen spannenden Referaten lädt Dr. Ansgar Brockmeyer zu einem Werkrundgang ein. Neu und von den Anwesenden freudig begrüsst wird das Angebot, von ein paar ausgesuchten Standorten Bilder aufzunehmen. Das bisher geltende Verbot auf Fotoaufnahmen ist gemäss Dr. Ansgar Brockmeyer hauptsächlich auf Anforderungen der Besteller der Fahrzeuge zurückzuführen.

Beeindruckend ist die Führung durch die gut ausgerüsteten und hellen Werkshallen. Imposant ist auch die Vielfalt der Fahrzeuge in verschiedenen Fertigungsstufen. Besonders beeindruckt haben den Verfasser die Farbenpracht und die beispielhafte Ordnung und Sauberkeit in den Hallen. Neben den Fahrzeugen selbst scheint auch die Organisation des Fertigungsprozesses eine ingenieurmässige Spitzenleistung zu sein.

Nachstehend ein paar Bilder vom Rundgang.

Präsentation und Testfahrt mit dem Flirt H2 für SBCTA

Nach dem offerierten exzellenten Mittagessen besammeln sich die Anwesenden vor dem Bus zur Fahrt nach Hemishofen. Die Reise führt bei prächtigem Frühlingswetter über eher wenig befahrene Strassen über den Seerücken an den Untersee und von hier weiter über Stein am Rhein nach Hemishofen.

Heimishofen liegt an der stillgelegten Bahnstecke zwischen Etzwilen und Singen, die zurzeit nur noch von Zügen einer Museumsbahn befahren wird. Aber nicht nur – Stadler Rail darf Teile dieser nicht elektrifizierten Strecke für das Testen von Fahrzeugen benutzen.

Bahnhofsgebäude von Hemishofen.

Erwartungsvoll harren die Anwesenden vor dem Bahnhof von Hemishofen der Dinge, die da kommen sollen. Pünktlich um 14.00 Uhr nähert sich der angekündigte Star des Nachmittages, der von einem H2-Brennstoffzellenmotor angetriebene zweiteilige Flirt-Triebwagenzug. Der Zug wurde als Einzelanfertigung von der San Bernardino County-Transport Authority SBCTA für den Einsatz zwischen dem Stadtzentrum von San Bernardino und der Redlands-Universität bestellt. Wie zu vernehmen war, wurden für vier weitere Züge Vorverträge unterzeichnet, und für weitere 20 wurden Optionen vereinbart. Der Zug präsentiert sich dank der «Erlkönig-Schutzfolie» prächtig.

Soeben eingefahrener Flirt.
Führerkabine. Man beachte die Beschriftung.

Im «Power-Pack» sind drei Wasserstoff-Brennstoffzellenantriebe angeordnet. Diese liefern den Strom für den Antrieb und die übrigen Geräte des zweiteiligen Zuges. Bemerkenswert ist, dass bei Aussentemperaturen von 45 Grad fast ein Drittel der Energie für den Betrieb der Klimaanlage benötigt wird. Für die vierteiligen Züge wird das «Power-Pack» mit einem zusätzlichen Brennstoffzellenantrieb ausgerüstet.

Power-Pack.

Der Wasserstoff wird in 40 relativ kleinen Tanks mitgeführt. Der Druck beträgt bei der Füllung 350 bar, wobei die aus Kunststoff hergestellten Tanks aus Sicherheitsgründen nie völlig geleert werden dürfen. Die maximale Reichweite des Zuges liegt mit vollen Tanks bei etwa 700 Kilometern. Der Ladevorgang für alle Tanks beträgt 15 Minuten. Die beim Bremsen erzeugte Energie wird mit Batterien aufgefangen – eine umweltfreundliche Technologie, die Stadler auch bei anderen Antriebsarten einsetzt.

Für die technischen Daten des Flirt H2 wird auf den Prospekt verwiesen. Die Kosten des Zuges sind mit rund CHF 10 Mio. im Vergleich zum Dieselantrieb mit CHF 5 Mio. und mit Batteriebetrieb mit CHF 7 ½ Mio. vergleichsweise hoch. Allerdings handelt es sich beim Flirt H2 um eine Einzelanfertigung.

Kennzahlen des Flirt.

Bemerkenswert ist, dass der Zug als technologische Innovation von den Bestimmungen der «Buy American-Rule» ausgenommen ist. Zum Staunen Anlass bietet auch der Sachverhalt, dass es mit Stadler einem Schweizer Unternehmen gelungen ist, einen einzigen Zug – und erst noch als Einzelanfertigung mit einem völlig neuen Antriebssystem – in die USA zu verkaufen. Also nicht nur eine technische, sondern auch eine marketingmässige Spitzenleistung. Fast unglaublich!

Nach der intensiven Begutachtung des Äusseren und Inneren des Zuges erfolgt die Probefahrt nach dem etwa sechs Kilometer entfernten Bahnhof von Ramsen. Fast geräuschlos gleitet der Zug mit ansprechendem Tempo dorthin, und nach einem weiteren Fotohalt am Zielbahnhof, auch wieder zurück.

Auffallend im Wageninnern sind die zahlreichen Sicherheitshinweise in englischer und spanischer Sprache.

Blick aus dem Führerstand während der Fahrt nach Ramsen.
Route und Angabe der Haltestellen.

Beeindruckt treten die Anwesenden die Rückreise an – nicht ohne vor dem Einsteigen Dr. Ansgar Brockmeyer und seinem Team mit einem kräftigen Applaus für den gehaltvollen und perfekt organisierten Tag zu danken.

Hinweise

Besten Dank an die Group Communication von Stadler Rail AG für das Gegenlesen dieses Beitrages und an meinen Partner für die redaktionelle Überarbeitung.

Die Folien wurden den Präsentationsunterlagen entnommen – die beiden Kennzahlenblätter den Prospekten der entsprechenden Fahrzeuge. Die Fotos wurden vom Verfasser mit einem Smartphone aufgenommen. Leider lässt sich die Zahl „2“ in der Überschrift nicht in einem kleineres Format setzen.

Öffentlicher Verkehr in Nidwalden / Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad

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Lorenz Degen, Mitglied des Vorstandes der Bahnjournalisten Schweiz, organisierte am 8. März 2023 eine interessante Exkursion in die Innerschweiz. Am Vormittag erhielten 14 Mitglieder der Bahnjournalisten im Bergrestaurant Niederbauen mit zwei Referaten einen umfassenden Überblick über die Entwicklung, den Stand und die Anliegen des öffentlichen Verkehrs im Kanton Nidwalden. Am Nachmittag empfing uns Gerhard Züger zu einem spannenden und mit vielen Informationen bereicherten Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn in Stansstad.

Referat von Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer, Baudirektorin

Frau Regierungsrätin Rotzer-Mathyer begann ihr Referat mit einem Überblick über die geografische Lage des Kantons Nidwalden.

Frau Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer bei ihren packenden Ausführungen (Foto: Roland Arnet).

Der Kanton erlebte in den vergangenen sechzig Jahren eine stürmische Entwicklung, was sich in einer Verdoppelung der Einwohnerzahl auf knapp 44’000 Personen niederschlug. Entscheidend dabei waren zwei Verkehrsinfrastrukturen, nämlich die Brücke über die Acheregg und der Bau der Nationalstrasse A2. Dadurch wurde die Standortgunst des Kantons massiv gesteigert. Auch beim Angebot und bei der Qualität des öffentlichen Verkehrs erfolgten substantielle Verbesserungen. Luzern ist von Stans aus mit Regionalexpresszügen heute in einer Viertelstunde erreichbar. Weitere Verbesserungen sind angedacht.

Historisches Bild der Achereggbrücke (Quelle unbekannt).

Frau Rotzer-Mathyer tritt auf zwei Anliegen des Kantons Nidwalden vertieft ein. Mit engagierten Worten spricht sich die Referentin für den Bau des Durchgangsbahnhofs DBL aus und erläutert den Nutzen dieses Projekts für die Zentralschweiz. Die Regierungen der Innerschweizer Kantone stehen geschlossen hinter diesem Projekt und fordern dessen Realisierung bereits im Ausbauschritt 2035.

Lage des Durchgangsbahnhofs Luzern (Quelle: Präsentation von Regierungsrätin Rotzer-Mathyer).

Die knapp ein Kilometer lange einspurige Strecke zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt ist ein Ärgernis und steht einem Ausbau des Verkehrsangebots in der Region entgegen. Der ursprünglich angedachte Bau eines zweiten Gleises scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Heute steht der Bau eines doppelspurigen Tunnels im Fokus. Die Kosten für diese umweltfreundliche Lösung werden auf CHF 80 Millionen geschätzt. Frau Rotzer-Mathyer plädiert für eine baldige Realisierung dieses Tunnels.

Neben diesen beiden Forderungen soll auch die Leistungsfähigkeit der Zulaufstrecken zum DML durch gezielte Massnahmen gesteigert werden.

Ausführungen Markus Meisinger, Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden

Markus Meisinger bemängelt einleitend die abnehmende Planungssicherheit beim Ausbau der nationalen Eisenbahninfrastruktur.

Markus Meisinger, Abteilungsleiter Strategie und Planung, im Amt für Mobilität des Kantons Nidwalden, bei seinem spannenden Referat. (Foto: Roland Arnet).

Bisher wurde etwa alle acht Jahre ein Bauprogramm mit konkreten Fahrpanzielen erarbeitet. Zurzeit befinden sich gemäss Markus Meisinger zu viele Projekte in der Umsetzung oder in der Planungs- und Abklärungsphase. Zudem enthält das Bauprogramm 2026 nur wenige nationale Teilprojekte, statt grosse Züge aufzuzeigen. Ein «grosser Wurf» soll erst wieder ab 2030 vorgelegt werden.

Übersicht über die Planung (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Bei der Anpassung der Personenanlagen an das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz BehiG im Kanton Nidwalden bestehen zwischen der Eisenbahn und den Bussen grosse Unterschiede. Während die Anforderungen des BhiG bei den Bahnhöfen zu 95 Prozent erfüllt sind und nur noch eine kleine Haltestelle fehlt, ist die Situation bei den Bushaltestellen weniger gut. Aber auch bei den Bushaltestellen wird intensiv an der Elimination der Schwachstellen für behinderte Personen gearbeitet. Ein wesentlicher Teil der Verzögerungen ist darauf zurückzuführen, dass Anpassungen in Dorfkernen oft in übergeordnete Baumassnahmen eingebettet sind, an denen mehrere staatliche Ebenen mitwirken.

Stand der Anpassung der Bushaltestellen im Kanton Nidwalden an das BehiG (Quelle: Präsentation von Markus Meisinger).

Auch das Angebot im regionalen Busverkehr wurde erheblich ausgebaut. In Anlehnung an die «Tell-Busse» zwischen Luzern und Altdorf mit einer Fahrzeit von 40 Minuten verkehren neu in der Regel alle zwei Stunden direkte «Winkelried-Regionalbusse» zwischen Stans und Altdorf mit einer Fahrzeit von 43 Minuten. Im Gegensatz zu den «Tell-Bussen» bedienen die «Winkelried-Busse» auf ihrer Fahrt unterwegs ein paar grössere Ortschaften des Kantons. Auch für die Seegemeinden ist ein Konzept für die Verbesserung der Buserschliessung in Arbeit.

Markus Meisinger ortet auch bei der Schifffahrt ergänzend zum touristischen Verkehr ein Potential für den «allgemeinen» öffentlichen Personenverkehr. Das Potential könnte mit zwei Möglichkeiten, nämlich Bestellung von Zusatzleistungen bei den Schifffahrtunternehmen a) über das RPV oder b) über die Tourismusförderung, erschlossen werden.

Zusammenfassend zu den beiden Referaten lässt sich feststellen, dass beim öffentlichen Verkehr im Kanton Nidwalden in den vergangenen sechzig Jahren «kein Stein auf dem anderen geblieben ist» und gewaltige Fortschritte erreicht wurden. Erfreulich ist, dass der Elan und die Bereitschaft für weitere Verbesserungen anhalten.

Sichtlich zufriedene Teilnehmende mit Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer und Markus Meisinger, rechts aussen Lorenz Degen, der souveräne Exkursionsleiter (Foto Roland Arnet).

Besuch Werkstätte Zentralbahn mit Gerhard Züger

Am späteren Nachmittag begrüsst Gerhard Züger vor dem Bahnhof Stansstad die Delegation zu einem Rundgang in der Werkstätte der Zentralbahn. Gerhard Züger leitet als Mitglied der Geschäftsleitung den Bereich Produktion und Rollmaterial der Zentralbahn. Daneben präsidiert er IHRUS, ein nicht-kommerzieller Verein, der sich mit der Instandhaltung von Rad und Schiene beschäftigt. Zudem leitet Gerhard Züger im VöV die Arbeitsgruppe ATO Automatic Train-Control für Meter-, Spezialspur- und Trambahnen.

Gerhard Züger zieht bei seinem interessanten Vortrag alle in seinen Bann (Foto: Roland Arnet).

Nach kurzem Spaziergang trifft die Delegation bei der Werkstätte ein. Neben Stansstad betreibt die Zentralbahn in Meiringen eine zweite Werkstätte. Die Zentralbahn ist mit rund zwanzig weiteren Meterspurbahnen Mitglied von RAILPlus, einem Branchenverband, der die Interessen der Meterspurbahnen bündelt und den Informationsaustausch unter den Mitgliedern fördert. Ein besonderes Augenmerk von Gerhard Züger liegt auf der Wechselwirkung von Rad und Schiene – der Verfasser erinnert sich gerne an die spannenden Ausführungen von Gerhard Züger an der IHRUS-Fachtagung im Herbst 2020. Sorgen bereitet die Tatsache, dass die modernen und leistungsstarken Triebwagenzüge die Geleise bedeutend stärker abnutzen als mit Lokomotiven geführte Züge.

Gerhard Züger führt die Delegation durch die gut eingerichteten Werkstätten, die etwa 30 Mitarbeitende zeitgemässe Arbeitsplätze bieten. Beim Rundgang erfahren die Gäste viel Wissenswertes und Aktuelles.

Blick in die Halle 1 mit einem Verschiebefahrzeug (Foto vom Verfasser).

Besondere Aufmerksamkeit erhält der in der Halle abgestellte dreiteilige Spatz-Triebwagenzug. Vandalen des FC Basel hatten auf der fünfminütigen Fahrt vom Bahnhof Luzern zur Haltestelle Luzern Allmend/Messe im Zug massive Beschädigungen angerichtet, deren Reparatur mehrere CHF 10’000.- kostet.

Aussen bereits wieder hergestellter Triebwagenzug (Foto vom Verfasser).

Beeindruckt sind die Anwesenden auch von der Unterflurdrehmaschine, welche das Abdrehen der Lauffläche der Räder ohne Demontage der Achsen oder der Drehgestelle ermöglicht.

Frontalansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).
Seitenansicht der Unterflurdrehmaschine (Foto vom Verfasser).

Während des Rundgangs berichtet Gerhard Züger von den Untersuchungen über die Wechselwirkung zwischen Rad und Schiene, bei welchen die Zentralbahn unter dem Lead von RAILPlus die Systemführerschaft einnimmt Die Erkenntnisse werden unter anderem auch der Firma Stadler Rail AG als führendem Anbieter von meterspurigen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. Wie Informationen von laufenden Beschaffungen von Triebfahrzeugen belegen, nimmt Stadler de facto eine Monopolstellung bei Fahrzeugen mit Zahnradantrieb im Meterspurbereich ein.

Auch das Projekt des Grimseltunnels kommt aus aktuellem Anlass zur Sprache. In der Öffentlichkeit kaum beachtet wird der Sachverhalt, dass die Zentralbahn und die Matterhorn-Gotthard-Bahn unterschiedliche Zahnstangen und Stromsysteme haben. Auf Anfrage führt Gerhard Züger aus, dass es für den Einsatz auf unterschiedlichen Zahnstangen keine kombinierten Antriebe gibt. Entgegen dem lange verfolgten Konzept, die Eisenbahn und die Starkstromleitung in einem einzigen Tunnel zu führen, geht die Planung nun von zwei getrennten Tunnelröhren aus.

Besonderes Interesse finden die Versuche der Zentralbahn für den Adhäsionsbetrieb auf Bergstrecken. Die Untersuchungen erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Schienenfahrzeuge IFS der Technischen Hochschule Aachen. Angestrebt wird bis zu 125 Promille steile Strecken mit reinem Adhäsionsbetrieb zu überwinden. Dazu ist auch eine verstärkte zusätzliche Bremswirkung mit Magnetschienenbremsen erforderlich. Neben der Beschleunigung würde der Adhäsionsbetrieb bei einer gemeinsamen Fahrzeugplattform MGB/RhB/Zentralbahn auch die drastische Reduktion der Drehgestelltypen von heute sechs auf noch zwei ermöglichen.

Seitenansicht des Triebfahrzeuges des Versuchszuges (Foto vom Verfasser).
Plakette mit den am Projekt beteiligten Stellen (Foto vom Verfasser).

Der Besuch schliesst mit einem Rundgang durch das umfangreiche und wohlgeordnete Ersatzteillager.

Abschliessende Bemerkungen

Dankbar und bereichert treten die Teilnehmenden die Heimreise an. Ein grosser Dank geht an die Referentin und die beiden Referenten für ihre informativen Vorträge und die spannenden Gespräche. Besonderen Dank gebührt Lorenz Degen für die Organisation und die Moderation des spannenden Tages.

Nachdenklich stimmt jedoch, dass

  • bis auf Weiteres keine Mittel für den überfälligen Doppelspurausbau zwischen Hergiswil und Hergiswil-Matt verfügbar sind, nachdem die Autobahn A2 zwischen Luzern und Hergiswil mit einem enormen Mitteleinsatz auf weiten Strecken überdeckt wurde,
  • die Planung für den als «Bypass» bezeichneten zweiten Autobahntunnel unter der Stadt Luzern fortschreitet und der Tiefbahnhof Luzern als Voraussetzung für die Leistungssteigerung des Knotens Luzern eine tiefe Priorität hat,
  • die Optik meines Erachtens zu stark auf dem Tiefbahnhof Luzern und nicht auf dem Korridor Zürich-Zug-Luzern liegt. So müsste die Einfahrt in den Tunnel zum Tiefbahnhof Luzern aus nordöstlicher Richtung nicht bei Ebikon, sondern bereits vor Gisikon-Root erfolgen. Dadurch und mit dem Zimmerberg II-Tunnel wäre zwischen Luzern und Zürich eine Fahrzeit in der Grössenordnung von einer halben Stunde möglich.

Dank

Der Verfasser bedankt sich bei Markus Meisinger und Gerhard Züger für die Prüfung des Manuskripts und bei Roland Arnet für die zur Verfügung gestellten Fotografien. Nochmals besten Dank auch an Lorenz Degen für die Organisation und die Leitung der Tagung.