Multimodale Mobilitätsdienstleistungen – Chancen und Risiken

Ausgangslage

Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK hat am 7. Dezember 2018 das Vernehmlassungsverfahren für „Multimodale Mobilitätsdienstleistungen“ eröffnet. Mit der Vorlage sollen das Personenbeförderungsgesetz und das Eisenbahngesetz den Bedürfnissen der multimodalen Mobilität angepasst werden.

Die Auswirkungen dieser Änderungen sind unseres Erachtens in mehrfacher Hinsicht weitreichend und lassen sich im heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend beurteilen. Wichtige Aspekte sind offen und müssen durch das Bundesamt für Verkehr durch Branchenregelungen präzisiert werden.

Die vorgeschlagenen Massnahmen im Überblick

Die Schweiz verfügt unter der Bezeichnung „Direkter Verkehr“ heute über ein System, mit dem Fahrgäste verkehrsträgerübergreifend praktisch alle Transportleistungen des öffentlichen Verkehrs mit einem einzigen Fahrausweis kaufen können. Das dem Direkten Verkehr zu Grunde liegende IT-System Nova schlüsselt die Erlöse der Billette auf die einzelnen Transportunternehmen auf.

Die Vorlage schlägt vor, das Nova-System zu öffnen und Dritten unter gewissen Bedingungen als gleichberechtigte Partner wie die heute angeschlossenen Transportunternehmen den Zugang zu ermöglichen. Das würde Anbietern wie beispielsweise Uber, Mobility, Lime Bike, Google oder Rome2Rio ermöglichen, über ihre Plattformen eventuelle eigene Transportleistungen mit Fahrten des schweizerischen öffentlichen Verkehrs zu kombinieren und dafür einen einzigen Fahrausweis „mit einem Klick“ auszustellen. Speziell ist, dass die Möglichkeit auch dafür qualifizierenden branchenfremden Anbietern offen stehen soll. Die angestrebte Neuerung kann also in einem gewissen Sinn mit der Funktionsweise von Diensten wie Booking.com in der Hotellerie verglichen werden.

Vorgeschlagen wird zudem, dass die heutige unabhängige Behördenkommission SKE (Schiedskommission im Eisenbahnverkehr) zusätzliche Aufgaben erhält und die diskriminierungsfreie Öffnung von Nova überwacht. Neu würde die SKE als RailCom firmieren.

Zudem sollen die heute unterschiedlichen und strengeren Datenschutzvorschriften für die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs denjenigen für private Unternehmen angeglichen werden.

Konsequenzen

Die vorgeschlagene Regelung hat weitreichende Konsequenzen. Auf einige davon soll nachstehend näher eingetreten werden.

  • In der Wertschöpfungskette treten neue Partner auf, die eine neue Art von Dienstleistungen anbieten und dafür einen Teil des Verkaufserlöses für sich beanspruchen. Eher blauäugig ist die Erwartung des UVEK, dass sich die Vermittler nicht nur durch völlig offene Provisionen finanzieren.
  • Unseres Erachtens besteht zudem das Risiko, dass Mobilitätsdienstleister günstige Billette kaufen und diese mit zusätzlichem Ertrag in ihre Transportketten integrieren. Wir denken etwa an das Vehikel der heutigen „Gemeindetageskarten“. Denkbar ist, solche zu einem zwischen dem Einstandspreis und dem Tagespreis der offiziellen Tageskarten liegenden Preis zu verkaufen.
  • Die neuen Mobilitätsanbieter müssen sich an den Betriebskosten von Nova angemessen beteiligen. Sie müssen jedoch keine Beiträge an die bereits angefallenen Investitionen leisten, da – so das Uvek – die Nova-Plattform grösstenteils durch öffentliche Gelder finanziert wurde. Dadurch kann ein mutmasslich gewinnorientiertes Unternehmen von einer leistungsfähigen staatlichen Infrastruktur profitieren.
  • Die Transportunternehmen müssen den Verkauf ihrer Sortimente grundsätzlich diskriminierungsfrei zulassen. Dabei geht das UVEK davon aus, dass die Tarifhoheit der Transportunternehmen gewährleistet bleibt.
  • Auf der anderen Seite kritisiert das UVEK das komplexe Sortiments- und Tarifsystem der Transportunternehmen und verlangt neue und besser auf die multimodale Mobilität ausgerichtete Produkte.
  • Das UVEK nimmt an, dass durch die multimodale Mobilität die Spitzen im Verkehrsaufkommen geglättet würden, ohne dies weiter zu begründen.
  • Der Eindruck steht im Raum, dass die vorgeschlagenen technischen und organisatorischen Massnahmen die Autonomie der Transportunternehmen beeinträchtigen und die Ertragskraft aushöhlen. Besonders die kleinen Transportunternehmen können der Macht der Mobilitätsvermittler wenig entgegenhalten. Bei den grossen Transportunternehmen wie die SBB AG oder die Postauto AG trifft dies weniger zu. Sie können dem Angebot der Mobilitätsvermittler eigene Plattformen entgegen stellen, so, wie es die grossen Hotelketten wie beispielsweise IBIS gegenüber den Buchungsplattformen aktuell tun.
  • Problematisch ist ausserdem, dass wichtige Aspekte der vorgeschlagenen Regelung unklar sind und das BAV die Regelungslücken durch Branchenregelungen schliessen kann. Unseres Erachtens ist es jedoch rechtsstaatlich fragwürdig, wenn ein Bundesamt derart weitreichend legiferieren kann. Kritisch zu hinterfragen ist auch die vorgeschlagene Erweiterung der Befugnisse der RailCom, damit in gewissen Fällen der Rechtsweg über Zivilgerichte unterbunden wird.
  • Mit grosser Wahrscheinlichkeit stellt die Regelung bereits im aktuellen Umfeld einen beträchtlichen Liberalisierungsschritt dar. Sollten die Verkehrsmärkte in der Schweiz dem aktuellen Trend folgend weiter liberalisiert werden, beispielsweise durch eine weitere Öffnung der nationalen Personenfernverkehrsmärkte für Fernbusse, würde sich die Position der Eisenbahn spürbar verschlechtern.
  • Im kleinen Grenzverkehr mit dem benachbarten Ausland, so etwa im Grossraum Genf, könnten multimodale Verkehrslösungen für Kunden effiziente Alternativen bieten. Dies dürfte im Gegenzug den Ausbau der Infrastruktur oder die Schaffung von effizienten Angeboten des öffentlichen Verkehrs erschweren oder verhindern.
  • Im internationalen Personenverkehr wird die Stellung der staatlichen Eisenbahnunternehmen durch die Transparenz des Angebots auf zahlreichen Relationen geschwächt. Das sei am Beispiel Zürich-München veranschaulicht. Auf der multimodalen Mobilitätsplattform werden alle Reisemöglichkeiten und deren Preise dargestellt, wie DB/SBB, des „privaten“ EVU Alex, Flixbus, Luftverkehr – oft günstige Angebote, die vielen Reisenden nicht geläufig sind.
  • Analoges gilt für die Relation Singen – Stuttgart. Wer reist inskünftig mit einer Fernverkehrsfahrkarte der DB AG, wenn er die Reise im gleichen IC/IRE-Zug mit einem viel günstigeren Baden-Württemberg-Ticket unternehmen kann?

Abschliessende Bemerkungen

Zusammenfassend ergibt sich das Bild einer weitreichenden Neuerung mit unklaren Konsequenzen. Bemerkenswert ist, dass andere Länder und Städte die Problematik schon vor Jahren erkannt, dezidiert in Angriff genommen und innovative Lösungen eingeführt haben. Hervorzuheben ist Helsinki.

In der Schweiz wurden durch einzelne Transportunternehmen verschiedene Innovationen im Ticketing eingeführt. Manche davon beschritten ohne ein übergreifendes nationales Konzept eigene Wege. Führung und Koordination fehlten. Möglicherweise hätte das BAV viel früher koordinierend und steuernd eingreifen können.

Auffallend ist, dass in der Vernehmlassungsgrundlage die Problematik aus verschiedenen Sichten beleuchtet wird – nicht jedoch aus Kundensicht.

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