MEV – ein Bahndienstleistungsunternehmen stellt sich vor

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MEV Schweiz AG lud am Freitag, 23. März 2018, Kunden, Medienschaffende und Meinungsbildnern zu einem „Tag der offenen Tür“ an den Sitz der Gesellschaft in Basel ein.

MEV und prominente Referenten boten den zahlreichen Gästen einen intensiven und hoch interessanten Vormittag. Wer Zeit fand, konnte im Anschluss die Ausstellung „Warnanlagen“ besuchen und einer Demonstration der Ausbildungssimulatoren für Lokomotivführer beiwohnen.

Der Veranstalterin und den Referenten gebührt Dank und Anerkennung für das Gebotene. MEV hat die Präsentationen über folgenden Link zur Verfügung gestellt:
http://www.m-e-v.ch/de/unternehmen/mev-aktuell.

Die in diesem Beitrag verwendeten Präsentationen wurden mit dem besten Dank an die Verfasser den Präsentationen entnommen. Besten Dank auch an Kurt Metz, der die Bahnjournalisten auf diese Veranstaltung aufmerksam machte.

Rastatt danach – Podiumsdiskussion

In einer Podiumsdiskussion äusserten sich Tomaso di Benedetto, Geschäftsführer von MEV Schweiz AG, Thomas Jau, SBB Infrastruktur AG, und Markus Zgraggen, BLS Cargo AG, zum Verlauf und zu den Lehren aus dem fatalen Unglück bei Rastatt, welches eine mehrwöchige Sperrung eine der wichtigsten europäischen Eisenbahnstrecken nach sich zog. Nachstehend in Stichworten zentrale Aussagen aus der Diskussion und der anschliessenden Fragerunde:

  • Die EVU müssen sich für alle Schadensereignisse wappnen. Mitarbeitende und Instrumente müssen noch sorgfältiger evaluiert werden.
  • Dank der guten Konjunktur hielten sich die Auswirkungen auf den Geschäftserfolg in 2017 für die BLS Cargo AG und die SBB Cargo International AG im Rahmen. Bei der BLS waren während der Sperrung 60 Prozent des Transportvolumens betroffen.
  • Man stand dem Ereignis anfänglich ohnmächtig gegenüber und hatte den Eindruck, dass die zuständigen Stellen in Deutschland die Auswirkungen anfänglich unterschätzten und die Reparaturen zu zögerlich anliefen. Aus heutiger Sicht erscheint die Dauer der Sperrung von sieben Wochen als viel zu lang.
  • Die intensive Zusammenarbeit der betroffenen EVU hat die internationale Kooperation intensiviert und zu neuen Kontakten geführt. Erfreulicherweise haben sich die Mitbewerber gegenseitig unterstützt.
  • Man erwartet, dass das Management des Güterverkehrs-Korridors das Ereignis sorgfältig analysiert und das Dispositiv für derart gravierende Vorfälle verbessert.
  • Auch MEV war von Rastatt stark betroffen, da das Unternehmen rund die Hälfte seines Umsatzes auf diesem Korridor erarbeitet. MEV war jedoch in der Lage, innert kürzester Zeit 15 streckenkundige Lokomotivführer nach Singen für den Einsatz auf der Gäubahn als Ausweichroute zu entsenden. Dies hat die Beeinträchtigungen für die EVU spürbar reduziert.
  • In den Tagen seit Rastatt haben weitere Ereignisse das Funktionieren des Eisenbahnverkehrs in Europa kurzfristig empfindlich gestört, wie Stürme oder Streiks.
  • Es wird darauf hingewiesen, dass Rastatt eigentlich auf europäischer Ebene zu lösen wäre. Das Ausweichen auf benachbarte Güterverkehrskorridore müsse gefördert werden. Leider standen für den Ausweichverkehr durch das Elsass zu wenige Lokomotiven und streckenkundige Lokomotivführer zur Verfügung. Einmal mehr zeigten sich die Schwächen der durch nationale Gegebenheiten bedingten zu geringen Interoperabilität.
  • Die verstärkte Standardisierung der europäischen Güterverkehrskorridore ist überfällig.
  • Die Organisation des europäischen Schienengüterverkehrs wird auf Anfrage als zweckmässig bezeichnet. Die zahlreichen kleinen EVU, oft Tochterunternehmen der grossen Staatsbahnen, haben durch ihre Innovationen den Markt belebt.
  • Man ist zusammenfassend zuversichtlich, dass die Erkenntnisse aus Rastatt die Reaktion bei ähnlichen und leider nicht auszuschliessenden Schadenfällen verbessern würden.

Automatisierung und autonomes Fahren

Wolfgang Hüppi, im Bundesamt für Verkehr als Sektionschef für die Sicherheitstechnik zuständig, referiert über den Stand der Automatisierung und des autonomen Fahrens. Er unterscheidet die folgenden vier Stufen des Automatisierungsgrades.

Beim verstärkten Einsatz der Informatik geht es nicht primär um Personaleinsparungen – vielmehr stehen die Kapazitätssteigerung, die Effizienzerhöhung und die Qualität im Fokus der Massnahmen. Bei der neuen Schnellverbindung Thameslink in London können im Regelbetrieb in jeder Richtung pro Stunde bis zu 24 Zügen fahren – bei Verspätungen sogar bis zu 30 Zügen.

Ein automatisierter Fahrbetrieb wird wohl noch lange folgende Voraussetzungen erfordern:

  • Artreiner Verkehr und kein Mischverkehr
  • Unabhängiger und geschützter Bahnkörper
  • Wenige und weitgehend einheitliche Fahrzeugtypen

Automatisiertes Fahren ist heute bei zahlreichen Untergrundbahnen eingeführt. Gemäss einem Hinweis aus dem Publikum ist automatisiertes Fahren bei den heute neu gebauten Untergrundbahnen die Regel.

Abschliessend zieht Wolfgang Hüppi folgendes Fazit für das automatisierte Fahren:

  • Die Industrie verfügt über ausgereifte Produkte und Fachwissen
  • Die Bahnen müssen den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit mit stichfesten Geschäftsplänen nachweisen
  • Ein Einstieg in Etappen – beispielsweise bei Engpässen und Knoten sowie bei Neubaustrecken – ist sinnvoll
  • Das BAV will sich in der Planungsphase der Konzeptentwicklung einbringen.

Der für dieses Jahr geplante automatisierte Betrieb auf Teilstrecken wurde der Südostbahn verwehrt. Das BAV verlangt, dass die schweizerischen Normalspurbahnen koordiniert vorgehen und hat die Projektführerschaft den SBB übertragen. Die SBB haben für das automatisierte Fahren das Projekt „Smart Train“ aufgesetzt.

Technologische Herausforderungen bei einer kleinen Bahn

Martin Schindelholz, CEO der Oensingen Balsthal-Bahn OeBB, stellt sein Unternehmen kurz vor und erläutert, wie sein Unternehmen den technologischen Wandel bewältigt. Trotz der relativen Kleinheit und der beschränkten Mittel ist die OeBB gut unterwegs, wie der Referent anhand von konkreten Beispielen aus der Praxis darlegt. Eigentlich würde sich die OeBB trotz zahlreichen Bahnschranken für einen Pilotbetrieb mit automatisiertem Fahren gut eignen.

Die Ausrüstung der Triebfahrzeuge der OeBB mit ETCS wäre wegen der elektromechanischen Steuerung enorm aufwendig und kompliziert und fällt deshalb ausser Betracht. Hingegen erwägt die OeBB für den Gesellschaftsverkehr auf dem Schweizer Normalspurnetz die Anschaffung einer mit ETCS Level 2 ausgerüsteten Lokomotive.

Abschliessend beschreibt Martin Schindelholz die Schwierigkeiten, die sich der Einführung einer alle Verkehrsträger umfassenden elektronischen Fahrplananzeige im Bahnhof Oensingen ergeben haben.

ETCS – Stand heute

Hans Wyss, Ausbildner und Entwickler von Simulatoren bei MEV Schweiz AG, referiert über den Stand der Einführung von ETCS in der Schweiz. Wie seine Karte zeigt, ist das schweizerische Normalspurnetz weitgehend mit ETCS ausgerüstet. Auf Neubaustrecken ist ETCS Level 2 die Regel.

Innerhalb der Ebenen (Level) von ETCS bestehen verschiedene Abstufungen. In der Grundausprägung zeichnen sich die Ebenen von ETCS durch folgende Funktionalität aus:

  • ETCS Level 0 wird auf Strecken mit Aussensignalen und ohne infrastrukturseitige ETCS-Ausrüstung eingesetzt.
  • ETCS Level 1 wird auf Strecken mit Aussensignalisierung und infrastrukturseitiger ETCS-Ausrüstung verwendet. Die Übertragung der Signalstellung erfolgt punktuell. Es können mehr Informationen übertragen werden als mit der (punktbezogenen) PZB 90, aber weniger als LZB (Linienzugbeeinflussung).
  • Bei ETCS Level 2 werden alle Fahrinformationen funkbasiert in den Führerstand übertragen und dem Lokomotivführer auf einem Bildschirm angezeigt. Der Funktionsumfang von ETCS Level 2 entspricht in etwa demjenigen von LZB.
  • ETCS Level 3 funktioniert etwa wie ETCS Level 2. Hingegen existieren streckenseitig keine festen Blockabschnitte mehr, die Züge fahren auf Bremsdistanz und mit Sicherheitsmarge. Probleme ergeben sich dabei durch unterschiedliche Zugslängen.

Die Ausprägungen der Ebenen von ETCS werden durch die sogenannten Baseline (Stufen) definiert. In diesen Baseline sind unter anderem die nationalen Betriebskonzepte für die Abwicklung der verschiedenen Verkehrsarten beschrieben. Erst die Standardisierung dieser Betriebskonzepte würde den europaweiten und uneingeschränkten Einsatz von Triebfahrzeugen innerhalb des ETCS Level 2-Raums ermöglichen.

MEV – ein Bahndienstleister stellt sich vor

Stefan Zimmerman, Leiter Ausbildung bei MEV Schweiz AG, obliegt es, abschliessend sein Unternehmen vorzustellen.

MEV ist eine Tochtergesellschaft der TEX-Holding AG mit Sitz in Freienbach. Die TEX-Gruppe beschäftigt über 1‘000 qualifizierte Mitarbeitende.

MEV Schweiz AG ist seit 2002 in der Schweiz aktiv und ist heute der führende Anbieter von Eisenbahn-Betriebspersonal für befristete Einsätze. In Zusammenarbeit mit ihren Schwestergesellschaften in Deutschland, Österreich und den Niederlanden verfügt MEV über mehr als 600 ausgezeichnete Fachspezialisten. MEV ist in der Lage, auch grenzüberschreitende Verkehre durchzuführen. Die nachstehende Übersicht bietet einen guten Überblick über das Leistungsspektrum von MEV Schweiz AG.

Das Leistungsspektrum des Geschäftsbereichs Train Operating ist wie folgt charakterisiert:

  • Bereitstellung von Lokomotivführern für EVU primär in der Schweiz und in Deutschland
  • Lizenzen und Rollmaterial wird von den Kunden gestellt
  • Grundsätzlich werden unbefristete Rahmenverträge abgeschlossen
  • Die Personalplanung im Rahmen der einzelnen Aufträge obliegt MEV
  • 60 Prozent der Leistungen werden im Güter- oder Baustellenverkehr erbracht, der Rest im Personenverkehr
  • 2017 wurden mit 70 Lokomotivführern während ca. 107‘500 Stunden rund drei Millionen Zugkilometer zurück gelegt.

MEV stellt hohe Anforderungen an seine Lokomotivführer. Sie werden mit festen und unbefristeten Arbeitsverträgen angestellt und ständig weitergebildet. Es werden nur mit dem jeweiligen Fahrzeugtyp vertraute und streckenkundige Lokomotivführer eingesetzt.

Eine aufschlussreiche Übersicht von Stefan Zimmermann zeigt die Vielfalt von Anforderungsprofilen wie Vertrautheit mit Fahrzeugen und Streckenkundigkeit. Dies kompliziert die Personaldisposition ganz erheblich. Eigentlich eine dringende Aufforderung an die Bahnen und die Bahnindustrie, sich bezüglich der Bedienung der Fahrzeugen für eine weitgehende Standardisierung einzusetzen.
Stefan Zimmermann rundet seine Ausführungen mit einem Überblick über das weitere und breite Leistungsspektrum von MEV ab.

Konklusion aus Sicht des Verfassers dieses Beitrages

Tatsächlich eine hoch interessante und informative Veranstaltung. Nochmals ein grosses Dankeschön an MEV und die Referenten.

Aus meiner Sicht bleibt offen, ob die Organisationsform des europäischen Schienengüterverkehrs in Anbetracht der zahlreichen Partner tatsächlich zweckmässig und zukunftstauglich ist. Zahlreiche der heute angesprochenen Probleme und Herausforderungen liessen sich meines Erachtens im Rahmen von nur noch wenigen europäischen Gütereisenbahnen besser lösen oder würden sich gar nicht ergeben.

2 Gedanken zu „MEV – ein Bahndienstleistungsunternehmen stellt sich vor

  1. Schade wusste ich nicht von dieser Veranstaltung, ein hochinteressantes Thema, das mich schon seit Jahrzehnten fasziniert. Die „Lektion Rastatt“ hat gezeigt, dass schon bei der Planung des internationalen Güterverkehrs „keine“ oder eben nur sehr bescheidene Alternativoptionen bestehen. Dies habe ich schon in den neunziger Jahren bei den FTE „Forum Train Europ“ Tagungen bemängelt. Schon damals habe ich darauf hingewiesen, dass bei Unterbrüchen einer Transitachse, unbedingt Umleitungsrouten zur Verfügung stehen müssen auf welche innert 48 Stunden ausgewichen werden kann. Aber eben, auf die Kleinen, hört man nicht gerne bis es dann eben einen Knall gibt, wie Rastatt! Auch bei ECTS ist es immer noch so, dass bei einem gleichen Level, zu viele Einschränkungen bestehen: ob das System von Siemens oder Bombardier oder einem sonstigen Anbieter entwickelt wurde, einen polyvalenten Einsatz der Triebfahrzeuge ist zum Teil nicht möglich, eben wegen dieser spezifischen Unterschiede der Anbieter und Ersteller! Genau aus diesem Grund sind bis heute, die gepriesenen Güterverkehrskorridore nie richtig vom Fleck gekommen. Die Vielfalt der Player (EVU) im Güterverkehr wird sich zwangsläufig noch reduzieren. Es muss aber darauf geachtet werden dass keine Monopole oder Kartelle entstehen, sonst untergrabt man wieder die Konkurrenz und den freien Markt. Was die Monopolstellung der SBB im Wagenladungsverkehr in der Schweiz bringt, sieht man am Beispiel der SBB (gelinde gesagt: ein Trauerspiel)! Da geht der Abbau weiter … bis?

    • Sehr geehrter Herr Donzé

      Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Website und für Ihren ausführlichen Kommentar. Ihre Analyse trifft meines Erachtens weitgehend zu.

      Nicht teilen möchte ich jedoch Ihre Verbesserungsvorschläge. Folgendes:

      1. Der grosse Konkurrent des Schienengüterverkehrs sind nicht die anderen EVU, sondern der Strassentransport.

      2. Ohne fudamentale Veränderungen und einem grossen Investitionsschub wird der Schienengüterverkehr weiter schrumpfen.

      3. Stellen wir uns vor, es gäbe in Europa nur noch drei oder vier grosse und räumlich getrennte Gütereisenbahnen – etwa so, wie in Nordamerika.

      4. Probleme wie Rastatt wären viel schneller gelöst, und der immense personelle Überbau in den teilweise maroden staatlichen Güterbahnen, in den Aufsichtsbehörden und in den unzähligen Ausschüssen würde sich in Luft auflösen. Statt endlos zu diskutieren – und dennoch zu keinen tragfähigen Lösungen fähig – würden die EVU einfach fahren und Gewinne erzielen.

      Mehr darüber in einem früheren Beitrag auf unserer Website.

      Nochmals vielen Dank.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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