Ticketsysteme – Kaufen, Fahren und Bezahlen

Vorbemerkungen

Beim Verkauf der Dienstleistungen für das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln – oder einfacher: Billetten – sind in vielen Ländern fundamentale Veränderungen im Gang oder bereits umgesetzt. Die Tage des klassischen Billetts, das vor der Fahrt gekauft werden muss, sind gezählt. Die Lösungsansätze sind in jeder Hinsicht vielfältig.

In der Folge wird kurz über aktuelle Entwicklungen in Österreich, in der Schweiz und in den Niederlanden beim Billettkauf berichtet. Einmal mehr scheinen die Niederlande „die Nase vorn zu haben“. Aber auch in Österreich wird ein innovativer Ansatz verfolgt.

Österreich

Die ÖBB verfolgen einen interessanten Ansatz, indem die Benutzeroberfläche für den Kauf von Billetten am Automaten, am PC oder über die App vereinheitlicht wird. Die Umstellung ist seit Mitte 2017 im Gang und erfolgt schrittweise von Westen nach Osten und soll Ende 2017 abgeschlossen werden.

Die ÖBB unterstützen die Umstellung mit einem enormen Einsatz von Personal und Hilfsmitteln. Ich hatte einige Male Gelegenheit, die zuständigen Mitarbeiter bei ihrer Beratungstätigkeit zu beobachten. Das Auftreten und die Überzeugungskraft der Mitarbeiter war beeindruckend. Wesentlich ist, dass der Fahrausweis auch weiterhin vor dem Antritt der Fahrt zu bezahlen ist.

Weitere Informationen können dem nachstehend abgebildeten Prospekt entnommen werden.

Niederlande

Praktisch abgeschlossen ist die Ablösung des klassischen Billetts in den Niederlanden. Die tiefgreifende Umstellung war naturgemäss von zahlreichen Problemen begleitet, die dem Vernehmen nach teilweise noch andauern. Im Prinzip funktioniert die Chipkarte wie eine Debitkarte – man lädt einen Betrag auf die Karte, von dem bei der Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel der entsprechende Fahrpreis abgezogen wird.

Ein Artikel in Wikipedia informiert detailliert über die Chipkarte. Hier der Link: https://de.wikipedia.org/wiki/OV-chipkaart

Auch in den Niederlanden muss der Fahrpreis vor dem Antritt der Reise bezahlt werden. Zudem erscheint die Handhabung der Karte für Aussenstehende kompliziert.

Schweiz

In der Schweiz werden – der föderalen Struktur unseres Verkehrssystems und seiner Trägerschaft entsprechend – unterschiedliche Ansätze verfolgt. Mehrere „Privatbahnen“ wie BLS, SOB und TPF entwickeln zurzeit elektronische Billette. Teilweise bestehen lose Kooperationen bei der Entwicklung. Einzelne Systeme befinden sich in der Pilotphase mit einem ausgesuchten Kundenstamm. Lokale Verkehrsunternehmen wie die Stadtbus Chur AG setzen in ihrem Gebiet bereits eine Art Chipkarte ein.

Die Aktivitäten der SBB konzentrieren sich auf den SwissPass. Dieses Produkt hat ohne vorläufig erkennbaren Nutzen für Kunden und Mitarbeiter und mit grösseren Problemen die Einführung überstanden. In einer ersten Phase wurden die Generalabonnemente und die Halbpreisabonnemente auf den SwissPass übernommen. Der Aktivierung der genannten Abonnemente erfolgt nur, wenn der Kaufpreis vorgängig bezahlt wird. Zudem können weitere Transportausweise wie Skipässe auf den SwissPass übertragen werden.

Dem Vernehmen nach ist mittelfristig vorgesehen, den SwissPass unmittelbar als Fahrausweis einzusetzen. Beim Ein- und Aussteigen würde der SwissPass über einen Leser im Fahrzeug registriert und die Daten der Reise vorübergehend in einem zentralen System gespeichert. Am Ende des Tages würden die Fahrten des entsprechenden Tages addiert und dem Inhaber nach dem Meistbegünstigungsprinzip belastet.

Diese Umstellung ist weitreichend, indem die Kosten der Fahrten dem Reisenden neu nach erfolgter Reise und mit zeitlichem Verzug belastet werden. Mit anderen Worten – die Transportunternehmen werden zu Gläubigern ihrer Kunden. Daraus ergeben sich zahlreiche Fragen, wie beispielsweise

  1. Was geschieht, wenn ein Kunde die ausstehenden Rechnungen nicht bezahlt?
  2. Wer trägt die Abschreibungen, wenn ein säumiger Kunde mit verschiedenen Verkehrsunternehmen gefahren ist?
  3. Sind oder waren sich die Schöpfer des SwissPass über die Kosten des Inkassoprozesses im Klaren? Dazu ein Hinweis: Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber, einer Personalversicherung mit über einer Million Kunden, waren rund vier Prozent der Mitarbeiter im Betreibungsdienst beschäftigt.
  4. Was geschieht, wenn ein SwissPass missbraucht oder von gestohlen und von einer Drittperson verwendet wird?

Fragen über Fragen. Am meisten aber interessiert, weshalb in der Schweiz gegenwärtig zahlreiche Verkehrsunternehmen eigene Lösungen entwickeln. Befinden sich unsere Verkehrsunternehmen im Würgegriff der Informatikabteilungen oder sind einfach Mittel im Überfluss vorhanden? Und weshalb übernimmt niemand die Führung, beispielsweise das Bundesamt für Verkehr?

Und welche Gründe sprachen gegen die Übernahme eines erprobten ausländischen Systems? Der Nukleus der hinter der NS-Chipkaart stehenden Computerprogramme wird auch in anderen Ländern eingesetzt und kann als Branchenlösung bezeichnet werden.

Dr. Max Ehrbar hat sich in folgendem Beitrag auf unserer Website http://fokus-oev-schweiz.ch/2016/03/29/elektronische-billetterfassung/ für eine radikale Vereinfachung ausgesprochen. Seine Überlegungen verdienen eine vertiefte Beachtung. Ob die strukturellen Voraussetzungen in der Schweiz eine derart tiefgreifende Umstellung zulassen würden, bleibt offen.

8 Gedanken zu „Ticketsysteme – Kaufen, Fahren und Bezahlen

  1. Bei der von den SBB angestrebten Lösung mit Registrierung der Fahrt und nachträglicher Bezahlung jegliche Kontrolle über den aktuell offenen Betrag im Debitorenkonto verloren geht und man im Voraus keine Ahnung über den zu bezahlenden Preis hat.
    Für mich unerträglich

    • Sehr geehrter Herr Hug
      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website. Ich teile Ihre Bedenken und möchte folgendes nachtragen.
      1. Unternehmen mit Absatzproblemen bieten ihren Kunden oft grosszügige Finanzierungen an – kaufe oder konsumiere heute, bezahle später.
      2. Auch die Regelung mit dem SwissPass, wonach sich darauf installierte Abonnemente ohne Kündigung verlängern, befremdet. Ich bin seit Jahren Inhaber einer Vorteils Card der ÖBB. Etwa einen Monat vor Ablauf der Gültigkeit erhalte ich eine Rechnung und einen Einzahlungsschein. Wenige Tage nach Überweisung des Betrages erhalte ich eine neue Vorteils Card. Ohne Überweisung keine Vorteils Card. So einfach kann es sein. Im Vergleich dazu erscheint die Regelung beim SwissPass repressiv.
      Beide Prozeduren – Bezahlen nach dem Fahren, Weiterlaufen der Abonnemente auf dem SwissPass ohne Kündigung – hinterlassen ein schales Gefühl. Haben das Selbstvertrauen oder die Markteinschätzung der SBB so stark gelitten, dass man zu solchen Prozeduren greift?
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

  2. Was mich stört, ist die Bezeichnung „Ticket“. Im deutschsprachigen Raum, zu dem auch Österreich zählt („was die Österreicher und die Deutschen am meisten trennt, ist die gemeinsame Sprache“, wie der große österreichische Kabarettist Karl Farkas einmal sagte), sollte dieses Wort nichts verloren haben, jedenfalls nicht allein, sondern maximal im Zusammenhang „Fahrkarten/Tickets/Billets“ o.ä.

    In den Gesetzen und Vorschriften Österreichs heißt es nach wie vor „Fahrschein“ oder „Fahrkarte“: Warum also immer diese überflüssigen Anglizismen? Nur als Anbiederung an Ausländer?

    • Sehr geehrter Herr Inntaler
      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.
      Ich teile Ihre Kritik am Wuchern der Anglizismen.
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

    • Sehr geehrter Herr Lüthard
      Vielen Dank für Ihren Kommentar, den Link zu Ihrem Beitrag und für Ihr Interesse an unserer Website.
      Darf ich aus Sicht der Schweiz folgenden Seufzer anbringen? „Ja, wenn es nur der Südtirol Pass wäre!“
      Folgendes:
      – Ich habe in den letzten Jahren zahlreiche Fahrten mit dem SAD unternommen. Die Fortschritte im Pustertal und im Vinschgau sind eindrücklich.
      – Nach einem einheitlichen Muster erstellte Stationen, neues Rollmaterial aus dem Hause Stadler, dichter Takt und gut belegte Züge.
      – Auch das zur Ergänzung der Eisenbahn bestehende Busnetz ist gut.
      – Noch nicht ideal sind die Qualität der Geleise im Pustertal und die daraus resultierende mässige Laufruhe.
      – Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch auf dem Bahnhof von Mals. 1983 bot sich ein deprimierendes Bild. Und heute: Eine gepflegte Anlage, neue und komfortable Busse des SAD, gute Frequenzen.
      Müssig, die Verhältnisse im Südtirol und im Kanton Graubünden zu vergleichen! Etwas aber ist gewiss – die Fortschritte im Südtirol sind atemberaubend.
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

  3. Das System mit der Chipkarte in den Niederlanden ist gleichzeitig ein Rückschritt – Wiedereinführung der Bahnsteigsperren.
    Des weiteren ist wie in anderen Ländern mit ähnlichen Systemen zB Dänemark kein durchgehender Tarif möglich. Beim Wechsel von einem Betreiber zum anderen muss mit der Karte ausgecheckt und zwanzig Zentimeter daneben wieder neu eingecheckt werden.
    Aus Kundensicht müssen die Tarife und insbesondere der Billettbezug vereinfacht werden – aber bitte nicht um eine der grössten Errungenschaften des schweizerischen Systems: Der durchgehenden Tarifierung. Die DB ist nicht einmal in der Lage, innerhalb des selben Systems von Berlin nach Kirchzarten einen direkten Fahrausweis auszustellen….

    • Sehr geehrter Herr Gross

      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website. Folgendes:

      1. In der Tat erscheint der Umgang mit der Chipkarte in den Niederlanden aufgrund der sehr detaillierten Beschreibung in Wikipedia nicht ganz einfach. Immerhin wird der Fahrpreis vor der Fahrt entrichtet.

      2. Das Aus- und Wiedereinchecken beim Wechsel des Betreibers erscheint nicht völlig abwegig. Das wäre doch auch beim Swiss Pass beim Wechsel von der Strassenbahn auf die Eisenbahn erforderlich.

      3. Wir teilen Ihre Forderungen nach der Vereinfachung von Tarifen und Billettbezug uneingeschränkt. Ich denke aber, dass dies fundamentale strukturelle Änderungen im Schweizer Verkehrssystem erfordern würde, wie beispielsweise ein einziger nationaler Verkehrsverbund – verbunden unter anderem mit einer Rückverlagerung von Kompetenzen von den Kantonen an den Bund.

      4. Bedauerlich, dass in Deutschland offensichtlich keine durchgehende Tarifierung möglich ist. Das ist aber auch in der Schweiz teilweise der Fall. Zudem, kürzlich kaufte ich über http://www.trenitalia.it eine Fahrkarte von Zürich HB zu einem kleinen Bahnhof im Piemont. Hat einwandfrei funktioniert. Über die Website der SBB nicht möglich.

      5. Meines Wissens liegt der Chipkarte der NS eine auch in anderen Ländern eingesetzte und erprobte IT-Lösung zugrunde. Kein Vergleich mit der Schweiz, wo mehrere Verkehrsunternehmen eigene IT-Systeme für elektronische Billette entwickeln können, darüber das Sahnehäubchen des Swiss Pass.

      Nochmals vielen Dank.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

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