SBB – Fragen über Fragen

In der elektronischen Ausgabe des Tages-Anzeigers vom 25. September 2016 werden unter dem Titel „SBB droht Milliarden-Finanzloch“ verschiedene Aussagen von Andreas Meyer, CEO der SBB AG, kommentiert. Meyer fordert im Hinblick auf die finanzielle Entwicklung einen Marschhalt bei den Ausbauprojekten und eine Überprüfung von Bahnangeboten – explizit auch in dafür geeigneten Fällen eine Umstellung des Personentransports von der Schiene auf die Strasse. Folgender Link führt zum erwähnten Artikel: sbb. Zudem wurde kurz zuvor das mit Unterstützung von McKinsey erarbeitete „grösste Sparprogramm der SBB in ihrer Geschichte“ Railfit präsentiert. Im Raum stehen Fragen über Fragen – Anlass genug für diesen kritischen Artikel.

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Railfit / McKinsey

Nach dem Zuwachs in den letzten Jahren sollen gemäss dem Blick 1’400 Stellen gestrichen werden. Andererseits präsentieren sich die SBB unter anderem auf ihrer Website unter dem Motto „Beruf und Privatleben im Einklang“ als moderner Arbeitgeber. Nach Aussen und vor dem Hintergrund der Abbaupläne widersprüchliche Signale.

Als Mitwirkender und Betroffener eines grossen McKinsey-Projekts weiss ich, dass McKinsey meist dann gerufen wird, wenn die Unternehmensleitung nicht mehr weiter weiss. Die Inhaber der abzubauenden Stellen haben ihre Stelle nicht gestohlen, sie wurden angestellt oder intern versetzt. Offensichtlich hat die Konzernleitung der SBB ihre Arbeit in den letzten Jahren nicht richtig gemacht – eine partielle Bankrotterklärung.

Marschhalt bei den Ausbauprojekten

Vor dem Hintergrund einer für 2030 unterstellten Abgeltungslücke von CHF 3 Mia. fordert Andreas Meyer einen Marschhalt bei den Ausbauprojekten. Und dies vor dem Hintergrund der sattsam bekannten Engpässe in der Schweiz – Zufahrten zur NEAT, Ausbau Bern-Zürich, neuer Juradurchstich, Komplettierung Lötschberg-Basistunnel, um nur einige zu nennen – und der grossartigen Ausbauten der Bahninfrastruktur in unseren Nachbarländern. Es wäre Aufgabe des CEO der SBB, auf diese Sachverhalte hinzuweisen und den hohen Nutzen eines gezielten Ausbaus hervorzuheben, statt für den Einhalt zu plädieren.

Umstellung Bahn auf Bus

Zugegeben – die Umstellung vom Bahn- auf den Busbetrieb dürfte an vielen Orten ökologisch und ökonomisch günstiger sein und die Qualität der Erschliessung substantiell erhöhen. Das gilt aber eher für Privatbahnen als für die SBB.

Die zentrale Frage aber ist, ob der oberste Chef der SBB sich in diesem Sinn äussern darf und soll. Hat Andreas Meyer die Wirkung dieser Aussage auf sein Personal und die Öffentlichkeit bedacht? Man stelle sich vor, wenn Herbert Bolliger als CEO der Migros vorschlagen würde, kritische Standorte der Migros aufzugeben und die Kunden zu Aldi oder Lidl verwiese.

Abschliessende Bemerkungen

Ich empfehle die Lektüre der Biografien von Hans Eisenring „Man kann alles lernen“ und von Benedikt Weibel „Der rote Boss“. Anschliessend vergleiche man die Profile mit der heutigen Führung und versuche einen Trend aus dem Gelesenen abzuleiten. Fraglich, ob dies die Zuversicht für die Zukunft stärkt!

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Was würde wohl Alfred Escher sagen?

8 Gedanken zu „SBB – Fragen über Fragen

  1. Zwei Gedanken zum Artikel von Ernst Rota:

    Was die Spatzen schon seit Jahren vom Dach pfeifen, ist nun auch in die Teppichetage der SBB vorgedrungen, nämlich, dass die Kosten schneller wachsen als die Einnahmen und dass daraus eben eine kritische Finanzsituation entsteht. Ich notiere alle meine Reisen mit der Bahn und deren Kilometer und Kosten seit 1992. Zumindest für meinen Teil steigen die Kosten pro gefahrenen Kilometer deutlich stärker an als der Teuerungsindex. Seit 1992 stiegen die Billettkosten pro effektiv gefahrenem Kilometer in meinem Fall um 75 % , der Teuerungsindex jedoch nur um 30%. Sicher, der Fahrplan wurde dichter, die Randstunden des Tages werden besser bedient und das Wagenmaterial wurde im Durchschnitt ebenfalls besser. Andererseits stiegen die Passagierzahlen stark an, der Service wurde schlechter, was eigentlich kostensenkend wirken müsste. Irgendwo steckt da der Wurm drin. Sind es die sündhaft teuren Infrastrukturprojekte, die preistreibend wirken? Allein die NEAT dürfte mit etwa 10% auf die Tarife durchschlagen. Oder sind die Baunormen zu hoch? Warum kostet eine Perronkante von vielleicht etwa 100 m in Lachen SZ 3 Mio. CHF (siehe Schweizer Eisenbahn-Revue 11/2016, S. 536)? Warum bezahlt die ÖBB für den Railjet etwa 20 Mio. CHF pro Zug (inkl. Lokomotive) und die SBB für den etwa gleich langen Giruno mit etwa gleich vielen Sitzplätzen 34 Mio. CHF.

    Die Sparübung wurde von McKinsey begleitet. Das Erkennen von strukturellen Schieflagen im betriebswirtschaftlichen Bereich gehört doch zu den ureigensten Aufgaben des Top-Management. Wieso benötigen diese noch teure externe Berater? Auf mich wirkt das wie ein Mangel an Kompetenz, was ich bei derart hoch bezahlten Managern nicht durchgehen lasse. Warum ersetzen wir die SBB-Spitze nicht durch McKinsey-Leute, wenn diese offenbar das Bahngeschäft besser verstehen?

    Wie gesagt: Fragen über Fragen.

  2. Neoliberales Denken erfasst mehr und mehr auch den Service public! Gut ist nur, was Rendite abwirft, alles andere muss verschwinden, ungeachtet der Folgen. Wenn nun die SBB planen ihr Bahnnetz auf die rentablen Strecken zu reduzieren, dann folgen sie dem gleichen Muster, wie es Frankreich seit Jahrzehnten vorzeigt. Inzwischen sind dort ganze Gebiete ohne Bahnanschluss, was sich negativ auf die Entwicklung dieser Regionen auswirkt: Dörfer sterben aus, Post, Läden und Schulen schliessen, mangels ÖV wird mit dem PW gefahren und grosse Teile der arbeitsfähigen Bevölkerung wandern in die bereits überlasteten Agglomerationen ab. Der Bus ist nicht immer die bessere Lösung, eine simple Busbucht ersetzt nicht zwangsläufig den Bahnhof, wichtiger Identifikationsort einer Gemeinde. Heute stehen Renditedenken versus verantwortungsbewusster Ökonomie und Ökologie. Noch mehr Verkehr auf die Strassen verlagern, die drohende Ausgrenzung von Randregionen, eine massive Vernichtung wertvoller bestehender Bahninfrastruktur? Wollen wir das wirklich? Falls ja, ist das Verkehrssystem Bahn, weil de facto relativ teuer, grundsätzlich zu hinterfragen. Neue Technologien werden diese Diskussion befeuern. Was schlussendlich mehr Kosten verursachen wird, ist gegenwärtig nicht absehbar. Wir können Personal so lange abbauen, bis die Sozialwerke samt AHV kollabieren. Nachhaltigkeit sieht anders aus!

    • Sehr geehrter Herr Guillaume

      Vielen Dank für Ihren Beitrag und für Ihr Interesse an unserer Website. In der Tat führt die anhaltende Liberalisierung zu unerwünschten Auswirkungen. Dennoch möchte ich mich zu einigen Aspekten Ihres Kommentars äussern.

      http://www.fokus-oev-schweiz.ch stellt sich dezidiert gegen einen Abbau des öffentlichen Verkehrs. Hingegen missfällt uns die häufige Geringschätzung des Personenverkehrs mit Autobussen. In der Schweiz wird ein Grossteil der Personenkilometer des öffentlichen Personenverkehrs auf der Strasse erbracht. Busse sind oft kostengünstiger, ökologischer und benutzerfreundlicher – auch bei uns.

      In der Tat sind viele Randregionen vom Aussterben bedroht. So zum Beispiel das Calancatal. Kaum mehr Detailhandelsgeschäfte oder Poststellen! Dafür verkehren an Werktagen acht Postautos von Grono nach Rossa. Möglicherweise würde die Subventionierung eines günstigen Detailhandelsgeschäftes die Abwanderung eher stoppen als die vielen Kurse des Postautos. Und bei vielen Beobachtern in unseren Regionen ist die – oft bereits erfolgte – Abwanderung erst ein Thema, wenn der öffentlichen Verkehr zur Diskussion steht. Stehen da nicht Eigeninteressen einer gut dotierten Branche im Hintergrund?

      Ich empfehle beispielsweise eine Besichtigung des Busbahnhofs von Schaan oder Passau. Sie sind in weitaus höherem Mass Identifikationsmerkmal der genannten Orte als die Bahnhöfe.

      Freundliche Grüsse

      Ernst Rota

    • Sehr geehrter Herr Lüthard
      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website. In Ihrem Kommentar weisen Sie auf einen interessanten und der breiten Öffentlichkeit kaum bekannten Sachverhalt hin.
      Da machen es Privatbahnen wie die BLS AG und die RhB AG bedeutend besser als unsere Staatsbahn. So haben die RhB beim Jahresabschluss 2015 eine Rückstellung von CHF 10 Mio. für die Pensionskasse gebildet. Dieser ausserordentliche Aufwand wurde durch die Auflösung von stillen Reserven auf Vorräten finanziert.
      Auch die BLS hat in den letzten Jahren substantielle Zuwendungen in ihr Vorsorgewerk getätigt. So 2013 CHF 9,8 Mio., 2014 CHF 10,682 Mio. und 2015 CHF 20,0 Mio. – Beträge, die weit über den ausgewiesenen Gewinnen liegen.
      Bei den SBB geschieht nichts dergleichen. Da werden trotz dem Sanierungsbedarf der Pensionskasse Jahr für Jahr Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe ausgewiesen – letztere sind möglicherweise relevant für den Bonus des obersten Kaders. Skandalös! Und was unternehmen die Konzernprüfung und der Verwaltungsrat? Ein Hinweis in einem Management Letter?
      Und am Schluss muss die öffentliche Hand im Gegensatz zu den erwähnten Privatbahnen und zu Lasten der allgemeinen Bundesschuld einmal mehr aushelfen!
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

  3. In den letzten Jahren war ich ein paarmal auf der Gotthard Bergstrecke. Ich sah sehr viele RE 10 sowie Re 6/6 und Re 4/4 fahren. Und nun kommen auch noch die BR 185 der DB. Diese nutzen die Geleise sehr stark ab.
    Weshalb kann man diese Lokomotiven und die Güterzüge nicht besser kontrollieren und für die Durchfahrt höhere Preise verlangen? Aber nein, wir bezahlen alles. Zudem geben wir nicht mehr so viel Geld für den Unterhalt aus. Auch die Lokomotiven sehen nicht mehr so aus wie früher.
    Das Beste wäre, man würde auf unsere Probleme schauen und nicht auf die von Deutschland oder Italien. Dann würde es uns besser gehen.

    • Sehr geehrter Herr Leutenegger
      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.
      Gemäss Ihrem E-Mail haben wir Ihren Kommentar redigiert. Bitte melden Sie sich, wenn Sie nicht einverstanden sind.
      Materiell zu Ihren Ausführungen anzumerken ist, dass mit der Inbetriebnahme der Neat keine Güterzüge mehr über die Bergstrecke fahren sollten. Dadurch würden sich die von Ihnen genannten Probleme von selbst auflösen.
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

      • Wie erwähnt, werden auch nach der Inbetriebnahme des Gotthard Basistunnels GBT weiterhin Güterzüge über die Bergstrecke fahren. Unter anderem sind dies Züge, welche den Anfordungen für den GBT nicht entsprechen, wie beispielweise die RoLa.
        Die Probleme, welche Herr Leutenegger beschreibt, sind nicht nur auf der Bergstrecke ein Problem, sondern generell auf dem Schweizer Schienennetz. Unser Netz ist mit den engeren Kurvenradien für diese Lokomotiven nicht geeignet.

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