Fernbusverkehr und die Schweiz – ein Diskussionsbeitrag

Ausgangslage

Die Debatte um Fernbusse schlägt in der Schweiz zurzeit hohe Wellen. Häufig ist die Diskussion von Eigeninteressen geprägt und wenig sachlich. Sachlichkeit tut not – deshalb dieser Beitrag. Beginnen möchte ich mit ein paar persönlichen Erfahrungen.

  • Ein Bekannter von uns besitzt ein Haus in der Nähe von Malaga. Seit 25 Jahren reist er ab Zürich mit einem Fernbus dorthin.
  • Ein Freund von mir reist drei- bis viermal pro Jahr mit dem Fernbus von Zürich nach Pilsen.  Auch er schätzt diese Reisemöglichkeit.
  • Mein Schwager hatte früher Landwirtschaftshelfer aus Polen beschäftigt. Getroffen hat man sich jeweils auf dem Carparkplatz in Zürich.
  • Zwei pflegebedürftige ältere Ehepaare beschäftigen polnische Hauspflegerinnen. Auch sie wurden jeweils auf dem Carparkplatz in Zürich abgeholt.
  • Die Freundin eines Studienkollegen studiert in Würzburg. Der Studienkollege besucht sie alle zwei Monate. Die Reise mit dem Fernbus dauert eine Stunde weniger als die Anreise mit der Bahn und kostet bedeutend weniger.
  • Ein Freund – er war vor vielen Jahren Bereichsleiter bei den SBB – benutzte mit grosser Zufriedenheit den DB Fernbus von Zürich nach München und zurück.

Öffnen wir der Fächer: Unzählige schweizerische Anbieter von Auslandreisen führen ihre Gäste mit Bussen an ihrer Destinationen im Ausland. Man schaue sich nur die einschlägigen Kataloge an. Selbst derjenige von RailTours. Das Fernbusangebot von DB und SBB für den Personenverkehr nach München wurde bereits erwähnt.

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Aber auch in der Schweiz existieren Fernbusse. Man denke an die Postautos von Bellinzona nach Chur. Zudem gibt es beispielsweise ab dem Bahnhof Zürich-Enge trotz der Eisenbahnverbindungen eigentliche und häufig verkehrende Schnellbusse nach Bremgarten, Bonstetten und Affoltern am Albis (Fahrplanfelder 200 und 444).

Fernbusse im internationalen und im nationalen Verkehr sind also auch in der Schweiz seit vielen Jahren Realität. Zeit also, die Realität anzuerkennen und sich konstruktiv mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Der Ausdruck „Unsinn“ ist deplatziert. Fernbusse sind für die Reisen in die Oststaaten oft das einzige öffentliche Verkehrsmittel und haben sich bestens bewährt.

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Diskussion

Die Opposition gegen nationale Fernbusse in der Schweiz ist gross. Argumentiert wird häufig mit dem Einnahmenausfall der Eisenbahnen. Dieses Argument trifft zu. Meines Erachtens ist es jedoch für die Marktabschottung nicht hinreichend.

Man nehme sich ein schlechtes Beispiel am Güterverkehr. Gesetzliche Restriktionen haben während vielen Jahren echte Innovationen im nationalen Bahngüterverkehr verhindert. Das Ende wird bitter.

Das gleiche gilt auch beim schienengebundenen Personenverkehr. Da ist einmal die sich stetig zurückbildende Servicequalität – Fernzüge ohne Bedienung, Schliessung von Schaltern, kostenpflichtiger Auskunftsdienst, Abbau der Minibar. Noch unverständlicher ist der Widerstand gegen kostenloses WLAN in den Reisezügen. Auf den Plätzen von zahlreichen europäischen Städten, in den Postautos und bei den BLT gibt es kostenloses WLAN – aber nicht bei den SBB.

Am vergangenen Wochenende sind wir nach einer Bergtour in einem bis auf den letzten Platz besetzten Doppelstock-Intercity von Landquart nach Zürich gefahren. Kaum Platz für die Rucksäcke. Da ist der Komfort eines modernen Reisebusses bedeutend höher.

Noch gravierender wirkt sich – abgesehen von den Tunnels der NEAT – das Fehlen echter Innovationen bei der schweizerischen Bahninfrastruktur aus. Ich denke dabei etwa an die Bahnstrecke von Luzern über Zug nach Zürich. Die Reise auf dieser bald 150-jährigen Strecke dauert viel zu lange. Diese Verbindung von Luzern nach Zürich ist wie kaum eine andere affin für Fernbusse. Und früher oder später werden nationale Fernbusse auch in der Schweiz verkehren. Ich begreife deshalb immer weniger, dass sich Freunde der Bahn für derart kurzfristige und sprichwörtlich limitierte Lösungen einsetzen wie die Variante „Zimmerberg light“ für den Ausbau der Strecke von Thalwil nach Zug.

Dazu kommt, dass sich die Schweiz als enorm vom Freihandel und offenen Grenzen abhängige Nation stark auch für die Öffnung der Märkte für Dienstleistungen einsetzt. Transporte fallen unter Dienstleistungen. Das Verbot von Kabotage bei zahlreichen Verkehrsträgern – Flugzeuge, Schiffe, Busse etc. – wirkt sich bezüglich Ökologie und Ökonomie verheerend aus. Kabotage ist eine Geissel für die Weltwirtschaft.

Nun, in einem Aspekt profitieren die Fernbusse von einer Wettbewerbsverzerrung. Nur wenige der Fernbusse entsprechen den Vorschriften des Behindertengleichstellungs-Gesetzes.

Carparkplatz Zürich

In jüngster Zeit habe ich dem Carparkplatz beim Sihlquai in Zürich einige Besuche abgestattet. Die Verhältnisse sind skandalös. Da fehlen elementare Infrastrukturen für einen wichtigen Knoten im öffentlichen Verkehr. Busreisende sind auch Menschen, und Buslenker üben einen schwierigen und verantwortungsvollen Beruf aus. Als Zürcher und Freund des öffentlichen Verkehrs schäme ich mich für die Zustände hinter dem Bahnhof – das ist einer sich ständig lobenden Grossstadt unwürdig.

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3 Gedanken zu „Fernbusverkehr und die Schweiz – ein Diskussionsbeitrag

  1. Es geht bei dieser Diskussion um eine grundsätzliche Antwortfindung zur zentralen Frage, wie in Anbetracht der sich rasant entwickelnden Digitaltechnik in Zukunft der öffentliche Personenverkehr in der Schweiz (und in Europa) möglichst kundenfreundlich, umweltgerecht, sinnvoll und effizient organisiert werden kann. Will man dabei gesamtplanerisch, möglichst koordiniert vorgehen oder soll alles der Zufälligkeit des freien Marktes und dessen Diktat überlassen werden? Ob Letzterer, wie oft behauptet, tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist, darf bezweifelt werden. Dabei geht es auch um Ideologien, und dadurch wird die Diskussion sehr schwierig und wenig effizient. Sich gegenseitig „gnadenlos“ konkurrenzierende Verkehrssysteme (z.B. Bahn gegen Fernbus) können unter günstigen Voraussetzungen Angebot und Service aller involvierter Systeme verbessern oder aber zum Niedergang eines der Systeme führen. Das Beispiel der USA-Bahnen und jener anderer Länder (Quasi-Aufgabe des Personenschienenverkehrs) zeigt auf, welche Gefahren unserem so gerne gelobten Bahnwesen drohen. Wollen wir das wirklich provozieren?
    Das Schweizer Eisenbahnnetz stammt aus einer fernen Zeit, als es praktisch konkurrenzlos betrieben werden konnte und seither hat es sich nur sehr wenig verändert. Es bleibt in seiner Grundstruktur jenes von damals, mit all seinen Vor-und Nachteilen. Inzwischen hat sich ein zweites Verkehrsnetz, modern, grosszügig und national konzipiert und mit neuen technischen Mitteln erstellt, darüber gelegt: unsere Nationalstrassen. Ob in Zukunft nun darauf ein dichtes Netz von nationalen und internationalen Fernbussen rollen soll, ist sowohl eine ökonomische, ökologische, verkehrspolitische als auch eine Glaubensfrage. An welches System soll ich glauben? Die Überlastung unserer Strassen und die häufigen Staulagen sprechen gegen den Bus, günstige Preise, ein relativer Komfort und umsteigefreie Verbindungen eher dafür. Oder bin ich doch für ein Sowohl-als-auch? Auf den grossen Hauptachsen und im Vorortbereich ist die Bahn gegenwärtig wohl unersetzlich, auf weniger gefragten Strecken und vor allem in den Randregionen wird die Bahn sich sehr um die Erhöhung ihre Attraktivität (und die Gewährleistung ihrer Finanzierung) bemühen müssen, wenn sie dort in der Fläche überleben will. Dies Diskussion um Solothurn – Moutier ist ein Indiz dafür. Schlussendlich werden die real existierenden Frequenzen entscheiden. Leider scheint die gegenwärtige Politik der SBB mehr drauf hin zu tendieren ihre Kundschaft zu vergrämen als zu pflegen. Wenn ich, um nur einen Aspekt zu nennen, in einem SBB-Reisecenter 45 Minuten warten muss, um eine Auskunft zu erhalten oder ein simples Billet zu kaufen (weil ich z.B. die Automaten scheue), dann kann ich jeden verstehen, der sich für das Auto oder eben den Bus entscheidet. Der stetige Passagierzuwachs der letzten Jahre hat bei den SBB dazu geführt, dass ihre „Willkommenskultur“ gegenüber dem einzelnen Kunden sehr nachgelassen hat, weil sie ganz offensichtlich diese Kundschaft nicht mehr so nötig hat wie auch schon. Doch das könnte sich schnell ändern!

  2. Sofort den Protektionismus der SBB aufheben, also die Kabotge Regulierung lockern. Der Kundenservice der SBB läuft bestenfalls unter „Beamtenstube“ und hat nichts mit Kundenorientierung zu tun! Also gibt es nur eine Antwort: Freie Bahn für FlixBus (wie dies im internationalen Flugverkehr im übrigen schon längst der Fall ist….), dann hat man wenigstens eine Alternative.

    • Sehr geehrter Herr Reber
      Vielen Dank für Ihren Kommentar und für Ihr Interesse an unserer Website.
      Ich teile Ihre kurz, bündig und präzis vorgetragene Argumentation.
      Leider grassiert die Geissel des Kabotageverbots auch im Strassengüterverkehr und – vor allem – im Luftverkehr. Dies gilt in besonderem Mass für die der allgemeinen Auffassung nach angeblich so freiheitlichen Marktordnung der USA.
      Freundliche Grüsse
      Ernst Rota

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